Diesen Weckruf richtet P&G-CMO Kristina Bulle an die Werbebranche
Kristina Bulle hat sich ein zentrales Thema für 2026 auf die Fahnen geschrieben: Bei der Planung von Kampagnen im Open Web muss endlich mehr Transparenz einziehen. Zusammen mit der OWM will die CMO des größten deutschen Werbungtreibenden Procter & Gamble für neue Standards kämpfen. Der Zeitplan ist ambitioniert.
Starten wir vielleicht mit der dramatischsten Werbenachricht der vergangenen Wochen: Bei den Cannes Lions wird hart durchgegriffen. Bei Werbekampagnen muss jetzt nachgewiesen werden, dass Arbeiten tatsächlich vom Kunden beauftragt worden sind und dass die genannten Erfolgszahlen verifizierbar sind. Wird das dafür sorgen, dass große Ideen, deren konkrete Wirkung sich schwer dokumentieren lässt, künftig nicht mehr in Cannes zu finden sein werden?
Ich kann da nur für P&G sprechen: Wir entwickeln unsere Kampagnen nicht, um Awards zu bekommen. Unsere Werbung soll Menschen bewegen und basierend auf tiefgehenden Insights zu ihren Wünschen und Anforderungen im Alltag unsere Produkte verkaufen. Wenn wir Awards und Auszeichnungen erhalten, sind wir natürlich stolz darauf. Aber Kategoriewachstum ist uns wichtiger. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass Transparenz im Brand Building ein ganz wesentlicher Faktor ist. Deswegen sind die Botschaften aus Cannes gut und richtig. Eingereichte Kampagnen sollten auf nachvollziehbaren Abverkaufszahlen beruhen – alles andere tut der Branche aus meiner Sicht nicht gut.
Aber werden die Agenturen nicht zum Flunkern motiviert, weil Kreativpreise auch neue Kunden bringen?
Wir setzen auf langfristige Agentur-Partnerschaften. Wir wechseln Agenturen nicht, nur weil eine andere Agentur mehr Awards gewonnen hat. Für uns ist das sinnvoll, weil wir mit unseren Agenturen Kampagnen entwickeln, die das Fundament des Brand Buildings bilden. Und das funktioniert nun einmal besser mit Agenturen, die zum Teil schon seit Dekaden für uns arbeiten und die Marke kennen. Ich sehe es so: Wer den Kontext der Kunden am besten versteht und die Marke und ihre Historie kennt, liefert am Ende auch die bessere Werbung.
Sie haben selbst einen Beitrag zum Thema Kreative Exzellenz geleistet, indem Sie beim HORIZONT-Kongress die These aufgestellt haben, dass die Verantwortung für gute Werbung bei den Unternehmen und ihrem Briefing beginnt. Wie waren die Rückmeldungen aus der Marketingbranche?
Ich habe dafür viele positive Rückmeldungen erhalten. Das zeigt mir, dass da wirklich etwas dran ist. Wir als Marketingverantwortliche müssen unsere Hausaufgaben machen. Im Klartext: Wir müssen wissen, welche Probleme, Nöte und Sorgen der Konsumenten wir adressieren wollen und wie wir die Brücke zu unseren Produktkategorien schlagen können. Hier sind die eben angesprochenen Insights wichtig, weil wir da wirklich in die Tiefe der menschlichen Bedürfnisse einsteigen und nicht nur das Konsumverhalten beobachten. Darauf aufbauend kann man Agenturen einen Auftrag geben. Bei diesem Vorgehen ist auch der kreative Prozess relativ elegant und schnell. Wenn Briefings bis in die zehnte kreative Runde gehen, muss man sich irgendwann eingestehen, dass das Briefing nicht gut war und dem Agenturpartner anscheinend nicht vermittelt werden konnte, was gewollt ist. Solche Ineffizienzen wollen wir vermeiden.
Ist das wirklich nur ein Unternehmensproblem? Oder fehlen nicht auch auf der Agenturseite oft die Profis mit der nötigen strategischen Kompetenz, um das Briefing ihrer Werbekunden adäquat in eine Kampagne umsetzen zu können?
Klar, Agenturen müssen auch in Talente investieren, das ist entscheidend. Bei den Kreativagenturen braucht nicht jedes Briefing einen strategischen Planer. Aber bei Kampagnen, die langfristig angelegt sind und vielleicht nicht ganz trivial sind, wäre es wertvoll, strategisches Sparring zu haben, das uns noch mal aus der kreativen Sicht Hinweise liefert. Wir arbeiten mit großartigen Agenturen zusammen, die diese Fähigkeiten haben.
Bei Mediaagenturen fragen mittlerweile immer mehr Branchenkenner, ob man diese Agenturgattung langfristig gesehen überhaupt noch braucht. Dabei verweisen die Zweifler gerne auf P&G, das seine digitale Mediaplanung mittlerweile selbst macht.
Wir haben das in erster Linie gemacht, um nah am Konsumenten zu sein. Gleichzeitig haben wir gesehen, dass wir viele Effizienzen heben können, wenn wir eigene Kompetenzen in der digitalen Mediaplanung aufbauen. Wir können und wollen aber auch nicht alles allein machen. Wir brauchen die Agenturexpertise, die den Markt anders durchleuchten und bewerten kann als wir. Dazu fehlt uns schlicht die Manpower. Wir haben uns bei unseren Agenturen allerdings von der bisherigen Transaktionslogik verabschiedet und setzen auf ein Outcome-based-Modell. Das bedeutet, wir benennen zuerst die strategischen Themen und identifizieren das damit verbundene Problem. Damit arbeiten wir verstärkt auf einer strategischen Ebene zusammen. Und hier schließt sich der Kreis zur Rolle der Agenturen: Sie brauchen Talente, die diese neue Art der Zusammenarbeit abbilden können.
Vielfalt ist hier eine große Stärke und das Open Web ist größtenteils sehr brand safe.Kristina Bulle
2024 war Procter & Gamble einer der Big Spender im Werbemarkt. Im Mai meldete Nielsen ein Minus von 24,3 Prozent für die Brutto-Werbeinvestitionen von P&G. Sieht der Markt in Deutschland heute anders aus als 2024?
Wir investieren in unsere Marken. Starke Marken brauchen gute und kontinuierliche Werbung. Der Nielsen-Report zeigt ja nicht das gesamte Bild. Ausgewiesen werden klassischen Medien und ein kleiner Teil der digitalen Spendings. Zudem gibt es saisonale Schwankungen. Für uns ist wichtig, ob wir über zwölf Monate kontinuierlich investieren. Und da sind wir auf Kurs. Wir investieren in die Touchpoints, von denen wir wissen, dass sie am besten konvertieren und dass sie am besten unsere Marken kommunizieren. Da reden wir insbesondere auch über Long-Video-Formate.
Sie haben 2022 beim deutschen Marketingtag gesagt, dass Marketer die relevanten digitalen Inseln finden und mit relevanten Botschaften vernetzen müssen. Wie weit sind Sie heute auf der Suche nach diesen digitalen Inseln?
Die digitale Landschaft bleibt eine Herausforderung für uns. Ich werde nicht müde, es immer wieder zu betonen: Wir brauchen markensichere Inventare und wir brauchen eine Medientransparenz. Wir müssen eine Diskussion darüber führen, wie die Definition von Brand Safety und Brand Suitability heute aussehen muss. Wir haben auf der einen Seite die kuratierte Seite, wo Programminhalte verantwortet und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Und dann gibt es die nicht-kuratierte Welt, wo ich nicht wirklich kontrollieren kann, in welchen Umfeldern meine Werbung erscheint. Da fehlt es momentan an den nötigen Instrumentarien. Hier muss sich die Branche noch extrem weiterentwickeln, um für Marken sichere Umfelder zu schaffen. Wenn wir Marketingbudgets planen, dann planen wir besondere Reichweite, weil wir Produkte des täglichen Gebrauchs vermarkten.
Da wäre die Lösung doch sehr einfach: Im Open Web gibt es sehr viele Plattformen mit ungenutzten Reichweiten, weil die großen Werbungtreibenden lieber bei den Walleds Gardens investieren.
Aber gerade bei den Reichweiten ist Transparenz extrem wichtig. Fakt ist: Im Open Web fehlt das Instrumentarium, um Reichweiten transparent zu erschließen. Ganz konkret: Wie oft eine Kampagne die Menschen erreicht – zehnfach, einmal oder gar nicht –, ist unklar. Da steht in der Branche noch einiges an Arbeit an.
Da können Sie ja als größter Werbungtreibender Deutschlands ja durchaus einen Akzent für erwünschte Entwicklungen setzen – zum Beispiel bei den Standards für kompatible Identifier. Wenn sich ein Werbungtreibender wie Procter & Gamble positioniert, wäre das ein klares Signal an den Markt.
Ja, das Ziel ist klar definiert und wir erwarten, dass der Markt eine gemeinsame Lösung erarbeitet. Um auch hier konkret zu werden: Wir brauchen einheitliche, datenschutzkonforme ID-Lösungen zur klaren Adressierbarkeit von realen Personen. Niemand will Werbung an Fakes ausspielen. Vielmehr wollen wir wissen, wie oft und wo wir echte Nutzer erreicht haben.
Das klingt aber auch stark danach, dass erst einmal die Vermarkter in neue Standards, Kompetenzen und Hardware investieren müssen. Und das, ohne dass sie eine Garantie haben, durch diese Investitionen auch mehr Werbung auf die eigenen Plattformen zu ziehen.
Wenn es gelingt, mit deterministischen ID-Lösungen als Marktstandard das Open Web zu einem zusammenhängenden Ökosystem zu verbinden, dann bieten sich große Chancen für alle Player, um mehr Werbegelder auf die eigenen Angebote zu ziehen. Denn mit mehr Transparenz kommen auch mehr Investitionen. Im Übrigen müssen für diesen Marktstandard auch die Agenturen als Partner einbezogen werden.
Viele Player mit zum Teil sehr unterschiedlichen Interessen, die Sie da an einen gemeinsamen Tisch bekommen wollen. Wo ist denn aus Ihrer Sicht das Forum, um diese Arbeit zu leisten?
Das Thema steht auf der Tagesordnung der OWM. Wir sind mit Publishern im Gespräch, die Mediaagenturen sind ebenfalls informiert. Alle wissen um die Notwendigkeit, eine neue deterministische Lösung als Marktstandard zu kreieren. Denn wir sehen durchaus den Wert des Open Webs als Werbeumfeld. Vielfalt ist hier eine große Stärke und das Open Web ist größtenteils sehr brand safe. Die Mediatheken und die Streaming-Dienste bieten zum Beispiel klar kuratierte Inventare, die brand safe sind und großartige Möglichkeiten für Werbungtreibende bieten.
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Ein klassisches Werbeumfeld des Open Web mit beachtlichem gesellschaftlichen Prestige sind die redaktionellen Nachrichtenangebote im Internet. Aber viele große Unternehmen halten sich hier mit Investitionen zurück – auch P&G. Warum sehen Sie hier keine „Möglichkeiten“ für Markenwerbung?
Nun ja, es lässt sich eben schlecht kontrollieren, in welchem Nachrichtenkontext die Werbung erscheint. Und damit stellt sich ein ähnliches Problem wie bei nicht- kuratierten Medien: Kommt die Markenbotschaft tatsächlich bei den Menschen an? Außerdem stellt sich die Frage, ob die Menschen in Nachrichtenumfeldern überhaupt offen für Werbebotschaften zu Gütern des täglichen Bedarfs sind. Ist die aktuelle Nachrichtenlage wirklich ein Themenumfeld, in dem man als Marke relevant über Zahnpasta sprechen kann?
Ein gemeinsamer Standard für das Open Web ist keine kleine Aufgabe. Welchen Zeitraum halten Sie für realistisch?
Das geht sicherlich nicht von heute auf morgen. Aber der Weckruf ist angekommen. Viele Marktpartner haben verstanden, dass es ohne Zusammenarbeit nicht mehr geht. Ich glaube, die Zeit ist reif und es wird sich jetzt einiges bewegen.
Ein im Moment anderes großes Thema ist das Influencer Marketing. Wir haben in den letzten Monaten von Unilevers CEO gehört, dass Markenbotschaften nicht mehr geglaubt wird, wenn die Marke selbst der Absender ist. Deswegen will Unilever sein Influencer Marketing ausbauen. Welche Haltung hat P&G bei diesem Thema?
Ich sehe nicht, dass die Relevanz von Markenbotschaften abnimmt. Natürlich braucht es ein konsistentes Markenbild und eine konsistente und authentische Kommunikation. In den sozialen Medien nutzen wir die passenden Instrumente, um unsere Botschaften zu vermitteln. Influencer, die zu unser Brand Equity passen, sind für uns vertrauensvolle Partner, und wir tun gut daran, langfristig mit ihnen zusammenzuarbeiten und sie zum Teil unserer Markenbotschaft zu machen. Wichtig ist: Die Werbekanäle müssen miteinander arbeiten und sich ergänzen. Als Brand Builder ist es unsere Aufgabe, authentische und relevante Werbung zu entwickeln, die die Menschen erreicht und den Nutzen unserer Markenprodukte im Alltag der Menschen vermittelt.
Ein Thema, das sie im Moment setzen, ist ihre Qualitäts-Kampagne mit Kai Pflaume. Wie stellen Sie denn da die Relevanz zum Leben der Verbraucher her?
Innovation und Qualität sind wesentliche Faktoren, warum die Menschen ihr Vertrauen in unsere Marken und Produkte setzen und sie kaufen. Wir haben 1400 Forscherinnen und Forscher in Deutschland. Wir haben acht Werke, in denen wir mit Präzision und großer Innovationskraft unsere Produkte herstellen. Also haben wir uns die Frage gestellt, wie wir diese Qualität hier vor Ort erlebbar machen können. Bei der Suche nach dem richtigen Botschafter für die Kampagne „Wo Qualität zu Hause ist“ sind wir schnell auf Kai Pflaume gekommen. Kai Pflaume ist sehr neugierig, authentisch, nahbar und auf Augenhöhe mit seinen Gesprächspartnern. Wenn er mit unseren Produktentwicklerinnen und -entwicklern oder mit den Menschen in der Produktion spricht, werden auch sehr komplexe Themen verständlich vermittelt. Dabei reden wir bei „Wo Qualität zu Hause ist“ nicht nur über die Produkte als solche, sondern auch über andere Aspekte, in denen sich Qualität manifestiert: z.B. über Partnerschaften, die langfristig angelegt sind. Oder auch über die Qualität unserer Mitarbeitenden und unsere Qualität als Arbeitgeber. Das ist eine vielschichtige und facettenreiche Kampagne, mit der wir vermitteln, wie stolz wir auf das sind, was wir hier vor Ort erforschen und produzieren und wie wir mit hoher Qualität einen echten Unterschied im Leben der Menschen machen.
Qualität und Präzision sind aktuell auch zentrale Themen, wenn es um den Umgang der Werbungtreibenden mit generativer KI geht. Wo steht P&G bei diesem Thema?
Wir setzen KI vor allem ein, um Effizienzen zu heben. Hier liegen die größten Möglichkeiten, um Gelder einzusparen, die an anderer Stelle besser und abverkaufsstärker eingesetzt werden können. Insbesondere in der digitalen Mediaplanung bieten KI-Tools viel Potenzial. Mit generativer KI experimentieren wir noch. Wir schreiben damit zum Teil Konzepte und unsere Agenturen arbeiten mit der Technologie. Aber die eigentlich wichtigen Themen sind doch das Verständnis der Konsumenten, das Verstehen der Bedürfnisse und das Verstehen der Marke. Da hilft uns generative KI noch nicht wirklich. Außerdem haben wir sehr strenge Bestimmungen, wie wir KI anwenden dürfen.
So zurückhaltend ist die Konkurrenz beim Thema Generative KI nicht. Aktuell werden ja soziale Netzwerke und alle großen digitalen Plattformen mit KI-Content geflutet. Führt das aus Markensicht nicht zu dem Dilemma, dass die eigene Markenbotschaft nicht mehr gehört wird, wenn der ganze Marktplatz immer lauter wird?
Genau deswegen brauchen wir die markensichere Inventare, von denen wir vorhin gesprochen haben. Der Markt bietet markensichere Inventare – diese müssen wir jetzt erschließen. Das ist für mich eine zentrale Aufgabe für 2026.
