Diese Familie musste ihren Traum vom Eigenheim aufgeben
Hohe Kosten, wenig Neubau: Sehr viele Deutsche können sich kein Eigenheim mehr leisten. Eine Familie erzählt, wieso sie ihren Traum aufgegeben hat – und was stattdessen kam.
Frankfurt. Endlich in den eigenen vier Wänden wohnen: Davon träumt die Mehrheit der Deutschen. Und das altersübergreifend. Laut der Sparda-Wohnstudie würden 74 Prozent der Deutschen gern Wohneigentum erwerben oder bauen.
Selbst bei den 18- bis 29-Jährigen wären einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zufolge ganze 69 Prozent gern Eigenheimer. Doch zwischen Wunsch und Realität klafft in Deutschland eine gigantische Lücke. Und das schon länger. Deutschland ist laut dem EU-Report „Housing in Europe“
EU-weit das einzige Land, in dem es weniger Besitzer von Wohnraum (2023: 47,6 Prozent) als Mieter gibt. Nur die Schweiz weist in Europa eine noch niedrigere Eigentumsquote auf. Zum Vergleich: Der EU-Durchschnitt liegt bei 69,1 Prozent.
Woran liegt das? Und was macht das mit all den verhinderten Hausbesitzern im Land? All jenen, die ihren lang gehegten Traum vom Eigenheim nicht leben können, sondern begraben müssen?
Das Handelsblatt hat mit einer jungen Familie mit zwei Kindern gesprochen, die ihren großen Wunsch vom freistehenden Einfamilienhaus nahe Karlsruhe in Baden-Württemberg aufgeben musste.
Wie geht die Familie damit um, dass sie trotz guter beruflicher Positionen und hoher Einkommen auf eine eigene Immobilie verzichten muss? Was hat sie bei der Immobiliensuche gelernt? Und ist sie nun, als Mieter, vielleicht gar glücklicher als gedacht?
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Tobias Zirzow, verhinderter Hauskäufer aus Pfinztal (Baden-Württemberg), erzählt:
„Niemand träumt den Traum vom Eigenheim einfach so. Hinter dieser Wunschvorstellung stecken konkrete Wünsche und Bedürfnisse. Die gilt es herauszufinden. Uns ist vor allem Freiheit und Unabhängigkeit wichtig. Doch dazu später mehr.
Wir sind Tobias und Ulrike, 42 und 43 Jahre alt, Wirtschaftsinformatiker und Gymnasiallehrerin, ein Paar mit zwei Kindern. Wir kommen aus Mecklenburg-Vorpommern und haben uns im Studium in Rostock kennengelernt. 2008 sind wir des Jobs wegen weit weg von zu Hause nach Mannheim gezogen. Dort mieteten wir erst eine Dachgeschosswohnung und dann ein Zweifamilienhaus. 2015 zogen wir dann in ein gemietetes kleines Fachwerkhaus bei Karlsruhe. Für 130 Quadratmeter mit Autostellplatz und kleinem Hof zahlen wir 1500 Euro kalt. Nahe Karlsruhe ist das recht günstig.
Früher war die Finanzierung einfacher
Geplant war das eigentlich ganz anders. Wir sind in Eigenheimen aufgewachsen. Unsere beiden Eltern haben Anfang der 90er-Jahre Häuser in Mecklenburg-Vorpommern gekauft beziehungsweise gebaut. Zwar lagen die Bauzinsen damals teils bei zehn Prozent – die Finanzierung war dennoch gar kein Problem: Für ihr Grundstück mit 900 Quadratmetern (davon 200 Quadratmeter Wohnfläche) zahlten meine Eltern damals lediglich 360.000 D-Mark, also nur knapp 185.000 Euro.
Selbst mal Eigenheimer zu sein war für uns also ganz selbstverständlich. Wir gingen einfach davon aus. Wie bei unseren Eltern im Osten eben. Spätestens als Familie anstand, wollten wir uns diesen Wunsch erfüllen. Und endlich in einem großen Haus mit genug Platz für Kinder und Hund leben, wo wir uns frei entfalten und die Kinder laut rumtoben und Sackhüpfen spielen können.
Trotz ehemals niedriger Bauzinsen waren alle Häuser zu teuer
Dann kamen unsere zwei Kinder zur Welt. Die Wohnung in Mannheim wurde rasch zu klein. 2011 fingen wir mit der Suche an. Auf Immoscout stellten wir Such-Alerts nach Häusern zum Kauf ein – bis heute sind sie aktiv. Sahen wir online ein schönes Objekt, riefen wir an, fuhren oft vorbei. Im ganzen ländlichen Raum um Karlsruhe herum haben wir uns mehr als zwei Jahre lang sehr viele Häuser angeschaut. Freistehend sollten sie sein, mit Garten drumherum, kein Reihenhaus. Eigentlich eine gute Kaufgelegenheit, denn die Bauzinsen waren damals recht niedrig.
Doch schon damals gab es unter 500.000 Euro gefühlt nur Baustellen zu kaufen. Es brauchte eine neue Heizung, ein neues Dach oder gleich eine Sanierung. In wohlhabenden Regionen wie Baden besitzen einfach sehr viele Menschen Immobilien als Kapitalanlage. Was uns wirklich gefiel, kostete da gut und gern mal 900.000 Euro.“
Hohe Preise für Eigenheime und Neubauten
Und das war vor fast fünfzehn Jahren. Denn seit die Zirzows 2011 mit der Immobiliensuche angefangen haben, sind die Kaufpreise für Eigenheime und Eigentumswohnungen in Deutschland sehr stark gestiegen – haben sich laut dem Immobiliendaten-Anbieter Empirica teils mehr als verdoppelt.
Und trotz des historisch einmaligen Preisrückgangs seit den Allzeithochs 2022 bleibt das Preisniveau 2025 hoch: Im zweiten Quartal sind die Preise für Wohnimmobilien in Deutschland laut dem deutschen Immobilienpreisindex Greix erneut gestiegen. Ausgerechnet die für Familien besonders relevanten Einfamilienhäuser verteuerten sich mit zwei Prozent Preiszuwachs am stärksten.
Zusätzlich werden Neubauten immer teurer. So sind die Baupreise laut dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) seit 2021 um rund 20 Prozent gestiegen – das stärkste Plus innerhalb eines Vierjahreszeitraums seit den 1990er-Jahren. Ursache waren zunächst die hohe Inflation, gestiegene Rohstoff- und Energiepreise, der Mangel an Arbeitskräften sowie Lieferkettenprobleme infolge der Pandemie.
2025 setzt sich der Kostenanstieg fort: Laut Statistischem Bundesamt
sind die Baupreise für Wohngebäude im dritten Quartal um 3,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal gestiegen. Haupttreiber sind inzwischen hohe Personal- und Finanzierungskosten sowie der anhaltende Fachkräftemangel.
Für immer mehr Deutsche wird der Hauskauf so schlichtweg zu teuer. Vor allem für junge Familien ohne viel Eigenkapital.
Vollfinanzierung ohne Eigenkapital ist zu riskant
„Für uns war es schon damals viel zu teuer“, erzählt Tobias Zirzow. „Denn wir hätten die Immobilie voll finanzieren müssen. Ich rechnete damals unsere Mietzahlungen gegen die Tilgungsraten für den Kredit. Das wäre so halbwegs aufgegangen. Doch Extrageld für Sonderposten, Investitionen, Instandhaltung? Nein. Die Kalkulation war sehr knapp.
Der Bankberater meinte zwar, dass wir die Immobilie nicht bis zum Ruhestand abbezahlen müssten und sie bequem nach Renteneintritt mit Restschuld veräußern könnten, wenn die Kinder aus dem Haus sind und uns weniger Platz reicht.
Doch uns war das alles zu riskant. Über 30 Jahre lang auf Kante genäht zu leben fühlte sich nicht frei an. Und ganz neu zu bauen war erst recht keine Option.“
Die Zahl der Neubauten nimmt stark ab
So wie Zirzow sehen das viele. Die Zahl der Neubauten ist in Deutschland seit den 1970er-Jahren um zwei Drittel gesunken: Wurden in den 1970er-Jahren pro Jahr noch bis zu 250.000 Eigenheime (also Ein- und Zweifamilienhäuser) fertiggestellt, waren es 2023 nur noch knapp 94.000. Dabei lebten 1970 nur etwa 78 Millionen Menschen in Deutschland – heute sind es dagegen knapp 84 Millionen Menschen, die um begrenzten Wohnraum kämpfen.
Der Immobilienmarkt hat sich negativ entwickelt
Tobias Zirzow: „Heute sieht unsere finanzielle Situation dagegen viel besser aus. War ich 2011 noch Angestellter im Softwarevertrieb und meine Frau Ulrike einfache Beamtin, bin ich nun Beamter im höheren Dienst und sie Oberstudienrätin. Dafür hat sich der Immobilienmarkt sehr gewandelt: Bauzinsen, Baukosten und Kaufpreise sind seit 2010 stark gestiegen, die Auflagen zur energetischen Sanierung viel strenger.“
Damit trifft Zirzow einen Nerv. Das Ende der Niedrigzinsphase in den letzten Jahren erschwerte den Hauskauf sehr. Denn mit dem Anstieg des Zinsniveaus sind auch die Bauzinsen seit Anfang 2022 stark gestiegen – auf teils mehr als vier Prozent. Aktuell liegen sie meist zwischen 3,4 und vier Prozent.
Niedrige Bauzinsen machen die Finanzierung viel günstiger: Wer einen Kredit über 400.000 Euro aufnimmt, muss bei einer Tilgungsrate von zwei Prozent bei einem Zins von 3,5 statt 4,2 Prozent monatlich 200 Euro weniger zahlen – und kann über die ganze Laufzeit so mehr als 30.000 Euro an Zinsen sparen.
Wie man den Traum vom Eigenheim begräbt
„Wir haben unseren Traum vom Eigenheim daher ganz aufgegeben“, erzählt Tobias Zirzow. „Heute sind wir froh drüber! Was dabei geholfen hat?
Vor allem Selbstreflexion. Viele wollen ein eigenes Haus, nur weil man das eben so macht. Stattdessen sollte man sich fragen: Was will ich konkret und warum will ich das? Will ich ein Haus als Altersvorsorge? Als Kapitalanlage? Zur maximalen Gestaltungsfreiheit? Oder zur Generierung von Erbmasse? Welche Hoffnungen, Wünsche und Träume stecken dahinter? Welche Bedürfnisse? Braucht es dafür wirklich ein Eigenheim oder kriege ich meine Wünsche nicht auch anders erfüllt?
Etwa indem ich aus der Stadt aufs Dorf ziehe, wenn mir Ruhe wichtig ist. Oder indem ich in der Stadt wohnen bleibe, wenn für mich vor allem die gute Anbindung zählt. Oder indem ich einen Schrebergarten im Kleingärtnerverein pachte, weil ich am Wochenende so gern grille. So kann man sich viele Facetten des Traums vom Eigenheim erfüllen, ohne selbst Eigenheimer zu sein.
Uns ist vor allem Freiheit und Unabhängigkeit wichtig. Und die können wir auch als Mieter ausleben. Mit unserem Vermieter haben wir uns daher genau darauf geeinigt, wie frei wir unseren Raum gestalten dürfen. Der war dafür ganz offen. Geht man unbefangen auf Menschen zu und kommuniziert gut, geht oft erstaunlich viel. Klar, wir dürfen keine Wände durchbrechen. Aber den Hof umgestalten, rumschrauben und reparieren, Wände streichen, Möbel umlackieren, das ist alles drin.
Und Sicherheit. Als Beamte werden wir im Ruhestand dank unserer Pensionen eh sehr gut abgesichert sein. Horrende Mieten im Alter müssen wir nicht fürchten. Denn viele kaufen sich ein Eigenheim ja auch aus Sorge, dass die gesetzliche Rente im Ruhestand für Miete und Lebensstandard nicht ausreicht. Wir können da zum Glück ganz entspannt bleiben.“
Deutsche Bank prognostiziert bereits das Ende des Eigenheims
Viele Deutsche genießen zumindest dieses Privileg nicht. Und die Aussichten sind trüb. So fragt etwa die Deutsche Bank in einem aktuellen Research, ob in Deutschland „das Ende des Eigenheims“ drohe. Denn der Trend stark sinkender Neubauten sowie Baugenehmigungen dürfte sich fortsetzen.
Laut Research insbesondere in bereits verdichteten Metropolen und Metropolregionen, wo Bauflächen rar sind und das Angebot knapp. Perspektivisch würden die Klima- und Umweltschutzziele der Regierung mit Regulierungen wie dem Heizungsgesetz den Bau von Eigenheimen dazu weiter verteuern.
Noch gibt es in Deutschland laut dem Census 2022 rund 16,3 Millionen Eigenheime. Doch in den letzten Jahren hatte die Anzahl schon kaum noch zugenommen. Und künftig dürfte die Zahl stagnieren und langfristig fallen, wenn weiterhin so wenig gebaut wird wie derzeit. So werden also zwangsläufig immer mehr Deutsche ohne Eigenheim bleiben. Wie kommt man damit klar?
Nachteile des Mietens ausmerzen und Vorteile bewusst machen
„Indem man die Nachteile des Mietens ausmerzt und sich die Vorteile bewusst macht“, sagt Tobias Zirzow. „Was uns als Mieter am meisten sorgt, ist die Eigenbedarfskündigung. Der Sohn unserer schon älteren Vermieterin hat mehrere Kinder. Was, wenn die einmal aus- und hier einziehen wollen? Wir wollen noch lange hier leben bleiben. Die Angst, dass uns so etwas unverhofft erwischt, ist groß. Daher führen wir bald ein Gespräch mit unserem Vermieter über die Option, ein lebenslanges Wohnrecht im Grundbuch einzutragen. Falls das klappt, wäre es famos.
Zudem haben wir als Mieter Vorteile, die wir als Eigenheimer nicht hätten. Wir bleiben flexibel, falls es uns doch irgendwann mal wieder gen Heimat ziehen sollte. Wir müssen uns beim Lebensstil gar nicht einschränken. Bleiben ungebunden und kreditlos. Sich diese Punkte vor Augen zu führen, hilft auch dabei, mit dem Traum vom Eigenheim abzuschließen. Es braucht nicht immer mehr vor allem, nur weil uns das die Gesellschaft vermeintlich vorgibt. Wir sind sehr glücklich mit dem, was wir gerade haben, mit unserem Fachwerkhaus zur Miete.“
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