Rechenzentrum: Was kann Deutschland von Vorbildern lernen? Foto: Getty Images, brckmnn [M]
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Wird Deutschland ohne Vorreiter zum KI-Absteiger?

Die Telekom und die Schwarz-Gruppe zeigen Eigeninitiative und planen eine gemeinsame AI Gigafactory. Ein Managementprofessor erklärt, warum es mehr solcher Vorstöße braucht.

Berlin. Die Deutsche Telekom und die Schwarz-Gruppe wollen gemeinsam ein Großrechenzentrum bauen. Das berichtete das Handelsblatt kürzlich unter Berufung auf sechs mit dem Vorgang vertraute Personen. Beide Unternehmen führen demnach aktuell intensive Gespräche, um sich für die von der EU geförderten Großrechenzentren zu bewerben. Die Verhandlungen seien weit fortgeschritten. Eine formelle Einigung stehe aber noch aus.

Beide Unternehmen treiben ihren KI-Ausbau bereits voran. Die Schwarz-Gruppe startete vor rund zwei Wochen den Bau eines Rechenzentrums in Lübbenau im Spreewald. Die Deutsche Telekom plant in München eine KI-Fabrik. Im ersten Quartal des nächsten Jahres soll dort ein Rechenzentrum einsatzbereit sein.

Eine Allianz der beiden Unternehmen wäre ein weiterer großer Schritt für eine hiesige digitale Infrastruktur. Warum es in Deutschland mehr solcher Vorbilder braucht und was sich hiesige Manager von internationalen Konkurrenten abschauen können, erklärt der Managementexperte Roman Briker.

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Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Roman Briker:

Herr Briker, die Telekom und die Schwarz-Gruppe beweisen Mut und bauen ihre KI-Infrastruktur aus. Braucht Deutschland mehr Entscheider, die handeln, statt zu warten? 
Klar ist: KI schafft enorme Vorteile – vorausgesetzt, die Technologie wird rechtzeitig und richtig implementiert. Gewinner sind Unternehmen, die ihre Arbeit und Produkte gemeinsam mit KI entwickeln. Diesen Vorteil drohen deutsche Unternehmen jedoch zu verschlafen. Die Folge ist, dass sie sich den US- und chinesischen Vorreitern samt deren Regeln und Marktmacht beugen müssen. Auch bei der Datennutzung und beim Datenschutz.

Wie lässt sich das verhindern?
Deutschland braucht mehr eigene Initiativen, um seinen KI-Standort wirklich voranzubringen. Denn KI wirkt nur dann, wenn sie schnell, zuverlässig und sicher ist. Viele Manager und ihre Mitarbeiter nutzen bereits KI, um besser zu arbeiten. Wenn die leistungsstarken Technologien und die Infrastruktur allerdings fast ausschließlich aus dem nicht-europäischen Ausland kommen, sorgt das für Skepsis – und damit schrumpft der Nutzen von KI. Viele Unternehmen untersagen ihren Mitarbeitern auch die Nutzung von außereuropäischen Sprachmodellen. Die Folge ist, dass viele Beschäftigte heimlich ChatGPT oder andere Technologien für ihre Arbeit nutzen. Deutsche und europäische Unternehmen haben daher klaren Nachholbedarf, um erlaubte, praxistaugliche und zugleich leistungsstarke Alternativen zu schaffen.

Roman Briker

Der Forscher

Roman Briker ist Juniorprofessor für „Organizational Behavior & HRM” an der Universität Maastricht. Der Organisationspsychologe promovierte im Fach Wirtschaftswissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seit über zehn Jahren forscht und lehrt er zur Zukunft der Arbeit – von KI über Führung bis hin zu Arbeitszeit und Stress am Arbeitsplatz. Für seine Arbeit wurde er mehrfach mit Preisen der EU sowie verschiedener Organisationen und Universitäten ausgezeichnet.

Der Menschen- und Maschinenkenner

Briker berät Führungskräfte, Spitzensportler und Experten verschiedener Branchen, wie sie wettbewerbs- und zukunftsfähiger arbeiten können. Nach Erfahrungen bei der Personalberatung Kienbaum und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützt er seit über zehn Jahren Unternehmen dabei, sich auf die Themen KI und Robotik vorzubereiten. Außerdem hilft er Spitzensportlern und Teams im Fußball, Basketball und in diversen olympischen Disziplinen dabei, auf höchster Ebene erfolgreich zu sein.

Große US-Konzerne investieren sehr viel entschlossener in KI. Warum ist das so? Was machen amerikanische Unternehmen – oder deren Führungskräfte – anders als deutsche?
In deutschen Unternehmen – und bei ihren Führungskräften – ist eine deutlich höhere „Unsicherheitsvermeidung“ zu beobachten als in den USA. Vereinfacht: Dort sieht man häufiger die Chancen, hierzulande eher die Risiken und möglichen Fehler. Das ist zu einem Teil kulturell bedingt – und nicht nur ein Nachteil.

Nein?
Dieser Blick schafft sicherere Produkte und fördert langfristiges Denken, etwa beim Schutz von Menschenrechten und Daten. Doch er bremst auch. Wer zu vorsichtig ist, verliert Tempo – und damit Innovationskraft und Anschlussfähigkeit. Manager müssen deshalb abwägen, wann Vorsicht geboten ist und wann ein „Fail fast“-Ansatz, also ausprobieren und aus Fehlern lernen, mehr bringt.

Was unterscheidet Führungskräfte, die früh Begeisterung für KI vorleben, denn von denjenigen, die eher zögern? 
Führungskräfte, die auf KI setzen, sind meist generell offener für Neues. Sie sind technologisch versierter, ohne notwendigerweise mehr über KI zu wissen. Entscheidend sind Neugier und eine hohe Expertise im eigenen Fach . Das Alter spielt dabei weniger eine Rolle als oft angenommen: Jüngere wie Ältere können Vorreiter sein.

Roman Briker: Der Wissenschaftler forscht und lehrt zur Zukunft der Arbeit. Foto: Privat, brckmnn [M]

KI ist nicht nur eine Hilfe, sondern sorgt auch für viele Unsicherheiten innerhalb der Belegschaft. Woran liegt das?
KI ist nicht nur eine technische, sondern vor allem eine psychologische Veränderung. Und solche Veränderungen wecken Sorgen – das ist normal. Menschen halten an ihren Routinen fest und ändern sie nur ungern. KI hingegen ist neu, breit verfügbar und verbreitet sich in rasantem Tempo. Zudem streichen Unternehmen aufgrund von KI bereits Stellen. Das macht zusätzlich Angst.

Was können Manager hier konkret tun?
Es gibt klare, evidenzbasierte Wege, Ängste abzubauen. Transparenz ist zentral: Führungskräfte müssen erklären, warum und wofür KI eingesetzt wird. Entscheidend ist die Vorbildfunktion der Führung. Die Forschung zeigt: In unsicheren Situationen wie der Einführung von KI orientieren sich Menschen an vertrauenswürdigen Figuren . Zudem sollten Unternehmen stärker auf Augmentierung statt auf Automatisierung setzen – also auf die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine statt auf kurzfristige Einsparungen durch Personalabbau. Denn gerade hochspezialisierte Experten profitieren am meisten von KI. Unternehmen müssen diese Experten gewinnen, halten und auch weiterbilden.

Wenn Sie auf Unternehmen blicken, die KI erfolgreich verankert haben – welche Haltung, welche Entscheidungen und welche Vorbildrolle der Führung waren hier ausschlaggebend?
Ein Experimentier-Mindset ist zentral. Unternehmen, die KI erfolgreich verankern, testen sie in verschiedenen Fach- und Produktbereichen – und sie arbeiten evidenzbasiert. Auch hier können deutsche Unternehmen von Konkurrenten in den USA lernen. Dort kooperieren viele Firmen eng mit Universitäten und Technologiekonzernen. Erfolgreiche Unternehmen bilden zudem Expertengruppen, die verschiedene Use Cases ausprobieren und sich von Rückschlägen nicht abschrecken lassen. Außerdem begreifen sie KI als Unterstützung ihrer Beschäftigten, nicht als Instrument für schnellen Personalabbau.

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