Telefónica liebäugelt mit Comeback bei 1&1 und soll Übernahme erwägen
Nach Jahren des Konflikts suchen beide Konzerne laut Insidern nach Möglichkeiten, ihre Partnerschaft neu zu definieren. Auch eine Übernahme steht im Raum. Die Aktien reagieren deutlich.
San Francisco, Madrid, Düsseldorf. Nach der angekündigten Ablösung von Deutschlandchef Markus Haas erwägt die Führung des spanischen Telekommunikationskonzerns Telefónica eine Neuausrichtung der Beziehungen zum einstigen Partner United Internet. Drei mit den Vorgängen vertraute Personen sagten dem Handelsblatt, dass Vertreter beider Konzerne über eine engere Zusammenarbeit gesprochen haben. Konkret soll es um eine mögliche Kooperation von Telefónica Deutschland mit 1&1, der Mobilfunk- und Festnetztochter von United Internet, gehen.
In Madrid werde langfristig auch eine Übernahme erwogen, sagten zwei Insider. Die Gespräche befanden sich demnach noch in einem frühen Stadium. Ein Scheitern der Pläne wird deshalb nicht ausgeschlossen. Die Aktie von United Internet stieg am Montagvormittag nach Veröffentlichung des Handelsblatt-Berichts um acht Prozent und war damit zweitgrößter Gewinner im MDax. Die Mobilfunk-Tochter 1&1 legte im SDax um gut sieben Prozent zu.
Hintergrund sind offenbar sowohl Probleme von 1&1 beim Aufbau seines neuen, eigenen 5G-Mobilfunknetzes, als auch Telefónicas geringe Netzauslastung. Die Wachstumsaussichten gelten angesichts der begrenzten Möglichkeiten der eigenen Konsumentenmarke O2 als zu gering.
Bei Telefónica sei man den Informationen zufolge der Auffassung, dass es wenig Sinn ergibt, ohne 1&1 gegen die Hauptkonkurrenten Vodafone und Deutsche Telekom anzutreten. 1&1-Chef Ralph Dommermuth hatte 2023 eine langjährige Netz-Partnerschaft mit Telefónica aufgekündigt. Der Wechsel seiner rund zwölf Millionen Kunden auf das Netz von Vodafone soll bis Jahresende abgeschlossen sein.
Ein Sprecher von United Internet wollte sich nicht zu Gesprächen mit Telefónica äußern. Er hob hervor, dass der Aufbau eines eigenständigen Mobilfunknetzes von 1&1 vorankomme. Ende Juni 2025 habe das Netz rund 1200 Antennenstandorte umfasst. Zum Vergleich: Das Netz von Telefónica umfasst rund 28.000 Standorte in Deutschland. Weder Telefónica in Madrid noch die deutsche Landesgesellschaft in München wollten sich auf Anfrage äußern.
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Das Verhältnis von Markus Haas, der derzeit noch geschäftsführend im Amt ist, und United-Internet-Gründer Dommermuth gilt als angespannt. Die Absetzung von Haas hatte zwar andere Gründe, würde aber eine Annäherung zwischen Telefónica und 1&1 erleichtern, berichteten zwei Insider. Robert Grindle von der Deutschen Bank schrieb jüngst in einer Analyse, der bevorstehende Managementwechsel in Deutschland „deutet darauf hin, dass eine Einigung mit 1&1 leichter möglich wird“.
Nachdem das Handelsblatt über die Nachfolgersuche für Markus Haas berichtet hatte, bestätigte der Konzern vor zwei Wochen den bevorstehenden Abgang des langjährigen Deutschlandchefs.
Eine alte Partnerschaft mit Bruch
Telefónica und 1&1 verbindet eine lange Geschichte. Jahrelang mietete sich die United-Internet-Tochter als sogenannter virtueller Netzbetreiber bei Telefónica ein. Das Prinzip: 1&1 verkaufte eigene Mobilfunktarife an Endkunden, nutzte dabei aber die Infrastruktur von O2. Telefónica stellte das Netz und die Datenkapazitäten zur Verfügung und erhielt dafür feste Gebühren. Für beide Seiten war das lukrativ: Telefónica musste keine Vertriebskosten tragen, 1&1 konnte ohne eigene Antennen in den Mobilfunkmarkt einsteigen.
Doch mit dem Aufbau eines eigenen 5G-Netzes und dem Wechsel zu Vodafone als technischem Partner vor zwei Jahren endete die Kooperation. Seitdem zahlt 1&1 Gebühren an Vodafone für die Mitnutzung des Netzes. Der Netzaufbau kommt nur schleppend voran, während die Investitionen steigen.
Für Analyst James Ratzer von New Street Research ist klar, dass es kaum einen besseren Kapitaleinsatz für Telefónica gibt, als 1&1 zu kaufen. „Aber die entscheidende Frage ist, ob Dommermuth bereit ist, einen Deal zu machen“, sagte Ratzer. Dem Gründer von United Internet gehe es um sein eigenes Vermächtnis.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Ben Rickett hat Ratzer verschiedene Szenarien durchgerechnet. Nach den Berechnungen ergibt etwa der Aufbau eines vollwertigen Mobilfunknetzes für 1&1 betriebswirtschaftlich keinen Sinn. Die Analysten schätzen, dass 1&1 bis zum Jahr 2031 insgesamt 12.500 Mobilfunkstandorte in Deutschland betreiben könnte. Diese würden aber nur reichen, um etwa die Hälfte des Datentransfers einzusparen.
Das würde laut den Berechnungen die Mietkosten aus der Vodafone-Partnerschaft um rund 300 Millionen Euro reduzieren. Die laufenden Kosten für den Betrieb des geplanten 1&1-Netzes schätzen Rickett und Ratzer auf rund 600 Millionen Euro, während die Einsparungen aus dem Wegfall von Roaming-Gebühren bei nur etwa 300 Millionen Euro lägen.
Telefónica verliert Umsatz, 1&1 kämpft mit Kosten
Telefónica wiederum hat durch den Wegfall der 1&1-Umsätze eine wichtige Einnahmequelle verloren. Analyst Robert Grindle von der Deutschen Bank argumentiert, die Geschäfte der deutschen Tochter entwickelten sich derzeit schwach: Im zweiten Quartal sei das operative Ergebnis (gemessen am sogenannten Ebitda AL, also nach Leasingverpflichtungen) um neun Prozent zurückgegangen.
In beiden Konzernen wird deshalb über Optionen nachgedacht, wie man sich strategisch wieder annähern könnte. Laut drei Insidern reichen die Planspiele von engeren kommerziellen Kooperationen bis hin zu Überlegungen, ob Telefónica eine Beteiligung an United Internet eingehen könnte, teilweise oder vollständig.
Solche Überlegungen befänden sich aber noch im Ideenstadium und stünden unter erheblichen rechtlichen Vorbehalten, berichteten die Insider. Eine Übernahme oder Fusion würde etwa den bestehenden Vertrag zwischen United Internet und Vodafone entwerten und kartellrechtliche Fragen aufwerfen. Zudem wäre die Integration von 1&1 in Telefónica sehr aufwendig. 1&1 ist an der Börse derzeit 3,5 Milliarden Euro wert.
Der neue Chef der Telefónica-Mutter in Spanien, Marc Murtra, fordert seit seinem Amtsantritt Anfang des Jahres eine stärkere Konsolidierung auf dem europäischen Telekommunikationsmarkt. Am 4. November will er seine neue Strategie für den Konzern verkünden.
Analysten sehen Kauf als „naheliegendste Lösung“
In einer Analyse hält der Branchendienst New Street Research eine Fusion von Telefónica und 1&1 in Deutschland für die ökonomisch naheliegendste Lösung. „Telefónica ist der natürliche Käufer“, schreiben die Analysten James Ratzer und Ben Rickett.
Ein gemeinsames Unternehmen könnte nach ihren Berechnungen Synergien in Höhe von 7,2 Milliarden Euro heben, vor allem, weil die bisherigen Zahlungen von 1&1 an Vodafone für die Netzmitnutzung entfallen würden.
In einem Szenario, das New Street durchgerechnet hat, könnte eine Kombination beider Firmen den Wert von 1&1 deutlich steigern. Die Analysten bewerten das Mobilfunkgeschäft von 1&1 allein als kaum profitabel, da der Aufbau eines eigenen Netzes hohe laufende Kosten verursacht.
Schulden belasten Telefónica
Ein Hindernis ist vor allem die Verschuldung der spanischen Telefónica. Mit einer Nettoverschuldung, die das 3,4-Fache des Ebitda beträgt, zählt der Konzern zu den am höchsten finanzierten europäischen Telekom-Anbietern. Ein Kauf von 1&1 würde den Verschuldungsgrad auf etwa das 3,9-Fache erhöhen. Ein so hoher Wert könnte nach Einschätzung der Analysten von New Street Research zu Herabstufungen durch Ratingagenturen führen.
Noch handelt es sich um theoretische Planspiele. Die Wahrscheinlichkeit, dass es innerhalb der kommenden zwölf Monate zu einem konkreten Zusammenschluss kommt, bewerten Ratzer und Rickett mit nur rund 20 Prozent. Doch die strukturellen Argumente sprechen für eine Konsolidierung: Deutschland ist einer der wenigen großen europäischen Märkte mit vier Netzbetreibern. Mehr Wettbewerb führt zu geringeren Preisen für Endkunden, aber damit auch zu geringeren Margen für die Netzbetreiber.
Nicht alle Analysten halten aber eine Übernahme von 1&1 durch Telefónica für realistisch oder sinnvoll. Ottavio Adorisio von der Investmentbank Bernstein warnt, dass 1&1 an der Börse derzeit bereits hoch bewertet sei – mit einem Unternehmenswert von rund dem Zehnfachen des operativen Gewinns (Ebitda) und etwa dem 22-Fachen des operativen freien Cashflows für das Jahr 2026. Um 1&1-Aktionären überhaupt ein attraktives Angebot zu machen, müsste Telefónica also einen deutlichen Aufschlag zahlen – und würde damit einen Großteil der möglichen Synergien wieder verlieren.
Die Analysten rechnen nicht nur einen möglichen Zusammenschluss durch; sie denken auch über eine alternative Entwicklung nach: das sogenannte „EchoStar-Szenario“, benannt nach einem US-Mobilfunkanbieter, der sich 2025 aus dem teuren Netzaufbau zurückzog und zu einem Hybridmodell wechselte. 1&1 könnte demnach den Aufbau des eigenen Netzes beenden und wieder stärker auf Kooperationen setzen – ähnlich wie früher im Telefónica-Netz.
Ob Telefónica und United Internet tatsächlich wieder zueinanderfinden, ist offen. Beide Seiten halten sich mit öffentlichen Kommentaren bislang zurück. Klar ist nur: Sollte der deutsche Markt weiter unter Preisdruck geraten, dürfte der Ruf nach einer Konsolidierung lauter werden.
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