Wie die neuen Verhältnisse den Agenturmarkt durchrütteln
Was ist los im Agenturmarkt? Globale wie lokale Player suchen nach der richtigen Aufstellung - manche bereits mit dem Rücken zur Wand. Künstliche Intelligenz verändert das Geschäft, aber nicht alle Probleme haben mit der neuen Technologie zu tun. Manchmal liegt es schlicht und ergreifend an Managementfehlern.
Zeitenwende ist ein großes Wort. Erst recht, wenn es um Marketing geht. Aber schaut man sich die aktuelle Lage an, scheint der Begriff auch für den Umbruch in der Agenturwelt angebracht. Veränderte makroökonomische Rahmenbedingungen, erratische US-Zollpolitik und die schleppende Konjunktur sorgen in Kombination mit dem massiven technologischen Wandel nicht für eine vorübergehende Delle, sondern – um ein ebenfalls strapaziertes Wort zu benutzen – für eine grundlegende Disruption etablierter Geschäftsmodelle.
Dass alte Gewissheiten nicht mehr gelten, zeigt sich an Konsolidierung, Umbau und Übernahmen von Agenturtypen nahezu jeglicher Couleur und Größenordnung. Viele sind auf der Suche nach einem rettenden Hafen. Für andere ist es schon zu spät, was sich an der steigenden Anzahl von Insolvenzen und Schließungen zeigt. Larissa Pohl, Präsidentin des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen GWA, geht von einem schrumpfenden Markt aus. "Der Wettbewerb wird härter, der Markt kleiner. Die Konsolidierung geht weiter", sagt sie. Manche Probleme sind tatsächlich auf die veränderten Rahmenbedingungen zurückzuführen, andere schlicht und ergreifend auf falsche Weichenstellungen und Missmanagement. In den meisten Fällen ist es eine Kombination aus beidem.
Fangen wir ganz groß an. WPP, einst die bedeutendste Werbeholding der Welt, ist gerade dabei, sich neu aufzustellen. Unter CEO Mark Read, der seit Herbst 2018 das Zepter schwang, agierte die Gruppe ziemlich glücklos. Während seiner Amtszeit hat das Unternehmen fast zwei Drittel seines Börsenwerts verloren. Jetzt hat die bisherige Microsoft-Managerin Cindy Rose das Kommando übernommen und erste personelle Weichen gestellt. So konnte sie den abwanderungswilligen Chef der Coca-Cola-Agentur Open X, Laurent Ezekiel, halten und befördert ihn zum globalen CEO des Ogilvy-Networks. Die Vorgängerin auf dieser Position, Devika Bulchandani, rückt als Chief Operating Officer von WPP an die Seite von Rose.
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Beobachter rechnen auch strukturell und organisatorisch mit einem größeren Umbau. Erwartet werden weitere Zusammenlegungen oder Teilverkäufe. Manche Marktteilnehmer spekulieren sogar über einen ganz großen Deal, nämlich den Verkauf des Gesamtkonzerns, und bringen in diesem Zusammenhang den Namen Accenture ins Spiel. Die Frage für beide Seiten ist jedoch, ob ein solcher Schritt sinnvoll wäre.
Apropos Spekulation: Auch bei Omnicom und IPG wird heftig gemutmaßt, wie die neue Aufstellung nach Abschluss der geplanten Übernahme aussieht. Noch ist die Transaktion nicht durch. Die Beteiligten warten weiter auf die letzten kartellrechtlichen Genehmigungen. Zuletzt gab es große Aufregung um ein angebliches internes Memo, das erste Details der geplanten Aufstellung skizzierte. Demnach sollten nach der Übernahme von IPG durch Omnicom nur noch drei globale Networks erhalten bleiben. Auch von den Einzelagenturen unter dem Dach beider Gruppen sollten dem Memo zufolge nur wenige unter eigenem Label weitermachen. Die Notiz war von einem hochrangigen europäischen Manager einer Omnicom-Agentur gezeichnet.
Eine Sprecherin bezeichnet das Schreiben auf Anfrage von HORIZONT als Fälschung und sämtliche Inhalte als "völlig unzutreffend". Die Notiz stamme weder von einem Führungsmitglied der einen noch der anderen Holding, versichert sie. Aus dem Umfeld der Unternehmen heißt es, dass womöglich ein Wettbewerber die Nachricht verfasst haben könnte, um Unruhe in den Übernahmeprozess und laufende Pitch-Verfahren zu bringen. Rechtliche Schritte wurden bislang allerdings nicht eingeleitet.
Dass nach Abschluss der Transaktion konsolidiert wird, gilt als offenes Geheimnis. Ein Vorbote könnte sein, dass zuletzt die E-Mail-Domains aller Omnicom-Agenturen in sämtlichen Märkten auf "@omc.com" umgestellt wurden. Nach offizieller Lesart handelt es sich dabei um eine rein technische Maßnahme im Rahmen der angestrebten IT-Integration. Obwohl man diesen Schritt in der Tat nicht überinterpretieren sollte, halten es nicht nur Außenstehende für wahrscheinlich, dass die Marke Omnicom in der neuen Aufstellung gestärkt werden soll. Dafür spricht auch, dass markenübergreifende Agenturmodelle forciert werden. So ist zu hören, dass für den wichtigen Kunden Deutsche Telekom, den im hiesigen Markt bislang die Holding-Tochter Adam & Eve DDB betreut, eine neue Lösung auf Omnicom-Ebene gebaut wird. Für Mercedes-Benz gibt es mit Team X bereits eine solche Einheit, sie kommt nach Informationen von HORIZONT im kommenden Jahr aber vorzeitig auf den Prüfstand.
Bei Dentsu steht gleich das gesamte internationale Geschäft zur Disposition. Die japanische Werbeholding sucht nach einer neuen Lösung für ihr rückläufiges Business außerhalb des Heimatmarktes. Einem Bericht der Financial Times zufolge wurden bereits mehrere Investmentbanken damit beauftragt, nach potenziellen Käufern für die internationale Media- und Kreativsparte zu suchen. Dieser Bereich hat sich nach der Übernahme der britischen Aegis Group im Jahr 2012 nicht so entwickelt wie erhofft. Auch hier kursiert als möglicher Käufername die IT-Beratungsfirma Accenture. Bis zum Jahresende soll Klarheit herrschen, wie es weitergeht.
Weiter auf Schrumpfkurs ist überdies die Gruppe S4 Capital (Monks) von Ex-WPP-Chef Martin Sorrell. Ihr Aktienkurs hat nach Vorlage der schwachen Geschäftszahlen für das 2. Halbjahr 2025 einen historischen Tiefststand erreicht. An der Börse war das Unternehmen am Dienstagnachmittag dieser Woche nur noch knapp 115 Millionen Britische Pfund wert. Zur Erinnerung: Auf dem Höchststand im Jahr 2021 waren es rund 4,5 Milliarden Pfund. Die Wette, vor allem auf große Tech-Konzerne als Kunden zu setzen und das Versprechen, mit Hilfe neuer Technologien "besser, billiger und schneller" liefern zu können, sind bislang offenkundig nicht aufgegangen.
Nicht nur der weltweite Agenturmarkt ist in Bewegung, auch auf nationaler Ebene wird der Wind rauer. Einige Agenturen mussten bereits die Segel streichen und den Gang zum Insolvenzrichter antreten. Während Anbieter wie Defacto und Granny weitermachen wollen und zusammen mit der vorläufigen Insolvenzverwaltung nach einer Lösung suchen, hat sich Reinsclassen bereits vom Markt verabschiedet. Aktuell steht die Content-Agentur Territory aus dem Bertelsmann-Konzern vor einem größeren Umbau und hat die Streichung von 100 Arbeitsplätzen angekündigt.
Natürlich setzen wir uns mit verschiedenen Szenarien auseinander und sondieren – wie alle Agenturen in Zeiten von Umbruch, Druck und Konsolidierung – den Markt nach strategisch und unternehmerisch sinnvollen Partnerschaften, die uns fit für die Zukunft machen.Martin Eggert, David + Martin
In Schwierigkeiten steckt zudem die Münchner Agentur David + Martin. Sie hat sich mit ihren Ausflügen an die Standorte Berlin und Hamburg sowie mit dem Culture-Marketing-Ableger Presence offenbar übernommen. Dadurch haben sich Verbindlichkeiten von über 2 Millionen Euro angehäuft. Diese allein aus eigener Kraft zu bedienen, dürfte schwierig werden. Co-Gründer Martin Eggert, der die Agentur 2015 zusammen mit David Stephan ins Leben gerufen hat, führt bereits seit einiger Zeit hinter den Kulissen Gespräche, um eine tragfähige Lösung zu finden. Das räumt er auf Anfrage ein: "Natürlich setzen wir uns mit verschiedenen Szenarien auseinander und sondieren – wie alle Agenturen in Zeiten von Umbruch, Druck und Konsolidierung – den Markt nach strategisch und unternehmerisch sinnvollen Partnerschaften, die uns fit für die Zukunft machen."
Wie aus dem Umfeld der Agentur zu hören ist, handelt es sich bei den Gesprächen allerdings um mehr als normale Sondierungen von Partnerschaften, "die fit für die Zukunft machen". Vielmehr scheint es um deutlich mehr zu gehen – vor allem um den Erhalt der aktuell rund 100 Arbeitsplätze. Große Hoffnungen ruhten dabei auf einer Kooperation mit der Omnicom-Tochter Team BBDO, mit der man zusammen um das Mandat von O2 gepitcht hatte. Der Zuschlag ging am Ende aber an Wettbewerber Publicis, unter anderem wegen der besseren Konditionen. Jetzt hat man noch einige kleinere Pitch-Eisen im Feuer. Mit einem positiven Bescheid und gegebenenfalls externer Unterstützung hoffen die Verantwortlichen, die Kurve zu kriegen. Ausgang aktuell ungewiss.
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