Noch nie wurden in Deutschlands wichtigsten Unternehmen mehr Frauen auf Vorstandsebene rekrutiert.
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28 Prozent mehr Frauen im Top-Management: Diese sechs Aufsteigerinnen sollten Sie kennen

Noch nie wurden in deutschen Konzernen mehr Frauen auf Vorstandsebene rekrutiert als in den vergangenen zwölf Monaten. Auf wen es sich zu schauen lohnt.

Jahrelang stieg der Anteil von Frauen in Führungspositionen hierzulande nur schleppend. Zu Beginn der Pandemie schrumpfte die Frauenquote im Dax zuletzt sogar. Doch nun scheint sich in Deutschlands obersten Konzernetagen eine Trendwende abzuzeichnen. Das zeigen Zahlen des aktuellen Jahresberichts der Allbright-Stiftung, die dem Handelsblatt vorab vorlagen.

Danach waren 28 Prozent aller Neurekrutierungen von September 2020 bis September 2021 weiblich – der bislang größte Zuwachs an Frauen in Vorständen, den es bei den 160 größten deutschen börsennotierten Unternehmen je gab. Noch nie wurden damit in Deutschlands wichtigsten Unternehmen mehr Frauen auf Vorstandsebene rekrutiert als in den vergangenen zwölf Monaten.

„Wir sehen aktuell eine ziemlich gute Dynamik“, ordnet Wiebke Ankersen, Deutschlandchefin der Allbright-Stiftung, die Ergebnisse ein. Sie sieht den Grund für den positiven Trend neben gesetzlichen Verschärfungen auch in einem gesteigerten öffentlichen Bewusstsein „für Chancengerechtigkeit und Vielfalt in der Führung“.

Frauen in Toppositionen: „Ein reiner Männervorstand ist nicht mehr cool“

Beides werde von Mitarbeitenden, aber auch von Kundinnen und Kunden und der breiten Öffentlichkeit immer selbstverständlicher eingefordert. „Ein reiner Männervorstand ist nicht mehr cool“, sagt Ankersen, „er wirkt inzwischen ein bisschen zurückgeblieben.“

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Gleichzeitig betonen die Autorinnen und Autoren des Reports mit dem Titel „Aufbruch oder Alibi?“, dass die aktuelle Entwicklung bei Weitem nicht ausreiche. So hinke etwa Deutschlands wichtigster Aktienindex Dax mit einem Frauenanteil von 18,2 Prozent im Vorstand noch immer international hinterher.

Zum Vergleich: In Amerika ist knapp ein Drittel aller Topmanager in den 30 wichtigsten Unternehmen weiblich. 97 Prozent aller Unternehmen haben mindestens zwei Frauen im Vorstand. In Deutschland liegt dieser Wert bei gerade einmal 23 Prozent. Mit Delivery Hero, Deutscher Wohnen, Linde und MTU haben vier Dax-Konzerne noch immer keine einzige Frau im Vorstand.

Aber es gibt auch ein paar Hoffnungsschimmer. So ist in keinem der von Allbright untersuchten Länder der Frauenanteil zuletzt stärker gewachsen als in Deutschland. Außerdem zählen vier der größten deutschen Unternehmen gleich drei Frauen auf oberster Managementebene: Allianz, Airbus, Telekom und – ab Dezember – auch Daimler. Dort folgt zum Jahresende die 57-jährige Sabine Kohleisen auf den langjährigen Daimler-Personalchef Wilfried Porth.

Kohleisen manifestiert damit einen Trend: So erhielten Frauen laut den Allbright-Daten zuletzt am häufigsten im Personalbereich ein Vorstandsmandat – gefolgt von den Ressorts IT und Finanzen. Insgesamt waren 32 der 113 Neubesetzungen in den vergangenen zwölf Monaten weiblich.

Gesetzliche Frauenquote treibt Zahl der weiblichen Neurekrutierungen

Seit Kurzem gilt in Deutschland das Zweite Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II), das eine Frauenquote für die Vorstandsebene großer Firmen vorschreibt. So müssen laut FüPoG II börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten und mehr als drei Vorständen künftig bei Nachbesetzungen sicherstellen, dass mindestens eine Frau im Vorstand vertreten ist. Im Aufsichtsrat großer Konzerne gilt schon länger ein Mindestfrauenanteil von 30 Prozent.

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„Der Druck auf die Unternehmen steigt wegen der Frauenquote, aber auch durch Kampagnennetzwerke“, sagt Headhunterin Sabine Hansen, die sich auf die Besetzung von Frauen für Top-Führungspositionen spezialisiert hat. Sie hebt positiv hervor, dass Frauen immer häufiger auf strategisch wichtigen Posten wirken können. So hätten viele Vorständinnen oft nicht nur eine, sondern mehrere Funktionen im Unternehmen: „Im Personalressort kümmern sich weibliche Vorstände oft auch um Recht oder treiben Transformationsprozesse in den Unternehmen voran“, erläutert Hansen.

Doch auf wen lohnt es sich zu schauen? Das Handelsblatt hat die Liste der weiblichen Neuzugänge verschiedenen Headhuntern vorgelegt und sechs Kandidatinnen identifiziert.

Sabine Bendiek: Die Machtbewusste

Die Managerin ist bei SAP Personalchefin und Chief Operating Officer in Personalunion – eine mächtige Position. - dpa
Die Managerin ist bei SAP Personalchefin und Chief Operating Officer in Personalunion – eine mächtige Position. - dpa

Wie groß Sabine Bendieks Ambitionen bei ihrem aktuellen Arbeitgeber SAP sind, zeigt sich schon an ihrer Funktion. Seit diesem Sommer ist die Ex-Microsoft-Deutschlandchefin nämlich nicht mehr „bloß“ Personalvorständin, sondern auch COO – ein Amt, das bis dahin noch SAP-Chef Christian Klein höchstpersönlich bekleidet hat.

Personal und operatives Prozessmanagement – diese Kombination sei ungewöhnlich, aber für die Transformation des Konzerns nötig, argumentierte die 55-jährige Betriebswirtin damals in einem LinkedIn-Posting. Wer Bendiek kennt, weiß, dass ihr die operative Rolle näher ist als das reine People-Business.

Aber nur ein Job wäre der als sehr ehrgeizig geltenden Topmanagerin offenbar zu wenig gewesen. Mit der Doppelrolle vereinigt Bendiek jedenfalls viel Macht in Deutschlands wertvollstem Börsenkonzern – was die Zahl ihrer Beobachter weiter erhöhen dürfte.

Constanze Hufenbecher: Infineons wichtigste Frau

Die Managerin ist seit April Chief Digital Transformation Officer beim Chipkonzern Infineon. - Infeneon
Die Managerin ist seit April Chief Digital Transformation Officer beim Chipkonzern Infineon. - Infeneon

Dass Constanze Hufenbecher Vorständin bei Infineon ist, ist gleich in doppelter Hinsicht historisch: Erstens ist die 51-Jährige die erste Frau im Vorstand des Chipherstellers. Zweitens gibt es in dem Konzern für ihr neu geschaffenes Ressort „Digitale Transformation“ keine Blaupause.

Die hat die Managerin gewissermaßen selbst geschaffen: Schon bei ihrem früheren Arbeitgeber Lufthansa Technik hatte Hufenbecher eine digitale Basis für alle Bereiche etabliert.

Wahrscheinlich trauen auch deshalb ihre Wegbegleiter der Transformationsvorständin ohne Weiteres noch mehr zu. „Sie hat die Persönlichkeit eines CEO“, sagt ein Personalberater, der sie gut kennt. Ende kommenden Jahres wäre da ein Posten vakant. Dann läuft der Vertrag von Vorstandschef Reinhard Ploss aus, der nach zehn Jahren als CEO aufhört.

Barbara Karuth-Zelle: Die Chefumsetzerin

Bei der Allianz seit Januar Vorstand im Bereich Operations und IT. - Allianz SE
Bei der Allianz seit Januar Vorstand im Bereich Operations und IT. - Allianz SE

Einfacher, klimaneutraler und vor allem digitaler will der Versicherungskoloss Allianz werden. Und dass diese Strategie in einem Konzern mit 140 Milliarden Euro Umsatz und 150.000 Angestellten auch umgesetzt wird, liegt im Wesentlichen in den Händen der 51-jährigen Barbara Karuth-Zelle.

Die Münchenerin kam über die private Krankenversicherung der Allianz in den Konzern. Mehrere Jahre leitete sie das Büro des heutigen CEO Oliver Bäte, als der noch Organisationsvorstand war.

Bäte gilt generell als Frauenförderer – was sich auch daran zeigt, dass mit Karuth-Zelle inzwischen der dritte Posten in dem als konservativ geltenden Unternehmen an eine Frau geht. Es ist daher interessant, wie sich der Werdegang der Topmanagerin in dem Konzern weiterentwickeln wird.

Sabine Klauke: Die Emissionssenkerin

Die Ingenieurin ist bei Airbus Technikchefin mit erweitertem Zuständigkeitsbereich. - Airbus
Die Ingenieurin ist bei Airbus Technikchefin mit erweitertem Zuständigkeitsbereich. - Airbus

Fast 20 Jahre schon arbeitet Sabine Klauke für Airbus beziehungsweise den Vorgängerkonzern EADS. Unter anderem musste die deutsche Ingenieurin die Probleme mit der Verkabelung beim Riesenjumbo A380 lösen, dessen Markteinführung sich stark verzögert hatte. Zuletzt war sie Chefingenieurin bei der Rüstungs- und Weltraumsparte von Airbus.

Als Technologiechefin beaufsichtigt Klauke heute die Bemühungen des deutsch-französischen Großkonzerns, Lösungen für emissionsarme Flugzeuge zu entwickeln. Eine strategische Mammutaufgabe: Die Bandbreite reicht von einem effizienteren Design der Tragflächen über den Einsatz synthetischer Kraftstoffe bis zu dem Ziel, im Jahr 2035 das erste Wasserstoffflugzeug auf den Markt zu bringen.

Wie fest Klaukes Stand im Konzern ist, zeigt sich auch daran, dass ihr Aufgabenbereich als Technologievorstand stark ausgedehnt wurde: So trägt sie – anders als ihre Vorgängerin Grazia Vittadini – nicht mehr nur die Verantwortung für Neuentwicklungen, sondern ist auch für die Technik der bestehenden Flugzeugprogramme zuständig.

Sarena Lin: Die Transformatorin

Die neue Bayer-Personalchefin hält neben ihren Abschlüssen in Computerwissenschaften und internationalen Beziehungen ein - Bayer
Die neue Bayer-Personalchefin hält neben ihren Abschlüssen in Computerwissenschaften und internationalen Beziehungen ein - Bayer

Deutsches Arbeitsrecht gilt als diffizil. Dort eine gebürtige Taiwanesin mit amerikanischem Pass einzusetzen, darf man mindestens als mutig bezeichnen. Doch als „Chief Transformation and Talent Officer“ bei Bayer soll die IT- und Strategieexpertin neben dem Personalbereich vor allem die Transformation in Leverkusen vorantreiben. Und hier hat die ehemalige McKinsey-Beraterin Sarena Lin einiges an Erfahrung vorzuweisen.

Lin hatte zuletzt bei dem US-Tierpharmaunternehmen Elanco Animal Health als Mitglied des Executive Committee die Bereiche Transformation und Technologie geführt. Ihr jetziger Arbeitgeber Bayer hatte im Sommer 2019 den Verkauf seines Tiermedizingeschäfts an die Firma verkündet.

Bei Bayer ist Lins To-do-Liste lang. Der milliardenschwere Monsanto-Zukauf kratzt noch immer an Image und Aktienkurs. Zudem will der Konzern intern und mit mehr Vernetzung nach außen die Chancen der sogenannten Biorevolution nutzen: Die Verbindung von Biologie, Datenanalyse und neuen Technologien soll bahnbrechend neue Therapien ermöglichen.

Viel zu tun also für eine Vollblut-Transformatorin. Aber auch große Chancen, um sich für Höheres zu beweisen.

Maria Zesch: Die CEO

Von Magenta Telekom in Österreich zum schwäbischen Familienunternehmen Takkt. - Magenta/König
Von Magenta Telekom in Österreich zum schwäbischen Familienunternehmen Takkt. - Magenta/König

Weibliche CEOs gibt es nicht viele in der deutschen Unternehmenslandschaft. Von daher ist Maria Zesch schon qua Amt eine Managerin, deren Weg verfolgungswürdig ist.

Bei wichtigen Karriereschritten habe ihr stets ihr Bauchgefühl weitergeholfen, erzählt die 47-Jährige dem Handelsblatt. Zu Beginn ihrer Laufbahn sei sie „ausschließlich rational, kopffokussiert“ gewesen. „Das Bauchgefühl habe ich erst mit mehr Erfahrung entwickelt.“

Beim B2B-Versandhändler Takkt, der zur Ruhrdynastie Haniel gehört, soll die Marketing-, Vertriebs- und Serviceexpertin Zesch den Generationenwechsel einleiten. Dabei steht Zesch als österreichisches Konzerngewächs gleich vor zwei Herausforderungen: sich in einen Markt einzuarbeiten, den sie nicht kennt. Und mit den Gepflogenheiten eines schwäbischen Familienunternehmens zurechtzukommen.

Wenn sich die Ex-Magenta-Telekom-Managerin hier etabliert, dürfte sie sich für höhere Börsenligen als den SDax qualifizieren. Das sagen keine Bauchgefühle, sondern Headhunter.

Mitarbeit: Claudia Obmann, Gregor Waschinski

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