5G-Debakel: Ausbaurückstand von 1&1 ist größer als bekannt
1&1-Chef Dommermuth droht wegen Verzögerungen beim Bau seines 5G-Mobilfunketzes ein Bußgeld. Handelsblatt-Recherchen zeigen, dass er auch andere Zusagen bislang nicht eingehalten hat.
Hamburg. United-Internet-Gründer Ralph Dommermuth hat schwere Monate hinter sich. Sein Unternehmen 1&1 liegt beim Aufbau des eigenen 5G-Mobilfunknetzes weit hinter Plan und Zusagen zurück. Statt mehr als 1000 konnte Dommermuth bis Anfang Mai nur 20 aktivierte Funkstationen vorweisen. Weil er deshalb die Auflagen aus der jüngsten 5G-Frequenzauktion verletzt, hat die Bundesnetzagentur im April ein Bußgeldverfahren gegen 1&1 eingeleitet – zum ersten Mal in ihrer Geschichte.
Recherchen des Handelsblatts zeigen nun, dass Dommermuths Rückstand sogar noch größer ist als bekannt. 1&1 hat nicht nur die Auflagen der Bundesnetzagentur aus der 5G-Auktion von 2019 weit verfehlt, sondern auch die Ausbauvorgaben aus den Verträgen zum Mobilfunkgipfel 2018 bislang nicht eingehalten.
Die Bundesregierung hatte damals bei einem Treffen mit den vier Anbietern Telekom, Vodafone, Telefónica (O2) und 1&1 den Unternehmen zusätzliche Zugeständnisse abgerungen, um den Mobilfunkausbau zu beschleunigen. Dabei wurde vereinbart, dass 1&1 bis Ende 2021 in 400 Funklöchern, sogenannten „weißen Flecken“, Mobilfunkinfrastruktur errichten müsse. Zum Fristende am 31. Dezember stand jedoch kein einziger Mast.
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1&1: Rückstand beim 5G-Ausbau größer als gedacht
Zusammen mit den 995 Basisstationen für 5G des eigenen Netzes, die 1&1 bis Ende 2022 noch nicht bedingungsgemäß errichtet hatte, ergab sich zum Anfang dieses Jahres also ein rechnerischer Gesamtrückstand in Höhe von 1395 Standorten. 1&1 rechtfertigt die Verzögerungen mit den komplizierten Abstimmungs- und Genehmigungsverfahren. Es handele sich „oft um besonders anspruchsvolle Standorte“, heißt es auf Anfrage.
Beim Ausbaurückstand des eigenen Netzes sieht Dommermuth vor allem seine Geschäftspartner in der Verantwortung, allen voran die Vodafone-Tochter Vantage Towers. Diese soll 1&1 bis Ende 2022 statt 650 nur einen funktionsfähigen Standort übergeben haben. Vantage wollte sich bislang nicht zu den Vorwürfen äußern.
Hintergrund der 400-Masten-Verpflichtung ist eines der Tauschgeschäfte, die der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Rahmen des Mobilfunkgipfels vor fünf Jahren einfädelte. „Wir werden ungeduldig“, sagte Scheuer damals. Der Zustand der Handynetze sei für eine Wirtschaftsnation schlicht nicht akzeptabel. Also erhöhte er den Druck auf die Unternehmen.
Die Konditionen des Gipfel-Vertrags, die später im Rahmen der 5G-Frequenzauktion zum Teil präzisiert wurden, erschienen Minister wie Konzernen sodann als gutes Geschäft: Scheuer bekam das Versprechen eines zügigeren Netzausbaus, wofür die Mobilfunkunternehmen finanziell entschädigt wurden.
So konnte der Minister verkünden, dass Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica (O2) schon bis Ende 2020 99 Prozent der Bevölkerung mit einer abgespeckten Basisversion des damals neuen LTE-Standards (4G) versorgen würden. Offiziell war von einer Geschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde „je Antennensektor“ die Rede. Die gemessene Leistung an den Endgeräten der Nutzer ist in der Regel jedoch deutlich geringer.
Viel war das also nicht, aber ansonsten hätte der Ausbau wahrscheinlich noch länger gedauert. Ein Jahr später wurde die Mindestgeschwindigkeit von LTE von der Bundesnetzagentur bereits mit 100 Megabit je Sekunde definiert.
Die Entschädigung floss Telekom und Co. nach der 5G-Auktion indirekt zu: Normalerweise wären die Milliarden Euro Gebühren für die ersteigerten Frequenzen sofort fällig gewesen. Doch der Staat gab den Unternehmen 2019 de facto einen zinslosen Kredit und stundete die Zahlungen. Erst 2030 sind die letzten Raten fällig.
Davon profitierte auch 1&1, das rund eine Milliarde Euro abstottern darf. Bislang war so noch nicht mal die Hälfte des Gesamtbetrags fällig.
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Bislang keine Konsequenzen für Chef Ralph Dommermuth
Im Gegenzug musste Dommermuth, der damals noch nicht über ein eigenes Netz verfügte, nun 400 weiße Flecken in den Netzen der großen drei schließen. Und das möglichst zügig. Dazu sollte er – vor allem auf dem Land – Masten aufstellen, die von den Konkurrenten entsprechend angebunden werden würden. Die Zinsersparnis durch die Stundung, die in etwa dem Investitionsaufwand für die 400 Masten entsprach, sollte so letztlich der Bevölkerung zugutekommen.
Auch fast anderthalb Jahre nach Fristende hat 1&1 jedoch nur einen Bruchteil der Verpflichtung erfüllt. Auf Anfrage schreibt eine Sprecherin, dass bislang sieben Standorte fertiggestellt worden seien, 32 Funktürme befänden sich „in Bau“. Von den drei großen Konkurrenten teilt nur die Telekom mit, kürzlich zwei Standorte von 1&1 übergeben bekommen zu haben. Laut 1&1 steht die Übergabe der restlichen fünf fertigen Masten kurz bevor.
Konsequenzen hatte der Rückstand für Dommermuth bislang nicht. Das zuständige Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) hat die Frist für 1&1 jeweils verlängert, gibt jedoch nicht preis, wann sie abläuft. Einzige Sanktionsmöglichkeit ist die Kündigung des Vertrags. Dann wäre der Restbetrag – offenbar noch über 600 Millionen Euro – sofort fällig.
Im Ministerium windet man sich, Entgegenkommen wie Rückstand zu begründen. Einen Teil der Verantwortung sieht das BMDV neben den üblichen Allgemeinplätzen auch bei 1&1-Konkurrenten. „Umfassende und zeitaufwendige Abstimmungen mit den anderen Netzbetreibern“ hätten den Prozess verzögert, heißt es auf Anfrage. Eine „stabile Ausgangslage für die konkrete Standortplanung“ habe so erst im März 2021 vorgelegen.
Bei Telekom und Co. kann man das nicht recht nachvollziehen. Telefónica teilt etwa mit, dass man die „Weiße-Flecken-Liste zügig nach dem Vertragsschluss“ übermittelt habe. Dass es Abstimmungsbedarf geben würde, sei zudem bereits 2018 offensichtlich gewesen. „Uns ist nicht bekannt, dass die Verpflichtungen anderer Netzbetreiber ebenfalls gelockert wurden.“ Telekom, Vodafone und Telefónica hätten ihren Teil der Vereinbarung pünktlich eingehalten, bestätigt das Ministerium.
5G: 1&1 rechnet nur noch mit 180 statt 400 Masten
Rückblickend erscheint die Idee, 1&1 die Netze der Konkurrenz aufbessern zu lassen, mindestens bizarr. Die teils erbittert geführten Auseinandersetzungen mit Telekom oder Telefónica waren damals schließlich bereits bekannt.
Die Kalkulation von Ex-Minister Scheuer basierte zudem wohl auch darüber hinaus auf Missverständnissen – und allzu optimistischen Prognosen. So verweisen BMDV wie 1&1 auf die „ursprüngliche Annahme“, dass man bei den 400 Masten mit günstig wie schnell zu errichtenden „Dachstandorten“ auskommen würde. „Letztendlich wurde allerdings aufgrund der Standortwünsche von Deutscher Telekom, Vodafone und Telefónica weit überwiegend der Bau von Funktürmen nötig“, heißt es bei 1&1.
Das Problem: Da Dommermuth mit dem Ministerium seinerzeit eine maximal zu erbringende Investitionssumme vereinbart hatte, werden es nun deutlich weniger Masten als geplant. Laut BMDV rechnet man aufgrund der gestiegenen Kosten nur noch mit „150 bis 200“ statt „mindestens 400“ Maststandorten, wie es die vorherige Bundesregierung in ihrer Mobilfunkstrategie festgehalten hat. 1&1 geht von „circa 180“ neuen Masten aus.
Deren Errichtung soll, so hofft man in Berlin, nun aber immerhin rasant gelingen. Laut BMDV ist „eine Fertigstellung bis Ende des Jahres“ das Ziel.
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