Abstürze der Boeing 737-9 Max laut Ingenieur erwartbar
Nach Einschätzung des Experten hätte der Konzern schon vor Jahren reagieren müssen. Auch der US-Senat nimmt sich die Qualitätskontrollen bei Boeing vor und hört einen Whistleblower an.
Washington. Kurz vor einer Anhörung zu Qualitätskontrollen beim amerikanischen Flugzeugbauer Boeing am Mittwoch erhebt ein weiterer Luftfahrtexperte Vorwürfe gegen den Konzern. Javier de Luis, Luft- und Raumfahrtingenieur und Dozent am Massachusetts Institute of Technology erklärte, die Abstürze zweier Boeing 737 Max in den Jahren 2018 und 2019 seien angesichts der Mängel in der Sicherheitskultur im Unternehmen keine Überraschung gewesen.
Dies wolle er dem Handelsausschuss des Senats in einer schriftlichen Stellungnahme mitteilen. De Luis war einer von mehreren Experten, die von der US-Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) einberufen wurden und Anfang des Jahres einen Bericht über die Sicherheitsstandards bei Boeing verfasst haben.
Bei den Abstürzen in Indonesien (2018) und Äthiopien (2019) kamen insgesamt 346 Menschen ums Leben. Untersuchungsberichte zeigten, dass die Abstürze nach einem ähnlichen Muster erfolgten, bei dem eine fehlerhafte Steuerungsautomatik die Flugzeuge Richtung Boden lenkte.
Boeing will sich nicht zu Vorwürfen äußern
De Luis beruft sich auf Aussagen des Boeing-Finanzchefs Brian West aus dem vergangenen Monat. West sagte, dass das Unternehmen der Flugzeugproduktion nicht weiter stärker gewichten dürfe als die Qualität. Die Unternehmensführung habe dies nach dem Vorfall im Januar, bei dem ein Rumpfteil einer Boeing 737-9 Max von Alaska Airlines kurz nach dem Start abbrach, „verstanden“.
In seiner Stellungnahme schreibt de Luis, dessen Bruder bei dem Absturz 2019 starb: „Ich hätte gedacht, dass sie es schon vor fünf Jahren ‚verstanden‛ haben.“ Ein Vertreter des Unternehmens wollte sich nicht zu den Vorwürfen äußern.
Die FAA verlangt von Boeing einen ausführlichen Plan für eine bessere Qualitätskontrolle und weigert sich, Boeing den Ausbau der Produktion der 737-Baureihe zu erlauben. Die US-Senatoren wollen sich dem Thema nun ebenfalls tiefer widmen.
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Ehemaliger Mitarbeiter: Gefahr bei der Boeing 787
Wichtigster Zeuge bei der Anhörung in Washington (ab 20.15 Uhr MESZ) ist Sam Salehpour, der als Boeing-Ingenieur früher an der 787 und dem viel genutzten Langstrecken-Modell 777 arbeitete. Nach seinen Angaben ließ Boeing bei der 787 zu große Spaltmaße zwischen den einzelnen Rumpf-Abschnitten zu, was zu schnellerem Verschleiß führen könne.
Boeing widerspricht der Darstellung vehement. Chef-Ingenieur Steve Chisholm verweist darauf, dass 671 Maschinen des Typs ihre Inspektionen nach sechs Betriebsjahren absolviert hätten und bei keinem Flugzeug Probleme festgestellt worden seien. Auch eine 787, bei der von 2010 bis 2015 die Belastung von 165.000 Flügen simuliert worden sei, habe keine Anzeichen von Materialermüdung am Rumpf gezeigt. Die FAA habe die Ergebnisse der Untersuchungen abgesegnet.
Boeing-Managerin Lisa Fahl betonte zugleich, dass der Flugzeugbauer bei der Entwicklung der 787 extrem vorsichtig gewesen sei. Die Vorgabe für den Abstand zwischen den Rumpfteilen sei auf 0,005 Zoll (0,127 Millimeter) – in etwa die Dicke eines menschlichen Haars – festgesetzt worden, weil es das erste Flugzeug mit einem Rumpf aus Verbundmaterialien gewesen sei.
Mit mehr Daten sei aber herausgefunden worden, dass auch größere Abstände zulässig seien, sagte Fahl. Bei der 777 hätten neue Produktionsmethoden ebenfalls nicht zu Problemen geführt, beteuert Boeing unter Verweis auf Inspektionsdaten.
Maschinen des Typs Boeing 737-9 Max wurden kurzzeitig stillgelegt
Bei dem Zwischenfall Anfang Januar mit einer 737-9 Max geht die Unfallermittlungsbehörde NTSB nach bisherigen Untersuchungen davon aus, dass vier Befestigungsbolzen an dem herausgebrochenen Rumpfteil fehlten. Die mehr als 170 Menschen an Bord kamen glimpflich davon, allerdings waren die beiden Sitze in der Nähe des Lochs im Rumpf auch leer geblieben. Außerdem befand sich das Flugzeug noch in relativ geringer Höhe.
In Folge wurden alle anderen Maschine des Typs zunächst für mehrere Wochen stillgelegt. Nach Inspektionen durften sie aber wieder fliegen.
Die Boeing-Probleme treffen auch die US-Fluggesellschaften. So kostete der Ausfall mehrerer Dutzend Maschinen der 737-9 Max im Flugplan im Januar United Airlines rund 200 Millionen Dollar (188 Mio Euro). Die Fluggesellschaft verbuchte deswegen im vergangenen Quartal einen Verlust von 124 Millionen Dollar.
Außerdem bedeutet der ausbleibende Produktionsausbau bei Boeing, dass die Airline weniger neue Maschinen als geplant bekommen wird. United will sich nun 2026 und 2027 bei Leasinggesellschaften 35 Maschinen des Boeing-Rivalen Airbus buchen. Die Flugzeuge des Typs A321neo konkurrieren mit der 737.
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