Akio Toyoda, Chairman und „Master Driver“ der Toyota Motor Corporation während der CES 2025 Foto: IMAGO/NurPhoto
Premium

Akio Toyodas Befreiungsschlag: Wie der Ex-CEO mit einem Milliarden-Deal die Macht der Gründerfamilie bei Toyota stärkt

Der Enkel des Konzerngründers stärkt den Zusammenhalt der Toyota-Gruppe – und vergrößert den Einfluss seiner Familie.

Unter dem Pseudonym Morizo raste Akio Toyoda schon bei vielen Autorennen mit. Mehrere Male donnerte er etwa beim 24-Stunden-Rennen über den Nürburgring. Toyoda wurde im „Master Driver“-Programm ausgebildet, das alle Top-Testfahrer von Toyota durchlaufen, und absolviert bis heute Testfahrten mit allen neuen Modellen. Doch selbst die besten Fahrer erleiden hin und wieder einen Unfall.

Voriges Jahr veröffentlichte Toyota Videoaufnahmen aus dem Innenraum eines GR Yaris. Auf ihnen ist zu sehen, wie Toyoda in Ledermontur und mit Helm das Rallyeauto in hohem Tempo über eine Schotterpiste lenkt. Plötzlich katapultiert eine Bodenwelle den hochgezüchteten Kleinwagen in die Luft. Das Fahrzeug dreht sich und landet krachend auf dem Dach. Toyoda bleibt unverletzt, hängt aber kopfüber in seinem Gurt und müht sich sichtlich, sich zu befreien. Ungefähr zur gleichen Zeit musste Toyoda auch als Manager einen heftigen Crash verantworten. 2024 kam heraus, dass Ingenieure von Toyota, der Kleinwagentochter Daihatsu, der Nutzfahrzeugtochter Hino und des Zulieferers Toyota Industries viele Fahrzeuge nicht getreu den gesetzlichen Vorgaben geprüft hatten. Daihatsu stellte die Produktion drei Monate lang ein, Toyota stoppte den Verkauf von drei Modellen. Das Verkehrsministerium durchsuchte Büros der Konzernzentrale. Die Finanzzeitung „Nikkei“ beklagte einen „Schandfleck auf Japans Autoindustrie“.

Vergangenheit. Denn nun setzt Toyoda mit der Privatisierung von Toyota Industries zu einem gewieften Befreiungsschlag an, der den langfristigen Einfluss seiner Familie auf die Konzerngeschicke sichern und stärken könnte.

Akio Toyoda, genannt Morizo, bei dem 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring 2013. Foto: Imago

Rund ein Jahrzehnt lang hatte der Enkel des Konzerngründers sein Mantra von „Ever-better-Cars“ gepredigt und Toyota zum größten und profitabelsten Massenhersteller der Welt geformt. Aber einige ausländische Aktionäre sahen die komplizierte Kapitalstruktur der Gruppe als Hauptursache für den Zertifizierungsskandal und entzogen Toyoda das Vertrauen. Nach seinem Wechsel vom CEO zum Vorsitzenden des Verwaltungsrats vor zwei Jahren stimmten zuletzt nur noch 72 Prozent der Aktionäre für seinen Verbleib im Amt. So wenige Stimmen erhielt kein anderer Direktor in der Firmengeschichte. Toyoda gestand selbst ein, dass seine Position gefährdet sei, falls die Unterstützungsrate weiter fallen sollte.

Doch durch den Buy-out von Toyota Industries verringert der Konzernchef die gegenseitigen Kapitalbeteiligungen zwischen den Unternehmen und erfüllt damit eine zentrale Forderung von kritischen Anteilseignern nach einer verbesserten Unternehmensführung. Prompt empfahlen die Aktionärsberater Glass Lewis und Institutional Shareholder Services, Toyoda diesmal als Verwaltungsratschef wiederzuwählen. Im Vorjahr hatten sich beide Unternehmen noch für ein Nein ausgesprochen. Daher wird die Hauptversammlung der Aktionäre Toyoda an diesem Donnerstag (12. Juni) wohl mit einem klar besseren Ergebnis in seinem Amt bestätigen.

👉 Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen

Wie Toyota entstand

Akio Toyodas Urgroßvater Sakichi Toyoda gründete Toyota Industries im Jahr 1925 als Hersteller von automatischen Webstühlen. Davon wurde Toyota Motor 1937 abgespalten. Toyota Industries entwickelte sich später zum weltgrößten Hersteller von Gabelstaplern, der auch Autoteile und Textilmaschinen produziert. Dem Unternehmen gehören Anteile an der Konzernmutter sowie den Zulieferern Denso und Aisin in jeweils einstelliger Prozenthöhe. Umgekehrt halten Toyota Motor und drei andere Toyota-Unternehmen fast 40 Prozent von Toyota Industries.

Nun werden die komplizierte Mutter-Tochter-Struktur und sämtliche gegenseitigen Beteiligungen zum Jahresende aufgelöst. Nach Abwicklung eines Kaufangebots im Volumen von rund 23 Milliarden Euro soll Toyota Industries in den Besitz von Toyota Fudosan, der Immobiliensparte des Konzerns, übergehen.

Als Mastermind dieser Transaktion gilt Akio Toyoda. Er ist nicht nur der Vorsitzende des Verwaltungsrats des Käufers Toyota Fudosan, er investiert auch umgerechnet sechs Millionen Euro seines privaten Geldes in den Buy-out. Mit dieser relativ kleinen Summe, die ihm nur ein halbes Prozent Besitzanteil an der künftigen Toyota Industries sichert, kann Toyoda seinen Einfluss auf die Gruppe überproportional stark vergrößern: Der Buy-out stärkt seine Position als Herrscher und Verwalter des Toyota-Imperiums praktisch und symbolisch. Aktionäre können bei Entscheidungen weniger dazwischenfunken. An die Stelle des Geflechts von gegenseitigen Kapitalbeteiligungen, das die Verantwortlichkeiten verwässert, tritt ein zentraleres, familiengeführtes Führungsmodell.

Diese Einschätzungen von Analysten teilt der 69-Jährige jedoch nicht. Er begründete seine private Beteiligung an Toyoda Industries damit, dass der Konzern seine „Identität zurückgewinnen“ soll. Das heiße aber nicht, dass Toyota der Gründerfamilie gehöre, unterstrich der Manager, dessen Familie zusammen weniger als ein Prozent der Anteile besitzt. Ihm schwebt ein anderes Modell vor, das die Macht der Mitarbeiter und Manager betont.

Diese Vision hatte Toyoda sorgfältig vorbereitet. Mit der Staffelübergabe an den neuen CEO Koji Sato im Frühjahr 2023 verlagerte er zunächst seinen Schwerpunkt vom operativen Tagesgeschäft auf die Strategie und Philosophie des japanischen Autoriesen. Während Sato die „Multi-Wege-Strategie“ in die Elektromobilität getreu den Vorgaben seines Vorgängers umsetzte, sprach Toyoda plötzlich von einer „Toyota-Gruppe“, die rechtlich gar nicht existiert, und verkündete eine neue Vision für das Unternehmen. Statt „Immer-bessere-Autos“ gab er Anfang vorigen Jahres die neue Parole „Gemeinsam unseren Weg in die Zukunft erfinden“ aus.

Toyoda skizzierte einen Prozess der unternehmerischen Entscheidungsfindung, der nicht primär von Aktionärsinteressen geleitet sein soll. Vielmehr soll der Genba, der tatsächliche Ort der Wertschöpfung, zum Beispiel das Produktionsband, „eigenständig denken und handeln“ und die Entscheidungen bestimmen. „Ich habe bei Toyota die Autorität an den Genba zurückgegeben und allen Mitarbeitern, unabhängig von ihrer Position und ihrem Hintergrund, die Möglichkeit gegeben, sich an der Führung zu beteiligen“, sagte Toyoda. „Ich betrachte dies als meinen eigenen Führungsstil. Man könnte es auch als visionsorientiertes Management, genba-zentriertes Management oder produktorientiertes Management bezeichnen.“

Eine solche offene Kommunikation im Unternehmen soll nebenher die zentrale Ursache der Zertifizierungsskandale beseitigen, nämlich die gegenseitigen Abhängigkeiten im Management als Folge der Kapitalbeteiligungen.

Der Toyota-Chef wandte sich ausdrücklich gegen das Konzept einer Unternehmensführung, die sich nach den Bedürfnissen der Aktionäre richtet. „Falls ich es richtig verstehe, bedeutet der Begriff ‚Governance‘ überwachen, leiten oder verwalten. In Unternehmen geht es bei Governance darum, Verwaltungsstrukturen zu schaffen, die eine solide Unternehmensführung gewährleisten. Wenn man die Herkunft des Wortes nachschlägt, findet man, dass es sich auf das Steuern oder Lenken eines Schiffes bezieht. Das klingt für mich näher an dem, was ich getan habe, als ‚zu überwachen, befehlen oder verwalten‘“, erläuterte Toyoda.

Allerdings ist die Privatisierung von Toyota Industries noch keine ausgemachte Sache. Das Kaufangebot von Anfang Juni lag rund 11 Prozent unter dem aktuellen Tagespreis an der Börse und nur 23 Prozent über dem Preis von Ende April, als erstmals über den Übernahmeplan berichtet wurde. Einige Aktionäre hatten ein höheres Angebot erwartet. „Die Direktoren von Toyota Industries haben sich schamlos verhalten (...) und den Fuchs in den Hühnerstall gelassen“, empörte sich Drew Edwards, Bereichsleiter für japanische Aktien beim Vermögensverwalter GMO, der seit über zehn Jahren knapp ein Prozent der Anteile hält. Es droht eine Klage solcher Minderheitsaktionäre.

Der Buy-out-Prozess könnte sich daher noch zu einer Schlacht um die Seele von Toyota entwickeln: Entweder das Unternehmen stärkt seine familienorientierten Wurzeln – oder die Anteilseigner nehmen es stärker an die Kandare.

👉 Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen

👉 Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen

Akio Toyodas Befreiungsschlag: Wie der Ex-CEO mit einem Milliarden-Deal die Macht der Gründerfamilie bei Toyota stärkt

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

WirtschaftsWoche - das Beste der Woche

Deutschlands führendes Wirtschaftsmagazin – verstehen zahlt sich aus.

Artikelsammlung ansehen