Aldi Nord will X komplett verlassen – Auch andere deutsche Firmen wenden sich von Elon Musk ab
Düsseldorf. Immer mehr Konzerne wie Apple, IBM oder Disney wenden sich von der Onlineplattform X ab – und ziehen damit den Zorn von Eigentümer Elon Musk auf sich: „Go fuck yourself!“, schimpfte er vor einigen Tagen in Richtung jener Werbekunden, die ihre Anzeigen stornieren.
Auch deutsche Unternehmen ziehen sich zunehmend aus dem Kurznachrichtendienst zurück, wie eine Handelsblatt-Umfrage ergab. So beabsichtigt auch Aldi Nord, X Anfang 2024 komplett zu verlassen, teilte der Discounter auf Anfrage mit.
Als Aldi Nord Anfang November in einem Beitrag ein dunkelhäutiges Model das Weihnachtssortiment vorführen ließ, reagierten Hunderte Nutzer mit rassistischen Kommentaren. Das Unternehmen beklagte, dass X kaum dagegen vorgehe – und beschränkte zunächst die Kommentarfunktion.
Nun wendet sich der Discounter komplett von der Plattform ab. So radikale Schritte seien offenbar nötig, da X Diskussionen nicht mehr ausreichend moderiere. Werbung schaltet Aldi Nord bereits seit einem Jahr nicht mehr auf der Plattform. Dabei hatte das Unternehmen sein Nutzerkonto erst 2021 eröffnet, um Geschäftskunden, Journalisten, Politiker oder Nichtregierungsorganisationen zu erreichen.
Aldi Nord ist kein Einzelfall. Die Umfrage unter den 40 Dax-Konzernen und 20 größten Werbetreibenden aus Deutschland zeigt: Nur wenige große Unternehmen planen noch Werbebudgets für X ein, immer mehr geben ihre Präsenz bei dem Kurznachrichtendienst sogar vollständig auf.
So haben mindestens acht Dax-Konzerne bezahlte Werbung auf X eingestellt, darunter Allianz, BASF, Covestro und Mercedes. Bei weiteren fünf ist die Reklame bereits seit einem Jahr ausgesetzt, etwa Volkswagen, Siemens und RWE. 13 Organisationen schalteten schon vor der Übernahme durch Tesla-Chef Musk keine Anzeigen. Insgesamt haben 28 Dax-Mitglieder die Umfrage beantwortet.
Das wichtigste Argument lautet überall ähnlich: Seit Milliardär Musk die damals noch als „Twitter“ firmierende Plattform vor gut einem Jahr übernommen hat, fürchten Firmen um ihre Marke. Covestro etwa verweist auf „Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Werbeumgebung“. Der Chemiekonzern hat daher die Anzeigen auf X gestaffelt zwischen Ende 2022 und Mitte 2023 auslaufen lassen.
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„Absolutist der Meinungsfreiheit“
Musk, selbst ernannter „Absolutist der Meinungsfreiheit“, nahm nach der Übernahme von Twitter zahlreiche Änderungen vor. So strich der Unternehmer die Moderationsteams zusammen. Als Korrektiv sollen nun die kollektiven Anmerkungen der Nutzer dienen, die „Community Notes“.
Parallel veränderte Musk wesentliche Mechaniken der Plattform, etwa die Verifizierung von Nutzerkonten: Bekamen früher Firmen, Institutionen und Personen wie Prominente, Politiker und Journalisten einen blauen Haken, erhalten ihn beliebige Nutzer heute gegen Bezahlung, ohne Überprüfung der Identität. Das erschwert es, die Zuverlässigkeit einer Quelle einzuschätzen.
Musk verbreitet auch selbst regelmäßig umstrittene Inhalte – etwa, als er kürzlich einem Beitrag zustimmte, den Kritiker für eine antisemitische Verschwörungstheorie hielten. Resultat dieser Veränderungen: mehr Lügen über den Klimawandel, mehr Falschinformationen über den Krieg in Israel, mehr Hass gegen Minderheiten, mehr Antisemitismus.
Immer mehr Unternehmen wollen in diesem Umfeld nicht mehr auftauchen. So hat Siemens Energy das Ende seiner Werbemaßnahmen auf X im September beschlossen, „als sich immer mehr herauskristallisiert hat, dass diskriminierenden Posts kaum bis gar kein Einhalt geboten wird“. Ende November seien die letzten Buchungen ausgelaufen. Mercedes-Benz hat bereits „vor einigen Monaten bezahlte Werbeaktivitäten eingestellt“.
Fünf Dax-Firmen haben ihre Werbung auf X seit einem Jahr ausgesetzt. Der Volkswagen-Konzern hatte seinen Marken im November 2022 empfohlen, ihre bezahlten Aktivitäten auf X „aufgrund von Bedenken bei der Markensicherheit bis auf Weiteres zu pausieren“. Seitdem hätten nur einige Testaktivitäten stattgefunden, um den Status regelmäßig neu zu bewerten.
Merck hat sämtliche Werbemaßnahmen bei dem Dienst ausgesetzt und verweist auf „die allgemein massiv gestiegene Menge an Hasskommentaren, Hetze und Falschmeldungen“, die man sehr kritisch sehe. Auch Siemens wirbt „bis auf Weiteres“ nicht auf X. Viele Unternehmen folgen damit dem Rat von Werbefachleuten. Sie empfehlen Firmen, ihre Aktivitäten auszusetzen – es geht darum, die Marke zu schützen.
Meta und LinkedIn sind wichtiger als X
Allerdings dürfte vielen Firmen der Rückzug oder das Einstellen von Werbung leichtgefallen sein. So teilt der Nivea-Hersteller Beiersdorf mit, schon bevor das Unternehmen seine Werbeaktivitäten auf X eingestellt habe, habe Werbung bei dem Dienst „nur einen sehr geringen Anteil“ ausgemacht. Ähnliches gilt für Munich Re. Und BASF teilt mit: „Andere Social-Media-Kanäle, wie zum Beispiel Meta und LinkedIn, haben für uns eine sehr viel größere Relevanz.“
Allein schon weil in Deutschland weniger Menschen X nutzen als anderswo, habe der Dienst für hiesige Werbekunden seit jeher eine geringere Rolle als andere Social-Media-Plattformen gespielt, erklärt Andreas Meffert, Vertriebsleiter Deutschland von Nielsen Media. „Im Vergleich zu anderen Social-Diensten erreichen Unternehmen auf X mit Werbung eher Nutzer, die über 45 Jahre sind – und damit ein älteres Publikum.“
Das erklärt, warum 13 Dax-Firmen, darunter Daimler Truck, die Deutsche Bank, Infineon, Rheinmetall, Zalando und Infineon, schon seit vielen Jahren nicht mehr auf X werben. Der Kanal sei „weniger relevant als andere, um unsere Zielgruppen zu erreichen“, argumentiert etwa die Deutsche Bank.
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Selbst unter den 20 größten Werbern aus Deutschland spielte X schon vor der Übernahme durch Musk nur eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Das trifft vor allem auf Konsummarken und Händler wie Procter & Gamble, Ferrero, Dr. Oetker, L’Oréal, Lidl, Kaufland und Norma zu.
Während es für Werbekunden aus Deutschland eine einfache Entscheidung sein mag, trifft es die Plattform hart. X erzielt den Großteil seiner Erlöse mit Werbung. Seit der Übernahme durch Musk ist das Werbegeschäft eingebrochen.
Bereits vor den jüngsten Kontroversen hat das Marktforschungsunternehmen Insider Intelligence prognostiziert, dass die Erlöse im laufenden Jahr um 54 Prozent auf 1,9 Milliarden Dollar sinken –„ein beispielloser Rückgang für ein Social-Media-Unternehmen“, wie Analystin Jasmine Enberg urteilt. In einem konjunkturell bedingt schrumpfenden Werbemarkt sind soziale Netzwerke ein wachsender Bereich, weil Unternehmen Nutzer mit Werbung hier gezielter ansprechen können.
Conti und werben weiter auf X
Allein Continental gab als einziger der antwortenden Dax-Konzerne an, seine Werbeaktivitäten bislang nicht eingestellt zu haben. Aber: „Werbung auf X spielt im Rahmen unserer Aktivitäten nur eine sehr untergeordnete Rolle.“ Man beobachte die Entwicklung der Plattform weiter und bewerte das Vorhaben regelmäßig neu. Auch der Telekommunikationskonzern 1&1 antwortete, alle Social-Media-Kanäle weiterhin mit Bezahlmaßnahmen zu bespielen. Änderungen überprüfe man fortlaufend.
Für viele Unternehmen dürfte die Bedeutung von X als Werbeplattform und Kommunikationsdienst angesichts sinkender Nutzerzahlen allerdings weiter abnehmen. So teilt Telefónica, das hierzulande mit der Marke O2 bekannt ist, mit: „Aufgrund sinkender Relevanz und abnehmender Kennzahlen der Plattform werben Telefónica und die Kernmarke O2 derzeit nicht mehr auf X.“
X bemüht sich verstärkt um kleine und mittlere Unternehmen als Werbekunden. Sie seien „ein sehr wichtiger Motor, den wir lange unterschätzt haben“, erklärte die Social-Media-Plattform am Freitag gegenüber der „Financial Times“. Dafür hat X nach eigenen Angaben Partnerschaften mit Dienstleistern geschlossen, die einen Teil des Anzeigenverkaufs übernehmen sollen. Dazu zählt beispielsweise das Start-up Jump Crew, an das andere Unternehmen ihren Vertrieb auslagern können. Dieses Modell will der Konzern nun ausbauen, parallel arbeitet er an neuen Premiumdiensten.
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