Alexander Zverev: „Ich fühle mich generell gesprochen ziemlich allein in meinem Leben“ | © dpa

Alexander Zverevs Krise: Was das mit Führungskräften und anderen High Performern zu tun hat

Unmittelbar nach seinem Wimbledon-Aus offenbarte der Weltklasse-Tennisspieler mentale Probleme. Er leide unter Einsamkeit und brauche eine Auszeit. Auch andere High Performer fühlen sich oft isoliert und einsam – bei Top-Führungskräften sind es laut einer Studie 75 Prozent.

Alexander Zverevs überraschende emotionale Offenbarung berührte mich tief. In einer Pressekonferenz kurz nach seinem Erstrunden Ausscheiden in Wimbledon offenbarte er: „Ich fühle mich generell gesprochen ziemlich allein in meinem Leben, was kein schönes Gefühl ist.“ Dabei wirkte er traurig, emotional erschöpft, verzweifelt. Zverev habe sich „noch nie so leer gefühlt“. Es sei für ihn schwierig, außerhalb des Tennisplatzes Freude zu finden, und er versuche nun, während einer Auszeit von vier Wochen herauszufinden, wer ihm guttue: „Das ist für mich mit 28 Jahren die Nummer-eins-Aufgabe.“

Ich habe mich noch nie so leer gefühlt.
Alexander Zverev

So oft passiert es nicht, dass Spitzensportler schwere emotionale Probleme öffentlich machen, sich „offenbaren“. Wenn es geschieht, dann oft nach einem Zusammenbruch oder wenn der Leidensdruck so groß ist, dass man ihn nicht mehr verstecken kann. Das gilt nicht nur für Sportler, sondern auch für Manager, Führungskräfte und andere High Performer. Meist geht es dabei um Burn-out, Depressionen, emotionale Erschöpfung.

Mehrere Umfragen zeigen, dass Führungskräfte besonders von Einsamkeit betroffen sind. Im Top-Management sind es 75 Prozent (Indeed). Im Gespräch mit der „Zeit“ sagt der Psychiater Christian Dogs: „Ich habe schon Vorstandsvorsitzende beraten, deren einziger Gesprächspartner ich war. Die gesundheitlichen Folgen sind fatal.“ Darunter gibt jeder Zweite mit Führungsverantwortung an, unter Einsamkeit zu leiden, was sich mit einem Ergebnis der „CEO Snapshot Survey“ der „Harvard Business Review“ deckt. Weltweit fühlt sich jede fünfte Person am Arbeitsplatz einsam, zeigt der „2024 State of the Global Workplace“-Report von Gallup.

Schmerzverarbeitung im Gehirn: Einsamkeit kann so wehtun wie körperliche Schmerzen.

Studien zeigen: Wenn Menschen unter Schmerz oder Einsamkeit leiden, werden die gleichen Nervenzellen im Gehirn aktiviert. Einsamkeit kann deshalb so wehtun wie körperliche Schmerzen. Der Grund dafür ist evolutionär bedingt. Die für die Schmerzverarbeitung zuständige Region im Gehirn soll uns vor lebensbedrohlichen Situationen warnen, erklärt der Hirnforscher Prof. Dr. Manfred Spitzer. Vor zweihunderttausend Jahren gehörten dazu eben nicht nur körperlich bedrohliche Situationen, sondern auch der Ausschluss aus der Gemeinschaft.

Gute Beziehungen sind evolutionär wichtiger als ein guter Deal.
Mediziner Gabor Maté

Das Bedürfnis nach Gemeinschaft ist also in unsere neuronalen Netzwerke eingeschrieben. Die meiste Zeit unserer evolutionären Geschichte waren gute Beziehungen untereinander sogar wichtiger als ein guter Deal, wie es der Mediziner Gabor Maté („Vom Mythos des Normalen“) formuliert. Diese vitale Bedeutung von Gemeinschaft zeigen unter anderem umfangreiche Metastudien von Darcia Narvaez, emeritierte Professorin der University of Notre Dame. 

Auch heute noch sind wir als „Social Creatures“ programmiert. Obwohl in westlichen Gesellschaften das individuelle Interesse im Vordergrund steht und uns das Bewusstsein für dieses Grundbedürfnis nach Gemeinschaft oft verloren geht, wie Maté feststellt. Bleibt diese dem Menschen „inhärente Erwartung“ – wie die Autorin und ethnologische Forscherin Jean Leadloff es bezeichnet – unbefriedigt, verliert der Mensch sein physisches und psychisches Gleichgewicht. Er kann buchstäblich krank werden.

Weshalb Burn-out mit Einsamkeit zusammenhängen kann

Einsamkeit kann sehr eng mit Burn-out verbunden sein, wie ich es übrigens während meines eigenen Burn-outs selbst erfahren habe. Der Soziologe Hartmut Rosa sagt, Burn-out entstehe nicht durch ein Zuviel an Arbeit, sondern durch ein „Zuwenig an Resonanzbeziehungen“. Das sind Beziehungen, in denen etwas gegenseitig ineinander ausgelöst wird. Umgekehrt kann ein Burn-out in die Isolation führen, weil man sich zum Beispiel unverstanden fühlt, überfordert mit sozialen Aktivitäten. Genau diese Resonanzbeziehungen sind es, die Zverev so sehr vermisst. In meinen Trainings für Mitarbeiter und Führungskräfte wird der Zusammenhang zwischen einem Mangel an empathischen Beziehungen und Burn-out übrigens von den meisten Teilnehmern leicht nachvollzogen.

Unser Gehirn ist darauf programmiert, diese Beziehungen grundsätzlich zu suchen: Nicht nur im romantischen Zusammenhang, sondern im gesamten Leben von Job bis hin zu kurzen Kontakten im Gym oder beim Bäcker um die Ecke.

Psychologische Sicherheit erlaubt Betroffenen, sich zu öffnen.

Im Arbeitsleben braucht es psychologische Sicherheit, um dieses Thema überhaupt offen ansprechen zu können. Zu groß kann die Angst vor Stigmatisierung sein. So können Betroffene beispielsweise befürchten, ihr mentaler Zustand könne als Schwäche ausgelegt, womöglich sogar ausgenutzt werden.

Aktives Zuhören und Signale erkennen sind die ersten Schritte zur Hilfe

Führungskräfte auf allen Ebenen sollten darin geschult werden, Signale für emotionale Erschöpfung, die eine Seite von chronischem Stress sein kann, zu erkennen und entsprechende Hilfsangebote zu machen. Zu möglichen Alarmsignalen gehören unter anderem deutliche Wesensveränderungen über einen längeren Zeitraum. Oft ist dies verbunden mit Hoffnungslosigkeit und Zynismus – einen Ausweg scheint es aus Sicht der Betroffenen nicht zu geben. (Ich habe hier viele Artikel zu diesem Thema veröffentlicht, die ihr in meinem Profil findet).

Dennoch kann es sehr schwer sein, die Signale zu erkennen. „Da hat sich nichts Großartiges angedeutet, viele Sachen erfahre ich auch von euch“, sagte Zverevs Bruder Michael im Interview nach der Offenbarung von Alexander Zverev. High Performer sind oft sehr gut darin, nach außen eine glückliche, leistungsfähige Person darzustellen.

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Dr. Kai Kaufmann schreibt über Stressmanagement, Resilienz, New Work, Gesundheit & Soziales

Dr. Kai Kaufmann war 15 Jahre als Führungskraft für Verlage tätig. Nach einem Burnout stellte er die Weichen für sein Leben neu. Heute unterstützt er als Trainer für Stressmanagement und Resilienz Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Als Medical Writer publiziert er bis zu 30 Fachartikel jährlich.

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