Chamisso Museum in Kunersdorf, um 2023 (Fotocredit: Margot Prust)

„Als Vermächtnis möchte ich den Inhalt des Hauses erhalten!“ Interview mit Margot Prust zur Rettung des Musenhofes

Der Fortbestand des Vermächtnisses von Margot Prust, inzwischen fast 80 Jahre alt, ist gefährdet. Sie möchte deshalb ihr kulturelles Kleinod einer Stiftung übertragen und ist auf der Suche nach Unterstützung.

Mit dem Chamisso Museum im Kunersdorfer Musenhof hat Margot Prust einen Ort geschaffen, an dem Literatur und Naturwissenschaft auf inspirierende und nachhaltige Weise miteinander verbunden werden und an die preußische Kulturgeschichte erinnert. Er liegt im Oderbruch, in einer einzigartigen Flusslandschaft, mitten in Europa. Hier wurde 1813 Weltliteratur geschrieben. Adelbert von Chamisso war schon um die Dreißig, als ihn ein Jugendfreund, der Botaniker Louis de la Foye, im März 1812 bat, ihm Alpenpflanzen nach Frankreich zu schicken. Chamisso lebte zu diesem Zeitpunkt als Dichter, Übersetzer und Gesellschafter der französischen Schriftstellerin Germaine de Stael in Genf. Noch im selben Jahr entschloss sich Chamisso, nach Berlin zurückzukehren, um an der neu gegründeten Universität Naturwissenschaften zu studieren. Er musste sein Studium unterbrechen, als 1813 in Preußen für die Freiheitskriege gegen Napoleons Herrschaft mobil gemacht wurde. Freunde brachten ihn auf dem Landgut Kunersdorf in Sicherheit, wo er im Kunersdorfer Schloß seine erste botanische Veröffentlichung über Wasserpflanzen und die berühmte Geld- und Schattennovelle „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ schieb.

Der Protagonist erinnert auch an den Autor selbst, der ebenfalls mit einer Botanisiertrommel über der Schulter, unrasiert und mit lang herabhängendem Haar, 1812 zwischen Gletschern, Bergströmen und Abgründen umherwanderte. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Pflanzenwelt beschäftigte ihn bis zum Ende seines Lebens. Seine Mineralien und Tiere schenkte er der Berliner Universität, die Pflanzen behielt er. 1819 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Berliner Universität für seine Entdeckung des Generationswechsels der Salpen, einer Molluskenart verliehen. Der Weltbürger, Botaniker und Dichter war ein Tatmensch. Drei Jahre vor der Niederschrift seines „Peter Schlemihl“ schrieb er einem Freund nach Frankreich, dass der Teufel das bisschen Philosophie holen soll, wenn sie nicht unmittelbar ins Leben übergeht. Die Zeit, Kunstwerke zu schaffen, musste erst ausgesät werden, auf dass sie reife, so seine Grundanschauung, die noch heute im Kunersdorfer Musenhof gepflegt wird. Denn alles bleibt ohne Farbe und Bedeutung, wenn es nicht aus dem Leben begründbar und in ihm verhaftet ist. Der Musenhof ist eine wichtige Grundlage, damit das Herz der Kultur weiter schlagen kann. Doch die Zukunft dieses kulturellen Kleinods ist in Gefahr.  

Interview mit Margot Prust

Frau Prust, was hat Sie veranlasst, diese interkulturelle Begegnungs- und Kulturstätte ins Leben zu rufen?

Drei Jahre nach Beginn der Französischen Revolution musste Adelbert von Chamisso mit seiner Familie als 11jähriger Knabe seine französische Heimat verlassen. Eine innere Zerrissenheit begleitete ihn. Er äußerte dieses Gefühl in einem Brief an die französische Schriftstellerin Germaine de Stael:

„Ich bin Franzose in Deutschland und Deutscher in Frankreich, Katholik bei den Protestanten, Protestant bei den Katholiken. Ich habe nichts, wohin ich gehöre, ich bin überall fremd …“
Adelbert von Chamisso

Dieses Alleinstellungsmerkmal und ein Besuch in der Deutschen Staatsbibliothek (Preußischer Kulturbesitz) in Berlin, inspirierten mich besonders, gemeinsam mit einem Verein entstand eine Erinnerungs- und Begegnungsstätte zu Ehren Adelbert von Chamissos. Allein von seinem „Schlemihl“ gibt es über 400 unterschiedliche Werkausgaben, und zahlreiche europäische Übersetzungen zeugen davon. Er ist aber nicht nur für sein literarisches Werk international bekannt, sondern auch für seine Leidenschaft für die Botanik und als Weltreisender, als Teilnehmer der Romanzoffischen Entdeckungs-Expedition auf der Brigg Rurik von 1815 bis 1818.

Sie sind im Riesengebirge im ehemaligen Schlesien geboren und lebte 60 Jahre in Neuenhagen bei Berlin im Osten Deutschlands. 2005 kauften Sie mit dem Erbe Ihres Elternhauses die Dependance des ehemaligen Schosses zu Kunersdorf und restaurierten diese Villa mit viel Herzblut und Engagement. Können Sie etwas zur Geschichte des Anwesens sagen? Und wie ging es weiter?

Dieses Anwesen wurde zur Bodenreform verstaatlich und war nach über 60 Jahren sehr heruntergewirtschaftet. Der 2015 gegründete Förderverein „Kunersdorfer-Musenhof e. V.“ hat es in vier Jahren allein mit der Hilfe von privaten Spendern geschafft, dieses Kleinod als Erinnerungs- und Bildungsstätte, als museale, populärwissenschaftliche Einrichtung im unteren Geschoss des Hauses aufzubauen. Mit Benefizkonzerten, Crowdfunding und vielen Spenden kamen die Mittel zusammen, die für den Ausstellungsaufbau benötigt wurden. Zu Hilfe kam den Initiatoren der Umstand, dass in der Berliner Staatsbibliothek der gesamte Nachlass Chamissos mit über 20 000 Einzeldokumenten, gesammelt in 37 Kästen, vorhanden ist. Damit wurde die Basis geschaffen, die Ausstellung auf wissenschaftliche Füße zu stellen.  Unser Ausstellungsdrehbuch setzte eine wissenschaftliche Ausstellungsagentur um.

In vier Ausstellungsräumen der Beletage erfahren Interessierte mehr über den Universalgelehrten und Dichter Adelbert von Chamisso, der zu den illustren Gästen des aufgeschlossenen Musenhofes der „Frauen von Friedland“ gehörte. Sie versammelten im 18. Jahrhundert im Cunersdorfer Schloss  - bis 1945 schrieb man Kunersdorf noch mit „C“ - Künstler, Naturforscher und Philosophen. Heute lebt dieser Geist in der erhaltenen Villa aus den 1920er Jahren weiter – mit Ausstellungen, Konzerten und Literatur, die Kunst und Denken wieder zusammenbringen. Dieser Ort wurde seinerzeit als „Kleines Weimar“ – ein Treffpunkt der Bildungsbürger und der Geselligkeit – bezeichnet. 

Die positive Resonanz auf Ihren Musenhof ist in Social Media überwältigend. Warum ist der Fortbestand diese Kulturstätte in Gefahr?

Da das gesamte Anwesen noch mir gehört, fließen Förderungen des Kulturministeriums nur in staatliche Einrichtungen. Es ist das einzige Chamisso-Museum im deutschsprachigen Raum. Doch der Verein schafft es nicht mehr, es finanziell zu tragen. Eine Personalstelle, die für die administrativen Aufgaben dringend benötigen wird, ist nicht zu finanzieren. Ein Mitarbeiter (Germanist, Kultur- bzw. Literaturwissenschaftler) als Leiter der Einrichtung müsste ein angemessenes Jahreseinkommen erhalten. Dafür benötigten wir dringend eine Unterstützung der „Öffentlichen Hand“, die wir nicht bekommen. Wir sind das einzige Privatmuseum und gelten laut Gästebucheintragungen als „das schönste und von der Ausstellungsphilosophie als interessantes Museum in Brandenburg“. Der Förderverein Kunersdorfer-Musenhof e. V. vereint ca. 100 Mitglieder, bundesweit. Jetzt organisierten wir zusätzlich vier Minijob-Stellen, die uns an drei Tagen (von Freitag bis Sonntag) unterstützen. Im Ehrenamt funktioniert es nur noch bedingt. Persönlich habe ich dieses Lebenswerk aufgebaut und unentwegt ehrenamtlichen Dienst geleistet. „Leidenschaft“ hieß das Zauberwort, was der Schlüssel des Erfolges war, aber aus heutiger Sicht war es wohl etwas naiv. Etwas Hoffnung setzte ich ursprünglich in die Internationale Chamisso-Gesellschaft e. V., die ich in Kunersdorf gründete. Das funktionierte nicht, da die Vorsitzende ausschließlich das Gewicht auf die Forschung des Nachlasses legte.  Daher entschlossen wir uns, den Förderverein K-M, nach dem Muster der „Frauen von Friedland“ zusätzlich zu gründen, der Träger der Ausstellung ist.

Weshalb ist der Stiftungsansatz für Sie ein Modell, das den Zukunftsgedanken absichern könnte?

Eine Stiftungslösung – also Einbeziehung in einer vorhandenen Stiftung - scheint mir der sicherste Weg zu sein. Oder wir finden eine Person, die keine Erben hat und ein kulturelles Anliegen unterstützt. Die Stiftung könnte dann auch den Namen des Stifters tragen. Laut Brandenburger Stiftungsgesetz wird das Innenministerium als Kontrollfunktion eingeschaltet. Persönlich denke ich immer noch an eine Fügung, Chamisso hatte sie auch! Einige Mitstreiter empfehlen mir, dieses Anwesen zu verkaufen und ins Altersheim zu gehen. Die Immobilienhändler stehen bereits auf der Matte. Doch dies entspricht nicht meinen Vorstellungen. Als Vermächtnis möchte ich den Inhalt des Hauses erhalten!

Weiterführende Informationen:

 

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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