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Alte Wunden: Was die „Beschäftigung“ von Menschen in Pflege- und Altenheimen mit uns zu tun hat

Im Blog der consil med, einer Ärzte- und Fachpflegepersonalvermittlung, die Interessierten auch die Möglichkeit bietet, in der Altenpflege zu arbeiten, finden sich verschiedene Ideen für Pflegekräfte zur geistigen und körperlichen Beschäftigung von Senior:innen in Altenheimen.

Viele dieser hier vorgestellten Ideen und Vorschläge haben mehr mit uns zu tun, als wir denken. Der Autor Matthias Weichmann hat Themen zusammengetragen, die grundsätzlich menschliche Fähigkeiten fördern, um die auch wir uns mehr kümmern sollten. Warum wird das, was in der Kindheit so wichtig war, in der Mitte des Lebens vernachlässigt und erst am Ende des Lebens wieder bewusst gemacht? Ein bisschen Nostalgie, die alte Wunde, an der wir alle gleichermaßen leiden, spielt hier ebenfalls mit hinein. Viele Tipps des Autors wurden nachfolgend in entsprechende übergeordnete Kontexte gebracht, die am Ende des Blogs mit weiterführenden Informationen versehen sind.

Für Matthias Weichmann bieten sich im Altersheim abwechslungsreiche Bastelstunden an, die themen- und feiertagsbezogen sein können. Basteln ist auf Dinge bezogen, die Körper und Geist gleichermaßen erfüllen und befriedigen, denn es findet ein Wechsel von Hand- und Kopfarbeit statt. Auch davon können wir lernen, denn mit der Hand zu arbeiten bedeutet, sich von der einseitigen Konzentration zu regenerieren. Auch Mandalas zum Ausmalen sind nach Meinung des Bloggers eine Möglichkeit für die Freizeitbeschäftigung. Mandalas sind Meditationsbilder, die immer um ein Zentrum herum geordnet sind. Die Betrachtung der Strukturen und die Konzentration auf die Mitte helfen nicht nur Älteren, sondern allen Menschen, sich wieder auszurichten und innerlich zu sammeln. In den letzten Jahren sind viele neue Mandalas erschaffen worden, die meistens zum meditativen Ausmalen gedacht sind. Das Ausmalen bewirkt, dass unser Geist eingeladen wird, alles zu vergessen, was ihm Stress bereitet hat, und sich stattdessen mit Formen, Farben und einer klaren Struktur und Ordnung der Linien zu beschäftigen.

Eine nachhaltige Digitalisierung kann nur gelingen, wenn darauf vertraut wird, dass sich unser Leben durch die Digitalisierung auch signifikant verbessert. Das gilt auch für die Älteren, die durch Nutzung digitaler Geräte länger am Leben teilhaben können und sich nicht abgeschnitten fühlen. Da sich viele ältere Menschen nicht bereit fühlen, allein damit umzugehen, sollten ihnen in Alten- und Pflegeheimen die einfachsten Grundlagen vermittelt werden.

Musik ist ein wichtiges Bindeglied für die menschliche Beziehungspflege, weil sie das Herz eines jeden Menschen erreicht, das häufig sogar mit einer Lebensmelodie verbunden ist. Musik bewegt und erfreut Menschen, befreit sie aus seelischen Zwangslagen, tröstet und beflügelt. Matthias Weichmann betont in seinem Blogbeitrag noch den Aspekt, dass das Alter bei der Musik keine Rolle spielt: „Deshalb ist das gemeinsame Musizieren eine ideale Beschäftigung für Senioren und Seniorinnen.“ Alle können sich gleichermaßen einbringen.

Das Thema „Gespräche mit Bewohnenden über die Vergangenheit“, die der Blogger anspricht, lässt sich wiederum in einen größeren Kontext verorten: die Nostalgie. Sie ist nicht nur Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit und das Schwelgen in Erinnerungen, sondern bezeichnet auch eine zeitlosere, existenzielle Empfindung. Der Begriff ist eine Kombination aus dem altgriechischen nóstos (Heimat) und álgos (Schmerz). Es geht darum, sich wieder mit etwas zu verbinden, das verloren schien. Dass dies kein Thema nur für Ältere ist, zeigt der Heimat-, Freundschafts-, Retro- und Nostalgieboom (Rückkehr der Schallplatte und Briefkultur etc.), weil sie mit persönlichen Bindungen zu tun haben, Orientierung geben und Identität stiften. Zugleich sind sie ein Zugeständnis an einen langsameren, natürlichen Rhythmus in einer viel zu schnellen technisierten Welt. Nostalgie lebt von Geschichten. So können vor allem Gespräche die Stimmung in Altenheimen verbessern. „In alten Erinnerungen zu schwelgen oder von der ersten Liebe zu erzählen, begeistert viele Senior:innen und kann das Erinnerungsvermögen stärken“, so Weichmann. Allerdings sollte unbedingt darauf geachtet werden, ob die Bewohnenden an einer Demenz erkrankt sind: „Dann gilt es, keine Zahlen und Fakten oder Erlebtes abzufragen.“

In den Kontext der Nostalgie gehören auch Kino-Erlebnisse: Es kann eine entsprechende Atmosphäre geschaffen werden, die einer heilen Welt, in der die Dinge oft besser sind als die Wirklichkeit, Raum gibt: keine geschundene Natur, Wirtschaftskrisen, keine Kriege und keine Rassenkonflikte. Gemeinsame Erlebnisse im Kino stärken soziale Bindungen und das Gemeinschaftsgefühl, erhöhen die Selbstachtung und das Wohlbefinden. Die einen nennen das romantische Verklärung, für andere wie den Psychologen Daniel Gilbert ist dies Teil eines psychischen Immunsystems, das die prosozialen Seiten des Menschen aktiviert.

Matthias Weichmann spricht in seinem Beitrag von „Hausarbeit“, die an die Normalität erinnern soll. Aber eigentlich geht es um etwas Übergeordnetes: die Pflege von Routinen, die nicht nur für Heimbeweohner:innen wichtig sind. Gewohnheiten sind in tief in unser aller Gedächtnis abgespeichert – und zwar in den Basalganglien, die für unsere Bewegungsabläufe relevant und ein wichtiger Teil unseres Handlungsgedächtnisses sind. Der Begriff „Routine“ ist eine Verkleinerungsform von Route, einem schmalen Pfad. Beide entstehen durch Wiederholungen, die mit einem Sicherheitsgefühl einhergehen, das viele Menschen auch als Gegenmittel gegen Stress empfinden. Hier kommt die von Weichmann genannte „Hausarbeit“ (Putzen, Aufräumen und Ausmisten) ins Spiel, die nachweislich positive Auswirkungen auf unsere Psyche hat. Zudem geht es auch darum, selbst die Kontrolle über die eigenen Lebensbedingungen zu haben - und zu behalten. Der Gesundheitsaspekt ist ebenfalls nicht zu vernachlässigen: Schon 20 Minuten intensive Hausarbeit pro Woche verringern das Risiko für Stress und Ängste spürbar. Auch das gemeinsame Feste feiern gehört hierher.

Bereits Kinder erlernen beim Spielen Handlungsfreiheit, Teamarbeit, taktisch denken und Stress-Resilienz. Läuft das Spiel besser als erwartet, schüttet der menschliche Körper das Glückshormon Dopamin aus. Das Hirn wächst, und neue neuronale Netze werden aktiv, die für Kreativität und Ideenreichtum zuständig sind. Das Charakteristische des Spiels ist vor allem die Veränderbarkeit der Situationen und die Verschiedenheit der Blickpunkte. Sich darauf einzustellen, ist im Alter genauso wichtig. Matthias Weichmann empfiehlt auch knobeln, quizzen und raten. „Besonders Bingo und Rätsel wie Sudoku sind besonders beliebt.“

Vor dem Hintergrund der Verlängerung des demografischen Wandels gewinnt der Erhalt der Gesundheit zunehmend an gesellschaftlicher Bedeutung. Sport fördert nachweislich die Stressreduktion. Menschen jeden Alters erleben hier ihren Körper in bestimmten Situationen wie Anstrengung, Ermüdung und lernen ihn und die eigenen Grenzen besser kennen. Auch wird das Selbstbewusstsein gestärkt, wenn sportliche Ziele erreicht werden, die vorher unrealistisch erschienen. Körperliche Aktivität gibt Selbstbestätigung. Aus der Pädagogik ist bekannt, dass Kinder durch Bewegung die Welt begreifen – das gilt auch für Erwachsene und Senior:innen. Sie erfahren dadurch auch, was im Leben wirklich zählt: alles, was mit Wachsamkeit und dem Gespür und der Bewahrung dessen verbunden ist, was guttut und persönlich Sinn stiftet. Die Freude an Bewegung ist in jedem Alter mit Lebensqualität verbunden.

Im fortgeschrittenen Alter hilft regelmäßiges Training, möglichst lange fit und gesund zu bleiben. „Aqua-Gymnastik eignet sich dafür hervorragend. Spaziergänge oder leichte Koordinationsübungen lassen sich zur Beschäftigung von Senior:innen etwas einfacher umsetzen“, so Weichmann. Auch Kegeln wäre eine Alternative, so lange dies Personen im Rentenalter körperlich noch möglich ist. Mit lässt sich auch in der Grünanlage des Heims kegeln.

Da im Alter die Sinne schwächer werden, sollte auch hier seitens der Pflegekräfte entgegengesteuert werden: Matthias Weichmann empfiehlt beispielsweise „Fühlkisten“, die mit Reis oder Sand gefüllt sind, und in denen Senior:innen Gegenstände ertasten können. Das regt die Gehirnleistung an und verbessert den Tastsinn. Dieses Thema geht uns ebenfalls an, denn Bildung ist ihrem Wesen nach analog. Mit digitalen Medien und Methoden lässt sie sich ergänzen, vertiefen und ausbreiten. Aber ohne Tastsinn sind wir Menschen nicht lebensfähig – es reicht heute nicht, mit dem Finger über das Smartphone zu wischen. Wir müssen die Hände und Finger auch gestaltend benutzen.

Weichmann verweist ebenfalls auf die Bedeutung des Geruchssinns und empfehlt, Duftbäume oder Aroma-Fläschchen zur Anregung. Hier ist allerdings Vorsicht geboten, weil es sich in der Regel nicht um gesunde und nachhaltige Produkte handelt. Die Bedeutung von Düften für Erinnerungen, Lebendigkeit, Dynamik, Glück und Wohlergehen sind dagegen unbestritten. Es braucht dafür keine künstlichen Verstärker – es genügen oft schon Zimt oder Kaffee, um Vergangenes innerlich lebendig werden zu lassen.

Die biologischen, sozialen und psychische Effekte von Mensch-Tier-Beziehungen sind hier ausführlich zusammengestellt. Sollten in Altenheimen keine selbst mitgebrachten Tiere erlaubt sein, empfiehlt Weichmann Therapietiere (Hunden, Katzen, Pferde, Alpakas etc.)

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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