Raimund Frey

Am Wasser gebaut: Kultur der neuen Sommerfrische

Bootshäuser 21.0

Bootshäuser sind heute ein Symbol für Lebenskunst, die Kunst des gelingenden Lebens, das inhaltsvoll und authentisch ist und zahlreiche Bedeutungen hervorbringt. Bei einem Bootshaus ist Nähe von Ferne umspielt. Wer dort Einzug hält, ist anwesend und gleichzeitig weit weg. Es zieht vor allem jene an, die das Draußensein suchen - aber gleichzeitig auch einen ruhenden Pol, einen stabilen Standpunkt in der Welt und in sich selbst.

Das Bootshaus gewährt gleichermaßen einen achtsamen Blick nach innen und nach außen. In der Krise – eigentlich ein Ausnahmezustand, der heute zum Dauerzustand geworden ist – erlebt es einen besonderen Boom. Dabei handelt es sich um keine Rückkehr, denn das Bootshaus verschwand ja nie - vielmehr geht es um eine neue Form seines Erscheinens, die zugleich Umrisse einer Kultur der Nachhaltigkeit sichtbar werden lässt. Sie ist geprägt von der Sehnsucht nach Gelassenheit und Entschleunigung, von der Suche nach Einfachheit, Gemeinschaft und Sinn.

Die Bootshäuser 2.0 sind allerdings keine leidlich zusammengezimmerten Holzverschläge mehr mit null Komfort, vielmehr passen sie gut zum ökologisch orientierten Architekturtrend. Es sind moderne Häuser, die wie gediegene Öko-Häuser aussehen: Sie haben eine Wohnküche, sind beheizbar, haben ein Bad, eine Terrasse und alle Annehmlichkeiten des Alltags. Der Trend geht zu besser ausgestatteten Bootshäusern aus Holz, die zugleich das Bedürfnis nach Natürlichkeit stillen. Viele Bootshäuser dienten vor Jahrzehnten lediglich der Anlieferung von Waren und waren nur eine „Herberge“ für Boote.

Sobald man diese Bootshäuser heute betritt, ist man in der „Sommerfrische“ – beispielsweise im Salzkammergut. Der Begriff hat hier zu jeder Jahreszeit Tradition und ist keineswegs veraltet. Der Ausdruck Sommerfrische verbreitete sich im 19. Jahrhundert. Im Wörterbuch der Brüder Grimm wird er definiert als „Erholungsaufenthalt der Städter auf dem Lande zur Sommerzeit“ oder „Landlust der Städter im Sommer“. Das Wort selbst soll dem Italienischen entstammen: „prendere il fresco“ (Kühlung nehmen). Bekannte österreichische Sommerfrischen waren das Salzkammergut, die Regionen um Semmering und Rax, das oststeirische Joglland. Der Wienerwald und das Kamptal galten und gelten als Wiener Naherholungsräume. Diese Regionen sind zum Teil Zentren des Sommertourismus geblieben.

Die neue Holzklasse

Auch wenn sich die Sommerfrische des Fin de Siècle über mehrere Monate erstreckte (für die, die es sich leisten konnten), so entsteht doch im modernen Bootshaus in St. Wolfgang der Eindruck, dass sich die Zeit dehnt und Tage zu Wochen oder Monaten werden. Sommerfrische statt Urlaub. Im oberen Stockwerk findet sich der große Wohn-Ess-Bereich, dem eine große Sonnenterrasse vorgelagert ist. Direkt vor den bodenhohen Fenstern kräuselt sich der Wolfgangsee. Enten und Dampfer ziehen vorbei. Und wenn man im Bett liegt, hört man, wie die Wellen gegen die Wände schwappen. Diese Atmosphäre inspiriert auch zahlreiche Künstler. Die neue „Holzklasse“ ist natürlich und nachhaltig, sie vermittelt den Bewohnern auch an weniger sonnigen Tagen Heimeligkeit und das Gefühl, unterwegs und zugleich angekommen zu sein.

Individualität als Megatrend ist längst auch in der Tourismusbranche angekommen: Viele Menschen wollen keinen Massentourismus mehr und in der Sommerfrische auch keine Konventionen befolgen, keine Kleiderordnung einhalten oder die Mahlzeiten nicht zu vorgeschrieben Zeiten einnehmen. Sie wollen sein wie sie sind. Und in Zeiten der Krise das Gefühl erleben, an einem Ort geborgen zu sein.

Warum Hausboote immer beliebter werden

Immer mehr Menschen wollen auf einem Boot leben – sie sind keine Aussteiger, sondern Einsteiger, die sich mit dieser Form des Wohnens auf das Wesentliche beschränken möchten. Am Wasser wollte Nicola Eisenschink auf einem Hausboot mitten in der Natur leben und einen Neuanfang wagen. Nachdem ihr Mann sie nach zwölf Jahren Ehe plötzlich verließ, beschloss die gelernte Journalistin, ihr Leben zu ändern, das zunächst so aussah: Studium der Germanistik, Philosophie und Publizistik, Ausbildung zur Fachkraft für Öffentlichkeitsarbeit und Werbung, Arbeit in verschiedenen Redaktionen und als Pressesprecherin. Schließlich wurde sie als Trauerrednerin bei einem Hamburger Bestattungsinstitut angestellt und machte sich 2014 selbständig. Mit ihren inzwischen drei Katzen lebt die Mittfünfzigerin auf einem Hausboot bei Hamburg, das sie auf den Namen „Lotte“ taufte:

„Es war dieser Moment, an dem die Sonne durch die graue Wolkendecke brach, sich im Wasser spiegelte und zitternde Lichtmuster an die Decke des Schiffs warf. In diesem Moment waren alle Zweifel über Bord gespült, in diesem Moment war ich mir ganz sicher: Ich will auf einem Hausboot leben.“

Die Idee hatte sie schon lange. Als sie mit ihrem Mann gesegelt war, fühlte sie sich an Bord so wohl, dass sie dies jeden Tag haben wollte. Im Sommer zieht ihr Hausboot viele Neugierige an: „Bei Stürmen muss ich immer aufpassen, damit mir nichts davonfliegt. Ich bin mittendrin im Sturm.“ Das liebt sie genauso wie das sanfte Schaukeln der „Lotte“, das Plätschern des Wassers, den weiten Blick und die Ruhe, sagt Nicola Eisenschink, deren Buch „Hausboot Lotte, Kater Emma und ich“ im April erschien.

Einsam hat sie sich noch nie auf dem Hausboot gefühlt. Den Wechsel der Jahreszeiten empfindet sie hier viel intensiver als an Land. Das Leben auf dem Boot hat sie stark gemacht: „Ich weiß jetzt, wie viel ich aushalten kann.“ Nahe am Wasser gebaut sein heißt auch, seine Stärken zu nutzen, um nicht unterzugehen im Wasser des Lebens.

Weitere Informationen:

Nicola Eisenschink: Hausboot Lotte, Kater Emma und ich. Eden Books Hamburg 2018.

Alexandra Hildebrandt: Urlaub. Das Gute in der Nähe finden. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2018.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

Artikelsammlung ansehen