Amazon: Der US-Riese pfeilt die Schweiz an. Aber anders, als man denken würde. - Foto: Unsplash/Bryan Angelo
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Amazon greift an: Was vom Schweiz-Aktivismus des US-Riesen zu halten ist

Was Amazon in der Schweiz jetzt will. Und was vielleicht später. Fünf Fragen, viereinhalb Antworten.

Die Dame zwitschert in höchsten Tönen: «Weltpremiere: Erste Veranstaltung für angehende Verkaufspartner aus der Schweiz». Was die deutsche Amazon-Exportmanagerin auf dem Karriere-Netzwerk Linkedin ankündigt, hat in Schweizer Medien zu einer Art Amazon-Lovestorm geführt.

«Kommt Amazon bald in die Schweiz?» fragetitelt «20 Minuten». Und der «Blick» labt sich am Droh-Szenario: «Konkurrenz für Digitec Galaxus: Kommt Amazon bald in die Schweiz»?

Die US-Dampfwalze des E-Commerce, die allein in Deutschland 20 Milliarden Umsatz macht, wirft Fragen auf. Was ist da los? Und wie soll man Amazons alpenländisches Antichambrieren deuten?

Fakt ist: Am 3. Mai wird sich Amazon in einer Veranstaltung im Zürcher Kongresshaus präsentieren. Das Unternehmen lädt zum «ersten exklusiven Schweizer Verkaufspartner-Event» und möchte den Schweizern «Möglichkeiten aufzeigen, wie Sie ihr Geschäft auf Amazon starten können». Ein physischer öffentlicher Touchdown in Switzerland – ungewöhnlich für den US-amerikanischen Koloss, der seine E-Commerce-Geschäfte hierzulande lieber möglichst geräuschlos und ohne Bühnenlicht betreibt.

Was steckt hinter diesem ungewöhnlichen Auftritt? Fünf Fragen und viereinhalb Antworten.

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1. Kommt Amazon jetzt in die Schweiz?

Falsche Frage. Amazon ist schon lange da. Einerseits physisch mit seiner Cloud-Sparte Amazon Web Services (AWS). Und andererseits auch im E-Commerce. Zwar nicht mit einer eigenen Logistik oder einer eigenen Lieferflotte. Und auch nicht aktiv mit einer eigenen Schweiz-Domain (selbst wenn die Web-Adresse Amazon.ch schon seit 1997 reserviert ist.)

Trotzdem ist Amazon im Schweizer E-Commerce eine grosse Hausnummer. Schon lange bestellen Schweizerinnen und Schweizer über Websites wie Amazon.de, Amazon.it und Amazon.fr. Und das nicht zu knapp: Gemäss Schätzungen der Winterthurer E-Commerce-Beratung Carpathia steht Amazon bezüglich Umsatz an dritter Stelle der grössten Web-Shops in der Schweiz.

Noch ist längst nicht alles aus dem Amazon-Sortiment verfügbar in der Schweiz. Trotzdem kommen hiesige Kundinnen und Kunden zum gewünschten Produkt. In solchen Fällen bestellen Schweizerinnen und Schweizer ihre gewünschten Artikel über Zwischenhändler wie Meineinkauf.ch oder sie lassen sich die Ware in einen der vielen Grenzpaket-Shops in Süddeutschland liefern.

2. Warum ist Amazon im E-Commerce nicht physisch präsent in der Schweiz?

Gute Frage. Ein ehemaliger langjähriger Amazon-Kadermann sagt dazu: «Wir hatten das Thema Schweiz immer mal wieder auf dem Tisch. Aber dann schienen uns andere Opportunitäten attraktiver.» Will heissen: Für einen E-Commerce-Riesen wie Amazon ist die Schweiz kein einfacher Fall. Kleiner Markt, verschiedene Sprachen, enge Räume, eigene Gesetzgebung. Da kann es für das US-amerikanische Unternehmen verheissungsvoller sein, einen anderen EU-Markt anzupacken, der zwar weniger kaufkräftig, dafür aber per Saldo einfacher zu erobern ist.

Zum Vergleich: Zalando trat zwar schon früh mit einer Schweiz-Webadresse an. Doch über lange Jahre machte der deutsche Online-Mode-Riese sein hiesiges Geschäft, ohne auch nur eine einzige Person auf Schweizer Boden zu haben. Erst mit der Übernahme des Zürcher Startups Fision im Jahr 2020 änderte sich das. Aktuell dürften etwa 40 Zalando-Angestellte aktiv sein in der Schweiz.

3. Worum geht es beim Schweizer Amazon-Event vom 3. Mai?

An diesem «ersten Schweizer Verkaufspartner-Event» will Amazon Schweizer Anbieter dafür gewinnen, ihr Geschäft auf Amazon zu starten. Eine Rolle spielt dabei auch das Amazon-Programm FBA, ausgedeutscht «Fulfillment by Amazon». Bei diesem Verfahren übernimmt Amazon Teile wie Lagerung, Logistik und Versand.

Klar wird es dabei auch darum gehen, dass Amazon engere Beziehungen zur Schweiz und zu Schweizer Händlerinnen und Händlern knüpfen kann. Das alleine – wie auch die Tatsache, dass auch die Schweizer Post am Anlass des 3. Mai vertreten sein wird – sehen Schweizer E-Commerce-Profis noch nicht als Bedrohung des hiesigen E-Commerce-Marktes.

Beim Platzhirschen Galaxus zittert man jedenfalls nicht. Selbst im Wissen darum, dass Händler, die heute auf dem Galaxus-Marktplatz aktiv sind, an keine Exklusiv-Garantien gebunden sind. Will heissen: Wer anbeisst am 3. Mai, könnte seine Produkte also über Amazon oder den Amazon-Marktplatz nicht nur ins Ausland, sondern auch in der Schweiz distribuieren. Auch das könnte im Interesse von Amazon liegen, das sich an dem – längst ausgebuchten – Schweizer Anlass zeigen wird. Mit «ausgewählten Führungskräften von Amazon» und dem «Schweizer Amazon Team».

4. Wozu hat Amazon ein Schweiz-Team?

Interessantes Thema. Zumal viele hiesige E-Commerce-Profis zuvor noch nie von einem Schweizer Amazon-Team gehört hatten. Tatsache ist: Auf dem Karriere-Netzwerk LinkedIn zeigt sich ein gewisser Giovanni Schiesari als «Country Leader Switzerland Amazon». Der Mann sitzt aber nicht in Meilen ZH oder Mägenwil AG – sondern in Milano. Schiesari hat einen beruflichen Background in der Welt der Mode (Gucci), im Private-Equity-Bereich und im Banking (Merrill Lynch).

Was Amazon-Giovanni, er ist seit März 2022 auf dieser Position, genau vor hat, wie lange es das Schweizer Team schon gibt, wie gross es ist und was dessen Aufgabe ist – dazu will das Unternehmen nichts sagen. Ein Amazon-Sprecher sagt zur «Handelszeitung» dies: Wir haben ein internationales Export-Team, das an der Verbesserung der Customer Experience unserer internationalen Amazon Stores arbeitet und Verkaufspartnern dabei hilft, ihre Präsenz bei Amazon auf- und auszubauen und international mehr Kundinnen und Kunden zu erreichen.» Das wars auch schon in Sachen Amazons Schweizer Equipe.

5. Was könnten die weiteren Pläne von Amazon in der Schweiz sein?

Dazu eine halbe Antwort, weil alles andere pure Spekulation wäre. Wenn sich die Schweizer Erfahrungen für Amazon lohnen, wenn man hierzulande neben der Kundenbasis auch eine starke Lieferanten-Basis aufbaut, könnte mehr drinliegen. Wenn ab 2024 Industriezölle wegfallen, soll der Import von Gütern aller Art in die Schweiz günstiger werden.

Das könnte für Amazon Ansporn sein, grössere Teile des Sortiments für die Schweiz verfügbar zu machen. Und zwar nicht nur aus dem eigenen Angebot, sondern auch aus dem Sortiment des riesigen Marktplatzes, der von externen Händlern und Lieferanten gespiesen wird. Aber auch in diesem Szenario ist es weiterhin eher schwach denkbar, dass sich Amazon tatsächlich physisch in der Schweiz engagieren wird.

Warum auch? Bisher schon war die Schweiz eigentlich ein Traumland für Amazon: Wenig Aufwand, wenig Ärger, wenig Schweizer Lohnkosten – und doch fast bald eine Milliarde Franken Umsatz beisammen. Händler-Herz, was willst Du mehr?

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