Ans Eingemachte gehen: Was wir tun können, um künftig weniger Lebensmittel zu verschwenden
Wie aus Nahrung Abfall wird
Täglich landen Tonnen von Nahrungsmitteln auf dem Müll, obwohl sie noch völlig in Ordnung und genießbar sind. Nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen werden weltweit jedes Jahr ein Drittel aller zum Verzehr bestimmten Lebensmittel weggeworfen - insgesamt 1,3 Milliarden Tonnen. Andere Schätzungen kommen sogar auf bis zu 50 Prozent aller produzierten Lebensmittel. Gleichzeitig gibt es aber weltweit rund 870 Millionen unterernährte Menschen. Die Anzahl derer, die sich eine gesunde Ernährung nicht leisten können, steigt stetig. Der Sozialwissenschaftler David Evans, Research Fellow am Lehrstuhl für Nachhaltigen Verbrauch an der University of Manchester, widmet sich in seinem Buch „Verschwendung. Wie aus Nahrung Abfall wird“ Prozessen im Kreislauf der Nahrungsproduktion und der allgegenwärtigen Verschwendung von Nahrungsmitteln durch uns Konsumenten. Es geht buchstäblich ans „Eingemachte“.
David Evans zeigt, wie Verschwendung zum festen Bestandteil des modernen Alltags geworden ist, warum überschüssiges Essen überhaupt in der Tonne landet, und welche nachhaltigen Ansätze es gibt, mit wenig Aufwand diese Probleme zu lösen. Dazu hat er ganz normale Menschen daheim besucht und an ihrem Leben teilgenommen.
Alles im Eimer
Evans stellte fest, dass das routinemäßige Einkaufen überschüssiger Nahrung nicht einfach auf Fragen der Auswahl von Lebensmitteln und verantwortungsloses Verbraucherverhalten reduziert werden kann. Auch der Abfalleimer spielt eine wichtige Rolle. Es lohnt nebenbei auch ein Blick auf die Geschichte und Legenden der Handwerksbetriebe dahinter: 1932 gewann der Däne Holger Nielsen in der Lotterie ein Automobil. Er verkaufte es, um sich mit dem Geld eine Metallplatte anzuschaffen und eine kleine Werkstatt zu betreiben. Seine Frau benötigte 1939 für ihren Friseursalon einen zuverlässigen Abfallkübel. es entstand der „Tret- und Angelpunkt“ seiner Firma Vipp. Im Laufe der Jahre änderten sich zwar Farben und Größen, doch in seinen Grundzügen entsprach der „Vipp Bin“ immer den ersten Entwürfen aus Stahl, mit luftdichtem Deckel und Tretpedal. „Der nicht preiswerte Funktionskübel wurde im Lauf der Zeit zum Statussymbol der privaten Abfallentsorgung“ (Max Scharnigg).
1911 wurde die Marke Wesco, die sich 1867 aus einer Klempnerei und einem Betrieb zur Herstellung von Blechen für Haushaltswaren entwickelte, angemeldet und der erste Ascheimer hergestellt. Während des Zweiten Weltkriegs beschäftigte das Unternehmen Zwangsarbeiter, die im Jahr 2000 eine Entschädigung erhielten. In der Nachkriegszeit wurden hier Radiatoren hergestellt. Der dem Abflauen des Baubooms gerät Wesco in die Krise. Der Ökonom Egbert Neuhaus trat 1980 auf Wunsch seines Vaters in das Unternehmen ein (1990 wurde er dessen Chef), das dieser 1976 aus der Insolvenz übernommen hatte. Dem Sohn fiel als Austauschschüler in Texas die großen amerikanischen Mülleimer auf. Sein Plan war, diese in besserer Qualität für den deutschen Markt herzustellen – die Investition zahlte sich aus: Der „Pushboy“ wurde zum Bestseller und hat sich bis zum Jahr 2017 etwa 1,2 Millionen Mal verkauft. Ein profaner Gegenstand wurde von den Sauerländern zugleich in ein Designobjekt im amerikanischen Retrostil verwandelt. 1991 wurde eine Tochterfirma im Erzgebirge mit einer hochmodernen Produktion gegründet.
Der Umwelt dient auch eine Erfindung von Nikolaos Baltsios und Moritz Pfeifer, deren Unternehmen Binando aus Stuttgart Sensoren entwickelt hat, welche die Füllstände von Abfallbehältern messen. Auf diese Weise können Entsorgungsunternehmen ihre Routen optimieren, indem sie nur noch Container anfahren, die wirklich voll sind.
Eine ebenso wichtige Rolle wie der Abfalleimer spielt „die einzigartige Stofflichkeit von Lebensmitteln und die Art und Weise, wie diese Elemente ganz allgemein mit der materiellen Kultur des Haushalts in Einklang stehen“: Ein Haushalt kann das, was er als Abfall definiert, in einem Abfalleimer platzieren, doch dann übernimmt die öffentliche Abfallwirtschaft die Verantwortung dafür.
Es ist keinesfalls damit getan, sich nur um die Privathaushalte zu kümmern
Die Abfallforschung muss sich damit auseinandersetzen, welche anderen Faktoren und Akteure zur Lebensmittelverschwendung beitragen. Das Fazit von David Evans: „Vor allem muss sie sich mit den Verbindungen beschäftigen, die zwischen den einzelnen Faktoren bestehen. Erst dann werden wir wissen, welche kulturellen und wirtschaftlichen Prozesse uns in Zukunft helfen können, weniger Lebensmittel zu verschwenden.“
Nachhaltige Kreisläufe messen sich an Vernunft, Klugheit und gesellschaftlichen Fundamenten, die sich als tragfähig erweisen. Intelligente Technologien verändern die Wirtschaft und stellen bisherige Ansätze auf den Kopf, sagt Henning Banthien, Chef des IFOK-Instituts. Im Auftrag des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) erstellte er die 2017 vorgestellte Studie „Industrie 4.0 und Nachhaltigkeit: Chancen und Risiken für die Nachhaltige Entwicklung“. Banthien beschäftigte sich darin besonders mit der Kreislaufwirtschaft: Sie habe in der deutschen Umweltpolitik zwar schon immer eine Rolle gespielt, ist aber heute von besonderer Relevanz. Es liegt darüber hinaus auch im Interesse der Wirtschaft selbst, wenn künftig kaum noch von Abfall die Rede wäre.
Die Unternehmensberatung Accenture Strategy schätzt, dass die „Circular Economy“ bis zum Jahr 2030 global rund 4,5 Billionen US-Dollar zusätzliche Wirtschaftsleistung bringen könne (Stand: 2017). Deren Abfallexperten gehen davon aus, dass ohne eine kluge Kreislaufwirtschaft im Jahr 2030 zwischen dem Angebot und der Nachfrage natürlicher Ressourcen eine Lücke klaffen würde – und mehr als sieben Milliarden Tonnen an Rohstoffen wie Metallen, Mineralien, fossilen Brennstoffen und Holz fehlen.
Weiterführende Literatur:
Jens Bergmann: Vom Ascheimer zur Abfall-Rakete. In: brand eins 12 (2017), S. 12.
David Evans: Verschwendung. Wie aus Nahrung Abfall wird. Theiss Verlag – WBG. Darmstadt 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen von Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Max Scharnigg: Der Kult-Kübel. In: Süddeutsche zeitung (10./11.8.2019), S. 58.