Arbeiten, wo andere Urlaub machen: So verlegen Sie Ihr Homeoffice an den Strand
Thailand und andere Staaten werben um Remote Worker – attraktiv auch für deutsche Angestellte. Einige Regeln gilt es beim Arbeiten vom Strand aus allerdings zu beachten.
Koh Phangan. Frühmorgens, wenn die Sonne noch hinter den Hügeln steckt und die Touristen noch schlafen, sitzt Philipp Georges schon auf seiner Terrasse und meditiert. Die Palmenblätter rascheln im Wind, Zikaden surren, und ein Kuckuck meldet sich aus dem Dschungel. Bevor er mit seinem Arbeitstag loslegt, lässt Georges seinen Blick über die spektakuläre Bucht Haad Yao mit ihrem ein Kilometer langen Sandstrand schweifen.
Es ist ein deutlicher Kontrast zu seinem früheren Alltag. Noch Anfang 2021 lebte Georges in Berlin. Es war ein dunkler und regnerischer Winter mitten im Corona-Lockdown. Für den inzwischen 47-Jährigen die Zeit für einen Neuanfang.
Er zog auf die Insel Koh Phangan im Golf von Thailand, brachte zwei Koffer mit und seinen Job als Programmierer. Bei seinen Kollegen in Deutschland ist es wegen der Zeitverschiebung noch mitten in der Nacht, als er bereits vor seinen zwei Bildschirmen sitzt. „Ich genieße die Ruhe hier“, sagt er. „Ich fühle mich weniger gestresst und deutlich zufriedener.“
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Der Wunsch von Beschäftigten wie Georges, ihr Homeoffice an tropische Traumstände zu verlegen, weckt in seinem Gastland große Hoffnungen: Bereits seit Jahren pilgern sogenannte digitale Nomaden – meistens freiberufliche Einzelkämpfer – in das südostasiatische Land, um von dort aus ihre Arbeit bei angenehmem Wetter und geringen Lebenshaltungskosten zu erledigen.
Mit der Pandemie entwickelte sich Remote-Arbeit zu einem Massenphänomen. Viele Unternehmen gerade in Deutschland behalten die liberalen Homeoffice-Regelungen aus der Lockdown-Zeit ganz oder teilweise bei – das soll die Angestellten zufriedener machen und in vielen Fällen auch Bürokosten sparen. Doch selbst wenn der Arbeitgeber mitspielt: Für deutsche Angestellte gilt es einige Regeln zu beachten, damit der Traum vom Arbeiten aus der Ferne funktioniert.
Nicht nur Thailand wirbt mit attraktiven Bedingungen um sonnenhungrige Remote Worker. Unter Reisedestinationen ist inzwischen ein globaler Standortwettbewerb um diese Klientel ausgebrochen. Mehr als 25 Staaten – darunter Estland, Malta, Bermuda, Costa Rica und Griechenland – haben nach Daten der US-Denkfabrik Migration Policy Institute seit Pandemiebeginn spezielle Visa für Remote-Arbeiter eingeführt.
Steuerfreies Bali-Visum für Remote-Arbeiter
Indonesien will in Kürze ein fünfjähriges Digitale-Nomaden-Visum anbieten, das besonders auf die bei Urlaubern beliebte Insel Bali abzielt und sogar Steuerfreiheit garantieren soll.
Mit seinen vor der Pandemie rund 40 Millionen Besuchern im Jahr ist Thailand aber mit Abstand das größte Tourismusland, das die Remote-Arbeit als neue Einkommensquelle erschließen möchte – und damit auch einen Ausgleich für das immer noch schwächelnde Urlaubsgeschäft schaffen will.
Den Startschuss für den Versuch Thailands, sich als paradiesischer Homeoffice-Standort für den Rest der Welt zu etablieren, gibt die unscheinbar daherkommende Verordnung 124 des Innenministeriums, die Anfang des Monats im Gesetzesblatt veröffentlicht wurde. Remote-Arbeiter bekommen erstmals ihre eigene Visumskategorie und eine Reihe von Vergünstigungen unter dem Namen „Work-from-Thailand Professionals“.
Visa für Remote Worker
Für das Urlaubsland ist das ein großer Schritt: Als Touristen waren Ausländer über Jahrzehnte gern gesehene Gäste. Wer in dem Land aber arbeiten wollte, stand vor enormen Hürden. Zu groß war die Angst, die Zugezogenen könnten den Inländern den Job wegnehmen. Die digitalen Nomaden lebten deshalb bisher in der Regel in einer rechtlichen Grauzone – mit Touristen- und Studentenvisa und ohne Arbeitserlaubnis.
Mit dem „Work-from-Thailand“-Visum, das ab 1. September beantragt werden kann, bieten die Behörden nun bestimmten Personengruppen erstmals eine Möglichkeit, die rechtliche Unsicherheit zu beenden. „Die Regierung hat verstanden, was auf dem Spiel steht“, sagt Elie Assuied, der auf Koh Phangan mehrere Coworking-Flächen betreibt.
Der aus Frankreich stammende Unternehmer war einer der Ersten, die das Potenzial von Remote-Arbeitern für die Insel erkannt haben. Inzwischen hat seine Firma Remote & Digital drei Standorte – inklusive spezieller Räume für Zoom-Konferenzen und eines Podcast-Studios.
Mit seinen Investitionen trug Assuied dazu bei, dass seine Wahlheimat, die früher in erster Linie für exzessive Partys und Yogaschulen bekannt war, inzwischen zu einer der beliebtesten Remote-Working-Destinationen Asiens geworden ist.
An der Westküste der Insel, an der sich die meisten Langzeitgäste angesiedelt haben, bieten inzwischen sogar einfache Garküchen kostenloses WLAN. Junge Frauen sitzen unter Strohdächern und tippen in ihre Macbooks. Hotels werben mit Downloadgeschwindigkeiten von 300 Megabit pro Sekunde – fast dreimal so schnell wie der deutsche Durchschnitt.
Eine Analyse des internationalen Krankenversicherers William Russell listet Koh Phangan als den weltweit besten Ort für sogenannte Workations – also für Mischformen aus Arbeit und Urlaub.
Lebenshaltungskosten geringer als in Deutschland
Die vergleichsweise niedrigen Kosten sind dabei ein zentrales Kriterium. „Ich zahle hier für mein Leben halb so viel wie in Berlin“, sagt Georges. Mit 50.000 Baht im Monat – umgerechnet rund 1350 Euro – komme man gut über die Runden. Für seine zwei Bungalows – einen zum Schlafen und einen zum Arbeiten – liegt die Miete bei rund 650 Euro. Wenn er gelegentlich zum Mittagessen eine vegane „Healthy Bowl“ in einem von Assuieds Coworking-Spaces bestellt, kostet das 6,50 Euro.
Der Betreiber rechnet mit einem massiven Nachfrageschub für sein Angebot. Assuied lehnt auf einem Kissen in einem strahlend weißen Pavillon und trinkt schwarzen Kaffee aus einem Glas. Vor ihm liegt das hellblaue, wellenlose Meer mit der Nachbarinsel Koh Samui am Horizont. „Immer mehr Angestellten wird klar werden: Sie können auch an Orten leben, an denen es immer schön und das Leben günstig ist.“
Die neue Visumskategorie in Thailand zielt dabei ausdrücklich nicht auf Freiberufler, sondern auf Beschäftigte größerer Unternehmen. Die Arbeitgeber müssen laut den Visumsanforderungen entweder börsennotiert sein oder in den vergangenen drei Jahren einen Umsatz von insgesamt mindestens 150 Millionen Dollar erwirtschaftet haben.
Die Angestellten wiederum benötigen ein Mindesteinkommen von 40.000 Dollar im Jahr, wenn sie über einen Master-Abschluss verfügen, oder 80.000 Dollar ohne Abschluss. Gleichzeitig ist eine Krankenversicherung mit einer Deckungssumme von mindestens 50.000 Dollar nötig. Den erfolgreichen Antragstellern winkt ein Visum über zehn Jahre, eine Arbeitserlaubnis und eine Vorzugsbehandlung bei Ein- und Ausreisen am Flughafen.
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Für digitale Nomaden ohne Anstellungsverhältnis ist das neue Visum keine Option – viele von ihnen bleiben damit vorerst im rechtlichen Graubereich. Dennoch ist der Optimismus groß: „Die Situation ist noch nicht perfekt“, sagt Assuied. „Aber sie wird spürbar besser.“
Remote Arbeiten mithilfe eines Dienstleisters
Rechtlich saubere Optionen für das Homeoffice in Thailand gibt es aber auch für Personen, die die Kriterien für das neue „Work from Thailand“-Visum nicht erfüllen. Eine solche Möglichkeit hat Yannick Haupenthal genutzt, der für den Berliner Kommunikationsdienstleister Familie Redlich als IT-Systemadministrator arbeitet.
Vor einem Jahr verlegte Haupenthal seinen Heimarbeitsplatz mit Unterstützung seiner Vorgesetzten für zwölf Monate von Berlin nach Thailand. Er startete auf Koh Phangan und begab sich dann auf Rundreise.
Entstanden ist dabei eine lange Liste an Erlebnissen: Bootstouren um die Inselwelten, Wandern in den Bergen, Tauchen, ein Besuch im Elefantencamp und ein Abstecher nach Malaysia, listet Haupenthal auf. „Als es in Deutschland im Winter megakalt war, habe ich am Pool gechillt“, erzählt der 34-Jährige. Und, ja, gearbeitet habe er natürlich auch – meistens von nachmittags bis spätabends, um während der Bürozeiten in Deutschland erreichbar zu sein.
Umgesetzt hat Haupenthals Arbeitgeber Familie Redlich den Auslandsaufenthalt mithrilfe des lokalen Dienstleisters Work Paradise, der sich darauf spezialisiert hat, angestellten Remote-Arbeitern den temporären Einsatz in Thailand zu erleichtern.
Das Modell des Anbieters ist eine Art berufliche Dreiecksbeziehung: Arbeitnehmer, die es in die Tropen zieht, pausieren den Vertrag mit ihrem Arbeitgeber – und erhalten dafür einen thailändischen Arbeitsvertrag, in dem Work Paradise als neuer Arbeitgeber auftritt. Der Dienstleister besorgt dafür Arbeitsvisa, führt Steuern und Abgaben nach lokalem Recht ab, arrangiert eine Krankenversicherung und hilft bei der Wohnungs- und Bürosuche.
Vom ursprünglichen Arbeitgeber erhält Work Paradise das Bruttogehalt und die Lohnnebenkosten des jeweiligen Beschäftigten überwiesen – und zahlt den Remote-Arbeitern das gleiche Nettogehalt aus, das sie auch in der Heimat hatten. Mit der Differenz finanziert sich der Anbieter.
Familie Redlich hat bereits drei Angestellte mit diesem Modell nach Thailand geschickt. „Wir wollen uns von der Konkurrenz am Arbeitsmarkt absetzen, indem wir als Arbeitgeber auch Wünsche ermöglichen, die nicht Standard sind“, sagt Prokurist Thomas Schöne, der das Thailand-Projekt angestoßen hat. „Unsere Erfahrungen damit sind durchweg positiv.“
Die Produktivität habe nicht gelitten – eher im Gegenteil. Ein Kollege, dem das frühe Aufstehen in Deutschland schwerfiel, könne sich in Thailand viel besser nach seiner biologischen Uhr richten, weil er mit fünf Stunden Zeitvorsprung erst in der zweiten Tageshälfte loslegen müsse.
Diesen Nachteil hat das Arbeiten in Thailand
Einen Nachteil hat das Remote-Auslandsjahr in diesem Konzept jedoch für die Rentenansprüche. Weil die deutsche Sozialversicherung pausiert wird, kommt es zu einer Lücke bei den Beitragszeiten. Yannick Haupenthal will diese schließen, indem er die fehlenden Beiträge freiwillig einzahlt.
Im Rahmen einer klassischen Entsendung ist es für Remote Worker aber durchaus auch möglich, dass die Sozialversicherung in Deutschland trotz des Auslandsaufenthalts bestehen bleibt. Normalerweise erfolgen Entsendungen zwar auf Wunsch des Arbeitsgebers.
Nach Einschätzung des GKV-Spitzenverbandes kann aber auch eine Entsendung vorliegen, wenn diese vom Arbeitnehmer initiiert wird. Wichtig sei jedoch, dass die Entsendung der gesetzlichen Krankenversicherung gemeldet werde, sagt Gabriele Kania, Rechtsanwältin bei der auf Arbeitsrecht spezialisierten Kölner Kanzlei Seitz.
Zudem dürfe das Arbeitsverhältnis in Deutschland nicht ruhend gestellt werden, Löhne müssten wie bisher weiter bezahlt und der Arbeitnehmer muss in den Betrieb organisatorisch eingegliedert bleiben. Zwingend für einen Fortbestand der Sozialversicherungspflicht in Deutschland sei auch, dass der Auslandseinsatz von vornherein zeitlich begrenzt ist.
Innerhalb der EU dürfen Entsendungen maximal 24 Monate dauern, damit die Sozialversicherung in Deutschland weiterbestehen kann. In anderen Staaten kann sich die Maximaldauer aus den Sozialversicherungsabkommen ergeben, die diese Länder mit Deutschland geschlossen haben.
Zwischen Deutschland und Thailand gibt es kein solches Abkommen. In diesem Fall ist auch keine Höchstdauer des Aufenthalts festgesetzt. Das Fehlen eines Abkommens bedeutet aber unter Umständen, dass in beiden Ländern Sozialversicherungsabgaben geleistet werden müssen. Es kann also zu einer doppelten Belastung kommen.
Steuerliche Vorteile sind möglich
Steuerlich sind jedoch Vorteile möglich: Ab einem halben Jahr Aufenthalt werden Remote-Arbeiter in Thailand steuerpflichtig, wobei ein Spitzensteuersatz von maximal 35 Prozent fällig wird. Ein Doppelbesteuerungsabkommen verhindert zudem, dass in Deutschland und Thailand zweimal gezahlt werden muss. „Zudem können Auslandseinkünfte, wie etwa Kapitalerträge, unter Umständen komplett steuerfrei bleiben“, erklärt Martin Liebenow, der bei der Prüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Mazars in Bangkok für deutsche Mandanten zuständig ist.
Für Programmierer Georges, der sein Arbeitsvisum auch über Work Paradise erhalten hat, spielen Fragen von Steueroptimierung und Rentenansprüchen nur eine untergeordnete Rolle. „Wer hundertprozentigen sozialen Schutz will, für den ist der Umzug nach Thailand wohl eher nichts“, sagt er mit Blick auf seine eigene Altersvorsorge.
Statt weiter in das deutsche Rentensystem einzuzahlen, spiele er mit dem Gedanken, in Thailand Immobilien zu kaufen. Freiheit und Flexibilität hätten für ihn Priorität, sagt er. Dann knattert er mit seiner umgebauten Honda vom Coworking-Space über die Hügel von Koh Phangan nach Hause. Mit gewissen Risiken kann er offenbar leben. Auf einen Helm verzichtet Georges bei seiner Motorradfahrt.
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