Arbeitsmarkt: „Die Diskrepanz von Erwartungen zur Realität ist am Maximalpunkt angelangt"
Die Stimmung am Arbeitsmarkt ist angespannt, Jobs gibt es längst nicht mehr wie Sand am Meer – auch Akademiker spüren den Druck, besonders in einer Branche.
Lange Zeit galt der Arbeitsmarkt für Akademiker als sehr stabil. Sie konnten sich aus einem großen Pool an Angeboten einen Job aussuchen und hatten gute Chancen auf ein hohes Einstiegsgehalt. Doch die Schwächephase der deutschen Wirtschaft hält weiterhin an. Unternehmen bauen Stellen ab, manche melden gar Insolvenz an. Die Jobsuche wird dadurch schwieriger – auch für Hochschulabsolventen.
2024 gab es 290.000 erwerbslose Akademiker. Unter Hochqualifizierten ist die Arbeitslosigkeit zuletzt fast dreimal stärker angestiegen als insgesamt. Die neuesten Arbeitsmarktdaten der Bundesagentur für Arbeit zeigen: In Berufen, die primär von Akademikern ausgeübt werden, kühlt sich die Arbeitskräftenachfrage massiv ab.
Mit Blick auf die Daten zieht Enzo Weber, Arbeitsmarktforscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), eine gemischte Bilanz – und mahnt zur Vorsicht bei der Interpretation: Zwar sei die Erwerbslosigkeit unter Akademikern und unter jungen Menschen zuletzt relativ stark angestiegen – stärker als im Bevölkerungsdurchschnitt. Allerdings ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau. „Für eine Panik unter Hochschulabsolventen gibt es aktuell sicher keinen Grund“, sagt Weber.
Holger Schäfer, Arbeitsmarktökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), sieht das ähnlich: „Es gibt Hinweise darauf, dass die nachlassende Nachfrage nach Arbeitskräften durch die wirtschaftliche Krise besonders Betriebe betrifft, in denen Akademiker stark vertreten sind.“ Und weist auf einen weiteren Aspekt hin: „Allerdings sehen wir, dass die Anzahl der offenen Stellen nicht zurückgegangen ist, sondern dass es viele Missmatches gibt.“ Das heißt, dass es zwar genügend Stellen gebe, diese allerdings nicht unbedingt mit den Arbeitsuchenden zusammenpassen.
IT-Fachkräfte stehen vor mehreren Herausforderungen
Studierende, die jetzt vor dem Berufseinstieg stehen, seien von der Erwerbslosigkeit unter den Akademikern besonders betroffen. Denn: Die wirtschaftliche Stagnation zieht sich zuweilen zu lange. Während zu Beginn der Krise noch viele Arbeitskräfte eingestellt wurden, in der Hoffnung, dass der Aufschwung bald kommt, lässt das Wirtschaftswachstum weiterhin auf sich warten.
Primär spiegelt sich der Trend in einer Branche wider: „Bei IT-Fachkräften beobachten wir einen überproportionalen Anstieg der Arbeitslosigkeit bei einem gleichzeitig überproportionalen Rückgang der offenen Stellen“, beschreibt Schäfer. Unter den Informatikern gibt es demnach nicht nur eine steigende Anzahl an Arbeitssuchenden, sondern Unternehmen stellen zeitgleich auch weniger Menschen ein.
Das zeigt auch eine aktuelle Auswertung des Jobportals Indeed. In den Kategorien Softwareentwicklung und IT-Support und IT-Infrastruktur hat sich die Anzahl an ausgeschriebenen Stellen um knapp 28 Prozent und 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verringert. In keinem anderen Bereich ist die Anzahl so stark in den vergangenen zwölf Monaten zurückgegangen. Doch woran liegt das?
Lucas Fischer ist Managing Director bei der Personalvermittlung CTG Consulting. Er kennt den Arbeitsmarkt für Informatiker daher genau. „In Vergleich zu den Hochzeiten von 2021 und 2022 kühlt sich der Arbeitsmarkt für IT-Hochschulabsolventen ab. Es gibt mittlerweile eine sehr viel stärkere Selektion in der Nachfrage“, sagt er. Denn neben der wirtschaftlichen Lage spielt noch ein weiterer Aspekt eine Rolle bei der derzeitigen Entwicklung am Arbeitsmarkt: Künstliche Intelligenz.
Es braucht Spezialisten statt Generalisten
Durch den Fortschritt im Bereich der KI werden generische Positionen in Unternehmen überflüssig. „Heutzutage reicht es nicht mehr, etwas mit IT studiert zu haben, sondern es ist selektiver geworden – es braucht eine Spezialisierung“, sagt der Recruiter.
Vor allem das Profil des Junior-Developers sei stark rückgängig. Stattdessen sei die Nachfrage in den Bereichen Cloud-Infrastruktur, Data Engineering und Cyber Security fortlaufend hoch. „Es zeigt sich derzeit, dass eine KI mehrere Junior-Entwickler ersetzen kann. Ein Entwickler, der KI sinnvoll einsetzen kann, schafft heute deutlich mehr, als es vorher im Entwicklungsteam der Fall war“, erläutert Fischer.
Deshalb sei es wichtig, dass Studierende sich während ihrer Unizeit Gedanken um einen Schwerpunkt machen. Wichtig ist dabei nicht nur die reine Theorie, sondern auch genügend praktische Erfahrungen durch Nebenjobs oder Praktika.
Zudem sollten viele Studierende ihre Ansprüche an den ersten Job herunterschrauben. „Die Diskrepanz von Erwartungen zur Realität ist am Maximalpunkt angelangt. Es wurde die Erwartung geweckt, dass Einstiegsgehälter bei 60.000 bis 65.000 Euro liegen“, sagt der Recruiter. Zwar gebe es diese noch vereinzelt, aber die Regel sind sie nicht.
Längere Arbeitslosigkeit
Nicht nur die Anzahl an erwerbslosen Akademikern ist gestiegen, sondern auch die Dauer der Arbeitslosigkeit hat sich erhöht. Zwar finden sie immer noch schneller einen Job als die breite Gesellschaft. Jedoch suchen mehr als die Hälfte länger als drei Monate. Nur 63 Prozent der Akademiker haben innerhalb von 12 Monaten einen Job gefunden.
Eine lange Arbeitssuche hat vor allem für frische Absolventen Folgen. „Es ist generell schwierig, wenn der Einstieg in den Arbeitsmarkt nicht gelingt. Denn dann drohen die Kenntnisse, Fähigkeiten und das Humankapital zu erodieren“, warnt Arbeitsmarktökonom Schäfer. Auf lange Sicht kann das auch Auswirkungen auf das Gehalt haben. So könnten Menschen, die länger als sechs Monate beschäftigungslos sind, langfristig Gehaltseinbußen erleiden.
Aus dem Grund sollten junge Bewerber ihre Erwartungen an den Job nicht zu hoch ansetzen. Bei Gehalt und auch bei der Arbeitszeit müssen Hochschulabsolventen mit Abstrichen rechnen. Am besten sollten sich Bewerbende deshalb im Vorfeld über den Arbeitsmarkt informieren, um einen Überblick über ihre Möglichkeiten zu erhalten.
Dass sich der Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren wieder entspannen wird, da sind sich die Experten sicher. Denn mit dem Renteneintritt der Babyboomer können nicht alle Stellen mit Arbeitskräften besetzt werden. „Der Arbeitsmarkt befindet sich nicht in einer Dauerkrise. Die mangelnde Nachfrage ist auf die konjunkturelle Delle zurückzuführen. Sobald sich die Wirtschaft jedoch erholt hat, wird der Arbeitskräftebedarf wieder steigen“, erläutert IW-Experte Schäfer.
Recruiter Fischer ist weniger zuversichtlich für die IT-Branche. Er glaubt, in der Branche wird es weiterhin schwierig. Auch aufgrund der schnellen Entwicklung von KI.
