Arbeitsmarkt für Ü50: „Weiterbildung statt Vorruhestand“?
Mit 50 zu alt für den Arbeitsmarkt? Vor 20 Jahren war das noch so, durch Fachkräftemangel und demografische Entwicklungen hat sich das aber schon längst geändert. Berufliche Updates, Lernen und Weiterbildung werden damit auch für die „lebenserfahrenen“ Beschäftigten immer wichtiger.
Als ich vor fast 20 Jahren in meinem jetzigen Job startete, durfte ich mit meinen gerade 35 Jahren gleich ein Projekt leiten: „50 Plus – Integration durch Erfahrung“ hieß es. Es ging darum, älteren arbeitslosen Akademikerinnen und Akademikern mithilfe von Weiterbildung und Praxisprojekt den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt zu ermöglichen. An diesem Programm nahmen unter anderem teil: ein Physiker, zwei Kraftwerksingenieure, eine Medizinerin, mehrere Bauingenieure, eine Sozialarbeiterin, ein Personalleiter, eine Marketingexpertin und viele andere. Spezielle 50-plus-Projekte waren en vogue, denn Ältere waren am Arbeitsmarkt überhaupt nicht mehr erwünscht.
Die Arbeitswelt vor 20 Jahren war eine ganz andere als heute: Wer seinerzeit über 50 Jahre alt war, glaubte in der Regel selbst oft: „Mit Fünfzig bin ich zu alt für den Arbeitsmarkt!“. Wer Ü50 war, ging bei Energieversorgern oder Stahlkonzernen in den bitter versüßten Vorruhestand – Rente mit 50! Wer mit Ü50 jobsuchend bei der Agentur für Arbeit nach einer Weiterbildung fragte, wurde bestenfalls belächelt.
Ü50 und der Fachkräftemangel
Und heute? Fachkräftemangel und demografischer Wandel zeigen Wirkung. Jetzt, nur 20 Jahre später, bin ich längst selbst über 50, die Arbeitswelt hat sich mehrfach gedreht, die Erwerbsquote von Ü50-Fachkräften hat sich massiv erhöht und soll sich aus demografischer Notwendigkeit weiter erhöhen. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, argumentierte daher kürzlich folgendermaßen:
Die regelmäßige Weiterbildung von Beschäftigten wird zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor für Unternehmen, wenn es darum geht, Transformationsprozesse gut zu meistern. […] Beschäftigte in den Vorruhestand zu schicken, weil sich das Berufsbild verändert habe, ist jedenfalls angesichts der Personalknappheit keine gute Idee.Andrea Nahles, Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit
So unterstützt die Arbeitsagentur heutzutage mit ihrem Bildungsgutschein längst auch ältere Arbeitslose, aber nicht nur die: Mit großer Aktivität wendet sie sich längst an Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen, um auch Weiterbildungen während der Beschäftigung zu unterstützen.
Demografischer Wandel – Erwerbspersonen-Schwund
Der demografische Wandel lässt allenthalben grüßen. Das Statistische Bundesamt hat ein Worst-Case-Szenario berechnet, nachdem ohne nennenswerte Zuwanderung und ohne Erhöhung der Erwerbsquoten die Zahl der Arbeitskräfte von zurzeit 43 Millionen in den nächsten Jahrzehnten um bis zu 30 Prozent auf unter 30 Millionen Personen sinken könnte. Die „Erwerbspersonenvorausberechnung“ bis 2060 ist eine spannende Lektüre. Sie rechnet in den „optimistischeren“ Szenarien mit einer erhöhten Erwerbsbeteiligung – gerade auch der Älteren – und käme so im Best Case noch auf über 40 Millionen Erwerbspersonen. Übersetzt:
Wir werden (fast) alle länger arbeiten, bei gleichbleibender dynamischer Veränderung der Arbeitswelt.
Dynamische Veränderungen durch Digitalisierung
Dass die digitale Transformation unserer Arbeitswelt voll im Gange und ein Ende noch nicht in Sicht ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Neue Berufsbilder entstehen schneller als ihre Jobtitel. Bestehende Berufe wandeln sich rasant, nicht nur bei videokonferenztauglichen Berufen, sondern auch in Pflege, Handwerk, Logistik und Produktion. Wer heute das Glück hat, einen Heizungshandwerker im Haus zu haben, wundert sich kaum noch, dass er die aufgenommenen Daten direkt per Smartphone verarbeitet und weiterleitet.
In der Office-Arbeitswelt gehören Videotools und digitale Werkzeuge heute zur Zusammenarbeit wie selbstverständlich zum Arbeitsalltag. Wir arbeiten heutzutage digital, agil, kollaborativ und stetig lernend. Und die kürzliche Veröffentlichung erstmalig breit tauglicher KI-Plattformen wie ChatGPT wirbelt gerade sowieso die gesamte Arbeitswelt durcheinander! Lebenslanges Lernen bekommt so eine ganz neue Bedeutung.
Berufliches Update durch eine Weiterbildung
Stetiges Lernen von neuem Fachwissen und die stetige Entwicklung von Kompetenzen wird also zunehmend wichtiger. Die Notwendigkeit beruflicher Weiterbildung bekommen dabei besonders diejenigen zu spüren, die nach langer Berufserfahrung gerade zwischen zwei Jobs stehen. Das ist auch logisch, denn während langjähriger Berufstätigkeit stellen sich Routinen ein. Da wo es nötig ist, werden eventuell sporadisch fachliche Fortbildungen besucht. Manchmal bleibt es über Jahre dann aber auch diese eine. Die langjährige Marketingleiterin Maria zum Beispiel kümmerte sich erfolgreich um Strategie, um Konzepte, aber „für online hatte ich meine Leute“. Als sie ihre Stelle verloren hat, musste sie in Bewerbungen jedoch ihre Digitalkompetenz unter Beweis stellen. Außerdem fallen Jobsuchende Ü50 oft auch einfach unter Generalverdacht, weiß XING-Insiderin und Placement-Beraterin Claudia Michalski.
Vom Digital Native ist man mit 50+ weit entfernt, das ist unstrittig. Daraus schließen viele Arbeitgeber allerdings ganz pauschal, dass Ältere weniger digital und auch grundsätzlich nicht sehr technikaffin seien.Claudia Michalski
Also mit 50 plus noch mal eine Weiterbildung wagen? „Brauch ich das denn?“, lautet eine der häufigen Fragen, die uns gestellt werden. „Schaff ich das denn?“, ist eine andere, die wir manchmal, aber nicht ganz so oft hören. Klar ist das zu schaffen, denn es das Tolle ist ja, dass besonders die älteren Jobsuchenden in ihrer Weiterbildung auf vorhandenes Wissen und ihre oft spannende Berufspraxis aufbauen. Ein berufliches Update mit einer Weiterbildung zur „Digital-Change-Managerin (IHK)“ oder zum „Online-Marketing-Manager (IHK)“ kann da bereits Wunder wirken und den Wiedereinstieg in den nächsten Job erleichtern.
So wie bei Martina, die im nach ihrer Weiterbildung „Professional Scrum Master“ im agilen Projektmanagement eines überregionalen IT-Dienstleisters gestartet hat oder wie Silke, die nach sehr langer Elternzeit über die Online-Marketing-Weiterbildungen als Marketing-Managerin durchgestartet ist.
Inspiration und neues Wissen durch Weiterbildung
Im vergangenen Jahr absolvierte ich mit 54 Jahren die Weiterbildung zum „Professional Scrum Master“ und setzte gleich noch den Product Owner und Agile Leadership nach Scrum oben drauf. Als Trendforscher in Sachen Veränderung der Arbeitswelt war meine Absicht, die neuen Formen des Arbeitens, die unter anderem durch Scrum repräsentiert werden, zu durchdringen und zu erlernen. Dabei habe ich vieles über neue Wege der Zusammenarbeit, Teamentwicklung und Wertewandel erfahren und gelernt. Nun bin ich zwar kein Bewerber im engeren Sinne, aber für unsere LVQ-Be-„Werbung“ – sei es bei Messen oder Geschäftspartnern – ist das neue Wissen unschätzbar.
Überdies hat mir die Weiterbildung auch noch Freude gemacht, denn neben neuen Impulsen, Erkenntnissen und Wissen, war sie eine Challenge im tatsächlichen Wortsinn. Auch aus dieser eigenen Erfahrung heraus kann ich die Herausforderung einer beruflichen Weiterbildung durchaus empfehlen.
Und Sie? Welche Erfahrungen haben Sie mit beruflichen Weiterbildungen gemacht? Konnten Sie danach beruflich punkten? Im neuen Job? Oder im bewährten?
Weiteres Lesefutter für Jobsuchende 50 plus:
Jobwechsel Ü 50: Bewerbungs-Tipps für alte Hasen von Bernd Slaghuis
Bewerbung 50+ – So bewerben Sie sich erfolgreich bei arbeitsABC
Silver Worker an die Arbeit! – Arbeiten 55 plus von mir hier als XING-Insider
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Lars Hahn ist selbst Digital Immigrant, heute 55 Jahre alt. Er ist Geschäftsführer der LVQ Weiterbildung und Beratung GmbH und engagiert sich in verschiedenen Netzwerken, unter anderem bei Weiterbildung im Revier e.V, im Weiterbildungsforum Oberhausen-Mülheim und im Netzwerk Weiterbildung. Der obige Beitrag ist eine aktualisierte und überarbeitete Fassung eines Artikels, der zuerst auf LVQ.de erschien.