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„Auf Wiedersehen, du großes Geld!“ Wie Max Kugel auszog, um sein Handwerk zu retten

In Deutschland beherrschen immer weniger Menschen das Brothandwerk. Viele Betriebe müssen schließen, weil sich immer weniger Schulabgänger für diesen Beruf interessieren. Dabei bereitet der Berufsweg „Handwerk“ mit dem Meisterabschluss ganz gezielt auf die Selbstständigkeit und auf nachhaltig unternehmerischen Erfolg vor. Ob diese wichtige Botschaft junge Menschen erreicht, hängt allerdings auch davon ab, wie sie kommuniziert wird. Und es braucht vor allem mehr Mutmacher-Beispiele, die zeigen, dass es sich lohnt, selbst Verantwortung zu übernehmen. Zu ihnen gehört Max Kugel, ein Bäckermeister mit einer strikten Philosophie: In seiner Bäckerei, die er seit 2017 in Bonn betreibt, gibt es nur zehn Sorten Brot - sonst nichts. Er wurde in eine Familie geboren, die heute bereits in der vierten Generation im Bäckerhandwerk arbeitet. Er absolvierte zunächst eine Lehre in der Bäckerei seines Vaters in Lahnstein und legte seine Prüfung zum Bäckermeister auf der Meisterschule in Olpe ab. Dann reiste er durch Europa, USA und Kanada, wo er viele Menschen und Bäckereien kennenlernte.

Im Alter von 25 Jahren begann er, konkret über eine eigene Brotbäckerei nachzudenken. Er wollte zurück zu seiner Handwerkstradition, zurück zu einem Produkt aus purer Natur, das durch die Hände des Bäckers zu einem Lebensmittel geformt wird, das diesen Namen auch wirklich verdient. Handwerklich ehrliche Backwaren sind für ihn Produkte, die nur mit Zutaten gebacken werden, die in ihrer natürlichen Form und Ursprünglichkeit nicht verändert sind. Backwaren, die nur mit dem erlernten Wissen des Bäckers und mit dem Geschick und der Raffinesse des Handwerks gebacken werden. Nur dann trifft für ihn der Begriff „Handwerksbäcker“ zu. Das war damals in Deutschland neu, weshalb ihm auch viele Menschen gesagt haben: „Vergiss es, das ist unwirtschaftlich, das wird nicht funktionieren.“ Inzwischen sind die skeptischen Stimmen verstummt. Seine Idee einer reinen Brotbäckerei hat sich längst als ein nachhaltiges Konzept erwiesen, das sich auch wirtschaftlich rechnet.

Sein Konzept ermöglicht ihm, sein Handwerk zeitgemäß zu leben und weiterzuentwickeln. Das Besondere an seinem Brot ist er. Und die Menschen, die mit ihm daran arbeiten. In seinem Buch „Wie ich auszog, mein Handwerk zu retten“ erzählt er, was ein gutes Brot ausmacht, warum er beim Backen auf alle Zusatzstoffe verzichtet und sich Sorgen ums Bäckerhandwerk macht. Das hat für ihn nicht nur mit den steigenden Energie- und Rohstoffpreisen zu tun, die seiner Meinung nach nur eine viel tiefere Struktur- und Qualitätskrise der Bäckereien sichtbar werden ließ, die sich schon lange vorher abgezeichnet hat. Ihm geht längst nicht mehr nur um seine Branche, sondern vielmehr um die Tradition seines Handwerks, die er retten und bewahren möchte. Denn die Bäckerbranche hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Die Industrialisierung hielt auch hier Einzug. Mittlerweile ist eine Generation herangewachsen, die nur noch Industriebrot kennt. Etwa die Hälfte unserer Brot- und Backwaren stammen von Discountern und Backshops. „Zeit ist Geld“ gilt auch für die Backindustrie, wo in immer kürzerer Zeit immer mehr produziert wird. Früher haben Bäcker mit regionalem Getreide gebacken, und Brot habe überall im Land anders geschmeckt. In Deutschland beherrschen immer weniger Menschen das Brothandwerk, viele Betriebe müssen schließen, weil sich immer weniger Schulabgänger für diese Berufe interessieren.

Es verbreiteten sich immer mehr „Aufbäcker“, die über keine Backstuben verfügen, sondern nur über Öfen (oder Backhallen), um darin Teiglinge fertig zu backen, von denen kaum jemandem bekannt ist, woher sie kommen. Im industrialisierten Backprozess werden dem Teig auch viele Zusatzstoffe zugesetzt, die vom Marketing unter anderem als „Brotverbesserer“ (Clean-Label-Rohstoffe) bezeichnet werden. In Wahrheit sind sie aber nichts weiter als weitere chemische Hilfsmittel, „die eine Qualität vorgaukeln, über die das Produkt längst nicht mehr verfügt. Die zugesetzten Backmittel ersetzen dann das oft fehlende Können des Bäckers, um Schwankungen im Rohstoff auszugleichen, damit die Produkte am Ende des Tages immer gleich aussehen, egal welche äußeren Einflüsse auf den Backprozess einwirken“, so Max Kugel. Auch verweist er darauf, dass ein Produkt seine Qualität und Identität verliert, wenn der Bäcker die gleichen Backmischungen benutzt wie die Backindustrie.

All dies wird schließlich mit dem niedrigen Preis gerechtfertigt, den die Verbraucher für ihr Brot im Supermarkt bezahlen. Doch im Verhältnis zu einem ehrlich gebackenen Brot ist er gar nicht mehr so klein. Auch geht diese „Rechnung“ längst nicht mehr auf. Falsche Ernährung ist heute ein wesentlicher Grund für die Zunahme von ernährungsbedingten Krankheiten, die das deutsche Gesundheitssystem jährlich etwa 17 Milliarden Euro kosten. Hinzu kommen die Umweltschäden, die von der industrialisierten Landwirtschaft verursacht werden (überdüngte Böden, nitratbelastetes Grundwasser, Insektensterben). Auch in der konventionellen Landwirtschaft geht es heute um Massenproduktion und hohe Erträge zu möglichst günstigen Preisen. Dafür werden synthetische Pestizide benötigt, ein giftiger Cocktail aus Chemikalien, die sich in unserem Trinkwasser, im Gemüse, im Obst und in vielen Lebensmitteln finden, die daraus produziert werden - und schließlich in uns selbst.

Max Kugel war es schon früh ein Anliegen, diesem Trend entgegenzuwirken: „Die Bäcker sollten lieber in die Qualität ihrer Produkte investieren, als zu viel Geld für Ladenbau und Shop-Konzepte auszugeben, die bei den meisten wie ein genormter Einheitslook rüberkommen und oft keinen individuellen Wiedererkennungswert haben.“ Qualität ist für ihn der einzige Weg, um dieses Lebensmittelhandwerk zu retten. „Der Brot-Duft aus dem Ofen soll die Menschen wieder erreichen“, sagt Max Kugel, der nichts mehr wollte als seine eigene Bäckerei. Dahinter steckt nicht nur ein Trend, sondern auch eine Haltung, die sich gegen zunehmende Entfremdung und Komplexität richtet und mit neuen Formen des Konsumierens verbunden ist.

Früher wurde es „Laib“ genannt. Er bezeichnete ungesäuertes Brot. Im Lauf der Jahre wurde es dann zunehmend mit Sauerteig hergestellt. Bei dieser Art der Herstellung muss der Teig gären. Darauf nimmt das Brot sprachgeschichtlich noch Bezug. Es stammt aus dem Germanischen und hat dieselbe Wurzel wie Brauen und Bier („flüssiges Brot“). Brot fand auch Eingang in viele sakrale und rituelle Handlungen: In der christlichen Kultur wird das Brot im Gottesdienst gesegnet, gebrochen und geteilt, und im Vaterunser beten und bitten die Gläubigen: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Brot symbolisiert aber auch, was mit unserer materiellen Existenz zu tun hat. So bedeutet es im übertragenen Sinne auch Geld. Vielfach wird von Brotberuf, Broterwerb oder Brotstudium gesprochen. Eine brotlose Kunst bringt kein Geld ein. Kommen allerdings manipulierte Getreidesorten oder Genmais auf den Feldern zum Einsatz, können sie sich durch Pollenflug auch auf benachbarte Nutzflächen ausbreiten. Das schadet nicht nur der ökologischen Landwirtschaft, sondern der gesamten Gesellschaft. Alle Rohstoffe für die Brote von Max Kugel kommen aus Deutschland. „Mit einem Kilo Biobrot aus meiner Bäckerei sorge ich dafür, dass auf rund zwei Quadratmetern Ackerfläche Getreide ohne den Einsatz von Pestiziden angebaut wird und Böden wie Biodiversität geschützt werden.“

Seine Müllerin hält ihn für einen „Teigflüsterer“, der seinen Teig versteht – und deshalb auch sein Handwerk. Wenn seine Hände am Teig sind, dann ist er im Flow und ganz bei sich selbst, involviert in diesen organischen und kreativen Prozess, der ihn mit Glück erfüllt. Täglich spürt er die besondere Verantwortung und Zufriedenheit, die aus dieser Arbeit entsteht. Das bestätigt auch der amerikanische Soziologe Richard Sennett, der in seinem Buch "Handwerk" (2008) die zivilisations- und kulturbildende Kraft der Arbeit beschreibt. Der Stolz auf die eigene Arbeit hat für ihn auch eine soziale und politische Dimension. Richtig ausgeführte Arbeit hat immer mit Verantwortung zu tun: Es ist nicht gleichgültig, was man tut und wie etwas produziert wird. Gute Arbeit hat mit manuellen, intellektuellen und sozialen Fähigkeiten zu tun, sie schafft Bedeutungshorizonte und vermittelt Handwerk. Der Handwerker symbolisiert für ihn das engagierte Tun. In seinem Buch „Ich schraube, also bin ich“, das sich dem Glück widmet, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen, zeigt er, dass eine Könnensgesellschaft eine nachhaltige Alternative zur Wissensgesellschaft ist.

Das Wort stammt aus der haptischen und taktilen Sphäre. Wo etwas mit Händen gegriffen wird, lässt es sich auch begreifen. Auch die Worte „erfassen“ oder „auffassen“ vermitteln, dass sie zufassenden Händen ihre Bildung verdanken. Der Begriff des Handwerks, in der altgriechischen Bezeichnung „techne“ noch mit Kunst gleichgesetzt, erhält immer dann eine besondere gesellschaftliche Bedeutung, wenn das Haptische seine Bedeutung verliert. Ohne Handwerk können wir auch technologische Möglichkeiten nicht nachhaltig nutzen, denn dazu braucht es Leidenschaft, Können und Meisterschaft. Max Kugel weist uns einen handfesten und „bodenständigen“ Weg in die Zukunft, die wir nur „meistern“ werden, wenn wir wieder lernen, uns auf unser Können und unsere Fähigkeiten zu fokussieren. Dafür plädiert auch Morten Harket, Sänger der norwegischen Band a-ha, in seiner Autobiographie „My Take On Me“: Von seiner Mutter lernte kochen und backen. Vor allem das Brotbacken hatte für ihn schon immer etwas Handwerkliches: „den Teig kneten und aus einfachsten Zutaten etwas Köstliches herstellen. Die Konsistenz von selbstgebackenem Brot hängt davon ab, was du mit deinen Händen machst.“ Handwerklich, unternehmerisch, menschlich. Um die aktuellen Probleme und Herausforderungen „anzupacken" und nicht nur darüber zu reden, brauchen wir Könner, die wissen, dass sich Risiken nicht vermeiden lassen, indem einfach so weitergemacht wird wie bisher. Wenn wir nicht in der Lage sind, im Kleinen ans Werk zu gehen und zu handeln, können wir auch die großen Aufgaben nicht bewältigen.

„Wenn du als Handwerker in Zukunft erfolgreich sein willst, musst du meiner Meinung nach klein bleiben“, so die Überzeugung von Max Kugel. Er sagt nicht ständig: „immer mehr, immer schneller, immer größer. So funktionieren sein Geschäft und sein Leben nicht. „Wir leiden heute unter einer nahezu umfassenden Vergötterung des Gigantischen. Daher müssen wir auf die Vorzüge der Kleinheit dringen", schreibt der Ökonom Ernst Friedrich Schumacher in seinem Klassiker der Nachhaltigkeit, „Small is beautiful“ (1973). Schon damals plädierte er für eine Rückkehr zum menschlichen Maß in Wirtschaft und Gesellschaft, denn Menschen können nur in kleinen, überschaubaren Gruppen, in einer gleichgesinnten Gemeinschaft sie selbst sein. Wenn unser wirtschaftliches Denken das nicht erfasst, dann taugt es nichts. Wer nur auf Riesenhaftigkeit setzt, der setzt auf Selbstzerstörung. Eine Gesellschaft, die nur auf einen „supergeilen“ Markt vertraut, lässt nachhaltige Wertschöpfung verkümmern.

Mit Blick auf die kommenden Jahre hängt alles davon ab, ob uns eine Entkoppelung von Wachstum und Naturverbrauch gelingt. Nicht ob, sondern wie die Wirtschaft wächst, ist die entscheidende Frage einer Green Economy 2.0, die Gerechtigkeitsfragen, nachhaltiges Wirtschaften und inneres menschliches Wachstum miteinander verbindet. Die Sehnsucht nach mehr Gemeinsinn, nach Halt, nach Heimat, nach einem maßvollen Leben, einer Gesellschaft im Gleichgewicht, nach Natur, nach Sinn, nach Solidarität und nach Verantwortung ist mit einem Universum von Möglichkeiten verbunden, wie auch das Beispiel von Max Kugel zeigt. In gewisser Weise ist er auch ein Glücksexperte, weil er es gewohnt ist, etwas dafür zu tun und geduldig darauf warten zu können. Zudem plädiert er dafür, dass auch die Arbeit immer wieder ruhen muss. Vieles erinnert an Heinrich Bölls Erzählung „Der kluge Fischer“ („Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“, 1963).

In einer Hafenstadt liegt ein Fischer in seinem Boot und schläft. Ein geschäftiger Tourist steht plötzlich vor ihm an der Hafenkante und fotografiert die Szenerie. „Sie werden heute einen guten Fang machen“, sagt der „urlaubende“ Unternehmer, der den Fischer aufweckt und über scheinbar unbegrenzte, wirtschaftliche Wachstumsmöglichkeiten spricht, die der Fischer hätte, wenn er heute noch ein weiteres Mal ausfahren würde. Schließlich kann er damit seinen Fang um ein Vielfaches vermehren. Der Fischer nickt, versteht allerdings nicht den Sinn dahinter. Darauf der Unternehmer: „Sie würden sich spätestens in einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten und dem Kutter würden sie natürlich viel mehr fangen.“ Der Fischer könne ein Kühlhaus, eine Räucherei und eine Marinadenfabrik bauen, mit einem eigenen Hubschrauber fliegen, die Fischschwärme ausmachen „und ihren Kuttern per Funk Anweisungen geben“. Den Fischer lässt das alles allerdings unbeeindruckt. Er fragt: „Was dann?“ - „Dann“, sagt der Unternehmer, „dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen – und auf das herrliche Meer blicken.“ - „Aber genau das tue er doch längst, antwortet der Fischer völlig unbeeindruckt und fügt hinzu: „nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.“ Der kluge Fischer entnimmt der Natur nur das, was er zum Leben benötigt und was auch wieder neu entsteht. Nach getaner Arbeit legt er sich zufrieden in sein kleines Boot und döst er in der Sonne.

  • Max Kugel: Wie ich auszog, um mein Handwerk zu retten. Westend Verlag. Frankfurt a. M. 2023.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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