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In vielen Geschäften kann an der Kasse nicht nur bezahlt, sondern auch gespendet werden. Studien zeigen: Das nervt etliche Kunden – ihre negativen Gefühle lasten sie dann dem Händler an. Wer ein paar Regeln beachtet, vermeidet diesen unerwünschten Effekt.

Efua Obeng beschreibt sich selbst als einen altruistischen Menschen. Sie spendet regelmäßig an Wohltätigkeitsorganisationen. Doch vor ein paar Jahren fiel ihr auf, wie sie reagierte, wenn sie beim Einkaufen an der Kasse um eine Spende gebeten wurde. "Ich hasste es", sagt Obeng. Gespräche mit der Familie und Freunden bestätigten, dass es nicht nur ihr so ging.

Aufgrund ihrer Eindrücke entschied sich Obeng, das Thema zu erforschen. Die Marketingprofessorin von der Howard University in Washington, D.C., fand durch eine statistische Analyse heraus, dass sich unkluges Vorgehen beim Spendensammeln deutlich auf den Umsatz von Einzelhändlern auswirkt. Aus einer Liste der größten Einzelhändler der Welt 2017 suchten Obeng und Kolleginnen Unternehmen heraus, die in dem Jahr in ihren Geschäften Spendenkampagnen unterstützt hatten. Nachdem sie Faktoren wie Werbe-ausgaben, Alter, Schulden und Größe ausgeschlossen hatten, kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Sponsoren durchschnittlich 17 Millionen US-Dollar weniger verdient hatten als ihre Mitbewerber.

Die Wissenschaftlerinnen nahmen sich vor herauszufinden, wie Einzelhändler Spendenaktionen an der Kasse besser gestalten können. Sie fanden klare Muster, warum altruistische Menschen beim Einkauf negativ reagieren, wenn sie um Spenden gebeten werden.

In Studien mit Hunderten von Teilnehmern konnten Obeng und ihre Kolleginnen nachzeichnen, dass Kunden den Spendenaufruf als Verstoß gegen den sozialen Vertrag zwischen sich und dem Händler wahrnehmen. Der Vertrag beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit, nach dem beide Parteien gleichermaßen zum Austausch beitragen und von ihm profitieren. Werden Kunden um eine Spende gebeten, ist dies eine einseitige Transaktion, die das Gleichgewicht aufhebt.

Teilnehmer einer Studie sollten sich zum Beispiel vorstellen, sie kauften in einem Lebensmittelgeschäft ein und würden dabei entweder um eine Spende gebeten oder nicht. Anschließend bewerteten sie, wie zufrieden sie mit dem Geschäft waren und in welchem Maße sie meinten, es habe den sozialen Vertrag gebrochen.

Diejenigen, die um eine Spende gebeten worden waren, nahmen viel häufiger einen Vertragsbruch wahr. Zudem verringerte sich die Zufriedenheit um bis zu 10 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Laden weiterempfehlen oder erneut besuchen würden, sank. Die Wissenschaftlerinnen überprüften, ob andere Faktoren diese Ergebnisse erklären konnten – Schuldgefühle, Vertrauensverlust oder eine Abneigung gegen den Händler. Das war nicht der Fall.

Das Forscherteam hatte daraufhin folgende Idee: Wenn ein Verstoß des Händlers gegen den sozialen Vertrag die Kundenzufriedenheit verringert, müsste ein ähnlicher Verstoß durch den Kunden das Gleichgewicht wiederherstellen – und die Zufriedenheit bliebe erhalten.

In einer Studie gaben die Wissenschaftlerinnen der Hälfte der Teilnehmer folgende Information: Sie würden an der Kasse einen abgelaufenen Wertgutschein einlösen und für ihren Einkauf nutzen können. Die andere Hälfte der Teilnehmer sollte ganz normal zahlen.

Wer aus der zweiten Gruppe um eine Spende gebeten wurde, nahm dies als Verstoß gegen den sozialen Vertrag wahr – die Zufriedenheit mit dem Geschäft sank. Bei den Teilnehmern mit den abgelaufenen Gutscheinen traten die negativen Effekte nicht auf. "Wenn Kunden wissentlich mehr nehmen, als sie beitragen, und dann gebeten werden, etwas zu geben, gleicht sich das aus", erklärt Obeng.

In der letzten Untersuchung ihrer Reihe testeten die Forscherinnen eine Methode, mit der Händler die Gegenseitigkeit aufrechterhalten können: Sie übernehmen selbst Kosten, die mit der Spende zusammenhängen. In diesem Fall bot ein Händler der Hälfte der Personen, die um eine Spende gebeten wurden, als Gegenleistung eine wiederverwendbare Einkaufstasche an. Für diese Kunden war das Geben und Nehmen eher im Gleichgewicht und sie äußerten sich zufriedener über den Händler als andere, denen keine Tasche angeboten worden war. Ihr Zufriedenheitsgrad war sogar vergleichbar mit dem von Personen, die gar nicht um eine Spende gebeten worden waren.

Nun könnten Unternehmen einfach davon Abstand nehmen, Spendenaktionen zu starten. Auch dieser Frage gingen die Wissenschaftlerinnen nach. Nach einer Befragung der Beratungsgesellschaft für gemeinnützige Projekte "Engage for Good" nehmen im Durchschnitt 18 Prozent der Kunden an einer Spendenaktion teil. Auf der Basis ihrer Forschungen (in der aktuellen Studie wurde das nicht abgefragt) schätzt Obeng die durchschnittliche Beteiligungsrate bei Spendenkampagnen deutlich höher ein, auf etwa 30 Prozent. Sich zu engagieren birgt nicht nur Gefahren, sondern auch klare Chancen für die Kundenbindung. Denn die Kunden, die spenden, äußern sich zufriedener über den Händler und kehren häufiger zu ihm zurück. Wenn Einzelhändler also die Spendenbereitschaft erhöhen können, kommt das ihnen und ihren gemeinnützigen Partnern gleichermaßen zugute. Obeng und ihre Mitautorinnen empfehlen daher mehrere Strategien, um die Kunden zum Spenden zu bewegen und das Risiko, sich damit Nachteile einzuhandeln, möglichst gering zu halten.

Belohnen Sie Kunden für eine Spende**.** Wie die Untersuchungen zum sozialen Vertrag zeigen, "können Einzelhändler, die an der Kasse Spenden sammeln, Einbußen bei der Kundenzufriedenheit ausgleichen, indem sie den Kunden im Gegenzug etwas geben, das den gleichen Wert hat", schreiben die Forscherinnen. Obeng räumt ein, dass es Ausnahmen geben kann. So spenden Menschen in der Regel bereitwillig rund um Feiertage herum und für Projekte, die Kindern helfen. In diesen Fällen haben sie vermutlich nicht das Bedürfnis, belohnt zu werden.

Wählen Sie das passende Spendensystem, und halten Sie den Vorgang so einfach wie möglich. Eine Studie ergab: Wenn Kunden die Möglichkeit haben, ihre Zahlung auf die nächste glatte Summe aufzurunden, und die Differenz an eine wohltätige Organisation geht, nehmen sie dies als weniger unangenehm wahr als die Bitte um einen pauschalen Betrag. Und aus Gründen der Einfachheit empfehle sich in der Regel eine Ja-oder-Nein-Eingabe auf dem Kartenlesegerät an der Kasse, sagt Obeng. "Manche Händler bitten Kunden, ihren Namen auf einen Aufkleber oder einen Ballon zu schreiben. Das macht die Anerkennung für die Spende sichtbar. Doch als Kunden sind wir auf Effizienz fokussiert", erläutert sie. "Jedes zusätzliche Brimborium schadet der Wirksamkeit des Spendenaufrufs."

Schulen Sie Ihre Mitarbeiter. Selbst wenn der Händler lautlos über das Kartenlesegerät um eine Spende bittet, sollten seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen informiert sein. Sie sollten sich als Botschafter des Wohltätigkeitsprojekts verstehen, sagt Obeng. Dies kann für den Erfolg einer Kampagne entscheidend sein. Eine weitere Studie zeigte: Kunden, die einen besonders hochwertigen Service bekommen, spenden mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit wie jene, die einen durchschnittlichen Service erhalten – und mit neunmal höherer Wahrscheinlichkeit als Kunden, die einen schlechten Service erfahren. Dafür sei ein ähnlicher psychologischer Mechanismus verantwortlich wie in der Studie zum sozialen Vertrag, sagt Obeng: "Der Kunde ist dem Händler dankbar und revanchiert sich, um das Verhältnis im Gleichgewicht zu halten." Doch Vorsicht: Wenn Kunden an der Aufrichtigkeit des guten Service zweifeln – etwa weil sie erfahren haben, dass die Mitarbeiter Provisionen bekommen –, schlägt die Taktik schnell ins Gegenteil um. In einer Studie waren die Teilnehmer dann weniger zu einer Spende bereit als die Mitglieder einer Kontrollgruppe.

Seien Sie selbstlos und transparent. Kunden sind mit dem Händler, der um eine Spende bittet, zufriedener, wenn sie glauben, das soziale Engagement sei ihm wirklich wichtig. Obeng sagt, Einzelhändler müssten dazu über ihre sozialen Aktivitäten informieren – zum Beispiel durch entsprechende Hinweise in den Geschäften. Und sie sollten klar angeben, wie viel tatsächlich für den jeweiligen wohltätigen Zweck ist. Sie sollten also lieber einen konkreten Betrag nennen, statt zu versprechen, einen Prozentsatz des Gewinns oder des Umsatzes abzugeben.

Wählen Sie den richtigen Partner und den richtigen Zeitpunkt. Kunden nehmen vermutlich die Partnerschaft zwischen einer Apotheke und einer Non-Profit-Gesellschaft, die medizinische Forschung fördert – also zwischen zwei Organisationen aus demselben Bereich –, positiver wahr als eine zwischen einer Apotheke und einer Bildungsinitiative. Obeng rät zu Vorsicht, wenn Einzelhändler selbst Stiftungen betreiben: Die Kunden könnten argwöhnen, der Händler wolle sich unter dem Deckmantel der Stiftung selbst bereichern. Unternehmen sollten auch den richtigen Zeitpunkt bedenken. Spendenkampagnen nach nationalen Tragödien oder Naturkatastrophen – Ereignissen also, die den Kunden zu Herzen gehen – erreichen eine höhere Beteiligung als fortlaufende Kampagnen, die keinen aktuellen Anlass haben.

"Spendenaufrufe an der Kasse können für den Kunden, den Händler und das Wohltätigkeitsprojekt gleichermaßen ein Gewinn sein", sagt Obeng. "Einzelhändler müssen dafür aber strategisch vorgehen. Wer Kampagnen auf gut Glück startet, wird wenig Erfolg haben." 

© HBP 2020

Quelle: Efua Obeng et al.: "Would You Like to Donate Today? Why Charity at Checkout May Backfire", Working Paper

Dieser Artikel erschien in der Dezember-Ausgabe 2020 des Harvard Business managers.

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