Aufwärts: Das Erbe der Babyboomer
Als wäre „es“ erst gestern gewesen … Die Erinnerung an alte Zeiten, die so gegenwärtig scheint, beschreibt der Liedtexter, Komponist, Sänger und Musikproduzent Frank Ramond, Jahrgang 1964, in seinem gleichnamigen Lied:
Da hab ich irgendwas studiert,
Und Du hast irgendwo als Lehrling
Kaffee gekocht, fotokopiert.
Wir diskutierten in der Kneipe,
Und alle Wangen waren rot.
Das war die gute alte Zeit,
Und Du und ich schlugen sie tot.
Ramond spricht allen aus der Seele, die Zeit wie im Fluge erleben. Sie wird als weit weg empfunden - und gleichzeitig fühlt es sich an, „als war's vorhin“. Der Künstler gehört zu den „Babyboomern“, die zwischen 1952 und 1966 (nach Hurrelmann 1955 – 1970) geboren wurden. Der Begriff bezieht sich auf den vielfach zu beobachtenden Anstieg der Geburtenrate nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Nachkriegsgeneration ist das Elend des Krieges erspart geblieben, während sie den Aufschwung nach dem Krieg miterleben konnte. Sie sind zahlenmäßig die stärkste Generation in Deutschland und dominierend in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Aufgewachsen sind die Babyboomer in einer Zeit, in der viele Menschen in West-Deutschland den Traum vom ewigen Wohlstand träumten. Die meisten ihrer Eltern mussten sich keine Sorgen um Arbeitslosigkeit und Angewiesenheit auf öffentliche Transferleistungen machen. Ihr Lebens- und Erwerbsverlauf war linear determiniert. Es ging sicher „aufwärts“ - für die einen zwar schneller als für die anderen, doch der Wohlstand wuchs bei fast allen.
Es war die Zeit der Vollbeschäftigung. Kaum jemand hatte zu dieser Zeit durch Kinder einen „Karriereknick“ zu befürchten. Kinder zu haben war weder eine Altersabsicherung, noch ein „Armutsrisiko“, denn es ging aufwärts - und die Rollenverteilung war eindeutig: Der Mann ging arbeiten, die Frau machte den Haushalt. Der wirtschaftliche Aufschwung kam deshalb vor allem den Männern zugute. Finanziellen Reichtum manifestierte sich als Statussymbol im Männlichkeitsbild dieser Zeit. Die Rolle des Vaters war bei vielen nicht die der emotionalen Unterstützung, sondern die harte Hand. Emotionen zu zeigen, lag solchen Männern fern. Den damit verbundenen Schmerz („Jungen weinen nicht“) tragen deshalb viele seit der Kindheit in sich und können bis heute ihre Gefühle nicht zeigen.
Um die Väter der Babyboomer zu verstehen, braucht es einen historischen Blick, weil er hilft, Tendenzen und Entwicklungen besser wahrzunehmen. Die Nachkriegsgeneration (1925 bis 1940) fand ein zerstörtes und demoralisiertes Land vor. Viele der damals jungen Menschen haben kaum über ihre Kriegserlebnisse gesprochen. Aber es wurde auch nicht nach ihren Traumata gefragt. Es gab noch nicht die Einstellung, dass sie verarbeitet werden müssen. Sie haben zwischen Überleben und Neuanfang viel mit sich selbst ausgemacht. Dieser Faden der Geschichte sollte heute nicht unberücksichtigt bleiben, wenn es um Generationendebatten und Zuschreibungen geht. Worauf es wirklich ankommt, ist die Fähigkeit, alles in Zusammenhängen zu lesen und zu verstehen. Und zu zeigen, dass die Zukunft als Herausforderung alle Generationen gemeinsam tragen.
Die Nicht-Berufstätigkeit der Frau wurde in der Zeit der Babyboomer ebenfalls als Symbol des Wohlstands gesehen - als ein Zeichen, dass keine materielle Not herrscht. Dafür steht auch der Werbeclaim „Bauknecht weiß, was Frauen wünschen“? Frau und Haushalt wurden hier als symbiotischen Einheit dargestellt. Auch wenn die Werbung bereits 1954 kreiert wurde, so lief sie bis zum Jahr 2004. In den 1950er und 1960er Jahren entsprach diese Botschaft dem Zeitgeist. In den 1970er Jahren führte er im Zuge der Frauenemanzipation allerdings zu stärkeren Widerspruch. In den 1960er- und 1970er-Jahren ging die sogenannte 68er-Bewegung auf die Straße, um gegen starre Strukturen, für eine Demokratisierung der Gesellschaft und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus sowie gegen kapitalistische Ausbeutung zu kämpfen.
Die Babyboomer erlebten den Kalten Krieg, die Mondlandung, Woodstock, den Bau und Fall der Berliner Mauer, Ölkrisen, zwei Golfkriege, den Black Monday und das Platzen der Dotcom-Blase. In den 1980er Jahren gestalteten einige von ihnen als Schüler:innen und Studierende die Umweltbewegung. Derzeit gelten die Babyboomer im Alltagsverhalten sogar als besonders umweltbewusst. Nach Angaben der Trusted Brand Studie von 2020, die Reader‘s Digest zusammen mit dem Aachener Institut Dialego durchgefuhrt hat, kaufen 73 Prozent der Babyboomer in Deutschland regional ein, 69 Prozent sparen Strom und Wasser, 78 Prozent achten auf Verpackungsmüll. Wie die Nachfolgegenerationen suchen auch die Babyboomer nach Lösungen für die neuen Umweltherausforderungen. Diese Erkenntnisse stehen allerdings im Widerspruch zur Tatsache, dass gerade für diese Generation Statussymbole wie ein Eigenheim oder der SUV und materielle Sicherheit besonders wichtig sind. So wird häufig kritisiert, dass Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein bei ihnen oft zu kurz kommen, weshalb die Babyboomer von jüngeren Generationen teilweise als egoistisch wahrgenommen werden.
So stammt der Begriff Workaholic beispielsweise aus dieser Generation. Zusammenhalt, Loyalität, Sicherheit, Disziplin und Fleiß sind ihnen besonders wichtig. Das bestätigt auch der Unternehmer und Autor Werner Neumüller, der ebenfalls zur Generation der Babyboomer gehört. „Ehrlich, fleißig, nachhaltig" ist auch ein Hauptbestandteil der Neumüller Unternehmens-DANN und eine wichtige Handlungsgrundlage. „Das bedeutet konkret: Nie gierig werden, immer fair, ehrlich und fleißiger als der Durchschnitt sein und langfristig denken“, so Neumüller.
Da ein Großteil dieser Generation in Konzernen oder Großorganisationen tätig war oder noch ist, gab es kaum Möglichkeiten, in den auf Hierarchien und Herrschaftswissen basierenden Kulturen anders zu überleben. Von Anfang kennen sie durch die vielen Gleichaltrigen viel Konkurrenz und müssen sich anstrengen, um beachtet zu werden. Deshalb spielt für sie auch Anerkennung, Leistungsbereitschaft und Wertschätzung eine wichtige Rolle. Zum großen Teil ist diese Generation mit Hierarchien und kontrollierten Abläufen aufgewachsen.
Fast alle mussten sich ihre Karriere erkämpfen. Ihr Selbstbewusstsein bezieht diese Generation auch aus ihrem Status, den sie in der „Freizeit“ durchaus auch genießen: Wer Geld hat, investiert es in schöne Erlebnisse (Kreuzfahrten, Städtetrips etc.). Auf Reisen übernachten sie in gehobenen Hotels. Da es nach dem Krieg mit dem Wirtschaftswunder stark bergauf ging, hatte diese Generation beste Voraussetzungen, ein Vermögen zu bilden und wohlhabend zu werden. Höhere Bildung führte zu höherem Einkommen, zudem haben viele das Vermögen ihrer sparsamen Eltern) geerbt. Da im Laufe der Zeit ein Vermögen angespart werden konnte, haben die Babyboomer deshalb auch den Ruf als Wohlstandsgeneration: Heute arbeiten sie oft als Unternehmer:innen, sind in Führungspositionen tätig und verdienen ein hohes Gehalt.
Sie zeigen sich sehr solidarisch, was sich auch in Spendeneingängen bei zivilgesellschaftlichen Organisationen niederschlägt. Bei den Babyboomern weicht der Anteil der spendenden Personen allerdings innerhalb der Generationen deutlich ab. Ein Grund dafür ist auch der Wertewandel (Verschiebung von Pflicht- zu Selbstentfaltungswerten). Während die Wiederaufbauergeneration von Disziplin, Gehorsamkeit, Pflichterfüllung und Opferbereitschaft geprägt ist, gewinnen in den Folgegenerationen Individualismus, Selbstentfaltung, Autonomie und Hedonismus immer mehr an Bedeutung. Babyboomer wollen Konkretes und Sichtbares mit ihrer Spende bewirken. So auch die NEUMÜLLER Unternehmensgruppe, die zu den über 90 % aller Unternehmen in Deutschland gehört, die sich für Gemeinwohlzwecke engagieren und persönlich erhebliche Mittel für soziale und kulturelle Zwecke zur Verfügung stellen. Da Werner Neumüller in seinem Berufsleben immer gut verdient hat, möchte er auch etwas zurückgeben und ist dankbar für das Leben, das er führen darf.
Seit seinen Firmengründungen werden karitative und soziale Projekte unterstützt sowie Ausbildung, Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport gefördert, die dem Geschäftsführer persönlich am Herzen liegen. Zuwendungen erhalten Ärzte ohne Grenzen, Kinderpatenschaften bei World Vision und SOS Kinderdorf, aber auch regionale Organisationen wie "Tröster Teddys", die Aktion Schutzbengel der Rummelsberger Diakonie, die Consilatio Stiftung, die Stiftung Kinder in Not, die Reiner Meutsch Stiftung, die Emanuel Wöhrl Stiftung sowie Kindergärten und Krankenhäuser im Raum Nürnberg. Auch die regionale Sportförderung wird unterstützt. An diesem Beispiel zeigt sich auch, dass ältere Spender:innen nach wie vor Autoritäten und Institutionen (z.B. Kirchen, NGOs) als für sie handlungsleitend anerkennen, so wie es von ihnen seit Kindheit an erwartet wurde. Die Babyboomer fragen sich dagegen, was das auch mit ihnen selbst zu tun hat. Sie möchten Teil des Ganzen sein und nicht nur bloße Geldgeber:innen.
Hildebrandt A / Neumüller W (2021) Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin
Hildebrandt A / Neumüller W (2018) Visionäre von heute – Gestalter von morgen. SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin
Hildebrandt A (2022) Von Generation Alpha bis Generation Z. Kindle Edition
Hurrelmann K (2018) Nicht ohne meine Eltern! In: DIE ZEIT (23.11.2018), S. 76
Jarausch K. H. (2018) Zerrissene Leben. Das Jahrhundert unserer Mütter und Väter. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
Scholz C (2014) Generation Z. Wie sie tickt, was sie verändert und warum sie uns alle ansteckt. Wiley-VCH Verlag & Co. KGaA. Weinheim