Aus Versehen sexistisch? Studien zeigen: Das „dumme Blondchen“ und andere Stereotype halten sich hartnäckig
Das Geschlecht von anderen spielt am Arbeitsplatz für dich keine Rolle? Studien zeigen: Das stimmt nicht. Welche Arten von Gender-Bias du kennen solltest, um achtsam mit Verzerrungseffekten umzugehen, das verrät der Artikel.
Unconscious Bias: Verzerrungseffekte im Gehirn
Das Wort Unconscious Bias ist mittlerweile vielen ein Begriff. Unconscious-Bias-Trainings, Workshops und Vorträge sind hoch im Kurs, gerade für Personaler*innen und Führungskräfte. Eigentlich betrifft uns das Thema Unconscious Bias allerdings alle, denn niemand ist frei von Voreingenommenheiten, egal in welcher Position.
Unconscious Bias unterliegen verschiedenen Verzerrungseffekten unseres Gehirns. In der Wissenschaft wurden diese – lange bevor es das Wort überhaupt gab – vor allem in Hinblick auf Fehler in Datensätzen, Berechnungen, Wahrnehmung und Denkmuster untersucht. In der Statistik sind Bias beispielsweise systematische Fehler, die potenziell eine verzerrende Auswirkung auf die gesamte Datenerhebung hat.
Es gibt auch Verzerrungen, die in unsere Art zu Denken einprogrammiert zu sein scheinen: sogenannte kognitive Bias. Daraus leiten sich dann entsprechend Handlungen ab. Jede*r kennt das: Du wolltest einen gesunden Salat in der Cafeteria essen, siehst dann aber den leckeren Pasta-Sahne-Teller und entscheidest dich impulsiv um.
Information overload: Abkürzungen fürs Gehirn sind essenziell für die Navigation der Welt
Andere Bias-Arten sind weniger evolutionsbedingt, sondern eher ansozialisiert. Unser Gehirn hat jede Sekunde so viele Sinneseindrücke zu verarbeiten, dass es mit Abkürzungen arbeitet. Dinge, die wir über die Welt gelernt haben, werden ohne unser Bewusstsein abgerufen und geben uns ein gutes oder schlechtes Bauchgefühl. In vielerlei Hinsicht ist das total praktisch, wir wären andernfalls extrem überfordert.
Das Problem ist: Abkürzungen des Gehirns berufen sich auf gesellschaftliche Strukturen, die wir verinnerlicht haben. Diese spiegeln weder die statistische Wahrheit wider, noch führen sie dazu, dass wir immer die beste Entscheidung treffen. So sind wir beispielsweise von sexistischen, rassistischen oder klassistischen Narrativen beeinflusst, die uns von den Medien und der Werbung von klein auf vorgeführt werden. Um Konzepte wie das „dumme Blondchen“ oder den „Sozialschmarotzer“ kommt niemand so richtig herum. Und diese Konzepte prägen uns.
Vom „dummen Blondchen“ und anderen Stereotypen
Dabei spielt es keine Rolle, ob wir ihnen – rational – zustimmen würden. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten Leser*innen der Aussage, blonde Frauen seien weniger kompetent als Frauen mit anderen Haarfarben, widersprechen und darauf hinweisen würden, Kompetenz habe nichts mit der Haarfarbe zu tun. Forschungen haben allerdings die Verbreitung und Auswirkungen von Stereotypen in der heutigen Welt identifiziert. Und siehe da, tatsächlich spielen unbewusste Assoziation von Blondinen und das Stereotyp der „dummen Blondine“ in Beurteilungssituationen hinein.
Wir alle lassen uns von visuellen Hinweisen leiten und kategorisieren andere oft aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbilds. Wir erwarten, dass sie bestimmte Eigenschaften, Merkmale und Rollenverhaltensweisen verkörpern. So sind unsere Wahrnehmung, die Entscheidungen, die wir treffen und Urteile, die wir fällen, verzerrt.
Der Gender-Bias ist ein geschlechtsspezifischer Verzerrungseffekt
Der Begriff Gender-Bias umfasst verschiedene Arten von Voreingenommenheiten, die einem Menschen auf Basis der (gelesenen) Geschlechteridentität entgegengebracht werden. Unter Gender-Bias fällt somit eine ganze Bandbreite von sehr unterschiedlichen kognitiven Verzerrungen, die Frauen, nicht binäre und trans Menschen benachteiligen. Ein Beispiel hierfür ist der vorherrschende Androzentrismus – also der Sachverhalt, nachdem Männer und ihre Perspektiven, Bedürfnisse und Probleme als die Norm gesetzt werden.
Mark wird als kompetenter eingeschätzt als Elizabeth, der Lebenslauf ist aber gleich.
Die bekanntesten Beispiele für Gender-Bias liegen wohl im Recruiting. In Studien wurden identische Bewerbungsunterlagen auf eine Stelle in der Veterinärmedizin mit männlichen oder weiblichen Namen versehen, hier Mark und Elizabeth. Die Mehrheit der Teilnehmer:innen, unabhängig von ihrer Geschlechteridentität, schätzten „Mark“ kompetenter ein als „Elizabeth“, trauten ihm eine vielversprechendere Karriere zu als ihr, und setzten sein Gehalt um im Schnitt 8 Prozent höher an als ihres. Und das alles bei inhaltlich, mit Ausnahme des Namen, völlig identischen Lebensläufen.
Diese Studie ist kein Einzelfall: Ähnliches wurde bei weiteren Untersuchungen festgestellt, sowohl anhand fiktiver Bewerbungen auf eine Managementposition als auch anhand realer. Auch in diesen Studien bewerteten die Testpersonen, unabhängig von der eigenen Geschlechteridentität, den männlich markierten Bewerber als signifikant kompetenter, „einstellbarer“ und wären bereit, ihm ein höheres Gehalt zu zahlen sowie Mentoring zu ermöglichen.Augen auf, nicht nur im Recruiting.
Gender-Bias geht über Recruiting hinaus und betrifft jede Beurteilungssituation
Ein Grund dafür ist der vorherrschende Androzentrismus – also der Sachverhalt, nach dem Männer und ihre Perspektiven, Bedürfnisse und Probleme als die Norm gesetzt werden.
Androzentrismus bedeutet: Der Mensch ist ein Mann, die andere eine Frau
In einem androzentrischen System wird diese Normsetzung nicht bewusst praktiziert, sie gilt viel mehr als neutral und selbstverständlich. In der Mitte der Gesellschaft angekommen ist diese Art von Bias wohl vor allem seit 2019, nachdem das preisgekrönte Buch „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado Pérez erschienen ist. Dieses beschreibt ausführlich, inwiefern unsere androzentrische Gesellschaftsordnung und die damit einhergehende Normierung von Männern Frauen in Medizin, im Straßenverkehr, in der Politik und der Arbeitswelt systematisch benachteiligt.
Wir bringen Frauen einen anderen Bewertungsstandard entgegen, ob wir wollen oder nicht
Neben dem Androzentrismus gibt es noch weitere Facetten des Gender Bias, wie zum Beispiel den doppelten Bewerungsstandard. Dieser ist sehr ausführlich erforscht worden und besagt, dass Menschen in der gleichen Situationen, mit den gleichen Verhaltensweisen oder Eigenschaften, je nach Geschlecht, unterschiedlich bewertet werden.
Ein gut belegtes Beispiel ist hier die Wahrnehmung von unterschiedlichen Redeanteilen, je nach Geschlecht. Studien zeigen: Wenn weibliche CEOs gleich lange sprechen oder gleiche Rhetorik verwenden wie ihre männlichen Kollegen, werden sie als zu forsch oder inkompetent bewertet. Gleiches (Sprech-)Verhalten gilt hier als angemessen für den männlichen Boss, wird aber als „bossy“ bewertet bei der weiblichen CEO.
Was kann ich gegen Gender-Bias tun?
Menschen, die für Gender-Bias und entsprechende Auswirkungen sensibilisiert sind, können proaktiv daran arbeiten. Sich gegenseitig erinnern, erahnen, hinterfragen. Denn wer das Problem nicht sieht, wird Teil davon. Wichtig ist, anzuerkennen, dass ein Bias nicht „wegtrainiert“ werden kann. Alle Menschen haben Voreingenommenheiten – wichtig ist es daher, diese aus dem Unterbewusstsein ins Bewusstsein zu holen.
Hier kann es helfen, diverse Teams zu formen; Menschen lernen nämlich je nach Kultur und Kontext unterschiedliche Codes und entsprechend unterschiedliche Verzerrungen. Unterschiedliche Perspektiven im Team zu ermutigen und allen genügend Raum zu geben, kritische Fragen zu stellen, ist also ein wichtiger erster Schritt, um das Unsichtbare sichtbar zu machen. Dabei kann es helfen, sich Unterstützung „von außen“ zu holen. Durch einen Input oder Workshop zum Thema Gender-Bias erlernen Teilnehmer*innen das nötige Handwerkszeug, um unsichtbare Bias aufzudecken und miteinander an der Arbeitskultur zu arbeiten.
Sensibilisierung ist die Basis, reicht allerdings nicht aus
Wie beschrieben beruhen Gender-Bias auf strukturellen Ungleichheiten und sozialen Geschichten, die sich nicht so schnell aus der Welt schaffen lassen. Entsprechend lässt sich ein Bias auch nicht nur auf einer persönlichen Ebene bekämpfen. Es liegt auch in der Hand von Unternehmen, die eigene Arbeitskultur kritisch zu hinterfragen und Veränderungen anzustoßen. Veränderungen können so durch die institutionelle Ebene bis zur Auseinandersetzung mit den persönlichen Glaubenssätzen ablaufen.
Hinter jeder Organisation stecken Menschen. Und deren Entscheidungen haben einen Einfluss, egal ob es um die Beurteilung von Mitarbeiter*innen, um das Aufsetzen neuer Strukturen oder um das Vorantreiben bestimmter Veränderungen geht. Es gilt, Teamprozesse, Bewerbungsverfahren und Auswahlsituationen kritisch zu analysieren und auf Bias zu prüfen. Hierzu müssen Mitarbeitenden Zeit und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, z.B. in Form von einem Designsprint mit dem Ziel, einen beliebigen Prozess unter die Lupe zu nehmen.
Welche Art von Gender-Bias beobachtest du in deiner Organisation, und was tut ihr dagegen?