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Ausgereizt: Warum der Immobilienboom in Deutschland auf ein vorläufiges Ende zusteuert

Experten sehen vermehrt Anzeichen, dass die Immobilienrally an ihre Grenzen stößt. Welche Städte gefragt bleiben – wo die Preise sinken könnten.

Anja Pötters weiß, wie es sich anfühlt, begehrt zu sein: 100 Anfragen bekam die Immobilienmaklerin der Firma von Poll aus Wesel jüngst in nur einer Stunde für ein Haus in Dinslaken. Kurzzeitig musste sie wegen des Andrangs die Offerte sogar aus dem Netz nehmen. Deutschland steckt im Immobilienfieber: Billiges Geld und eine hohe Nachfrage lassen den Markt in vielen Städten dieses Jahr auf Rekordhöhen steigen.

Allein innerhalb der vergangenen drei Monate, zwischen Juli und September 2021, verteuerten sich Wohnimmobilien im Vergleich zum Vorjahresquartal nach Daten des Verbands deutscher Pfandbriefbanken um 11,4 Prozent – und die Preise steigen damit deutschlandweit so schnell wie noch nie.

Es scheint, dass der Boom immer weiter befeuert wird. Einfamilienhäuser in Deutschland sind im Schnitt seit 2004 um 60,9 Prozent im Wert gestiegen, Eigentumswohnungen verzeichneten sogar ein Plus von 90,7 Prozent. Die hohen Wertsteigerungen wecken Begehrlichkeiten – und lösen bei manchen Interessenten Torschlusspanik aus. „Letztlich haben wir einen Käuferstau von Interessenten aus den letzten vier, fünf Jahren, die noch nichts gefunden haben – und täglich kommen neue hinzu“, sagt Maklerin Pötters.

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Doch wird das noch lange so weitergehen? Die Antwort, die sich dabei abzeichnet, lautet wohl: nein. Experten sehen vermehrt Anzeichen, dass der ewige Immobilienboom seinen Höhepunkt bald überschritten haben könnte.

Es verfestige sich der Eindruck, „dass an vielen Standorten die „Schmerzgrenzen“ bei der absoluten Höhe des Preisniveaus jedenfalls für Eigennutzer ohne größere Vermögen erreicht worden sind“, schreibt das Marktforschungsunternehmen F+B vor wenigen Tagen in seinem Report zum deutschen Immobilienmarkt. „Ob diese Entwicklung die von vielen erwartete Abschwungphase einleitet, kann noch nicht sicher vorhergesagt werden“, schränkt F+B-Chef Bernd Leutner allerdings ein.

Drei Gründe, warum die Rally auslaufen könnte

Es sind vor allem drei Faktoren, die den Markt in den nächsten Jahren verändern könnten.

  • Erstens habe die Pandemie die Zuwanderung im Jahr 2021 erneut gedämpft, während die Zahl der fertiggestellten Wohnungen weiter zulegen dürfte, sagt Jochen Möbert, Immobilienanalyst der Deutschen Bank, dem Handelsblatt. So wolle die neue Bundesregierung das Wohnungsbauprogramm auf 400.000 Einheiten pro Jahr erhöhen – womit der Bedarf an neuen Wohnungen in Deutschland erstmals seit Jahren gedeckt wäre. „Das ist kein Hexenwerk, man darf nur nicht untätig bleiben“, versprach Kanzlerkandidat Olaf Scholz bereits im Wahlkampf. Entsprechend macht die Partei Druck. „Die SPD ist Mieterpartei. Das muss in den Koalitionsverhandlungen stärker zur Geltung kommen“, sagte die Berliner SPD-Politikerin Ülker Radziwill vor wenigen Tagen.

  • Zweitens drückt die steigende Inflation auf den Markt. Die überraschend hohen Inflationsraten erhöhten das Risiko von Zinsanstiegen, warnt Fachmann Möbert. Dies sorge dafür, dass die Zinssensitivität bei den Immobiliendeals steigen könnte. Die Bauzinsen erreichten zuletzt wieder die Ein-Prozent-Marke für zehnjährige Darlehen. Die Inflation stieg im Oktober auf 4,5 Prozent.

  • Drittens steigt die Regulierungsdynamik für Immobilien, weshalb mit weiteren Belastungen für Bauherren und Investoren zu rechnen ist. „Das stellt wohl das Hauptrisiko für ein früheres als bisher erwartetes Zyklusende dar“, sagt Möbert.

Wohin die Reise geht, machte diese Woche bereits Ex-Baustaatssekretär Gunther Adler von der SPD klar. „Man muss einen Konsens finden, der dazu beiträgt, die Mietentwicklung, die in vielen Städten außer Rand und Band läuft und breite Bevölkerungsschichten überfordert, einzudämmen“, kündigte er an.

Steht die Rally also nach mehr als zehn Jahren in den großen Städten vor dem Aus? Deutsche-Bank-Experte Möbert ist davon überzeugt. „Unsere Einschätzung ist, dass sich der Boom der vergangenen zehn Jahre am deutschen Wohnungsmarkt nicht mehr wiederholen wird“, sagt er. „Wenn wir alle Daten zusammennehmen, die wir zur Verfügung haben, kommen wir zu dem Schluss, dass der Zyklus der steigenden Preise am deutschen Markt auf breiter Front im Jahr 2024 enden wird – wenn es schlecht läuft, könnte es sogar früher sein.“

Doch ganz einheitlich wird der mutmaßliche Rückgang in den Metropolen wohl nicht ausfallen, folgt man den Prognosen der Fachleute. Im Folgenden ein kurzer Blick auf die Großstädte, in denen der Immobilienmarkt sich besonders verändern wird.

Hamburg: Die Elbmetropole steht im Fokus

Die Preise in der Hansestadt sind in den letzten Jahren rasant gestiegen. Um 37 Prozent legten sie für Eigentumswohnungen laut F+B seit 2016 zu. Durchschnittlich kletterte der Kaufpreis im laufenden Jahr auf 5371 Euro pro Quadratmeter. Die Miete legte im Schnitt im Jahr 2021 auf 10,65 Euro pro Quadratmeter zu, rechnet F+B vor.

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Von Preiskorrekturen sei in Hamburg aktuell keine Spur, analysiert das Immobilienportal Immowelt. Doch in Hamburg könnte der Immobilienzyklus vor 2024 enden, da dort die Angebotsknappheit für Wohnraum früher schwinde, warnt die Deutsche Bank. „Der Hamburger Zyklus dürfte aufgrund des relativ moderaten Bevölkerungswachstums und der angebotsorientierten Wohnungspolitik früher enden als in anderen Metropolen“, sagt Möbert voraus. Das Analysehaus Empirica sieht inzwischen in der Hansestadt die größte Gefahr für eine Preisblase in Deutschland.

Berlin – Wachstum trotz Enteignungsplänen

Die Hauptstadt verzeichnet seit Jahren rasant steigende Immobilienpreise. Der Kaufpreis für eine Eigentumswohnung legte nach den Daten von F+B durchschnittlich seit 2016 um 37 Prozent auf inzwischen 4117 Euro pro Quadratmeter zu. Im Jahr 2020 lag die Ziffer noch bei 3998 Euro. Die Durchschnittsmiete liegt laut den Experten in diesem Jahr bei 8,38 Euro pro Quadratmeter. Nach Einschätzung des Onlineportals Immoscout24 werden die Preise für Eigentumswohnungen in Berlin auch in den kommenden zwölf Monaten steigen – und zwar wesentlich stärker als in den übrigen Metropolen.

Deutsche-Bank-Experte Möbert glaubt, dass sich die Stadt auch vom Trend der sinkenden Preise abkoppeln kann. Für Berlin erwarte er „höchstens eine Delle im Hauspreiszyklus“. Günstig ist die Stadt jedoch nicht mehr: Das Analysehaus Empirica nennt ein Verhältnis von Kaufpreis zu Jahresnettokaltmiete, den sogenannten Vervielfältiger, in der Stadt von 37,7. Konkret bedeutet das, dass Käufer mehr als 37 Jahre warten müssen, bis sie ihre Investition über Mieteinnahmen wieder eingespielt haben – und dabei sind Unterhaltungskosten und Abgaben noch nicht berücksichtigt.

Leipzig – Boomstadt im Osten

Kaum eine Großstadt im Osten der Republik boomt so wie Leipzig. Und die Tendenz der Immobilienpreise zeigt noch immer deutlich nach oben. Lag der Durchschnittspreis für eine Eigentumswohnung im Jahr 2016 noch bei 1575 Euro pro Quadratmeter, kletterte die Ziffer im laufenden Jahr auf 2025 Euro, wie F+B errechnete. Die durchschnittliche Miete kletterte auf 5,90 Euro pro Quadratmeter. „Leipzig ist eine der am stärksten wachsenden Städte Deutschlands und erlebt einen regelrechten Aufschwung auf dem Immobilienmarkt“, sagt Daniel Ritter vom Großmakler von Poll.

Auch gegen ein mögliches Ende des Preiszyklus wird die sächsische Metropole weitgehend immun sein, schätzt die Deutsche Bank. Der Boom in der Hauptstadt dürfte auch auf Leipzig ausstrahlen, sagt Möbert voraus. „Entsprechend erwarten wir dort ein relativ spätes Zyklusende.“ Der sogenannte Vervielfältiger liegt in der Stadt bei 35,7. Nach Ansicht von Experten galt lange ein Kaufpreisfaktor von 25 als Maß für interessante, rentable Immobilieninvestments.

München – Das teuerste Pflaster Deutschlands

Die bayerische Landeshauptstadt ist nach wie vor Deutschlands teuerste Metropole beim Kauf einer Immobilie. Laut den Daten von F+B müssen Käufer für eine Eigentumswohnung durchschnittlich im laufenden Jahr einen Quadratmeterpreis von 7089 Euro hinblättern, wie die Experten berechneten. Doch der Anstieg verläuft nicht mehr kontinuierlich, bei Neuwerbungen geht die Ziffer sogar leicht zurück. Im Jahr 2020 lag die Summe bei 7288 Euro pro Quadratmeter, wie F+B errechnete. Die Durchschnittsmiete kletterte jedoch weiter auf 16,68 Euro pro Quadratmeter.

So ist auch die Deutsche Bank über die Aussichten skeptisch. „Für München zeigen unsere Modelle ein relativ frühes Zyklusende an“, sagt Möbert. Die absoluten und relativen Preisbewertungen seien mittlerweile so hoch, dass weitere Preissteigerungen München zur teuersten europäischen Stadt machen würden. „Unserer Ansicht nach verliert München für Investoren daher sukzessive an Anziehungskraft“, meint der Experte. Der Vervielfältiger liegt in München bei 46,9 – und damit höher als in jeder anderen deutschen Metropole.

Frankfurt – Bankenstadt kommt an die Obergrenze

Es hat seinen Preis, in Deutschlands Bankenmetropole zu leben. Laut den Daten von F+B legten die Kaufpreise für eine Eigentumswohnung durchschnittlich um 32 Prozent seit dem Jahr 2016 zu. Im laufenden Jahr müssen Interessenten nunmehr im Schnitt rund 5549 Euro pro Quadratmeter zahlen. Die Miete liegt im Durchschnitt bei 11,94 Euro pro Quadratmeter.

Der Markt für Wohnimmobilien in Frankfurt am Main ist einer UBS-Studie zufolge inzwischen so überhitzt wie in sonst keiner anderen Metropolregion weltweit. Das Finanzzentrum am Main weist nach Einschätzung der Schweizer das höchste Blasenrisiko auf. An einen großen Knall glaubt die Deutsche Bank jedoch nicht. „Die fundamentale Angebotsknappheit dürfte hier besonders lange bestehen bleiben“, sagt Möbert. Von der Bewertungsseite könnten höhere Zinsen den Markt jedoch bremsen.

Wer noch Orte finden will, in denen die Kaufpreise den erzielbaren Mieten nicht so weit davongeeilt sind, muss deshalb in kleinere Städte schauen. Kaufpreisfaktoren von 15 bis 19, wie es sie vor zehn Jahren noch gegeben habe, seien heute jedoch selbst in deutschen C-Städten sehr selten, betonte Daniel Ritter, geschäftsführender Gesellschafter bei von Poll Immobilien. Für Investoren hält der Experte Standorte wie Saarbrücken, Magdeburg oder Wuppertal noch immer für interessant. Dort liegt der Vervielfältiger noch zwischen 21,9 und 20,5. Investoren sollten aber nicht nur erzielbare Mietrenditen und den Status quo beachten, sondern auch das Potenzial eines Standorts, sagt Ritter.

Für Michael Voigtländer, Immobilienexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft, sind hohe Vervielfältiger nämlich ein Blick in die Zukunft: „Der Preis einer Immobilie ergibt sich aus den zukünftigen diskontierten Mieten“, erklärt er. „Der Preis ist also je höher, desto geringer die künftigen Zinsen sind und je stärker man von einem Mietpreisanstieg ausgeht.“ Da in etablierten Regionen mit hohen Preisen die Gefahr eines Wertverfalls geringer sei, entwickelten sich die Vervielfältiger dort entsprechend.

Interessenten sollten sich allerdings über das mögliche Abschwächen des Booms in wichtigen Metropolen nicht zu früh freuen. Wer glaubt, dass er einfach die nächsten Jahre abwarten kann, um dann ein Schnäppchen am deutschen Immobilienmarkt machen zu können, der könnte einen Fehler machen. „Niemand sollte erwarten, dass wir einen Crash sehen werden“, betont Möbert. Der Boom werde abebben, oder die Preise würden leicht rückläufig sein. Und die Delle werde auch nur ein paar Jahre anhalten. „Wir könnten uns vorstellen, dass es einen Rückgang der nominalen Hauspreise für einen Zeitraum von drei Jahren um insgesamt fünf Prozent geben wird“, sagt der Fachmann voraus.

Blick auf die Notenbanken

Die Deutsche Bank will deshalb auch nur von einer Korrekturphase sprechen, aber nicht von einem Einbruch des Markts. „Auf Sicht der Dekade bleibt es bei einem Plus von rund 24 Prozent bei den Hauspreisen in Deutschland“, lautet die Einschätzung des Frankfurter Bankhauses.

Nach der Korrekturphase werde der Markt dann voraussichtlich wieder mit einem Plus von durchschnittlich 2,5 Prozent jährlich wachsen. Denn die Wohnungsbaupläne der Regierung würden Wirkung zeigen. „Wir schätzen die strukturelle jährliche Nachfrage nach neuen Wohnungen auf etwas über 350.000“, rechnet Möbert vor. Wenn die Zahl der fertiggestellten Wohnungen weiterhin mit 4,6 Prozent wie im Jahr 2020 wachse, dann liege das neue Angebot im Jahr 2023 über 350.000 und im Jahr 2026 über 400.000 Fertigstellungen.

Möbert warnt trotzdem davor, einen geplanten Immobilienkauf deswegen aufzuschieben. Denn für die meisten Immobilienkäufer sei noch wichtiger als die Preisentwicklung, was ein anderer wichtiger Spieler an den Finanzmärkten tut. „Wenn die Notenbanken perspektivisch für steigende Zinsen sorgen, hat das also einen nachhaltigen Einfluss auf den Immobilienmarkt“, mahnt Möbert. Interessenten sollten darum nicht glauben, es lohne sich, auf einen Rückgang im Jahr 2024 zu warten. „Wenn auf der Zinsseite etwas passieren sollte, sollte man eher heute als morgen kaufen“, lautet sein Rat an potenzielle Interessenten.

Das Objekt aus Dinslaken von Maklerin Pötters ist allerdings schon wieder vom Markt verschwunden. Der Verkauf des Hauses sei innerhalb eines Monats besiegelt worden, erzählt die Fachfrau aus Wesel.

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