B2B-Vertrieb: Früher Lieferant, heute Partner
Sie wollen Ihre B2B-Kunden dauerhaft an sich binden? Dann hören Sie auf, einfach nur zu verkaufen. Wie Sie gemeinsam mit Kunden Ideen entwickeln, um zu wachsen.
Von Christoph Senn
Im Jahr 2007 traf Sonos, ein Hersteller luxuriöser WLAN-Soundsysteme, mit Best Buy eine Vereinbarung: Die Handelskette sollte seine Produkte in mehr als 600 Filialen in den USA vertreiben und in den Geschäften durch interaktive, multizonale Livedemonstrationen bewerben. Im Gegenzug erhielt Best Buy Zugang zu den bestbewerteten neuen Soundsystemen der Welt. Das Abkommen war für beide Unternehmen ein Erfolg.
Zehn Jahre später war die Situation eine völlig andere: Die Gewinnspannen sanken rapide, und es kam zu Spannungen zwischen den beiden Unternehmen. Verantwortlich waren kurzfristig geänderte Werbeaktionen von Sonos, Probleme bei der Preisgestaltung und eine nach Ansicht von Best Buy fehlende strategische Übereinstimmung. Sonos wiederum war besorgt über den Abgang zentraler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Best Buy und fürchtete, dass dies die Partnerschaft beeinträchtigen würde.
2018 kam es in einem engen, fensterlosen Raum in Minneapolis zum Showdown. Eine Führungskraft von Best Buy stellte dem Sonos-Team de facto ein Ultimatum: Schlagen Sie uns bessere Konditionen vor, oder wir beenden das Meeting.
Das Gespräch strukturierten die beiden Unternehmen mit einem Tool, das ich in meiner 20-jährigen Arbeit als Vertriebspraktiker, -forscher und -berater entwickelt hatte. Die Teams sollten bestimmte Fragen stellen und beantworten, zum Beispiel: Wo liegen unsere gemeinsamen Stärken und Schwächen? Wie nimmt uns die andere Partei wahr? Was können wir tun, um die Beziehung zu verbessern?
Die Diskussion wurde hitzig. Die Teams hielten mit ihrer gegenseitigen, heftigen Kritik nicht hinter dem Berg. Nach etwa der Hälfte des Gesprächs zeigte sich die Führungskraft von Best Buy frustriert. „Welchen Sinn hat das alles?“, fragte er. „Wir brauchen doch nur ein paar Maßnahmen, die unsere Gewinnmarge verbessern; ansonsten sollten wir uns nicht gegenseitig die Zeit stehlen.“
Daraufhin plädierten Vertreter beider Parteien, von denen sich viele bis dahin nicht an der offenen Auseinandersetzung beteiligt hatten, für eine Fortsetzung des Gesprächs. Nach Jahren kleinkarierter Diskussionen über Taktiken und Preisgestaltung war dies schließlich das erste Mal, dass sich die beiden Teams offen mit übergeordneten Fragen der Strategie und der Zusammenarbeit auseinandersetzten. Kritik sei besser als Schweigen, argumentierten sie.
Und dann kam der Punkt, an dem eine für Lieferketten zuständige Führungskraft von Best Buy erklärte, dass zwei Vorschläge von Sonos – die Prozesseffizienz zu steigern und häufiger miteinander zu kommunizieren – für Best Buy größere Vorteile brächten als ein Preisnachlass. Daraufhin stimmte das Best-Buy-Team zu, das Treffen fortzusetzen – auch ohne ein Angebot von Sonos, die Preise zu senken.
„Wir richten uns auf weiteres Wachstum aus, als wären wir ein einziges Unternehmen“ – dieses Motto leitete die beiden Teams, als sie eine gemeinsame Roadmap entwickelten. Ein Jahr später waren die Aktivitäten beider Unternehmen besser aufeinander abgestimmt, das Wachstum war überdurchschnittlich. Die Teams führten dies auf ebenjene Gesprächsrunde und den daraus folgenden Strategiewechsel zurück.
„Wir richten uns auf weiteres Wachstum aus, als wären wir ein einziges Unternehmen“ – dies wurde das Motto der Teams von Sonos und Best Buy.
Viele schlecht laufende Vertriebsorganisationen im B2B-Bereich (Business-to-Business, also Geschäfte zwischen Unternehmen – Anm. d. Red.) arbeiten mit Value Propositions (zu Deutsch: Nutzenversprechen), bei denen die eigenen Produkte und Dienstleistungen einen höheren Stellenwert haben als die Zusammenarbeit mit den Käufern. Das fördert eine einseitige Sichtweise, bei der der wichtige Input der Kundinnen und Kunden fehlt. Da ein solcher Ansatz nur einen Aspekt von geschäftlichen Beziehungen berücksichtigt, liefert er selten eine umfassende, gemeinsame Strategie. Viele Account-Pläne bestehen aus Dutzenden Powerpointfolien, die Vertriebshistorie, Wettbewerbslandschaft und künftige Vertriebspipeline dokumentieren. Doch in Sachen Strategie ist ihr Inhalt oft erschreckend dünn.
Erfolgreiche B2B-Beziehungen beginnen mit einer umfassenden Diskussion zur Frage: Wie können Vertriebsteams ihren Kunden helfen, durch neue Initiativen Wert zu schaffen? Das ist etwas ganz anderes, als direkt darüber zu sprechen, wie sich vorhandene Produkte in eine bestehende Strategie integrieren lassen. Diese Erkenntnis hat mich dazu veranlasst, über zwei Fragen nachzudenken: Was sind die Bausteine erfolgreicher B2B-Geschäftsbeziehungen? Und: Wie können Unternehmen Beziehungen aufbauen, die auch unsichere Zeiten überdauern?
Während meiner Forschungen zwischen 1997 und 2020 habe ich theoretische und empirische Antworten auf diese Fragen gefunden. Erstens: Gute Geschäftsbeziehungen bestehen aus neun wesentlichen Bausteinen. Zweitens: Dauerhafte Beziehungen hängen von einer engen Zusammenarbeit zwischen Anbieter und Kunden ab.
Darauf aufbauend habe ich die „Triple Fit Canvas“ entwickelt – das Grundgerüst für eine B2B-Vertriebsstrategie, die eine gemeinsame Wertschöpfung durch Anbieter und Kunden erleichtert. Als Inspiration dienten mir hierbei die Blue Ocean Strategy Canvas (entwickelt von W. Chan Kim und Renée Mauborgne) sowie die Business Model Canvas (entwickelt von Alexander Osterwalder und Yves Pigneur). Die Triple Fit Canvas ist einerseits ein Diagnosetool und liefert andererseits auch konkrete Handlungsempfehlungen. Sie eröffnet dem Vertrieb einen ganzheitlichen Blick auf die Kunden. Das heißt: Sie verlagert den Fokus vom Verkauf von Produkten und Dienstleistungen auf Möglichkeiten für gemeinsames Wachstum.
In diesem Beitrag stelle ich die neun Bausteine der Triple Fit Canvas vor und berichte, wie Unternehmen wie Konica Minolta und BMW oder Maersk und The Gap davon profitiert haben. (Transparenzhinweis: Ich habe für alle in diesem Artikel erwähnten Anbieter als bezahlter Berater gearbeitet.)
Traditionelle B2B-Vertriebsprozesse beginnen oft damit, diejenigen Kunden zu ermitteln und anzusprechen, deren Bedürfnisse am besten zu den eigenen Produkten passen. Anschließend entwickelt der Anbieter ein Nutzenversprechen (Value Proposition) und kommuniziert dieses am Markt. Diese Taktik nennt sich Value Selling. Ihr Fokus liegt darauf, welchen Nutzen der Kunde aus den Produkten eines Unternehmens zieht, und nicht darauf, wie die beiden Parteien gemeinsam einen Mehrwert schaffen können.
Mein Forschungsteam und ich haben mehr als 3000 Beziehungen zwischen Unternehmen untersucht und dabei festgestellt: Nur 15 Prozent der Vertriebsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter im Kundenkontakt arbeiten mit ihren B2B-Kunden an einer gemeinsamen Wertschöpfung. Diese Unternehmen verdoppeln den Wert ihrer Accounts im Schnitt innerhalb von drei Jahren. Dagegen stagnieren Unternehmen, die Value Selling oder ähnliche Ansätze nutzen, oder erzielen nur geringes Wachstum. Ähnlich sieht es bei den Führungskräften im Vertrieb aus: Lediglich 14 Prozent denken kundenzentriert und wertschöpfend. Doch diese Wachstumssieger steigern Umsatz und Rentabilität doppelt so schnell wie ihre Mitbewerber.
Triple Fit mindert nicht den bestehenden Wert und die Bedeutung von Produkten und Dienstleistungen. Es handelt sich vielmehr um einen ganzheitlichen Ansatz, der Wertschöpfung auf drei Ebenen der Zusammenarbeit priorisiert: Planung, Ausführung und Ressourcen.
Planung. Diese Ebene besteht aus drei Bausteinen: Strategien, Beziehungen und Kommunikation. Sie ist ein Indikator dafür, wie gut die strategische Ausrichtung eines Unternehmens mit der seines B2B-Kunden übereinstimmt. Unternehmen sollten zunächst untersuchen, inwieweit ihr Vertriebsteam die strategische Perspektive des Kunden berücksichtigt. Anschließend müssen sie herausfinden, wie sie diese Perspektive bei der Entwicklung einer gemeinsamen Drei-Jahres-Vision nutzen können.
Das Vertriebsteam wiederum muss auf mehreren Unternehmensebenen Kontakte herstellen und pflegen. Das stärkt nicht nur die Beziehungen, sondern ermöglicht auch, jene Informationen an Kunden weiterzugeben, die für effektive Entscheidungen relevant sind.
Ausführung. Auch diese Ebene enthält drei Bausteine: Lösungen, Prozesse und Systeme. Sie zeigt, wie gut Anbieter die gemeinsame Strategie umsetzen: Wie schaffen sie es, einzigartige Lösungen und Dienstleistungen zu entwickeln, die einen Mehrwert für Kunden schaffen? Wie gestalten sie Prozesse entlang der Wertschöpfungskette effizient? Und wie führen sie unterstützende Systeme für IT, Finanzwesen und Rechtswesen ein?
Ressourcen. Hier heißen die drei Bausteine Menschen, Strukturen und Wissen. Diese Ebene lässt erkennen, ob der Anbieter über die notwendigen Ressourcen verfügt, um seine Kunden zu unterstützen. Dazu gehören vertrauenswürdige Berater mit einem kundenorientierten Mindset, eine kundenorientierte Organisationsstruktur und ein dynamisches Lernumfeld, das neue Geschäftschancen eröffnet.
Evonik Industries, ein Spezialchemiekonzern mit Sitz in Essen, nutzte 2006 eine frühe Version der Triple Fit Canvas, um die Kundenperspektive in seine Produktentwicklung zu integrieren. Im Mittelpunkt dieses Großprojekts stand eine vorausschauende strategische Wertschöpfung für die 300 größten Kunden von Evonik. In der ersten Phase veranstaltete das Unternehmen mit seinen Kunden Innovationsworkshops, um herauszufinden, wie diese Integration für jeden Einzelnen von ihnen aussehen könnte. In Phase zwei nutzten Evonik und seine Kunden die Canvas, um diese Erkenntnisse zu bündeln und sie in maßgeschneiderte, auf drei Jahre ausgelegte Wachstumspläne zu übersetzen. In Phase drei legte der Konzern seinen Kunden die Pläne zur endgültigen Bewertung vor.
Sechs Monate nach den ersten Gesprächen unterzeichnete das Unternehmen mit einem seiner größten Kunden in der Automobilindustrie einen Vertrag im Wert von 150 Millionen Euro. Der erfolgreiche Abschluss ging laut Evonik auf die mit der Triple Fit Canvas angestoßenen Diskussionen zurück. Dadurch hätten beide Parteien verstanden, welche Fähigkeiten die jeweils andere besaß und wie diese sich gegenseitig ergänzten. Evonik ist überzeugt, dass es die Finanzkrise 2008 dank dieses Prozesses besser überstanden hat als seine Wettbewerber.
**Schritt 1:**Beziehung bewerten
Eine Triple-Fit-Analyse besteht aus fünf Schritten. Lesen Sie sich im ersten Schritt die zehn Aussagen im Kasten „Wie eng ist die Beziehung zu Ihrem Kunden? (Seite 47) durch. Bewerten Sie dann, inwieweit die einzelnen Aussagen aus Sicht eines bestimmten B2B-Kunden zutreffen. Die Skala reicht von 1 („stimme überhaupt nicht zu“) bis 5 („stimme voll und ganz zu“). Die Aussagen beziehen sich darauf, wie gut Ihr Unternehmen mit diesem Kunden zusammenarbeitet und kommuniziert. Statement Nummer eins zielt darauf ab, eine Gesamtsicht der Beziehung zu erfassen, während die anderen neun Aussagen für jeweils einen der oben genannten Bausteine stehen.
Um den sogenannten Self-Reporting-Bias auszuschließen – ein verzerrtes Ergebnis, weil eigene Wahrnehmung und Wirklichkeit auseinanderklaffen –, sollten Sie auch Ihren Kunden bitten zu bewerten, inwieweit die Aussagen zutreffen. Wenn Sie selbst Ihr Team sehr gut bewerten und Ihr Kunde dem zustimmt, pflegen Sie vermutlich eine solide, erfolgreiche Beziehung. Umgekehrt signalisieren negative Bewertungen, dass Ihre Beziehung verbesserungswürdig ist. Sie sollten also daran arbeiten, dass so viele Aussagen wie möglich die volle Punktzahl erhalten.
Ihre Bewertung mit Kunden zu teilen kann sich durchaus lohnen. 2021 bat Virginie Jackson, Key-Account-Managerin beim niederländischen Chemiekonzern DSM, einen ihrer Kunden um Feedback zu den Ergebnissen ihrer Triple-Fit-Selbsteinschätzung. Der Hersteller von Milchprodukten bot an, über Probleme bei der Zusammenarbeit mit DSM zu sprechen und zu diskutieren, in welchen Bereichen eine Wertschöpfung für beide Seiten Vorteile hätte. Ein erstes Ergebnis war: Beide Parteien verständigten sich darauf, die Anzahl der unrentablen Warenbestandseinheiten (Stock-Keeping Units, kurz SKUs) im Angebot zu reduzieren.
Im nächsten Schritt rief ein gemeinsames Team Entwicklungskooperationen und Nachhaltigkeitsprojekte ins Leben. Diese sollten die Mission des Kunden unterstützen, ein führender Anbieter von Bioprodukten zu werden. Ergebnis dieses Treffens und der nachfolgenden Gespräche: DSM verdoppelte den Wert des Pilotprogramms des Milchprodukteherstellers und steigerte seinen Umsatz mit diesem Kunden in weniger als einem Jahr um fast eine Million Euro.
Nachdem Sie den Reifegrad Ihrer B2B-Kundenbeziehung bestimmt haben, müssen Sie herausfinden, warum Ihr Unternehmen in bestimmten Bereichen erfolgreich ist oder aber Schwierigkeiten hat. Fragen Sie sich, wie es dazu gekommen ist. Das kann Ihnen helfen, seine Stärken und Schwächen zu ermitteln. Haben Sie in einem Bereich ungenügende Bewertungen erhalten, fragen Sie bis zu fünfmal „Warum?“, bis Sie die Ursache klar definieren können. Bitten Sie Ihren Kunden dabei um Hilfe.
Um seine Beziehungen zu einer Großbank zu verbessern, erstellte das Vertriebsteam von Vodafone 2018 unter der Leitung des damaligen Global Account Managers Keith Shaw eine Triple-Fit-Analyse. Diese konzentrierte sich auf das offensichtliche Wertegefälle zwischen den beiden Unternehmen sowie auf das finanzielle und operative Risiko, das mit einer Angleichung dieser Werte verbunden wäre. Die Teams der beiden Unternehmen erkannten, dass der Kunde seine Technik auf die Zukunft des mobilen Bankings vorbereiten musste.
Auf Grundlage der Triple-Fit-Analyse erarbeiteten die Unternehmen ein Vorgehen, um zu erfassen, wie Zehntausende Angestellte der Bank bestimmte Technologien nutzten. Diese Informationen setzten sie ein, um die technischen Voraussetzungen für eine „Bring your own device“-Richtlinie zu schaffen. Diese ermöglicht seitdem allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bank, ihr eigenes Endgerät für ihre Arbeit zu nutzen.
Zudem trieben die beiden Unternehmen wegen der Corona-Pandemie den Entwurf einer Richtlinie für das Arbeiten im Homeoffice voran. Dies führte letztlich zum Einsatz neuer, fortschrittlicher Remote-Kommunikationslösungen. Damit die Dynamik der Zusammenarbeit erhalten blieb, trafen sich Topmanagerinnen und -manager beider Unternehmen regelmäßig. Dabei überprüften sie mithilfe der Triple Fit Canvas auch immer wieder ihren Status, um neue Wertschöpfungsprozesse anzustoßen. In den folgenden drei Jahren legten Vodafones Geschäfte mit der Großbank jährlich um 11 Prozent zu, während die Opportunity Pipeline (Summe aller kaufbereiten Kontakte – Anm. d. Red.) um 30 Prozent wuchs.
Die Ergebnisse von Schritt 2 bilden die Grundlage, um Ideen zur Wertsteigerung und Risikominderung zu entwickeln. Was müssen Sie tun, um die Situation zu verbessern oder zumindest aufrechtzuerhalten? Mit dieser Frage haben Sie eine einfache, aber wirkungsvolle Methode an der Hand, um Lösungsideen zu entwickeln.
Allerdings ist es wichtig, nicht vorschnell Schlüsse zu ziehen oder Maßnahmen einzuleiten. Gehen Sie systematisch und überlegt vor. Ermitteln Sie zunächst die gesamte Bandbreite sinnvoller Optionen, priorisieren und wählen Sie dann die vielversprechendsten Ideen aus und sichern Sie sich die Unterstützung aller Beteiligten. Viele Vertriebler, die den Ansatz des Value Selling verfolgen, überspringen diesen Schritt – und wundern sich dann, warum ihre „Lösungen“ scheitern.
Der Schindler-Konzern, ein Schweizer Hersteller von Rolltreppen, Fahrsteigen und Aufzügen, pflegte bereits seit mehreren Jahren Kontakt zu einem multinationalen Bau-, Immobilien- und Infrastrukturunternehmen. 2019 schlug Michael Dobler, der Senior Vice President Global Key Accounts bei Schindler, vor, den Triple-Fit-Prozess für die gemeinsame Entwicklung neuer Geschäfte zu nutzen. Das Interesse des Infrastrukturunternehmens war geweckt: Es hatte noch nie gemeinsam mit einem Lieferanten Geschäftsfragen diskutiert, die über Produkt- und Preiskonfigurationen hinausgingen.
Das Ergebnis der Gespräche waren Initiativen zur Kostensenkung sowie eine verbesserte Produktqualität und -sicherheit. Durch Triple Fit konnte das Infrastrukturunternehmen über einen Zeitraum von zwei Jahren mehr als 16 Millionen Dollar einsparen. Es vergab den Großteil seiner Aufträge an Schindler und gewährte dem Hersteller umfassende Einsicht in seine Projektpipeline für die kommenden zehn Jahre.
Durch Triple Fit sparte ein Kunde des Aufzugherstellers Schindler mehr als 16 Millionen Dollar innerhalb von zwei Jahren.
Schindler verwendet die Triple-Fit-Methode bis heute, um potenzielle Geschäftsbeziehungen zu bewerten und um eine strategische Roadmap für die gemeinsame Wertschöpfung mit existierenden Kunden zu erstellen. „Die Triple Fit Canvas hilft uns, hochwertige Beziehungen zu Kunden und Projektpartnern zu entwickeln und diese wie ein Unternehmen zu führen“, sagt Michael Dobler.
Schritt 4 unterteilt die Vorschläge zur Wertschöpfung in kurz- und langfristige Maßnahmen: 1. Quick-Win-Aktionen für 90-Tage-Projekte; 2. längerfristige Initiativen mit einer Dauer von bis zu drei Jahren. Um sich die Unterstützung der Stakeholder zu sichern, sollten Sie das berühmte Filmzitat aus „Jerry Maguire“ bemühen: „Show me the money!“. Beschreiben Sie im Detail, wie sich die einzelnen Maßnahmen umsetzen lassen und wie sie Mehrwert schaffen.
Konica Minolta verwendete diesen Ansatz in seiner Beziehung zur BMW Group. Der Geschäftsbereich Business Solutions von Konica hatte kurz zuvor begonnen, BMW mit Multifunktionsgeräten, Druckern und Plottern zu beliefern. Schon bald erkannten beide Parteien, dass der starke Fokus von BMW auf Preis und Hardware die Wertschöpfung behinderte. Deshalb führte das Konica-Team gemeinsam mit BMW eine Triple-Fit-Analyse durch, um herauszufinden, wo Verbesserungen möglich waren.
Die Zusammenarbeit stieß mehrere kurzfristige Innovationen an. So können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von BMW mittlerweile Dokumente und Bilder von jedem Gerät aus drucken und gescannte Daten auf mobile Geräte importieren. Außerdem hat sich in mehreren Fällen die Produktivität von Arbeitsabläufen mit mobilen Geräten deutlich verbessert. So konnte BMW Kosten sparen und die Prozesse in seinen weltweiten Produktionszentren verbessern.
Vor Kurzem haben die beiden Unternehmen eine langfristige Partnerschaft vereinbart, durch die das Volumen des BMW-Accounts um 300 Prozent gewachsen ist.
Im fünften und letzten Schritt müssen Sie Ihre gebündelten Triple-Fit-Ergebnisse in einer zentralen Botschaft zusammenfassen und den Stakeholdern präsentieren. Produktorientierten Vertrieblern fällt es oft schwer, sich auf das Denken in großen Zusammenhängen und eine gemeinschaftliche Wertschöpfung umzustellen. Sie müssen sie also davon überzeugen, dass der Prozess in ihrem eigenen Interesse ist – kurz- wie langfristig. Zudem müssen Sie leitende Führungskräfte dafür gewinnen, dass sie Ihre Botschaft übernehmen, die entsprechenden Initiativen finanzieren und die Vorteile und Risiken akzeptieren.
Der Logistikkonzern Maersk plante, die seit 30 Jahren bestehende Beziehung zwischen dem Bekleidungsunternehmen The Gap und einem Konkurrenten von Maersk in der Logistikbranche anzugreifen. Dafür beauftragte der Konzern Christine Dickson, die bei Maersk als Global Key Client Director für The Gap verantwortlich war. Dickson war überzeugt, dass eine Triple-Fit-Analyse der Zusammenarbeit von Maersk und The Gap Aufschluss darüber geben würde, wie sich die Beziehung verbessern ließe.
Die Geschäftspartner stellten fest, dass sie sich in mehreren Triple-Fit-Bereichen schwertaten, vor allem mit den Bausteinen Strategien, Beziehungen und Strukturen. Dickson wollte außerdem Schwachstellen in der Beziehung zwischen dem Konkurrenten und The Gap identifizieren, die als Angriffspunkt für Maersk dienen konnten. Gleichzeitig war ihr bewusst, dass sie nicht einfach ein Meeting mit Maersk-Führungskräften anberaumen und diesen eröffnen konnte, dass sie eine Triple-Fit-Analyse mit The Gap durchführen wollte. Erst als sie ein klares Bild davon entwickelt hatte, was zu einem solchen Prozess alles dazugehörte, konnte sie ihr Leadership-Team davon überzeugen, diesen neuen Ansatz auszuprobieren.
Gemeinsam mit ihren Ansprechpartnern bei The Gap erstellte Dickson eine detaillierte Cashflowanalyse. Sie zeigte, wo das Bekleidungsunternehmen sparen konnte: Lagerbestände abbauen, die Preise für veraltete Kollektionen reduzieren, Vorlaufzeiten verkürzen und die Markteinführung von neuen Produkten beschleunigen. Für einen Probelauf wählte Dickson das Gap-Lager in Carson im US-Bundesstaat Kalifornien aus. Da persönliche Treffen und Reisen aufgrund der Corona-Pandemie eingeschränkt waren, ließ Maersk eine Drohne durch die Lagerhalle fliegen, um Bereiche mit Verbesserungspotenzial zu identifizieren.
Dicksons Analyse führte dazu, dass The Gap und Maersk transparente Lieferzeitpläne entwickelten und einen bevorzugten Zugang zu den Lagerhallen, eine Auftragsabwicklung innerhalb von 24 Stunden sowie eine Zustellgarantie einführten.
All diese Maßnahmen brachten eine erhebliche Wertschöpfung in jedem der neun Triple-Fit-Bereiche. Durch die Initiative sanken die Logistikkosten von The Gap in der Pilotphase um mehr als 25 Millionen US-Dollar, während Maersk hier seinen Umsatz und seine Rentabilität innerhalb von zwei Jahren um 300 Prozent erhöhte.
Die Analyse von Kundendaten und -umfragen führt nur selten dazu, dass Unternehmen neue Innovationen anstoßen. Es ist zwar wichtig, sich mit diesen Daten zu befassen, da sie Entscheidungen verbessern und Neuerungen in die richtige Richtung lenken können. Viel wertvoller ist es jedoch, mit ausgewählten B2B-Kunden zusammen einen neuen Kurs auszuarbeiten. Wenn Sie gemeinsam eine Wertschöpfungsstrategie gestalten, können Sie Frühindikatoren entwickeln, die auf neue Probleme hindeuten, anstatt Spätindikatoren zu verwenden, die lediglich bestehende Probleme sichtbar machen.
Die Triple Fit Canvas kann Ihnen nicht nur helfen zu erkennen, in welchen Bereichen Ihre aktuellen Probleme liegen. Sie kann Sie auch dabei unterstützen, Chancen für künftige Innovationen und Wachstum zu identifizieren. Die meisten Vertriebsteams übersehen solche Chancen – und damit die großen Möglichkeiten, die sich aus einer Zusammenarbeit mit B2B-Kunden ergeben können. Dadurch entgehen ihnen nicht nur Umsatzchancen. Sie finden sich vielleicht auch in einer äußerst ungünstigen Situation wieder, wenn Beziehungen irgendwann scheitern oder die globalen Finanzmärkte einbrechen.
Die besten Vertriebsteams hingegen arbeiten gemeinsam mit ihren Kunden nach dem „One Company“-Prinzip zusammen und erschließen neue Wertschöpfungsquellen nach dem Motto: „Was wäre, wenn wir ein gemeinsames Unternehmen wären?“ © HBP 2023
Autor
Christoph Sennist Titularprofessor für Marketing und einer der Co-Direktoren der Marketing & Sales Excellence Initiative der französischen Business School Insead in Fontainebleau.
Kompakt
Das Problem Gerade einmal 15 Prozent der Vertriebler arbeiten mit ihren B2B-Kunden an einer gemeinsamen Wertschöpfung. Diese Topleute verdoppeln den Wert ihrer Accounts im Schnitt innerhalb von drei Jahren – im Gegensatz zu jenen, die Value Selling oder ähnliche Ansätze nutzen. Bei diesen stagniert das Wachstum oder steigt allenfalls leicht an.
Die Ursache Viele schlecht laufende Vertriebsorganisationen arbeiten mit Nutzenversprechen (Value Propositions), bei denen die eigenen Produkte und Dienstleistungen einen höheren Stellenwert haben als die Zusammenarbeit mit den Käufern. Bei dieser einseitigen Sichtweise fehlt jedoch der wichtige Input der Kunden.
Die Lösung Mithilfe der Triple Fit Canvas finden Anbieter heraus, an welchen Punkten ihre Kundenbeziehungen Defizite aufweisen. Anschließend können beide Unternehmen gemeinsam herausfinden, wie sie in Zukunft als Partner Innovationen und Wachstum zum beiderseitigen Vorteil vorantreiben.
Dieser Beitrag erschien erstmals in der April-Ausgabe 2023 des Harvard Business managers.
