„Bald bist du vergessen, also schreib“
Diesen Satz sagte die Schwester von Heidelinde Weis und bat die Schauspielerin, ihr Leben in einer bleibenden Form auszusprechen. Als ich ihn las, musste ich sofort an die Redewendung von Robert Gernhardt denken, der sich für das geschriebene Wort einsetzte: „Wer schreibt, bleibt – wer spricht, nicht!“
Nun hat sie ihre Biografie geschrieben – es ist der „Versuch herauszufinden, was das Wichtigste in meinem Leben war. Ob es so glücklich war, wie ich mich fühle.“ Auch wenn sie inzwischen über achtzig Jahre alt ist, hat sie heute doch das Gefühl, dass das Leben erst jetzt beginnt. Deshalb wählte sie den Buchtitel „Das Beste kommt noch“. Ich habe mich oft gefragt, warum sie eine der Lieblingsschauspielerinnen meiner Mutter ist. Vieles wurde mir durch dieses Buch klarer: Es ist das Zarte, das doch so stark und wirkungsvoll ist - wenn man es bewusst wahrnimmt. Und so ist es sicher auch kein Zufall, dass die Lieblingsblumen meiner Mutter Freesien sind. Diese Blumen passen auch perfekt zu Heidelinde Weis: Sie sind grazil und farbenfroh, und lassen sich gut mit anderen Blumen kombinieren. Sie drängen sich nicht in den Vordergrund wie die Rosen, sondern wollen entdeckt werden.
Aber sie konnte, wenn jemand fest an sie geglaubt hat, „aus diesem Schatten heraustreten, zu den Schönen auf die Sonnenseite.“ Nie gehörte sie zu den von ihr beschriebenen AHA-Typen, „die zur Tür reinkommen und den Männern bleibt der Mund offen.“ Vielmehr gehörte sie zu den Stillen und Unscheinbaren, die häufig beschützt werden müssen, „für die muss man sich Zeit nehmen, das sind manchmal die überraschendsten Talente.“ Diese Menschen sind Meister:innen ihres Fachs und werden deshalb auch nicht größenwahnsinnig wie die AHA-Typen, denen der Erfolg oft nur angeklebt ist wie ein paar künstliche Flügel. Die „Weis“-Typen haben sich alles erarbeitet und können deshalb wirklich fliegen und wieder auf dem Boden landen – aus innerer Kraft. Eigentlich hat sie sich nie viel zugetraut. „Ich war ein rundlicher, nicht besonders hübscher, knapp 15-jähriger Teenager. Backfisch“, sagte ihre Oma.“ Als kleines Kind hat sie alles immer nur mitgemacht: „Dort, wo man mich hingestellt hat, bin ich erstmal stehengeblieben. Ich habe, wie meine Mutter erzählte, zwar manchmal getobt, aber ich habe mich gefügt.“ Ihr Vater sagte in einem Interview, dass sie ein mutiger Mensch gewesen sei – doch zu diesem Menschen wurde sie erst viel später:
Beim Theater-Spielen mit Pater Adolf und Singen in Villach war sie in ihrem Element. Als sie Schülerin mit einer Wanderbühne von Schule zu Schule führ, war ihre Leidenschaft vollends geweckt. Später schaffte sie die Aufnahmeprüfung am Wiener Reinhardt-Seminar und wurde neben Erika Pluhar und Senta Berger, Dany Sigel, Klaus Wildbolz, Nikolaus Paryla und anderen eine der wenigen, die aufgenommen wurde. Heute kann sie auf 65 Jahre Theater-, Kino- und Filmgeschichte zurückblicken. Natürlich ist sie auch gestolpert und gestrauchelt, was sie auch irritiert oder verärgert hat. Aber sie hat „gekämpft und trotzdem zugelassen. Da verstehe einer die Welt!“ Sie hatte mehrere Fehlgeburten. Drei Mal hat sie den Krebs besiegt. Doch niemals stellte sie sich die Frage nach dem Warum, sondern packte die Gelegenheit am Schopf und versuchte, das Beste aus der jeweiligen Situation daraus zu machen. Niemals würde sie ihre Krankheiten als negativ bezeichnen, weil sie auch aus den Schattenseiten ihres Lebens immer „reicher herausgegangen“ ist.
Zehn Jahre pflegte sie ihren Mann, den Theaterproduzenten Hellmuth Duna, daheim. Sie erfüllte die noch laufenden Verträge, hörte auf zu spielen und nahm nur noch kleine Rollen an. Sie wusste, was ihre neue Aufgabe ist, und wollte sie gut wie möglich erfüllen. Was vorher Dienst an einem künstlerischen Werk war, war nun der Dienst an einem Menschen. Ihr Mann starb 1998. Dennoch hat sie heute das Gefühl, dass er (wie gute Freunde, zu denen Martin Benrath, Werner Schneyder oder Dieter Hildebrandt gehörten) um sie ist. Sie ist dankbar, Erfüllung und Zeit mit ihm gehabt zu haben.
Denn nur wenn wir uns unserer eigenen Sterblichkeit bewusst sind, entwickeln wir einen Sinn für das Wesentliche. Und nur wer weiß, was wesentlich ist, weiß auch, wofür es sich einzusetzen lohnt. Letztlich geht es doch vor allem darum, das eigene Leben als eine zu gestaltende Aufgabe anzunehmen und es mit Sinn zu erfüllen. Dieses Buch ist so viel mehr als nur eine Autobiografie – es ist ein Lebensstück der Nachhaltigkeit, das uns zeigt, worauf es im Leben ankommt: aus seinem Schatten herauszutreten und zu werden, der man ist.
Heidelinde Weis: Das Beste kommt noch. Autobiografie. Wieser Verlag, Klagenfurt 2022.
Gelebte Nachhaltigkeit: alterslos – grenzenlos
Was im Alter bleibt: Über die Liebe, das Leben und das Loslassen
Simone Rethel-Heesters: Alterslos – Grenzenlos. Porträts und Gespräche über das Leben. Westend Verlag. Frankfurt a.M. 2021.