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Bauchgefühl eines Büchermachers: Interview mit Wilhelm Ruprecht Frieling

Aus dem Bauch heraus entwickelte der Berliner Journalist den größten deutschen Autorenverlag. Gegen seine Idee sprachen viele Branchenkenner. Doch die Experten irrten. Der erfolgreiche Business Punk plädiert dafür, sich bei manchen Entscheidungen besser auf seinen Bauch zu verlassen, statt blind den Gesetzen der Logik und Vernunft zu folgen.

Bei einer eingeführten und durchgesetzten Marke ist es irrelevant, ob Hermann Bahlsen selbst am heimischen Herd neue Keksrezepte ersinnt. Es spielt keine Rolle, ob Eduard Kettner die unter seinem Namen vertriebene Doppelbüchse im Kölner Stadtforst testet. Für den Geschäftsgang ist bedeutungslos, ob Leopold Ullstein persönlich Manuskripte redigiert oder Onkel Valensina mit eigenen Händen saftige Südfrüchte pflückt. Die Markenpersönlichkeit ist Garantie genug. Ich wollte ein Programm verwirklichen, das ausgesuchte Adressaten zu einem vollkommen in sich geschlossenen Ideal führt, dem sie möglichst unbeirrt folgten. 1980 wagte ich den Sprung in die Selbstständigkeit und gründete den inhabergeführten Verlag Frieling & Partner. Vermittelt wurde von Anfang an, der Verleger persönlich prüfe jedes einzelne Manuskript, das sein Unternehmen entgegennahm, und lese jedes Druck-Erzeugnis, das es verlegte. Gedacht war ein aus der Gründerfigur entwickelter Marken-Brand mit langer Tradition.

Aus ihr schöpfte ich die Tatsache, dass mein Urgroßvater gleichen Namens 1871 ein Stanz- und Emaillierwerk gegründet hatte, das bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts bestand. Das Logo des Unternehmens war ein Uhu. Dieses Wappentier des Geistes verwendete ich mit der Bezeichnung »Familientradition seit 1871«. In vierter Generation lieferte Frieling damit Qualität im Mar¬ken¬zeichen der Eule. Ich schmunzelte innerlich, wenn daraus geschlossen wurde, der Verlag sei ein Hundertjähriger, der aus dem Fenster stieg und zu neuen Ufern aufbrach.

Der Kunde nahm für bare Münze, dass der engagierte Gründer sein Manuskript begleitete und möglichst zum Erfolg führte. Ohne Kapital, Kriegskasse und Kredite stampfte ich in zwanzig Jahren ein Millionenunternehmen aus dem Nichts. Über 10.000 Autoren banden sich vertraglich, um ihr Werk herstellen, herausgeben und verlegerisch betreuen zu lassen. Täglich erschien mindestens ein Buch mit einem durchschnittlichen Umfang von 292 Seiten. Die mit der Produktion verbundene Arbeit war nur mit einem eingespielten Team zu bewältigen. Insofern steht der Frieling-Verlag beispielhaft für Marken-Branding und kann damit Eingang in jedes Lehrbuch finden. Auf Schöpfung, Einrichtung und Durchsetzung der Marke am Markt gründet der merkantile Erfolg. Das Besondere daran war: Die Geschäftsidee wuchs aus dem Bauch heraus und fußte auf Intuition, Beobachtungsgabe, Einfühlungsvermögen und Erfahrung.

Unsere Urväter waren Einzeller. Sie bestanden ausschließlich aus Verdauungstrakten. Erst im Laufe der Evolution bildete sich ein zweites Hirn heraus. Betrachtet man Bauchraum und Gehirn von außen, stellt man fest, dass ihre Struktur erstaunlich ähnlich ist. Sie winden und drehen sich und bestehen aus unzähligen Nervenzellen. Es gibt offenbar zwei Intelligenzzentren in unserem Körper. Dabei ist der Unterleib ein weit geöffnetes Fenster zum Oberstübchen. Verdauungssysteme und Gehirn sind tausendfach miteinander vernetzt. Sie stehen in dauerhaftem Austausch. Sie kommunizieren via Hormone und Botenstoffe. Ihre Verständigung funktioniert in beide Richtungen über die Darm-Hirn-Achse. Dies ist der Grund, warum Forscher den Bauch gern »Bauchhirn« nennen.

Meldet unser Gehirn Hungergefühle, dann stammt diese Begierde aus dem Verdauungssystem, das entsprechende Wünsche knurrend zum Ausdruck bringt. Umgekehrt schickt das Hirn Signale »nach unten«, wenn optische oder olfaktorische Reize ausgelöst werden, die beispielsweise Heißhunger auslösen. »Schmetterlinge im Bauch« sind ein lebendiges Bild für diejenigen Sinnesreize, die unsere »Unterwelt« dem Hirn in der Form von Wunsch, Verlangen und Begierde übermitteln. Liebe geht »durch den Magen« statt durch den Kopf. Das ist zwar bezogen auf manche Paarungen kein positives Argument für das Bauchgefühl. Aber Tatsache ist: Zuneigung macht blind und unempfindlich gegen schwere Kost. Sie steigert sogar das Hungergefühl. Studien beweisen: Paare futtern mehr und nehmen eher zu als Alleinstehende.

Ein satter Bauch macht schläfrig. Fettiges, reichhaltiges Essen hat eine höhere Verweildauer im Magen und steigert die Durchblutung des Verdauungstrakts. Der Körper ermüdet, da dem Hirn Blut fehlt. Gerne wird deswegen in einem vollen Leib der Grund für eine verminderte Leistungsfähigkeit des Gehirns gesehen. Käse schließt den Magen. Die im Milchprodukt enthaltenen freien Fettsäuren gelangen über die Speiseröhre und den Bauch in den Dünndarm. Dort entstehen durch die Verdauung weitere freie Lipiden. Kommen diese mit der Darmschleimhaut in Kontakt, schüttet diese hormonartige Stoffe aus, welche die Magentätigkeit verlangsamen und bewirken, dass sich der Ausgang schließt. Diese Infos erreichen in Nanosekunden unser Gehirn, das wiederum informiert, satt zu sein. Eine traditionelle Oma-Wärmflasche lindert Bauchschmerzen. Denn Wärme nutzt dem Bauch. Beschwerden bei Bauchkrämpfen werden durch verminderte Durchblutung und durch Dehnung der inneren Organe ausgelöst. Erwärmt man die Haut im Umfeld der Schmerzen auf über 40 Grad Celsius, wirkt dies durchblutungsfördernd und entspannend.

Auf Buchmessen, in Literatursalons, auf Lesungen und in Buchhandlungen begegnete ich Zeitgenossen, die ungewöhnliche Geschichten von Frustration und Vergeblichkeit erzählten. Sie hatten lesenswerte Bücher geschrieben und suchten verzweifelt nach einem Verleger. Doch sie fanden keinen. Fast alle scheiterten an der hochnäsigen Sichtweise der angesprochenen Verlagsunternehmen, die übereinstimmend davon ausgehen, geeignete Autoren selbst zu entdecken. Sie erträumten den Glückstag, dass ein Verleger sie fände, sich ihrer annähme und ihr Talent »entdeckt«. Innerlich schäumte ich, wenn mich Gesprächspartner einen Blick in ihre Taschen werfen ließen. Dort lagen die oft aus vielen hundert Seiten bestehenden Konvolute, deren Blätter deutliche Gebrauchsspuren zeigten: Unübersehbar waren diese Niederschriften durch Dutzende Hände gegangen. Doch kein Verlag hatte angebissen. Verzweiflung breitete sich aus.

Ich erlebte Autoren, die schon ein Stück weitergekommen waren. Sie hatten eine Druckerei vor Ort beauftragt, aus ihrem Manuskript ein Buch zu zaubern. Das Ergebnis fiel leider oft semiprofessionell aus. In vielen Fällen waren die Titel unverkäuflich. Auf den ersten Blick wirkten einige Cover selbst gebastelt oder von Kindern fabriziert. Die Innenteile waren selten lesefreundlich gestaltet. Oft war es pures Augenpulver. Den Druckereien ließen durch ihre Maschinen laufen, was ihnen vorgelegt wurde. Sie maßen Inhalten keine Bedeutung zu. Ihr Knowhow war der Druck.

Dann gab es Autoren, die durchaus ansprechende Bücher präsentierten. Sie hatten Geld in die Hand genommen, Layouter und Grafiker beauftragt und ein wirkmächtiges Cover entwickelt. Der Innenteil des Werkes war professionell gesetzt und ließ sich angenehm lesen. Technisch waren diese Druckerzeugnisse oft ein Augenschmaus: auf 90 g Offset gedrucktes, leinengebundenes Hardcover mit Kaptal- und Leseband. Die Herstellungskosten der meist 1.000 gedruckten Exemplare waren der größte Kostenfaktor. Dazu addierte der Autor weitere Fremdkosten wie Korrektorat und Lektorat. Dann verdoppelte er den Einzelpreis zum Ladenpreis. Lagerkosten entfielen, die Bücherstapel lagerten daheim im Arbeitszimmer. Eine scheinbar simple Rechnung. Der prächtige Band wurde durch den aufwändigen Herstellungsprozess so teuer, dass er von angesprochenen Händlern abgelehnt wurde. Außerdem hatte der Autor auf eigene Kosten nie zuvor von Buchhandelsrabatten gehört und reagierte entsprechend ratlos. Der veranschlagte Ladenpreis gab einen derartigen Rabatt überhaupt nicht her. Welche Chancen blieben dem frustrierten Autor auf eigene Kosten? Weiteres Geld in Werbeaktionen verpulvern? Die Exemplare verramschen, alles verschenken – doch an wen? Im Keller stapeln oder gar vernichten? Gab es eine Lösung?

Ich hatte in meinen Anfängerjahren selbst Absagen von Verlagen kassiert, denen ich Entwürfe oder Leseproben zugeschickt hatte, und ich war darüber nicht glücklich. Aus Erfahrung kannte ich den immer gleichen Ablauf. Statt des erwarteten Verlagsvertrages kam im besten Fall einen Serienbrief, man habe derzeit keinen Bedarf an neuen Texten. Gleichzeitig hatte ich in Gesprächen mit Lektoren angesehener Verlage verstanden, wie es läuft: In den meisten Eingangslektoraten wird von Volontären entschieden, ob es sich lohnt, mehr als die ich selbst empfehlenden Bettelbriefe zu lesen. Eine Umfrage zu diesem Thema ermittelte schon in den neunziger Jahren: In einem gesamten Kalenderjahr wurden schlappe drei Newcomer, die sich beworben hatten, veröffentlicht. Die Werke dieser wenigen Glücklichen traten gegen rund 150.000 neue Bücher an, die jährlich im deutschsprachigen Raum erscheinen. In der Realität läuft die Empfehlung neuer Autoren durch Mundpropaganda und Netzwerke. Das reicht von Absprachen zwischen den Pressestellen der Verlage und den Großkopfeten in den Feuilletons und Wirtschaftsredaktionen bis zum Tipp eines Kollegen, Kommilitonen oder Kumpels. Der eine verlässt sich auf den Hinweis des einen, da er bislang stets damit gut gefahren ist. Der andere, weil ihm der richtige Kontakt zu Aufstieg und Vermögen verhalf. Man kennt sich halt untereinander. »Du, ich brauche Romance für 14- bis 18-jährige Mädchen.« - »Zufällig habe ich neulich eine Autorin aus Österreich kennengelernt, die jede Steifheit ihrer Landsleute frech ironisiert. Die passt für deinen Beratungskunden. Ihre Daten schicke ich dir gern.« Durch eine derartige Zufallsfrage habe ich im Gespräch mit einem Agenten beispielsweise eine Nachwuchsautorin an das Lektorat eines Publikumsverlages vermittelt. Viele Autoren leben und schreiben zurückgezogen und allein. Ihnen fehlt ein Gesprächspartner, um über Themen, Texte und Figuren diskutieren. Frauen haben es ein wenig leichter, da sie kommunikativer sind und sich gern direkt austauschen.

Ein in Berufsjahren junger Autor besucht keine Partys, Pressekonferenzen und Veranstaltungen von Bedeutung, wo man sich sieht, kennt, zuprostet und austauscht. Neulinge finden schwer Zugang zu dieser Szene. Um erfolgreich zu sein, kauft man sich deshalb Dienstleistungen, sobald das Manuskript fertig ist. Dazu zählen Lektorat, Korrektorat, Covergestaltung, Umbruch und Layout und gezielte Öffentlichkeitsarbeit. Ohne Werbung und PR bewegt sich auch das tollste Buch nicht. Schwierig bei diesem Stichwort ist die schnelle Veränderung der Märkte und Möglichkeiten. Größtes Ziel ist es für alle Beteiligten, exakt und ohne Streuverlust die Zielgruppe anzusprechen, für die das Buch verfasst wurde. Dazu muss der Absatzmarkt ständig beobachtet und analysiert werden. Wer beispielsweise einen Ratgeber für Schachfreunde schreibt, kann die Adressdatenbank eines Schachvereins nutzen. Das wäre in jeder Richtung ökonomischer als eine stadtweite Plakataktion durchzuführen in der trügerischen Hoffnung, irgendein Schachspieler könne das Plakat sehen und das Buch bestellen. Eine derartige Aktion ist selbst für außenstehende Betrachter reine Geldverschwendung.

Durch meine Erfahrung verfügte ich über komplexes Hintergrundwissen, das einen enormen Wert darstellte. Ich hatte jede denkbare Situation selbst erlebt: In der Rolle des freien Autors verkaufte ich Texte an Redaktionen und Lektorate. Als angestellter Redakteur bestellte ich geeignete Beiträge bei meinen Stammautoren und wehrte ungebeten eingesandte Zeitungsartikel ab. In der Funktion des Chefredakteurs wurde mir wiederholt Bares geboten für den Abdruck von Artikeln. Vor allem ältere Journalisten waren bereit, auf Honorar zu verzichten. Sie boten sogar Geld, damit ihre Artikel veröffentlicht wurden. Sie wollten unbedingt im Gespräch bleiben und wie früher im Freundeskreis neue Veröffentlichungen zeigen. Ich verstand deshalb, welche Probleme mein jeweiliges Gegenüber bewegte. Ohne Glaskugel und Kartenlegertricks war ich imstande, die schriftstellerische Laufbahn vorherzusagen.

Kein Gesprächspartner kämpfte ums wirtschaftliche Überleben. Fast alle übten einträgliche Tätigkeiten aus. Es drehte sich stets um die Veröffentlichung und die damit verbundene Hoffnung auf Anerkennung und Aufwertung der eigenen Person. Freunde drängten mich, mein Wissen in klingende Münze zu verwandeln, und hatten damit vollkommen Recht. Kenntnisse, die nicht genutzt und abgerufen werden, verkümmern und verwehen. Ich war zwar ein durchaus erfolgreicher Autor und schrieb für Verlage wie »Das Beste« an umfangreichen Buchprojekten. Ich hatte Verträge mit internationalen Werbeagenturen in der Schublade. Die bezahlten mich dafür, Fehler und Ungereimtheiten ihrer Präsentationen im Wettbewerb um den Jahresetat eines Verkehrsamtes, eines Tourismusministeriums, eines Museums zu entdecken und aufzuzeigen. An Arbeit bestand kein Mangel, und die Kasse stimmte. Allerdings hatte ich weder Geld zu verschenken noch die geringsten Rücklagen.

Ja, und ich vertraute auf meine Branchenkenntnisse sowie auf Techniken des Guerilla-Marketings. Mein Unternehmen trat mit dem Slogan »Verlag sucht Autoren« an. Dieser Ruf stellte die Branche auf den Kopf, denn es gab kein einziges Verlagsunternehmen im deutschsprachigen Raum, das neue Talente aufspürte und sich um sie kümmerte. Das genaue Gegenteil war der Fall. Den Slogan ließ ich markenrechtlich schützen. Ich verfasste einen programmatischen Text. Den versuchte ich so zu formulieren, dass möglichst jeder Adressat versteht und handelt. Der Beitrag wurde mit passenden Fotos in einer Broschüre unter dem Titel »Autor sucht Verleger« abgedruckt. In diesem Buch beschrieb ich, wie sich ein Schriftsteller eine Menge Frust vom Halse hält, indem er einen Partner findet, der ihn versteht und dem er vertraut. In den Blättern der so genannten Intelligenzija, Zeit, FAZ, Welt, Süddeutsche, Weltwoche, Sonntagsblatt tauchten bald Suchanzeigen mit dem ungewöhnlichen Lockruf »Verlag sucht Autoren« auf. Die lediglich 20 Millimeter hohen Annoncen in der Rubrik »Vermischtes« verwiesen auf unsere Adresse. Wer sich meldete, bekam ein Informationspaket mit dem Buch »Autor sucht Verleger«, der Bibel für meine Idee.

Der Slogan traf ins Herz der Zielgruppe. Das Echo schlug alles, was ich je erwartet hätte. Es kamen hunderte teilweise liebevoll verschnürte Päckchen und Pakete an. In denen lagen genau jene Manuskripte, die ich schon bei den Besuchern auf den Buchmessen gesehen hatte. Der klitzekleine Anzeigentext »Verlag sucht Autoren« hatte ihre Absender elektrisiert. Ihre Hoffnungen erhielten neue Nahrung. Es gab doch den einen Verleger, auf den sie so lange gewartet hatten! Endlich war der Tag der Auferstehung nahe, und der »Erlöser« zeigte sich in Gestalt meines Unternehmens.

Kurze Zeit später bekamen die Einsender ein freundliches Schreiben samt der Broschüre des Frieling-Verlages. Die Interessenten erfuhren, dass Ihnen ein Rundum-Sorglos-Service für ihr Manuskript angeboten wird. Es würde lektoriert, korrigiert, gesetzt und gestaltet. Ein verkaufsförderndes Cover würde erstellt. Werbe- und Pressetexte verfasst, Datenbanken und Handelsplattformen informiert. Kurz, es werde alles für den Tag vorbereitet, an dem das Buch in ausgezeichneter handwerklicher Qualität – wie vom Autor erträumt –, dem Handel zur Verfügung gestellt werde. Die auf die Erfordernisse des Einzelfalles abgestimmten Kosten könnten vorab genau ermittelt und bei Bedarf in bequemen Raten bezahlt werden.

Das war die Geschäftsidee für die Gründung des ersten deutschen Autorenverlages: Dichter, Epiker, Erzähler, Lyriker und Sachbuchschreiber zahlten für die Dienstleistung der Betreuung, Herstellung und Inverlagnahme ihrer Bücher. Sie wurden damit Self-Publisher oder, wie Umberto Eco sie in seinem Roman »Das Foucaultsche Pendel« nennt, »Autoren auf eigene Kosten«. Und das geschah Jahrzehnte vor dem Beginn der Welle, die durch Amazons Kindle im April 2011 ausgelöst wurde. Künftig gaben sich meist ältere Herren im Büro die Klinke in die Hand. Sie legten ohne lange Vorrede neben dem Manuskript Bargeld auf den Tisch. Es traten Verfasser auf, die Wertsachen zum Tausch für eine Buchveröffentlichung anboten. Es kamen gestandene Autoren, die es leid waren, sich von ihren Verlagen vorschreiben zu lassen, wie und was sie scheiben sollten. Das Unternehmen wuchs mit großer Geschwindigkeit. Vor Arbeit schauten wir kaum aus den Augen. Der Service wurde perfektioniert und automatisiert. Wir freuten uns an der Unterstützung deutschsprachiger Literaten aus aller Herren Länder, die das Verlagsprinzip begrüßten.

Zwischen 1983 und 2003 wurden zweihunderttausend Arbeitsproben aller Richtungen und Genres gesichtet. Ich war Herr über 10.000 Autoren, die sich vertraglich gebunden hatten, und deren Werke ich hergestellt, herausgegeben und verlegerisch betreut hatte. Wir besaßen eine Bürovilla in Berlin, selbst geschriebene Software sowie ein Auslieferungslager mit tausenden Palettenplätzen in Nordfriesland. Millionen gedruckte Bücher, wurden von dort in alle Welt verschickt und beglückten Verfasser und Leser.

Mein Ansatz wurde von Anfang an als Unternehmen einer verrückt gewordenen »Wild Duck« betrachtet. Diese »wilde Ente« ist ein Management-Begriff aus dem Amerikanischen. Gemeint ist damit ein zügelloser, unkonventioneller Denker, ein Querdenker. Für Otto Normalverleger war es offiziell undenkbar, von Autoren Geld zu nehmen, und er betrachtete ein derartiges Unterfangen naserümpfend. Dabei entspringt es der Tradition des Buchbetriebes, dass Verfasser für die Herausgabe ihrer eigenen Werke zahlen. In früheren Jahrhunderten finanzierten spätere Berühmtheiten wie Goethe, Nietzsche, Schopenhauer, Edgar Allen Poe, die Bronte-Schwestern, Marcel Proust und Heinrich Mann ihre Erstlinge und bisweilen sogar ihr gesamtes Werk. Im Universitätsbereich waren immer schon Drucker tätig, die gegen Bezahlung Dissertationen mit einem Verlagsnamen und einer ISBN-Vertriebsnummer adelten. Es war ein klassisches Prinzip, die Verfasser zwecks Veröffentlichung ihrer Schriften selbst zur Kasse zu bitten. Nur in Deutschland war das kulturelle Hintergrundwissen durch die Hirnwäsche der Nazis ausgelöscht. Hier hielt man sich lieber an die Genietheorie.

Sie besagt, auserwählte Auguren tauchten tief, um die Perlen aus den Muscheln bergen. Qualität offenbare sich wie von selbst dem kundigen Auge. Gleichzeitig war und ist es üblich, Bücher unter der Bettdecke subventionieren zu lassen. Es gab und gibt kaum einen etablierten Verlag, der ein Unternehmen, einen öffentlichen Auftraggeber oder einen potenten Sponsor, der mit dem Scheckbuch wedelt, von der Bettkante stößt, wenn das Geschäft diskret abläuft. Garantieabnahmen, Sonderausgaben und Werbekostenzuschüsse sind einige der heimlichen Subventionsformen, die mancher Veröffentlichung als Geburtshelfer zur Seite steht.

Die Branche braucht ein sauberes Image, schon um die Fiktion der Buchpreisbindung aufrechtzuerhalten. Omertà, der Schweigecode der Mafia, gilt ebenso für Verleger. Entsprechend negativ war das Echo innerhalb der Szene darauf, dass ein Insider »plauderte«. Doch das war mir egal. Nur wer wagt, gewinnt. Mein Bauch empfahl: Wer aktiv wird und sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt, hat letztlich Erfolg. Es ist keine Schande, am Rad der Entwicklung zu drehen, um sich und sein Werk zu fördern. Von allen Seiten wurden dem Projekt Steine in den Weg gerollt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) schrieb, es käme »Ekelverdacht« auf, wenn man Bücher läse, die von ihren Autoren bezahlt worden seien. Die gesamte Printpresse hielt sich entsprechend zurück bei Rezensionen von Titeln aus unserem Programm. Sonnte sich das Feuilleton auf den Sonnenbänken vermeintlicher Macht, sprachen wir Lokalredakteure an. Die suchten permanent Stoff aus ihrem Verbreitungsraum. Ihnen war der Dünkel ihrer Kollegen aus dem Kulturressort unbekannt. Im Ergebnis standen fette Lokalberichte mit dreispaltigen Fotos und halbseitigen Berichten über Autoren aus dem Einzugsgebiet in der Zeitung. Die »Kultur« schmorte derweil weiter im eigenen Saft und beschäftigte sich mit »Hochgeistigem«. Grimmig heulten die Wölfe, doch die Karawane zog weiter. Es gab das Fernsehen und damit eine Flut von Nachmittagssendungen im Talkshow-Format. Deren Redakteure sind stets hungrig auf Geschichten. Künftig saßen unsere Autoren in diesen Sendungen und erzählten von ihren Schicksalen. Dazu wurde ihre Veröffentlichung in die Kamera gehalten. Wie mit dem Lineal gezogen, wurden in der Woche nach der Ausstrahlung mindestens eintausend Bücher des Titels zusätzlich über den Buchhandel verkauft.

Da immer mehr Sender aus dem Boden schossen, gab es unendlich viele Möglichkeiten, Autoren zu platzieren. Bald riefen die entsprechenden Redaktionen bereits bei der Themenplanung an und fragten, ob wir einen thematisch passenden Gesprächsteilnehmer hätten. Konservative Kräfte in den Berufsverbänden wehrten sich gegen unsere Aufnahme. Im Berliner Verlegerverband gab es einen Aufstand, weil wir Anzeigen in der buchhändlerischen Fachpresse schalteten. Schnöder Mammon und nackte Gier in den Augen der Herausgeber lösten das Problem zu unseren Gunsten.

Auf der Frankfurter Buchmesse platzierte uns die Messeleitung anfangs in eine dunkle Ecke. Kollegen lachten darüber und beäugten das Geschehen an unserem Messestand mit ungläubigen Mienen. Ich hatte zuvor 100.000 Lesezeichen mit dem Slogan »Verlag sucht Autoren« und der Standnummer billigst herstellen lassen. Traumschöne Studentinnen verteilten die Pfennigartikel. Das schuf Wirbel. Diese direkte Aktion sorgte für einen stetigen Besucherstrom. Darunter waren hunderte Autoren auf Verlagssuche, die alle bestens informiert und mit Lesestoff ausgerüstet heimwärts zogen. Im Messerestaurant saß eine Redakteurin der »ARD-Tagesschau« am Tisch. Sie überlegte laut, mit welchem Aufhänger sie ihren Bericht aufziehen sollte. »Das ist in diesem Jahr total easy«, sagte ich ihr. »Geh doch mal zum Frieling-Stand. Der sucht als einziger Autoren.«

Als ich später zu meinem Messestand zurückkam, hatte das Fernsehteam dort schon abgedreht. Und tatsächlich: In der »Tagesschau« lief um zwanzig Uhr ein Drei-Minuten-Bericht über die Eröffnung der Messe. Vorgestellt wurde der ungewöhnliche Verlag, der gegen alle Marktregeln Autoren sucht. Ein unbezahlbarer Werbeerfolg zur besten Sendezeit!Es dauerte keine zehn Minuten, da klingelte das Telefon. Walter Scheithauer, ein bekannter Kolibri-Forscher, meldete sich. »Wer es schafft, in der Primetime ins Fernsehen zu kommen, der kann auch meine Bücher bekanntmachen«, meinte er. Der Mann hatte sich nicht getäuscht. In Folge erschienen drei Abenteuerbände aus seiner Feder, die viele Leser fanden.

Der kurze ARD-Film zur Prime Time generierte rund eine halbe Million Umsatz. Dabei hatte die Werbung nur ein paar nette Worte an den richtigen Adressaten gekostet. Mittels Guerilla-Marketing zog ich aus, um die Verteilung des Buchmarktkuchens – und gewann. Aus einem wütenden Bauchgefühl angesichts der Ungerechtigkeit des Marktes war ein leistungsstarker Dienstleistungsverlag entstanden. Er trug über den Einsatz zugunsten des einzelnen Autors hinaus zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz des Veröffentlichens auf eigene Kosten bei. Die entscheidende Voraussetzung für das Self-Publishing moderner Prägung war damit gelegt. Jahre später besuchte mich Detlef Bluhm, damals Geschäftsführer des Verlegerverbandes, in unserer Koje auf der Buchmesse. Was er sagte, bestätigte meinen Kurs: »Ruprecht, wir haben dich jahrelang für verrückt gehalten und komplett unterschätzt. Inzwischen habe ich gesehen, was du aufgebaut und geschaffen hast. Du hast die Verlagslandschaft nachhaltig verändert. Glückwunsch!« Und als der »SPIEGEL« in einer mehrseitigen Reportage positiv berichtete, wusste ich, dass mein Bauchgefühl goldrichtig war. Schwarz auf weiß wurde mir dort bescheinigt: »Es ist das schrägste, originellste und individuellste Verlagsprogramm weit und breit. Und kein anderer Verleger hat so viele Autoren glücklich gemacht« (Broder 1995).

Broder H.M. (1995): Der Buchmacher. Henryk M. Broder über den Berliner Verleger Wilhelm Ruprecht Frieling, bei dem fast jeder Autor werden kann. In: DER SPIEGEL (30.12.1995).

Wilhelm Ruprecht Frieling, geboren 1952 in Bielefeld, ist ein deutscher Sachbuchautor, Verleger und Produzent. Bekannt wurde er mit dem Unternehmen Frieling-Verlag Berlin als Publikationsdienstleister für sich selbstpublizierende Autoren. Er lebt in Berlin-Südende und schreibt auch unter dem Pseudonym Prinz Rupi. 1968 zog er nach West-Berlin, wo er nach Ausbildungen zum Fotografen und Redakteur journalistisch tätig war. Er veröffentlichte in deutschen und US-amerikanischen Magazinen wie Börsenblatt des deutschen Buchhandels, Westermanns Monatshefte, Memo, Der Feinschmecker, Weltwoche, The New Yorker u. a. Anfang 1983 gründete er die Werbe- und Verlagsgesellschaft Frieling & Partner GmbH, die er bis Ende 2002 betrieb. Er entwickelte das Unternehmen unter dem Slogan „Verlag sucht Autoren“ zu dem bekanntesten und größten deutschen Autorenverlag und veröffentlichte mehr als zehntausend Texte neuer Autoren. Als Autor veröffentlichte Frieling selbst 40 Bücher, darunter seine Autobiographie »Der Bücherprinz oder wie ich Verleger wurde«. Seit 2006 betreibt er das die Rezensions-Plattform »Literaturzeitschrift.de« sowie den Internet-Buchverlag. Sein Motto: „Folge deinem Stern!“

Auszeichnungen: 1985 Ehrenmedaille für Literatur und Kunst der Stadt Bukarest, 2006 Blosgar für Literatur, 2011 Nominierung Online-Autor des Jahres, 2013 Preis der deutschen Schallplattenkritik für Produktion „Kaminski ON AIR“, 2017 Literaturpreis Federfy. Weiterführende Informationen: www.RuprechtFrieling.de.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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