Baurecht: Einfaches Bauen: „Im Kern geht es um einen Kulturwandel“
Die Bundesregierung will den „Gebäudetyp E“ im Rahmen ihres „Bau-Turbos“ in der Bauwirtschaft verankern und damit die zahllosen Bauvorschriften entrümpeln. Dass einfaches Bauen bis zu 30 % der Baukosten sparen kann, zeigen Projekte schon seit den 1990er-Jahren.
Für Stefan Leupertz haben die hohen Wohnungsbaukosten eine klare Hauptursache: „Das Problem liegt in der Fülle der Gesetze, der DIN-Normen und sonstiger Vorgaben. Gebäude, die 20 Jahre alt sind, wären heute oft gar nicht mehr genehmigungsfähig, weil sich die Baustandards erhöht haben“, sagt er. Wer aber von diesen Standards abweicht, baue illegal und nicht rechtssicher, kann also verklagt und verurteilt werden. Als ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof kennt sich Baukonfliktmanager Leupertz mit Klagen aus und weiß, wie man sie vermeidet. Um aktuell preisgünstiger, kundenorientierter und ressourceneffizienter zu bauen, arbeitet er daran, Rechtssicherheit über die vereinbarten Abweichungen beim Bauen herzustellen.
Plan der Bundesregierung: Gebäudetyp E gesetzlich verankern
Das Potenzial des Themas hat auch die Politik erkannt. Im aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und CDU stehen die rechtliche Sicherung des Planungskonzepts „Gebäudetyp E“ sowie weitere Flexibilität bei Baustandards als erklärtes Ziel. Mittlerweile ist der Gebäudetyp E Kern eines Gesetzentwurfs, den die schwarz-rote Koalition bis zum Herbst durch den Bundestag bringen will, um damit „bauplanungsrechtliche Vorschriften“ zu lockern und die durchschnittliche Planungszeit auf zwei Monate zu senken. Auch Bundesarchitektenkammer und Bundesingenieurkammer unterstützen die Pläne im Grundsatz. Denn der Kosteneffekt ist beträchtlich.
Schon heute könne er, meint Architekt Klaus Wehrle aus Gutach bei Freiburg, mit seinem 30-köpfigen Team 25 % bis 30 % günstiger bauen als herkömmliche Bauträger. Vor allem dann, wenn sich Bauherren zusammentun. Seine Erfahrung zeige, dass die fehlende Rechtskonformität bei Abweichung von den Normen nach unten, etwa beim Schallschutz, handhabbar sei. Allein in Freiburg hat er „weit über Tausende Wohneinheiten in diesem abgespeckten Standard gebaut“. Das „E“ steht übrigens für einfach – oft aber auch für experimentell.
„Wir hatten in 30 Jahren noch nie deshalb Rechtsstreitigkeiten“
Dadurch kann der Erwerb einer Immobilie oder bezahlbares Mieten speziell auch finanzschwächeren Kunden möglich gemacht werden. Schlüssel für den Erfolg ist laut Wehrle, dass klar vereinbart werde, was der Käufer bestellt – und dass diese Vereinbarung vertraglich detailliert geregelt ist. Wehrle sichert diese über eine notarielle Beurkundung inklusive Haftungsausschluss ab. „Wir hatten in mehr als 30 Jahren noch nie deshalb Rechtsstreitigkeiten“, so der Badener. Im Gegenteil seien die Bauherrschaften dankbar für seinen pragmatischen Ansatz. Voraussetzung dafür aber sei wiederum, dass der Architekt nicht nur über ein hohes Baurechts- und Planungs-, sondern auch ein hohes Ausführungs-Know-how verfügt.
Maßgebend für die Komplexität sind die sogenannten „anerkannten Regeln der Technik“ (aRdT) als zwingend einzuhaltender Standard beim Bauen. Sie bestehen aus Normen, Richtlinien oder auch Unfallverhütungsvorschriften und bilden die Grundlage, die zur Haftung des Unternehmers und des Architekten führen, wenn sie nicht eingehalten werden. Und zwar auch dann, wenn das Bauwerk einwandfrei funktioniert. Das macht aus Sicht von Wehrle und auch von Leupertz das Bauen unnötig teuer und kompliziert.
„Die Wohnungsnot hat demokratiegefährdende Dimensionen angenommen“
Wehrle, der bundesweit Architektur- und Umweltpreise für seine Projekte gewonnen hat, nennt als Beispiel die 1971 eingeführte Erdbebennorm für Gebäude. Allein sie habe den Stahlverbrauch beim Bauen deutlich erhöht. „Was ist aber mit den 65 % aller Gebäude, die vor der neuen Maßgabe errichtet wurden?“, fragt er rhetorisch. Nicht nur wirtschaftlich wäre ein Abriss und normkonformer Neubau eine Mammutaufgabe. „Sollen wir die alle abreißen und die Leute in Zelten wohnen lassen?“, spitzt der Architekt zu. Auch Jurist Leupertz sagt: „Die Wohnungsnot hat mittlerweile demokratiegefährdende Dimensionen angenommen.“
Zu den prominenteren Günstig-Bauern zählt auch Ernst Böhm aus dem bayerischen Bad Aibling. Der Gesellschafter der B&O-Gruppe beschäftigt in seiner Servicegesellschaft, die nach eigenen Angaben bundesweit einen Bestand von 600.000 Wohnungen betreut, je 1000 Handwerker intern und extern, die jährlich 1 Mio. Schäden reparieren. In seiner Baugesellschaft saniert er jährlich 4000 Wohnungen und erstellt 1000 neue Wohneinheiten in Holz- und Holz-Hybrid-Bauweise. Bei den Dachaufstockungen von Bestandsgebäuden etwa oder der Überbauung von Parkplätzen baut auch er nach „Gebäudetyp E“, um günstigen Wohnraum zu errichten. Unkonventionelle Wege geht Böhm bereits seit 1990. Bereits damals machte er im Wohnungsbau Abstriche von den damals geltenden Normen, etwa beim Schallschutz, um preisgünstiges Bauen und Wohnen rund um Freiburg zu ermöglichen. Denn nach der Wende 1989 herrschte große Wohnungsnot im Westen und die Bauzinsen lagen bei 7 % und höher.
Architekt Wehrle: Vom Spinner zum Pionier
Dabei gilt, was Wehrle auf den Punkt bringt: „Bei vielen Bestandsgebäuden, etwa früheren Bank- und Bürogebäuden oder denkmalgeschützten Gasthöfen, können Sie ohnehin gar nicht alle Normen erfüllen.“ Weil sich ohne Abstriche und Kompromisse keine Investoren finden, willigen Aufsichtsbehörden immer häufiger ein. Das Beispiel des 62-Jährigen: „Aktuell widmen wir ein Geschäftshaus aus den 1980er-Jahren, das einer lokalen Bank gehörte, in ein Wohnhaus um. Es steht auf einer Tiefgarage, die heutige Normen nicht mehr erfüllt. Die Folge: SUVs können da gar nicht hineinfahren.“ Zu Beginn wurde der Öko-Pionier noch als Spinner abgetan, als er für einen Maschinen-Unternehmer die erste energieautarke Fabrik in Deutschland baute. Im Jahr 2000 erhielt er dafür dann den Deutschen Solarpreis.
Jurist Leupertz hat im Rahmen eines Gutachtens für die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) im November 2023 einen Lösungsvorschlag für den Gebäudetyp E gemacht: Im Kern geht es um eine Ergänzung des § 633 BGB, wonach von den aRdT ohne Weiteres abgewichen werden darf, falls sich alle Beteiligten – vom Architekten über den Bauträger bis zum Käufer einer Wohnung – einig sind, dass sie im konkreten Fall, um Kosten zu sparen, von den Standards, etwa beim Schallschutz, bei der Anzahl der Steckdosen im Schlafzimmer oder einer definierten Verlegetechnik für Kabel oder Heizkörper, abweichen wollen.
Einfaches Bauen: Noch nicht in der Breite angekommen
In der Breite angekommen ist das einfache Bauen trotz aller Fürsprecher bislang noch nicht. Wehrle sagt, während er im Großraum Freiburg für 5200 €/m2 baut, kämen herkömmliche Bauträger auf mehr als 7000 €, weil sie sämtliche Risiken einpreisen, statt intensiver im Vorfeld mit allen Beteiligten zu kommunizieren. Es gehe auf dem Weg zum bezahlbaren Wohnen darum, nicht im Streben nach Perfektion stecken zu bleiben, sagt der 62-Jährige: „Im Kern geht es um einen Kulturwandel.“
