Beeindruckende Botschaften: Was uns historische Ansichtskarten, Reklamemarken und Sammelbilder vermitteln
Interview mit der Volkskundlerin Dr. Constanze N. Pomp
Frau Dr. Pomp, Sie sammeln Ansichtskarten, Reklamemarken und Sammelbilder. Weshalb bevorzugen Sie Ski- und Wintersport bis 1930?
Das hat sich durch mein Forschungsthema so ergeben: In meiner Dissertation beschäftigte ich mich mit der Frühphase des Skilaufens im Hochschwarzwald (1890–1930). Mein Doktorvater, Prof. Dr. Timo Heimerdinger, sagte einmal zu mir, irgendwann würde jeder im Zuge seiner Dissertation einen Spleen entwickeln. Bei mir haben sich gleich mehrere Interessen verbunden: Einerseits das Forschungsinteresse, die Freude am Sammeln dieser Thematik verbunden mit dem Suchen und Finden, und natürlich das Zusammentragen von Quellen.
Beinahe jede volkskundlich kulturwissenschaftliche Thematik lässt sich anhand von Reklame analysieren. Von der Konsumgesellschaft für die Konsumgesellschaft hergestellt, repräsentieren gerade Reklamemarken und Sammelbilder einen Teil der Alltagskultur. Die Reklamebilder waren beliebte Sammelobjekte. Es herrschte um die Jahrhundertwende eine große Faszination für die visualisierte und kolorierte Welt. Reklamemarken waren ähnlich einer Briefmarke gestaltet, d. h. mit rückseitiger Gummierung und gezackten Rändern.
Ursprünglich konzipiert, damit geschäftliche Briefpost zu verschließen bzw. zu versiegeln, wurden sie nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne an die Kundschaft beim Kauf im Geschäft verteilt oder sie lagen dem Produkt bei. Touristen- oder Sportvereine warben mit den Vignetten für spezielle Ereignisse oder wiesen auf Dienstleistungen, wie Ski-Kurse hin.
Insgesamt sammle ich allerdings nicht nur historische Ansichtskarten, Reklamemarken und Sammelbilder aus diesem Zeitraum. Bis heute habe ich mir eine umfangreiche Bibliothek an historischer Skisportliteratur, d. h. Ratgeberliteratur, angelegt. Darunter befinden sich wirkliche Pretiosen, mit Publikationen, die nur noch in ein oder zwei Bibliotheken innerhalb Deutschlands erhalten sind.
Im Zuge meiner Forschungstätigkeit habe ich über die Jahre quasi eine eigene Sammlung mit breiter Quellenbasis zusammengetragen. Darin enthalten sind auch Kopien kompletter Jahrgänge von historischen Ski-/Wintersport Zeitschriften, Mikrofilmausdrucke regionaler Zeitungen, die im Zeitraum von 1890 bis 1930 über den Skisport im Hochschwarzwald berichteten, aber auch überregionale Illustrierte, wie z. B. Berliner Illustrierte oder Tourismuszeitschriften. So kam viel Material zusammen, das ich auf Schwerlastregalen untergebracht habe.
Welche Schwerpunkte legen Sie bei den Ansichtskarten und warum?
Hier bevorzuge ich hauptsächlich die Motivik Ski-/Wintersport mit dem Schwerpunkt Hochschwarzwald, aber auch die Schwarzwaldregion allgemein. Wenn ich aus dem Zeitraum 1890 bis 1930 Ansichtskarten mit Wintersportthematik sehe, die mich interessieren, kaufe ich gelegentlich auch welche aus Deutschland, Norwegen, Schweiz, Österreich oder Frankreich. Insgesamt habe ich über die Jahre ca. 1.500 gelaufene und ungelaufene Ansichtskarten zusammengetragen. Absehen von großen Ansichtskartenverlagen, ließen Hoteliers zu Werbezwecken eigene Ansichtskarten herstellen, zudem sind auch regionale Fotografen lokalisierbar, die Postkarten verlegten.
Irgendwann ist man derart von der Sammelleidenschaft gepackt, dass man z. B. bestimmte Motive sucht. Es gibt noch heute historische Ansichtskartenmotive, hier besonders vom Hochschwarzwald, nach denen ich Ausschau halte.
Nach welchen Kriterien sammeln Sie?
Als Kriterium für meine Sammlung zählt nicht allein die Abbildung, sondern auch der überlieferte Inhalt der gelaufenen, d. h. verschickten, Ansichtskarten besitzt Relevanz. Gerade aus den Postkartengrüßen lassen sich teilweise wesentliche alltagskulturelle Rückschlüsse auf das Kulturphänomen Skilauf ziehen. Bei den Ansichtskarten ist es nochmals ein besonderer Aspekt, dass häufig nur die Vorderseite auf Verkaufsportalen abgebildet wird. Die Rückseite mit der Absenderbotschaft ist häufig nicht zu sehen. Von daher war es immer spannend zu lesen, welche Botschaft der Absender dem Empfänger schickte. Dabei entdeckte ich beeindruckende Textbotschaften.
Gab es ein Highlight?
Ja, als ich sogar von Familie Gruber Postkartengrüße vom Feldberg an Freiburger Freunde aufspürte. So fand ich manchen Zeitgenossen, den ich aus Tagebucheinträgen, Zeitungsberichten oder Publikationen kannte, auf Postkarten wieder, und war erneut dieser Persönlichkeit in größerem Umfang auf der Spur.
Welche Rolle spielt der Skiläufer als „homo sportivus“ in Ihrer Dissertation?
Im Rahmen der allgemeinen Sportverbreitung entwickelte sich mit Beginn des 20. Jahrhunderts das Menschenbild des sogenannten „homo sportivus“. Mit dem „homo sportivus“ verband sich ein praktizierter Lebensstil, der in die alltägliche Lebenswelt seiner Akteure hineinreichte und sie beeinflusste. Der Skiläufer als „homo sportivus“ lebte im Spannungsverhältnis von Kultur und Natur. Teilweise von Natursehnsucht erfüllt, strebte er danach, technische Errungenschaften in der Natur umzusetzen, zu verbreiten sowie umzufunktionieren. In diesem Kreislauf konzentrierte er sich auf seinen Körper, um ursprüngliche Körpererfahrungen zu durchleben.
Den „homo sportivus“ kennzeichnete vor allem Körpertechnik. Der Philosoph Volker Caysa definiert als Körpertechnik „durch Überlieferung eingeübte Verfahren, Praktiken, Gewohnheiten und Geschicklichkeit“, die den eigenen Körperumgang schärfen sollen. Die körperkulturelle Entwicklung setzte sich in skisportliche Gewandtheit, betontes Körperbewusstsein und in einer der allgemeinen Norm entsprechenden sportlich-gesunden Statur um. Synonym standen der „homo sportivus“ und sein Lebensstil für Eigenschaften, die mit Leistungsfähigkeit, mentaler Stärke, Gemeinsinn sowie Sieges- und Kampfeswillen konnotiert waren.
Sind Sie selbst eine begeisterte Skiläuferin?
Das ist meine absolute Lieblingsfrage! Tatsächlich werde ich im Verlauf eines Gesprächs immer danach gefragt, ob ich auch selbst Ski laufe. Ich bin unter anderem in Hinterzarten aufgewachsen, und hier gehört es zur regionalen Identität dazu, dass man Ski laufen kann. Also: Ja, ich bin Skiläuferin und genieße es, im Hochschwarzwald Skilanglauf betreiben zu können. Hinterzarten, Heimat von Georg Thoma, ist besonders durch seinen Sieg in der Nordischen Kombination bei den Olympischen Spielen von 1960 in Squaw Valley bekannt geworden. Es war das erste Mal, dass ein Nichtskandinavier diese Disziplin für sich gewinnen konnte. Die Skisprung-Erfolge bei den legendären Sommerskispringen zu Zeiten von Dieter Thoma, Sven Hannawald, Martin Schmitt & Co. haben damals einen großen Hype in dem Ort ausgelöst. Während der Sommerskispringen gab es ganze „Völkerwanderungen“ nach Hinterzarten. Das führte auch zur folgenden lustigen Anekdote: Ein Freund von mir machte sich damals einen Spaß daraus, sich im Hochsommer als Skisprungteilnehmer zu verkleiden, um in kompletter Skisprungmontur inklusive geschulterter Skier durch den Ort zu laufen, und an Teenies Autogramme zu verteilen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person:
Dr. Constanze N. Pomp studierte an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz im Magisterstudiengang das Hauptfach Kulturanthropologie/Volkskunde sowie die Nebenfächer Buchwissenschaft und Christliche Archäologie & Byzantinische Kunstgeschichte. 2014 wurde sie dort promoviert und hatte Lehraufträge am Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft. Von 2017 bis 2019 absolvierte sie am TECHNOSEUM Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim ihr wissenschaftliches Volontariat. In dieser Zeit arbeitete sie unter anderem bei der Konzeption der Großen Landesausstellung Baden-Württemberg „Fertig? Los! Die Geschichte von Sport und Technik“ mit. Von 2018 bis 2019 war sie im Arbeitskreis Volontariat des Deutschen Museumsbundes (DMB) aktiv. Seit März 2019 ist sie am TECHNOSEUM in der Stabsstelle Freundeskreise und Ehrenamt für die Koordinierung der Ehrenamtlichen zuständig.