Bergetappe ohne Höhenmeter, brünstige Kühe und die Frage: Ist Landwirt was für mich?
Ex-Radprofi Rick Zabel hat für einen Tag auf einem familienbetriebenen Heubiohof im Allgäu mit 95 Kühen angepackt. Wie er sich dabei geschlagen hat – und was er über die Befruchtung von Kühen gelernt hat –, erfahrt ihr hier.
Zwischen Kühen und Routine
Als Ex-Radprofi war ich in meinem Leben viel unterwegs. Ich bin durch Europa geradelt, über Berge, durch Regen, über Kopfsteinpflaster, mit Gegenwind und Grenzerfahrungen. Aber eines habe ich noch nie gemacht: Ich bin noch nie durch einen Kuhstall marschiert. Bis jetzt.
Also nichts wie rein in Arbeitsuniform und Gummistiefel, gestärkt wird sich heute nicht mit einem Proteinshake, sondern frisch gezapfter Rohmilch – hatte ich auch noch nie. Schauplatz: der Heubiohof von Christof Briegel und seiner Familie im Allgäu. Kleiner Spoiler: Landwirtschaft ist kein Spaziergang, sondern eher vergleichbar mit einer Bergetappe. Nur ohne Zielstrich, aber dafür mit ordentlich Höhenmetern.
Landluft statt Fahrtwind
Mein Tag beginnt nicht gemächlich mit einem Espresso, sondern mit einem Blick auf eine Kuh. Genauer gesagt: Ich muss prüfen, ob sie brünstig ist. Heißt auf gut Deutsch: ob sie fruchtbar ist. Ein völlig neues Kapitel für mich, das mehr Fingerspitzengefühl verlangt als gedacht. Ich will ehrlich sein. Ich konnte es nicht mit bloßem Auge erkennen. Das musste der Chef später noch mal begutachten. Wenn das Urteil positiv ausfällt, wird die brünstige Kuh direkt von Christof Briegel künstlich befruchtet.
Es folgt ein Crashkurs im Stallleben. Füttern, Heu schieben, Boxen ausmisten – körperlich, aber auch mental fordernd. Hier gibt es keine Routine, keinen Plan B, kein „Mal eben schnell erledigen“. Alles, was man tut, hat unmittelbare Folgen für Tier, Boden und Betrieb. Wer denkt, Bauernhofleben sei romantisch, nur ein bisschen Traktor fahren im Sonnenuntergang, hat noch nie versucht, bei 5 Grad am Morgen Mist zu schaufeln.
Vom Drahtesel zur Mistgabel
In meiner Welt früher zählte man Watt, Pulswerte und Trittfrequenz. Hier zählt Gefühl. Wie feucht ist der Boden? Wie schauen die Tiere heute aus? Sind die Liegeboxen sauber? Wie lange hält das Wetter? Wie sieht die Wiese aus? Landwirtschaft funktioniert mit Verstand, Instinkt und zwei kräftigen Händen. Und mit ganz viel Leidenschaft.
Christof erzählt mir, dass feste Arbeitszeiten für ihn ein Fremdwort sind. Urlaub? Zwei bis drei Tage im Jahr, mehr ist selten drin. Er wohnt direkt auf dem Hof mit seiner Familie – Leben und Arbeiten gehen hier nahtlos ineinander über. Er führt den ganzen Hof allein – krank sein? Nicht drin. Er erzählt: „Ein Landwirt wird nicht krank!“: Im Krankheitsfall kann jemand von seiner Familie übernehmen, aber eine dauerhafte Lösung ist dies nicht.
Fakten zum Beruf Landwirt:in
In Deutschland gibt es ungefähr 255.000 landwirtschaftliche Betriebe, die insgesamt 16,6 Millionen Hektar Land bewirtschaften.
Die Ausbildung dauert insgesamt 3 Jahre, auf dem Hof und in der Berufsschule.
Während der Ausbildung liegt das Gehalt bei ca. 1000 Euro brutto im Monat.
Das Einstiegsgehalt nach Abschluss liegt durchschnittlich bei rund 36.129 Euro brutto pro Jahr. Aber: Ohne staatliche Subventionen könnte kein Hof wirtschaftlich überleben.
Zu den Skills zählen: Technik verstehen, wirtschaftlich denken, Tiere lieben und körperlich zupacken können.
Die Arbeitszeiten sind flexibel, früh und oft lang. Und ein kleiner Reminder: Kühe kennen kein Wochenende.
Mein Fazit
Ich war oft an meiner körperlichen Grenze. Bei 200 Kilometern in der Hitze, bei Bergetappen mit Puls 180. Aber dieser Tag auf dem Hof war anders anstrengend. Du siehst, was du machst. Du spürst die Verantwortung. Und wenn du nach zehn Stunden aufs Feld schaust und weißt: Das hier nährt Menschen – dann ist das mehr wert als jeder Etappensieg. Christof bestätigt es mir: Reich wird man damit nicht – aber wenn man mit Herz dabei ist, gibt einem die Arbeit an der frischen Luft sehr viel zurück.
Ich bin kein Landwirt geworden und werde ich auch nie sein – aber ich hab einen Riesenrespekt gewonnen. Für alle, die da draußen Tag für Tag anpacken. Ohne Applaus, ohne Follower, aber mit viel Herz.