Berühren – begreifen - bewegen: Die kleine und große Welt nachhaltig gestalten
Eine nachhaltige Transformation braucht Handwerk, denn es unterstützt uns darin, unsere Macherqualitäten zu verbessern. Wenn es an handwerklichen Fähigkeiten fehlt, gibt es kein „Begreifen“. Wir müssen wieder zu einer Kultur des Handwerks mit Reparatur und Kreislauf zurückkehren und mehr Mut zu Selbständigkeit und Verantwortung haben. Vor allem „handfeste“ Ausbildungsberufe dürfen nicht ins Hintertreffen geraten, denn dann gehen uns die Meister aus. Der Begriff des Handwerks wurde in der altgriechischen Bezeichnung „techne“ noch mit Kunst gleichgesetzt. (Kunst-)Handwerk trägt zur Welterschließung bei, stiftet Sinn, regt zum Selbstdenken an, konfrontiert uns mit den Konsequenzen des eigenen Tuns – und erinnert an den kreativen Teil in uns. Das lateinische „manu factum", das Handgemachte, trifft nicht nur den Nerv der Zeit, sondern auch den einer wachsenden Zahl von Menschen, die der glatten Welt der Industrieprodukte den Rücken kehren. Hände vollziehen Handlungen, die auf die Welt zugreifen. Sie machen das Können sichtbar. Der Trend ist auch ein Reflex auf die Digitalisierung. Mit ihrem Fortschritt wird in vielen Bereichen das Potenzial der Hand reduziert und ignoriert.
Dabei sind Dinge mit einer greifbaren Geschichte erst wahrhaftig - sie unterstützen uns darin, unsere Möglichkeiten zu stärken, um nachhaltiger zu handeln und unsere Intelligenz zu trainieren. Sie zeigen uns etwas von ihrer Machart, und sind zugleich Symbole menschlicher Selbstbestimmtheit. Wer heute ausschließlich in die Automatik vertraut, lässt wichtige Fähigkeiten verkümmern, weil die geistige Auseinandersetzung mit den Dingen nicht mehr stattfindet. Das bestätigt auch der Kunsthandwerker Christian Braun, der mit kleinen Dingen Großes bewegen möchte. Der Anhänger des Analogen will die Welt besser machen durch eigenes „Hervorbringen“. Er möchte, dass seine Arbeiten etwas „bewegen“ und etwas Greifbares hinterlassen. So fertigte er ein Mikro-E-Lastenrad aus Baustahl, Draht und Restholz: „Auch mit kleinen, umweltfreundlicheren Fortbewegungsmitteln ist es möglich, größere Lasten zu bewegen. Die Batterie soll zum einen auf den E-Antrieb hinweisen, zum anderen aber auch darauf, dass selbst bei E-Bikes umwelttechnisch (Gewinnung, Herstellung, Entsorgung und Recycling der Akkus) noch nicht alles perfekt ist. Bei Fahrrädern allgemein gibt es auch noch Verbesserungsbedarf – deshalb habe ich bestimmte Teile (Reifen, Pedale und Griffe) schwarz angemalt, um den Kunststoff darzustellen. Für den Sattel hab ich alten Schaumstoff verwendet“, sagt Christian Braun.
Lastenräder erleben heute ein Revival, weil immer mehr Menschen nachhaltiger leben möchten. Die Anschaffung eines Lastenrades ist in den meisten Fällen sehr teuer, deshalb entscheiden sich immer mehr Menschen dafür, ihr Lastenrad selbst zu bauen. Im Internet gibt es eine Vielzahl von Bauanleitungen dafür. Seine Aufgabe sieht Christian Braun vor allem darin, den menschlichen „Denkappart“ wieder in Bewegung zu bringen und im Kleinen darauf zu verweisen, was auch im Großen möglich ist. Seine Kritik richtet sich aber auch auf eine Konsumgesellschaft, in der fast alles fertig gekauft werden kann. Wie viele Kreative arbeitet auch er gern mit dem, was gerade da ist. Ein Beispiel für diese Art des Denkens und „Neumachens“ ist auch Pablo Picassos „Stierkopf“. Der Künstler sagte 1942 dazu: „Raten Sie, wie ich diesen Stierkopf gemacht habe! Eines Tages fand ich unter altem Kram einen Fahrradsattel und daneben eine verrostete Lenkstange. Blitzschnell sind in meinen Vorstellungen beide Teile zusammengewachsen ... Ohne jedes Nachdenken ist mir die Idee zu diesem ‚Stierkopf‘ gekommen.“
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Nachhaltigkeit begreifen: Was wir gegen die dummen Dinge im Zeitalter der Digitalisierung tun können. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2021.
Zukunft Mikromobilität. Wie wir nachhaltig in die Gänge kommen. Ein Rad-Geber. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber. Büchner Verlag, Marburg 2022.