Bill Gates zwischen Philanthropie und Einfluss: Weltverbesserer oder globaler Machtfaktor?
Elon Musk und Bill Gates eint Intelligenz und der Fokus auf Logik und Effizienz. Doch während der Tesla-Chef den libertären Zerstörer gibt, verfolgt Gates ganz andere Ziele. Eine Annäherung.
Ein elegantes Hotel Downtown Manhattan, es ist Frühsommer 2001 in New York. In einer Suite im ersten Stock des Hauses lädt Microsoft-Gründer Bill Gates die WirtschaftsWoche zum Interview. Das laue Sommerwetter vor der Tür kontrastiert scharf mit dem Thema des Gesprächs mit dem Softwareunternehmer. Um den Windows-Konzern tobt ein juristisches Unwetter bis dato ungekannten Ausmaßes.
Im Jahr zuvor hatte Microsoft-Urgestein Steve Ballmer Gates als Vorstandschef abgelöst. Der Gründer selbst war auf den Aufsichtsratsvorsitz und in die Funktion des Chefentwicklers gewechselt. Es ist auch der Versuch, die Wogen zu glätten. Der US-Generalanwalt hatte die Zerschlagung des Software-Konzerns gefordert, allzu rabiat habe Microsoft seine Marktmacht gegen kleinere Konkurrenten ausgenutzt.
Dass Gates im Interview Microsofts Strategie verteidigen wird, gilt als gesetzt, als das Gespräch beginnt. Doch der Software-Milliardär spricht nur ein paar Minuten lang über die Monopolvorwürfe. Dann aber – bei der Frage, wie er mit einer so existenziellen Bedrohung für die Zukunft seines Unternehmens umgehe – nimmt das Gespräch eine unerwartete Wendung.
Gates, der bis zu dem Moment recht reglos auf seinem Stuhl gesessen hat, kommt in Schwung, beugt sich weit über den Tisch nach vorne: Natürlich sei der Ausgang des Monopolverfahrens wichtig. Aber man dürfe übers Tagesgeschäft nicht die wirklich bedeutsamen Zukunftsfragen aus dem Blick verlieren. „Im globalen Maßstab ist es doch völlig nebensächlich, ob wir ein paar Zeilen Code mehr oder weniger schreiben“, diktiert Gates.
Der sonst so steife Manager wird leidenschaftlich: „Milliarden von Menschen fehlt es an Zugang zu Trinkwasser, an bezahlbaren Medikamenten, an einem Dach über dem Kopf – das werden die Aufgaben für die nächsten Dekaden, darauf müssen wir in Zukunft viel mehr unsere Aufmerksamkeit richten.“ Was die Vereinten Nationen Anfang der Nullerjahre als „Millenniums-Entwicklungsziele“ definieren werden, trägt Gates in dem Interview als Auftrag vor – an sein Unternehmen, aber noch mehr an sich.
Das passt nicht zum üblichen Marketing-Tamtam amerikanischer Konzernchefs. Und es passt schon gar nicht zu Gates, wie man ihn damals öffentlich erlebte. Keine Spur mehr vom bis zur Verklemmtheit zurückhaltend wirkenden Techie aus Microsofts Frühzeit, der bei Pressekonferenzen Fragen zusammengekauert auf einem Hocker beantwortete. Hier, das wird in der New Yorker Hotel-Suite deutlich, hat einer ein Thema für sich gefunden, das ihn offenbar weit mehr umtreibt, als es bis dato von außen erkennbar ist. Er spricht davon, wie sich Technologie nutzen lassen müsse, um diese globalen Probleme zu bekämpfen.
Ein knappes Vierteljahrhundert später ist klar, dass die Ankündigungen mehr waren als bloße Lippenbekenntnisse – und die Metamorphose vom Nerd zum Philanthropen längst in vollem Gange: Heute ist William Henry Gates III Vorsitzender der 1999 gemeinsam mit seiner damaligen Frau Melinda gegründeten Gates Foundation.
Bill Gates gegen Elon Musk
Mit derzeit 77 Milliarden Dollar Stiftungskapital ist sie die größte Privatstiftung der Welt und finanziert mit mehr als 2000 Beschäftigten unter anderem Gesundheits- und Entwicklungsprojekte in Afrika oder Asien. Und das in besonders schweren Zeiten. Gerade erst haben die USA ihre Entwicklungshilfe weitestgehend gestoppt, die zuständige Behörde USAID faktisch abgeschafft. Einer, der diese Kahlschläge vorantreibt, ist Elon Musk. Wie Gates ist der Tesla-Chef hochintelligent, extrem rational und konsequent im Handeln, aber anders als der Microsoft-Gründer von einer radikal egozentrischen und zudem libertären Agenda getrieben. Er verfüttere USAID an den Holzhäcksler, amüsierte sich Musk in einem Post auf seinem Kurznachrichtendienst X.
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Gates, mit Musk seit langem in herzlicher Abneigung verbunden, nennt die Entwicklung „eine unglaubliche Tragödie“. Im Interview mit dem „Handelsblatt“ sagt er: „Die Situation ist schlimm, nicht nur, weil das Ausmaß der Kürzungen so hoch ist, sondern weil das auch so plötzlich passiert.“ Und er weist Musk direkt Verantwortung für die Tragödie zu. „Die Behörde, die Millionen Menschenleben rettet, an einen Häcksler zu verfüttern, das ist für mich eine sehr abstoßende Vorstellung.“ Und Gates legt nach. Es komme nicht oft vor, dass Entscheidungen getroffen werden, die den Tod von Millionen von Kindern zur Folge haben, „aber genau das ist hier der Fall“. Für einen wie Gates, der sonst extrem diplomatisch und zurückhaltend formuliert, ist das bemerkenswert deutlich.
Und wohl auch Ansporn, selbst wenn der Multimilliardär einen zeitlichen Zusammenhang verneint. Denn während die US-Regierung unter Donald Trump den Kahlschlag bei Investitionen in Forschung, Bildung und eben Entwicklungshilfe zelebriert, kündigt Gates an, nicht bloß das Fördervolumen seiner Stiftung aufzustocken, sondern diese mit einem Enddatum zu versehen. 200 Milliarden Dollar und damit „praktisch mein ganzes Vermögen“ wolle er „in den nächsten 20 Jahren über die Gates Foundation für die Rettung und Verbesserung von Leben auf der ganzen Welt spenden“. Ende 2045 laufe die Stiftung aus.
Inspiriert habe ihn bei dem Entschluss das Essay „The Gospel of Wealth“ des Unternehmers Andrew Carnegie. Darin argumentiere der, dass „der Mann, der so reich stirbt, in Ungnade stirbt“. Gates hat das nicht vor. „Die Leute werden viele Dinge über mich sagen, wenn ich sterbe, aber ich bin fest entschlossen, dass ‚er ist reich gestorben‘ nicht dazu gehören wird.“ Es gebe zu viele dringende Probleme zu lösen, als dass er an Ressourcen festhalten könnte, die genutzt werden könnten, um Menschen zu helfen, betont er.
Retten Supereiche die Welt?
So altruistisch das klingt, die Art, wie Gates das Ziel verfolgt, löst auch Widerspruch aus. So hat Bill Gates in der Vergangenheit etwa den Einfluss auf die Weltgesundheitsorganisation WHO durch hohe Spenden seiner Stiftung massiv ausgebaut. Er könne Projekte heute in bestimmte Richtungen beeinflussen, monieren Kritiker. Thomas Gebauer, früher Geschäftsführer der Gesundheitsorganisation Medico International, sprach vor Jahren schon von einer Art Refeudalisierung. Andere werfen Gates eine Vermischung von wohltätigen und Geschäftszielen vor. Zudem reduziere der Milliardär den Einfluss gewählter Regierungen in der WHO.
Reiche Milliardäre, monierten Kritiker, hätten zu viel Einfluss auf staatliche Aufgaben und wollten über milliardenschwere Stiftungen nur ihren Namen „verewigen“. Tatsächlich haben Stiftungen wie die des Stahlmagnaten Carnegie oder des Ölmilliardärs John D. Rockefeller deren Ruf als rücksichtslose und profitversessene Unternehmer überlebt. Auch dieser „Ewigkeitsgedanke“ sei, mahnen Stiftungsexperten, vielfach ein Impuls zur Gründung. Die Pflege der eigenen Eitelkeit und das Bemühen, den eigenen Namen langfristig in ein positives Licht zu setzen.
Das habe er nicht vor, sagt Gates im „Handelsblatt“-Gespräch. Ganz auf Rationalität und Effizienz fokussiert betont er, „dass wir die Wirksamkeit des Geldes maximieren können, wenn wir es in den nächsten 20 Jahren ausgeben“. Danach werde es andere reiche Menschen geben, die sich besser mit künstlicher Intelligenz oder mit der politischen Lage auskennen und besser wissen werden, was dann zu tun ist.
Bis dahin aber will Gates, der Ende Oktober 70 Jahre alt wird, den Einsatz seiner Milliarden noch selbst beeinflussen und die Folgen der Kahlschläge von Trump und Musk zumindest lindern. Wobei selbst eine so finanzkräftige Institution wie die Gates Foundation die von der Trump-Regierung verkündete Kürzung von Haushaltsmitteln für Entwicklungshilfeprogramme in Höhe von rund 54 Milliarden Dollar nicht ansatzweise wird kompensieren können.
Daneben bleibt Gates weiterhin als Investor aktiv und finanziert Start-ups wie Carbon Engineering oder Mainspring Energy. Die sollen helfen, grundlegende Probleme der Gegenwart in den Griff zu bekommen, etwa Energieversorgung und CO2-Ausstoß. Mainspring Energy baut eine neue Art Generator, der supereffizient grüne Brennstoffe in elektrische Energie umwandeln soll. Die Technik könnte in Zukunft Stromnetze stabilisieren oder als Kleinkraftwerk dienen. Carbon Engineering hat in der Nähe von Vancouver ein Verfahren entwickelt, das mithilfe von Kalkwasser und Strom CO2 aus der Atmosphäre holt. Wird das Wasser erhitzt, gibt es das Treibhausgas wieder ab. Daraus ließe sich dann etwa klimaneutral synthetisches Flugbenzin erzeugen.
Die Weltenretter-Formel
Die großen Fortschritte im Kampf um Lebensqualität für alle und den Erhalt des Planeten, davon ist Gates überzeugt, werden über den technologischen Fortschritt kommen. „Die Technologien im Kampf gegen den Klimawandel werden global sein – die Kernfusion, die Herstellung von grünem Stahl und Zement, die Herstellung von Wasserstoff“, betonte er bereits 2024 im Interview mit der WirtschaftsWoche. Die Spannungen zwischen den ökonomischen Regionen drohten die Entwicklung zu verzögern. „Wenn wir nicht aufpassen, kann das den Kampf gegen den Klimawandel verlangsamen.“ Dabei seien es die reichen Länder, die über die Innovationskraft verfügten und diese Projekte finanzieren sollten, mit denen die Umweltprämien sinken. „Erst wenn die reichen Länder kooperieren, werden Technologien weltweit genutzt.“
Selbst seine Lösung für den Klimawandel hat der selbsterklärte Weltverbesserer bereits in eine Formel gepresst.
Sie lautet: P x S x E x C = CO2
P steht dabei für die Population, die Weltbevölkerung, S für die Services, die die Menschen in Anspruch nehmen, E für die Energie, die diese Dienstleistungen benötigen, und C für den Kohlenstoff (Carbon), der bei der Gewinnung dieser Energie emittiert wird.
Will die Welt ihre CO2-Emissionen wirklich auf null bringen, gibt es für Gates eine rechnerische Lösung: Sie muss einen Faktor auf null bringen. Und der einzig realistische Weg sei es, C auf null zu bringen. Diese Formel ist Ausdruck von Gates’ Glauben an die Technik. Um C gen null zu drücken, setzt er nicht auf strengere Gesetze oder einen gesellschaftlichen Diskurs über klimaschonendes Verhalten, sondern auf Technik, die das Treibhausgas komplett vermeidet – vorzugsweise solche, in die er investiert. Fast so, als wolle er all die schwer zu kalkulierenden Launen der Menschen aus dieser Rechnung raushalten.
Bill Gates, der Hamburger-Investor
Daneben finanziert Gates eine ganze Reihe von Start-ups, die an einer nachhaltigen Zukunft der Fleischherstellung arbeiten, zum Teil sogar gottgleich Fleisch entstehen lassen.
Gates liebt Hamburger, ist sich aber der Kehrseiten der industriellen Fleischproduktion bewusst. Er weiß um Flächenverbrauch, Nahrungsmittelkonkurrenz und auch um die Klimabelastung der Massentierhaltung. Und hat erkannt, dass es nicht genug Agrarfläche gibt, um mit Rindern zukünftigen Bedarf zu decken. Zudem ist die Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot immens – und damit bietet die Lösung des Problems auch enorme Chancen. Wem es gelingt, die Lücke zu schließen, der löst nicht bloß grundlegende Ernährungsprobleme, dem gehört der Fleischmarkt der Zukunft.
„Bill saugt Wissen auf wie ein Schwamm das Wasser“, erinnert sich Richard Roy, den der Microsoft-Gründer 1997 zum Chef der Deutschland-Niederlassung beruft. „Gates hat sich schon damals ganz gezielt mit hochgebildeten Leuten getroffen, Wissenschaftlern, Künstlern, Philosophen, um zu verstehen, was die umtreibt, wie Dinge zusammenhängen, welche Trends Relevanz bekommen“, sagt Roy. Bis heute nutzt Gates den Austausch mit Experten als Seismografen für künftige Entwicklungen. Manche, die seinen Wissensdurst besonders gut stillen, erhebt er zu Freunden. Starinvestor Warren Buffett, der einen großen Teil seines Vermögens der Gates-Stiftung vermacht hat, ist ein solcher Mensch.
Gates‘ Glaube an die Macht der Technologie ist unerschütterlich. Bereits in den Neunzigerjahren war er überzeugt, dass das neue Digitalzeitalter extreme Veränderungen im Büro- und Alltagsleben mit sich bringen wird. „Schon beim Vorstellungsgespräch sagte er, dass ich – wenn ich denn unterschreibe – zu einem Unternehmen stieße, das nicht weniger erreichen werde, als die Welt zu verändern“, erinnert sich ein langjähriger Spitzenmann.
Doch schon damals war der Anspruch, die Welt zu verändern, keineswegs auf die Computerbranche beschränkt. Das bestätigt auch Ex-Microsoft-Deutschlandchef Roy. „Bill sah schon damals die Digitalisierung als Hebel, um die grundlegenden Probleme der Weltbevölkerung zu lösen“, erinnert sich Roy an Gespräche mit Gates. „Wie sich Infektionskrankheiten, Wassermangel, Kindersterblichkeit oder die Nahrungsmittelversorgung in den Griff bekommen ließen und welche Rolle die IT dabei spielen könnte, das trieb ihn schon damals um.“ Und bereits zu der Zeit hatte Gates den Plan, „den größten Teil seines persönlichen Vermögens in eine Stiftung zu geben, mit dem Ziel, genau diese globalen Probleme zu lösen“, so Roy.
Geändert hat sich daran bis heute nichts. Im Gegenteil.
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