Bis zu 237 Milliarden Euro für den Schutz vor Hitze und Starkregen notwendig
Die meisten Gebäude sind nicht auf den Klimawandel vorbereitet. Eine Studie untersucht den Investitionsbedarf – aber auch die Herausforderungen und Chancen für die Bauwirtschaft.
Die meisten Gebäude sind nicht auf den Klimawandel vorbereitet.
Eine aktuelle Studie zeigt: Es bedarf immenser Investitionen, um Wertverluste und Schäden durch Extremwetterereignisse zu vermeiden.
Für die Bauwirtschaft bieten sich dadurch neue Chancen.
Berlin. Ein Wolkenbruch, der ausgedörrte Boden kann die Wassermassen nicht aufnehmen, binnen Minuten steht der Keller unter Wasser – was früher als seltenes Extrem galt, könnte durch den Klimawandel künftig häufiger geschehen. 2024 markierte das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1850. Europa ist der Kontinent, der sich nach Daten des EU-Klimaforschungsdiensts Copernicus am schnellsten erwärmt. Damit steigt die Gefahr von Starkregen und überfluteten Kellern, mehr Hitzetagen, Sturm und Hagel, Überschwemmungen.
Um Gebäude in Deutschland vor den Folgen dieses Klimawandels zu schützen, bedarf es immenser finanzieller Investitionen. Mindestens 137 Milliarden Euro sind bis 2035 nötig, um Immobilien hierzulande auf zunehmende Extremwetterereignisse vorzubereiten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Beratungs- und Analyseunternehmens Prognos im Auftrag des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB) und des Bundesverbands Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), die dem Handelsblatt vor Veröffentlichung vorlag.
Die Studienautoren haben den Klimaanpassungsbedarf bei Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie Nichtwohngebäuden für zwei unterschiedliche Klimawandelszenarien untersucht. Die Investitionssumme von 137 Milliarden Euro reicht demzufolge nur aus, wenn es gelingt, den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitraum zu begrenzen.
Im Falle eines stärkeren Klimawandels mit einer Temperaturerhöhung von über vier Grad haben die Autoren einen Investitionsbedarf von 237 Milliarden Euro für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels berechnet. Für Prognos-Projektleiter Lukas Sander zeigt die Studie: „Klimaanpassung ist kein Nischenthema – sie wird zum zentralen Auftrag für das Bauen der Zukunft.“
Eigentümer, deren Gebäude nicht ausreichend an die veränderten Bedingungen angepasst sind, riskieren nicht nur Schäden durch unvorhersehbare Wetterereignisse, sondern auch Wertverluste. Der Immobiliendienstleister JLL prognostiziert: „Häufigere und schwerere Klimaereignisse werden die Wartungskosten und Versicherungsprämien erhöhen. Weniger belastbare Gebäude werden schwerer zu versichern sein, weniger Mieter anziehen und somit an Wert verlieren.“
Auch der Immobilienverband Deutschland (IVD) sieht in Maßnahmen zur Anpassung an die steigenden Temperaturen einen wichtigen Faktor für den Werterhalt. So würden Immobilien, die auch bei 35 Grad im Schatten komfortabel bewohnbar seien, künftig stärker nachgefragt. Das werde sich auch im Preis widerspiegeln.
Im Fokus der Prognos-Analyse stehen folgende Extremwetterereignisse:
Hitze
Starkregen
Flusshochwasser
Gewitter
Sturm und Hagel
Vor allem beim Schutz gegen Starkregen und Hitze sehen die Experten Handlungsbedarf. Demnach belaufen sich die Investitionen allein für die Prävention gegen Schäden durch Starkregen bis 2035 auf 65 bis 76 Milliarden Euro, je nach Klimawandelszenario. Abhängig vom Umfang der nötigen Maßnahmen veranschlagen sie für ein bestehendes Einfamilienhaus Kosten zwischen 3600 und 39.000 Euro.
In Regionen mit einem geringen Risiko für Überschwemmungen durch Starkregen kann es bereits ausreichen, Tür- und Lichtschachtschwellen zu erhöhen, um Regenwasser draußen zu halten. Auch ein Drainagesystem, das Regenwasser weg vom Gebäude leitet, sei vergleichsweise preiswert umzusetzen. Höhere Kosten verursachen das Nachrüsten von Rückstauklappen, druckwasserdichten Spezialkellerfenstern oder einer „schwarzen Wanne“, die Keller und Bodenplatte abdichtet.
Hitze wird zur gesundheitlichen Belastung
Beim Hitzeschutz werden je nach Szenario 44 Milliarden bis 107 Milliarden Euro bis 2035 fällig. Die Prognos-Studie geht davon aus, dass 11,2 Millionen Gebäude in Deutschland nicht ausreichend auf steigende Temperaturen vorbereitet sind. „Der vorbeugende Hitzeschutz wird zukünftig immer mehr zentraler Faktor für die Wohnqualität werden“, schreiben die Autoren.
Grüne Immobilien wie der Grüne Bunker St. Pauli können Abhilfe schaffen. Eine wirksame Außendämmung und begrünte Fassaden und Dächer verhindern, dass sich ein Gebäude extrem aufheizt. Vergleichsweise günstig lässt sich die Hitzebelastung mit Markisen und Rollläden reduzieren.Die Investitionskosten für Hitzeschutz variieren je nach Gebäudetyp und Anpassungsgrad stark. Für ein bestehendes Einfamilienhaus etwa rechnen die Prognos-Analysten mit Kosten zwischen 14.600 und 62.800 Euro. Im Neubau reicht im besten Fall eine Investition von 2900 Euro aus.
Durch Klimaanpassungsmaßnahmen im öffentlichen Raum ließe sich die Kostenbelastung für Immobilieneigentümer möglicherweise senken, schreiben die Autoren. Denn klar ist: Höhere Temperaturen können zum Gesundheitsrisiko werden – insbesondere in Gegenden mit viel Beton und wenig Grünflächen.
Laut einer Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sind mehr als zwölf Millionen Menschen in deutschen Städten einer extremen Hitzebelastung ausgesetzt. Besonders betroffen sind Städte im Süden der Republik, etwa Mannheim, Ludwigshafen oder Worms. Ex-Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte darum im vergangenen Jahr eine Hitzeschutzstrategie vorgelegt. Denn viele Städte sind dicht bebaut, deshalb oft wenig durchlüftet und stark versiegelt.
Milliardenmarkt für die Bauwirtschaft
Immer mehr politische Akteure auf Bundes- und Länderebene beschäftigen sich mit dem Thema, beobachtet auch Prognos. So sei 2023 das erste bundesweite Klimaanpassungsgesetz verabschiedet worden, 2024 trat es in Kraft. Insgesamt sei das Anpassungstempo in Deutschland „derzeit noch deutlich zu langsam“, lautet das Fazit der Analyse. Je nachdem, wie intensiv der Klimawandel voranschreitet, brauche es „eine Verdopplung bis Verfünffachung der Anstrengungen, um die Transformation zu schaffen“.
Für die Bauwirtschaft tut sich ein Milliardenmarkt auf. Bereits heute zeigen Statistiken laut Prognos-Studie einen deutlichen Anstieg der Nachfrage nach klimaangepassten Bauteilen und Produkten. Wolfgang Schubert-Raab, Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB), spricht von einem „Motor für die gesamte Bauwertschöpfungskette“. Klimaanpassung eröffne neue Märkte, Geschäftsmodelle und Beschäftigungschancen.
Doch gerade das Thema Fachkräfte birgt Herausforderungen: Laut Prognos wird die Klimaanpassung den Fachkräftemangel eher noch verschärfen, während dieser zugleich als zentrales Hemmnis für notwendige Anpassungsprozesse gilt.
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