Blühende Wirtschaft: Was Manager von Gärtnern lernen können
Manager können von Gärtnern lernen, dass
• ein Garten wie ein kapitalistisches Wirtschaftssystem funktioniert.
• sie einen überschaubaren Ort brauchen, an dem sie selbstbestimmt sein und Sorge tragen können.
• sie durch bodenständiges Handeln ihr Verständnis von der Welt und ihren Platz in ihr bestimmen.
• der grüne Daumen auch ein Zeichen für empathische Fähigkeiten ist.
• ihr Handeln befristet ist und es keine endgültigen Lösungen gibt.
• (Unternehmens-)Kultur und Nachhaltigkeit zusammengehören.
Je unübersichtlicher die Zeiten, desto größer ist das Bedürfnis, geerdet zu sein und einen greifbaren Bezug zur unmittelbaren Umgebung herzustellen und in sich zu gehen. „Um Privatsphäre zu haben, muss ich mich zurückziehen. Da brauche ich meine Veranda und ein bisschen Garten", sagte der Schauspieler Moritz Bleibtreu in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (27.1.2014). Die Renaissance, die der Garten heute erlebt, zeigt sich nicht zuletzt am steigenden Umsatz der Bau- und Gartenmärkte sowie an auflagenstarken Medien wie „Landlust", „LandIdee", „Mein schönes Land" oder dem „Grow your own"-Magazin und dem „Kitchen Garden-Magazin" in England. „Erdgeruch und Erdgefühl" (Goethe) strömt als „Urban Gardening" auch zu den Stadtbewohnern, die zwischen Pflastersteinen, Hinterhöfen und Hauswänden Salat und Blumen sprießen lassen.
Allen Bodenständigen gemeinsam ist der Wunsch nach einem Ort, an dem sie selbstbestimmt sein und Sorge tragen können: für sich und eine überschaubare Welt, die sie mit den Händen bearbeiten und wachsen sehen können - in einer der Natur gemäßen Geschwindigkeit, denn sie macht keine Sprünge. Claudia Silber, die bei der memo AG in Greußenheim die Unternehmenskommunikation leitet, verbindet damit auch eine Rückbesinnung auf alte Werte und „die Suche nach einem Ort, an dem man sich wohlfühlt, sich selbst und Ruhe finden kann". Damit verbunden ist für sie das Thema Selbstversorgung und Selbstbestimmtheit. Denn „durch zahlreiche Lebensmittelskandale auch im Bio-Bereich besinnen sich viele Menschen wieder auf sich selbst und ihre Fähigkeiten. Sie verlassen sich nicht mehr auf die Versprechen von Lebensmittelanbietern und Unternehmen. Dabei ist es egal, ob es der heimische Garten mit Eigenheim ist oder nur wenige Quadratmeter auf dem Balkon oder auf dem Dach."
Das Gartenthema zeigt sich in unterschiedlichsten Facetten in ihrem Unternehmen: So blicken die Mitarbeiter von ihrem Arbeitsplatz in Greußenheim direkt in einen Naturgarten, der mit einheimischen Wildblumen, Sträuchern und Bäumen bepflanzt ist. Ein Teil der Wiese wird in der warmen Jahreszeit nicht gemäht, um Bienen und anderen Insekten wertvollen Lebens- und Nahrungsraum zu geben. Auf der Produktebene setzt sich die nachhaltige Prozesskette fort.
Der gefallenen Welt und Zeit, die aus den Fugen geraten ist, wird mit dem Garten eine eigene Ordnung und Schönheit entgegengesetzt, die sich der Tätigkeit des ständigen Kultivierens verdankt. Gäbe es keine Ordnung, wäre das für den Gärtner im besten Wortsinn ein Sturz ins Bodenlose - und der Garten würde ohne sein ständiges „Eingreifen" verfallen. Die Frage, die sich für einen Gärtner stellt, heißt lediglich: „Wie muss ein solches Eingreifen aussehen?" Werden für das schnelle Wachstum große Mengen an Dünger einsetzt, stellt er bald fest, dass sie dadurch anfälliger gegenüber Krankheiten und Insekten werden. Bekämpft er sie konsequent, werden möglicherweise so viele Pestizide versprüht, dass der Boden abgetötet wird. Dann gibt es zwar kein Ungeziefer mehr, aber es kann auch nichts mehr richtig wachsen.
Damit verbunden ist auch ein Verständnis für die Mühen, mit denen sich das Leben im Boden eine Ausgangsbasis erzwang. Was gute Pflege heißt, lässt sich hier am besten lernen - ebenso, dass Landwirtschaft (cultura agri) und Pflege des Geistes (cultura animi) zusammengehören. Auch für den tschechischen Schriftsteller Karel Capek, der 1929 das lesenswerte Buch „Das Jahr des Gärtners" schrieb, waren die Kultivierung des Erdbodens und die Kultivierung des Geistes wesensgleich. Was für den Boden gilt (ihm mehr zu geben, als ihm zu nehmen), lässt sich auch übertragen auf die Gesellschaft und die Kultur als Ganzes - auch auf Freundschaft, die von der gegenseitigen „Pflege" und vom „Überschuss" der eigenen Hingabe lebt. Auch auf die Arbeitswelt lässt sich das „Prinzip Garten" übertragen: Wir geben - und die Natur gibt uns etwas zurück.
Im Kulturbegriff sind Bildung, Kultur, Natur und Nachhaltigkeit verbunden. Die Natur sollte so genutzt werden, dass ihr kein Schaden zugefügt wird. „Das kann kaum funktionieren, solange wir fortfahren, Natur und Kultur nur als Gegenspieler zu sehen," schreibt der amerikanische Journalist Michael Pollan in seinem Buch „Meine zweite Natur. Vom Glück, ein Gärtner zu sein". Wie ein roter Faden zieht sich die Idee des Gärtnerns durch dieses Buch - und dass es eines realen und metaphorischen Ortes bedarf, „an dem Natur und Kultur sich auf eine Weise vermählen können, die beiden zum Vorteil gereicht". Ihm gelingt es, zwei Gärten aufs schönste zur Deckung zu bringen: den Garten der Bücher und Erinnerungen, das „Utopia der Träume in der freien Wildbahn, mückenfrei und allzeit blühend, in dem die Natur unsere Wünsche erfüllt und wir das Gefühl haben, vollkommen zu Hause zu sein", und den Garten als realen Ort. Was hier geschieht („das Gedeihen und Absterben bestimmter Pflanzen, die Raubzüge verschiedener Insekten und anderer Schädlinge") macht ihn mit diesem Fleckchen Erde genauer bekannt.
Pollan stellt sich den Garten wie ein kapitalistisches Wirtschaftssystem vor: „systembedingt instabil, mit einer Tendenz zu Auf- und Abschwung." Auch hier wird unablässig Wert geschaffen und zerstört. Die Rechnung ist allerdings nie lange ausgeglichen: So entwickelt sich im einen Bereich ein Mangel an Nährstoffen und im anderen ein Überschuss - die Wertigkeit des Wassers ist enormen Schwankungen unterworfen. Er vergleicht den Gärtner sogar mit dem Vorstandsvorsitzenden der US-Notenbank - dieser hat zwar Macht, ist aber keineswegs „allmächtig". Ja, er ist durchaus imstande, die Höhen und Tiefen seiner Gartenzyklen zu glätten, ausuferndes Wachstum in Schranken zu halten oder „die territoriale Gier der Silver King-Artemisia zu kanalisieren." Mehr Handlungsspielräume hat er nicht innerhalb seines Ordnungssystems auf Zeit. Deshalb ist der Garten möglicherweise kein Ort, den Perfektionisten mögen, weil sich in diesem dynamischen System, in dem alles in ständiger Bewegung und Veränderung ist, vieles ihrer Kontrolle entzieht.
Das Unkraut, das heute gejätet wird, ist morgen wieder da. Die Kultivierung der Natur ist ein ständiger Auswahlprozess, der sachkundiger Entscheidungen bedarf. Auch hier sieht Pollan Parallelen zur Wirtschaftswelt - so seien Unkräuter wie Anwälte, die sich am Unglück anderer bereichern: Blender, Bauernfänger und Betrüger. Fast jede Nutzpflanze hat einen zu ihr passenden „Unkraut-Hochstapler, eine Art botanischen Doppelgänger", der im gesamten Entwicklungsprozess Aussehen und Wachstumsgeschwindigkeit der Kulturpflanze nachzuahmen gelernt hat und so sein Überleben sichert. Unkraut? Das sind wir immer auch selbst, die wir nur erfolgreich gärtnern können, wenn wir mit der fundamentalen Doppelbödigkeit unserer Rolle ins Reine gekommen sind und erkennen, „dass wir nämlich das Problem, zugleich aber auch die einzig mögliche Lösung des Problems sind".
Auch das lässt sich von den guten Gärtnern lernen: gelassen mit Misserfolg umzugehen. Denn sie wissen, dass er sich (zumindest im Garten) lauter artikuliert als Erfolg. „Wenn die Karotten gedeihen, lernt der Gärtner nichts, es sei denn, dieser Erfolg wird vor dem Hintergrund einer vorausgegangenen Enttäuschung gewonnen. Sofortiger Erfolg ist stumm, Katastrophen dagegen wissen oft viel zu sagen. Zumindest für einen Gärtner, der lernt zuzuhören", schreibt Pollan, der von seinen Karottenstümpfen lernte, wie schwer der Boden war und mehr aus Ton als aus Lehm bestand. Daraufhin bemühte er sich, ihn leichter zu machen. Als seine ersten Tomatenpflanzen eine Vielzahl von Blättern, aber kaum Früchte trugen, bemerkte er, dass er sie zu stark gedüngt hatte: „dass von vornherein schon mehr Stickstoff im Boden gewesen war als erwartet". Misserfolg war für ihn ein Auslöser, sich detaillierter mit der Materie zu beschäftigen, sich „einzulesen" und mit einem tieferen Verständnis für die Landschaft zurückzukommen, die sich in ihm selbst manifestierte: „Ich verbrachte ganze Nachmittage damit, das Wasser zu beobachten, wie es immer wieder neue Pfade in die Erde zeichnete auf seiner unendlich variierbaren, aber nicht aufzuhaltenden Reise Richtung Wald. Ich lernte, wie Wasser zu denken, eine Fähigkeit, die mir später bei der Gartenarbeit gute Dienste leisten sollte."
Dieser Satz ist häufig zu hören: „Ich habe keinen grünen Daumen". Für viele scheint das ein Grund zu sein, sich nicht mit dem Gärtnern zu beschäftigen. Dabei braucht es wie im Management vor allem eines: empathische Fähigkeiten. Wer sie als Gärtner hat, kann erspüren, was Pflanzen zu bestimmten Zeitpunkten brauchen. Grüne Daumen sind nur Unsensiblen und Ungeübten ein Rätsel. Der englische Gärtner und Landschaftsarchitekt Russell Page beschrieb sie in seinem Buch „The Education of a Gardener" (1962) als Ausläufer eines Herzens, das für das Grün schlägt. Nach Michael Pollan kann der grüne Daumen sogar wie Wasser denken. Er ist für ihn mehr als nur ein sprachliches Bild, denn er war das erste Werkzeug, das uns Menschen dazu verholfen hat, die Natur nach unseren Vorstellungen zu verändern.
Als amerikanische Anthropologen die Feinmotorik von Neandertalern untersuchten, wurde klar, weshalb sie keine Überlebenschance hatten: Sie sind ausgestorben, weil ihre Hände weniger Nerven und motorische Fähigkeiten hatten als die der ersten Urmenschen, die mit ihren Händen bessere Werkzeuge bauen konnten. „Erst war das Greifen - dann kam das Begreifen." Sagt der US-Neurologe Frank Wilson, für den die Hand das Werkzeug ist, das unseren Geist erst zu dem machte, was er ist. „Die Hand ohne Daumen ist im schlimmsten Falle nichts als ein lebendiger Fischheber und bestenfalls eine Zange, die nicht richtig schließt. Ohne den Daumen fällt die Hand um 60 Millionen Jahre evolutionäre Zeitrechnung zurück" zitiert er in seinem Buch „The Hand" (1998) den schottischen Mathematiker und Naturgelehrten John Napier.
So wie der Garten ein eigener abgeschlossener Bezugsrahmen ist, so ist es auch die vollkommene Hand, die durch „geübte" Bewegung Begrenzungen schafft. Daran wird der Gärtner ständig erinnert, da der Daumen bei den meisten Gartenarbeiten eine so bedeutende Rolle spielt: „Er sät mit Daumen und Zeigefinger und lässt, indem er den einen gegen den anderen reibt, die Samen einzeln fallen. Mit beiden Daumen gleichzeitig drückt er die Erde um seine Setzlinge fest und sichert auf diese Weise den Halt der Wurzeln in der Erde. Die ganze Saison hindurch drückt er Daumen und Zeigefinger zusammen; er zwickt Triebe und Blätter ab, pflückt welke Blüten aus, zerquetscht Käfer, erntet Früchte. Und was ist die allgegenwärtige Gartenschere anderes als eine mechanische Erweiterung des opponierbaren Daumens?" Im Garten ist er das wichtigste Werkzeug, das bei klugem Gebrauch die Gepflogenheiten der Natur mit den eigenen Wünschen harmonieren lässt.
Damit verbunden ist auch das Gefühl der Gelassenheit angesichts der Ungewissheiten in der Natur - der grüne Daumen bewegt sich in ihren Geheimnissen ohne „das Bedürfnis nach Kontrolle, Erklärung oder endgültigen Lösungen" (Pollan). Den eigenen Garten zu bestellen bedeutet, auch dann glücklich zu sein, wenn diese Welt in ihrer Vielfalt und Unbändigkeit sich weigert, den eigenen Vorstellungen zu entsprechen. Der grüne Daumen erinnert daran - aber auch an das, was gelassen hingenommen werden sollte: „dass ein Garten nie fertig ist, dass er die Natur vielleicht für eine gewisse Zeit zähmen kann, doch seine Herrschaft allenfalls befristet ist".
Von Gärten können Manager vor allem lernen, was Nachhaltigkeit heißt, nämlich an etwas anzuknüpfen und mit eigenen Händen daran weiter zu arbeiten - wie es Jakob Augstein in seinem Buch „Die Tage des Gärtners Vom Glück, im Freien zu sein" beschreibt: „Selbst in der umfassenden Verwilderung können Sie ja noch Spuren vergangener Pläne erkennen: ein Blumenbeet, weil die Sonne hier günstig ist, eine Hecke, weil Windschutz hier nottut, eine Rhododendron-Bepflanzung, weil der Boden das hier erlaubt. Was hatte der Vorgänger im Sinn? Wo ist es ihm gelungen und wo ist er gescheitert?"
Weiterführende Informationen:
Alexandra Hildebrandt: Gartenzeit: Wie wir Natur und Kultur wieder in Gleichklang bringen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.