Seit 2020 sind Geschäfte dazu verpflichtet, Kassenbons auszudrucken. Das soll verhindern, dass Geld am Fiskus vorbeigeschleust wird. Foto: dpa
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Bonpflicht wird abgeschafft – ab 2027 aber Registrierkassenpflicht für alle Geschäfte mit über 100.000 Euro Jahresumsatz

70 Milliarden Euro Schaden sollen unehrliche Gastronomen, Einzelhändler oder Friseure verursachen. Union und SPD verzichten dennoch auf die Bonpflicht – und rüsten an anderer Stelle auf.

Der größte Steuerbetrug findet jeden Tag in aller Öffentlichkeit statt. Auf jährlich bis zu 70 Milliarden Euro schätzt der Bundesrechnungshof den finanziellen Schaden für den Staat durch Nichterfassung, Manipulation und Löschen von Bargeldeinnahmen in Kassensystemen. Ein großer Teil der Einnahmen in bargeldintensiven Geschäften, in Kneipen oder beim Friseur, fließt demnach am Staat vorbei – direkt in schwarze Kassen. Union und SPD hatten deshalb in ihrer letzten Großen Koalition 2020 eine Bonpflicht eingeführt. Doch die gilt seither als bürokratisches Ärgernis im Alltagsleben.

Nun haben CDU, CSU und SPD in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: „Wir schaffen die Bonpflicht ab.“ Damit brechen aber noch lange nicht paradiesische Zeiten für Steuerhinterzieher an. Ihnen will die Koalition stattdessen mit anderen Mitteln auf die Pelle rücken.

So will die künftige Regierung größere Geschäfte zwingen, endlich überhaupt eine elektronische Kasse einzuführen. „Für Geschäfte mit einem jährlichen Umsatz von über 100.000 Euro führen wir ab dem 01.01.2027 eine Registrierkassenpflicht ein“, heißt es im Koalitionsvertrag. Tatsächlich kann bisher jeder Händler, der eine sogenannte „offene Ladenkasse“ hat, seine Einnahmen in einen Karton oder eine Kassette legen. Bonpflicht? Bei offenen Ladenkassen – und davon gibt es hunderttausende im Land – galt sie nie.

Keine Kasse, kein Bon – keine seriöse Prüfung

Wegen der fehlenden elektronischen Kassenaufzeichnungen kann der Fiskus bei Geschäften mit offener Ladenkasse keine seriöse Prüfung der Bücher vornehmen. Das Privileg der offenen Ladenkasse – das seinerzeit auf Druck der Bauernlobby, Markthändler und Vereine (Stichwort: Sommerfest am Spielfeldrand) zustande kam – will die künftige Bundesregierung zumindest für größere Läden streichen.

Für einen richtigen Ansatz hält dies Florian Köbler, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft. Er hätte sich zwar eine Registrierkassenpflicht bereits ab 25.000 Euro Umsatz gewünscht. Doch die von der Koalition geplante Ausweitung sei ein guter Anfang, um diese Lücke zu schließen. „Dann muss so gut wie jeder Dönerladen demnächst eine Kasse führen.“ Bisher liege der Anteil dort ziemlich genau bei null Prozent. Ähnlich unbeliebt seien Kassen auch bei anderen Imbissbuden oder Spätis.

Mit seiner langjährigen Erfahrung in der Finanzverwaltung spricht der Gewerkschaftsvorsitzende ebenfalls von hohen Schäden durch Kassenbetrug. Realistisch seien 50 bis 70 Milliarden Euro. Allein die direkten Schäden an hinterzogener Umsatz-, Ertrags- und Gewerbesteuer beziffert Köbler auf 15 bis 20 Milliarden Euro. Hinzu kämen noch höhere Folgeschäden durch die meist illegale Beschäftigung; hier würden dem Staat weitere 30 bis 50 Milliarden Euro an Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen vorenthalten. An- und auffällig seien alle bargeldintensiven Branchen von Gastronomie, Fingernagelstudios, Barbershops und Friseuren bis zu Werkstätten, Bäckereien und Fleischereien.

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Trend zum e-Bon

Dass die Bonpflicht fällt, hält Köbler für verschmerzbar. „Jeder Kunde kann auch in Zukunft eine Rechnung verlangen.“ Zudem gehe der Trend in Richtung e-Bon. Interessant findet der Steuergewerkschafter eine weitere Maßnahme im Koalitionsvertrag. Dort steht: „Wir setzen uns für echte Wahlfreiheit im Zahlungsverkehr ein und wollen, dass grundsätzlich Bargeld und mindestens eine digitale Zahlungsoption schrittweise angeboten werden sollen.“ Dies sei ein weiterer Schritt zu echten Umsatzkontrollen, so Köbler.

Tatsächlich würden sich viele Ladenbetreiber dieser Kontrollmöglichkeit bisher durch Kartenverbot entziehen. Auf „Cash-only-Schilder“ reagiere er daher allergisch: „Solche Läden müssten eigentlich sofort geprüft werden.“

Uhren statt Bons

Auch der CDU-Steuerexperte Fritz Güntzler hält den neuen Ansatz bei der Bekämpfung von Kassenbetrug für sinnvoll. Er stellt ohnehin infrage, dass die Bon-Ausgabepflicht spürbar zu mehr Ehrlichkeit geführt habe. Der Steuerberater glaubt, dass sich das Thema Kassenbetrug auch aus einem anderen Grund demnächst relativieren wird: „Meine Kinder haben gar kein Bargeld mehr in der Tasche.“

Da immer mehr Kunden mit Karte, Smartphone oder -uhr zahlten, könne sich der Betrug in bisher bargeldintensiven Branchen á la longue „aus demografischen Gründen“ erledigen. Zurückhaltend sieht Güntzler dagegen eine Ausweitung der Kassenpflicht auf alle Gewerbetreibenden. „Bei Spargelständen oder Schützenfesten funktioniert das nicht.“

Länder müssen mehr kontrollieren

Dagegen plädiert Güntzler für eine andere Maßnahme. „Das Entdeckungsrisiko muss größer werden.“ Wie? Durch mehr Kontrollen durch die Finanzbehörden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete (und passionierte Fußballer) spielt damit den Ball ins Feld der Länder. Denn der Steuervollzug ist Sache der Finanzbehörden, die den Bundesländern unterstehen.

Tatsächlich ist das Risiko, entdeckt zu werden, bislang extrem gering. So spricht der Bundesrechnungshof von einem „seit Langem bekannten Vollzugsdefizit bei Bargeschäften durch die Kassen-Nachschau“. Schon die offiziell verkündete jährliche Quote der Kassen-Nachschauen sei mit lediglich 2,4 Prozent der Betriebe zu gering angesetzt. Schlimmer noch sei, dass die Finanzverwaltungen der Länder diese Quote „bislang in keinem Jahr auch nur annähernd erreicht“ hätten.

Daran dürfte sich allerdings realistischerweise nur wenig ändern. Denn die Finanzverwaltung pfeift auf dem letzten Loch. Gewerkschaftschef Köbler: „Wir haben zu wenig Personal, zu wenig Nachwuchs und können viele Planstellen nicht besetzen.“ Umso dringlicher sei daher, mit risikobasierten Verfahren und guter IT-Ausstattung gezielt gegen die schwarzen Schafe in den betrugsanfälligen Branchen vorzugehen.

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