KI-basierte optische Inspektion bei Bosch. - Foto: Bosch
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Bosch trainiert KI mit KI – und könnte 300 Millionen Euro sparen

Stuttgart, Düsseldorf. Der Industriekonzern Bosch will mit Künstlicher Intelligenz (KI) Bilder unter anderen von fehlerhaften Schweißarbeiten erstellen und dreistellige Millionenbeträge sparen. Das Pilotprojekt könnte exemplarisch zeigen, wie sogenannte generative KI die industrielle Fertigung verbessern kann.

Seit das US-Unternehmen OpenAI vor einem Jahr den Chatbot ChatGPT veröffentlicht hat, herrscht ein Hype um generative KI-Systeme, die Texte, Bilder und Musik erzeugen können. Der Einsatz von Bildgeneratoren in der Industrie steht aber noch am Anfang, Bosch gibt den Antreiber. Denn die bildgebende KI soll Daten erzeugen, mit denen der Konzern seine KI in der Qualitätskontrolle trainieren kann – und damit zuverlässiger macht.

„Als produzierendes Unternehmen, etablierter Fabrikausrüster und Taktgeber der Industrie 4.0 will Bosch eine führende Rolle bei Entwicklung und Anwendung industrieller KI spielen", teilte Bosch-Chef Stefan Hartung mit. Was er jetzt erproben will, könnten in Zukunft prinzipiell viele andere Unternehmen nachahmen. Bosch jedenfalls will die Technologie auf alle 230 Werke ausrollen.

Die Schwaben haben bereits einige Erfahrung im Einsatz von KI. Bisher nutzt der Industriekonzern in der Produktion etwa klassische KI-Lösungen zur optischen Inspektion. Dabei soll Bilderkennungssoftware fehlerhafte Produkte erkennen.

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Das Problem: Solche Systeme sind immer nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert wurden. Die KI braucht also zunächst viele Bilder von Mangelware, um diese zuverlässig zu identifizieren. Die gibt es aber oft nicht. „Gerade wenn es um Fehler geht, ist die Zusammenstellung von Trainingsdaten ein aufwendiger Prozess", sagt der Münchner Informatikprofessor Björn Ommer von der Ludwig Maximilian Universität München.

Pro Werk Einsparungen in Millionenhöhe

Deshalb nutzt Bosch nun generative KI, um Bilder von Ausschussware zu erstellen, die der Konzern nach eigenem Anspruch niemals produzieren will. Experten sprechen dabei von synthetischen Daten.

Die Erwartungen sind enorm: Je nach Werksgröße und Produktionsvolumen verspricht sich Bosch von der KI-Innovation pro Jahr und Werk Produktivitätszuwächse und Kosteneinsparungen in Höhe von mehreren hunderttausend Euro bis hin zu niedrigen einstelligen Millionenbeträgen.

Hochgerechnet auf 230 Fertigungswerke dürfte der Stiftungskonzern seine Kosten um mehr als 300 Millionen Euro senken. „Mit Hilfe von generativer KI verbessern wir nicht nur bestehende KI-Lösungen, wir schaffen so auch Grundlagen für eine optimale Durchdringung dieser Zukunftstechnologie in unserem weltweiten Fertigungsverbund“, sagt Stefan Hartung.

Starten soll das Pilotprojekt zunächst in zwei Werken. In Stuttgart-Feuerbach geht es um die Qualitätssicherung von Hochdruckpumpen. Im niedersächsischen Hildesheim sollen synthetische Daten helfen, Schweißungen von Kupferdrähten in der Elektromotorenfertigung zuverlässig mit KI zu prüfen.

Dazu werden sämtliche Statoren für Elektromotoren einem kamerabasierten Verfahren unterzogen. In dem Prozess muss die KI innerhalb einer Minute bis zu 300 Schweißungen pro Seite untersuchen. Nur wenn sich der Algorithmus unsicher ist, sollen noch Menschen den Fall inspizieren.

KI braucht nur eine zweistellige Zahl echter Bilder

Die neue KI-Lösung wurde auf dem Campus in Renningen entwickelt. Dazu wurde ein Basismodell gebaut, das ähnlich wie die Online-Bildgeneratoren Dall-E und Stable Diffusion neue Bilder erzeugen kann. Dieses Modell wurde zunächst mit einer höheren zweistelligen Zahl realer Aufnahmen aus dem Bosch-Fertigungsnetzwerk trainiert. Danach soll es bereits in der Lage gewesen sein, selbst Bilder fehlerhafte Produkte zu erstellen.

Bosch hat nach eigenen Angaben auf diese Weise seinen Datensatz um weitere 15.000 Bilder ergänzt, um das System zur optischen Qualitätskontrolle weiter zu verfeinern und zu spezifizieren. Das Modell erkennt und generiert dabei die Bilder unterschiedlicher Varianten eines Produkts und berücksichtigt verschiedene Anordnungen und Abfolgen im Produktionsprozess.

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Auch in der Entwicklung autonomer Fahrzeuge kommen bereits synthetische Daten zum Einsatz. Für Informatikprofessor Ommer handelt es sich bei dem Projekt von Bosch um einen weiteren interessanten Anwendungsfall. „Spannend ist nun, wie genau und wie aufwendig die Steuerung der Synthese ist", sagt er.

Björn Ommer beim Handelsblatt KI-Summit mit Gründerin Feyu Xu. - Foto: Foto Vogt für Handelsblatt KI-Summit
Björn Ommer beim Handelsblatt KI-Summit mit Gründerin Feyu Xu. - Foto: Foto Vogt für Handelsblatt KI-Summit

Welche Randfälle würden also verpasst? Werde am Ende möglicherweise zu viel als Ausschuss deklariert? Wie viel Aufwand könne verglichen mit herkömmlichen Trainingsmethoden gespart werden? Das hänge „stark von der Komplexität des konkret untersuchten Problems und der Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der unterschiedlichen Beschädigungen ab", sagt Ommer.

Zeitersparnis von mehreren Monaten

Bosch selbst erwartet einen deutlichen Zeitgewinn. Von der Projektierung über die Inbetriebnahme bis zum Hochlauf von KI-Anwendungen soll sich die Zeit von sechs bis zwölf Monaten auf wenige Wochen reduzieren.

Und schon jetzt spart das Unternehmen mithilfe von KI Zeit und somit Geld. Die Bosch-Pilotwerke setzen KI schon in der Produktionsplanung, -überwachung und -kontrolle ein. In Hildesheim beispielsweise wurden beim Produktionshochlauf neuer Linien die Taktzeiten durch KI-basierte Datenanalyse um 15 Prozent verringert, in Stuttgart-Feuerbach haben neue Algorithmen die Prüfung von Komponenten von dreieinhalb Minuten auf drei Minuten verkürzt.

Die Bosch-Geschäftsführerin ist als Digitalchfin für die KI zuständig. - Foto: Handelsblatt
Die Bosch-Geschäftsführerin ist als Digitalchfin für die KI zuständig. - Foto: Handelsblatt

„Mit generativer KI gehen wir jetzt den nächsten Schritt in der Evolution von künstlicher Intelligenz und hieven moderne Fertigungen auf ein neues Level“, sagt Bosch-Geschäftsführerin und Digitalchefin Tanja Rückert.

Schon jetzt gilt Bosch als Vorreiter im Bereich KI. Unternehmenseigene Software zur Identifizierung von Anomalien und Störungen im Fertigungsprozess ist mittlerweile in rund 50 Bosch-Werken im Einsatz. Mehr als 2000 Fertigungslinien sind angebunden.

Bosch hat ein KI-basiertes System entwickelt, das Anomalien in der Fertigung identifiziert. Die Software ist inzwischen - Foto: werkfoto
Bosch hat ein KI-basiertes System entwickelt, das Anomalien in der Fertigung identifiziert. Die Software ist inzwischen - Foto: werkfoto

Software wie Machine Vision AI aus dem Bosch-Sondermaschinenbau hilft dabei, schwer zu identifizierende Merkmale wie Kratzer nachzuweisen. So werden Fehler frühzeitig erkannt, Ausfallzeiten von Maschinen auf ein Minimum reduziert, Ausschuss wird verringert, Energie zielgerichtet genutzt. Mit Anwendung generativer KI will Bosch den Nutzen noch einmal hebeln.

„KI ist von epochaler Bedeutung und wird die industrielle Produktion grundlegend verändern", sagt Rückert, „zum Besseren.“

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