Brauchen wir eine Informationsdiät?
Wie lässt sich die tägliche Nachrichtenflut bewältigen? Professionelle Leser:innen raten: Push-Nachrichten aus, Multitasking vermeiden und den eigenen Bedarf vorher klären.
Wären Texte wie guter Wein, dann wäre Robert Cottrell ein gefeierter Sommelier. Und das nicht nur, weil der ehemalige Moskau-Korrespondent der „Financial Times“ jeden Tag die (aus seiner Sicht) besten journalistischen Stücke für seinen Newsletter „The Browser“ auswählt.
Es ist eher die Art, wie der Brite zuvor die Qualität eines Texts bestimmt. In kleinen Schlucken tastet er sich prüfend vor, routiniert zwar, aber stets bereit, sich überraschen zu lassen. Das meiste davon spuckt er wieder aus. Nur von den wirklich edlen Tropfen gönnt sich Cottrell mal ein ganzes Glas, also den kompletten Text.
Glaubt man dem US-Technologieexperten Clay Johnson, Autor des Buchs „The Information Diet“, dann ähnelt unser Informationskonsum unserem Umgang mit Lebensmitteln. Allerdings gehen die wenigsten Menschen dabei vor wie der Feinschmecker Robert Cottrell. Stattdessen stopfen sie achtlos und hastig einen Happen nach dem anderen in sich hinein – ohne Rücksicht auf Qualität oder das eigene Hungergefühl. Hauptsache, es schmeckt und sättigt. Kurzfristig jedenfalls.
Und während das Junkfood der Lebensmittelindustrie eine Gesellschaft der Übergewichtigen und Herzkranken erzeugt hat, so sollen auch die Push-Nachrichten der digitalen Informationsindustrie unsere Gesundheit gefährden. Nach Meinung von Johnson brauchen wir alle eine radikale Informationsdiät.
Die Angst vor der Informationsflut
Diese Befürchtungen sind einerseits nicht neu. Seit es Medien gibt, sehen Kulturkritiker:innen bei jeder neuen Entwicklung am Horizont die Schatten des gesellschaftlichen Niedergangs aufziehen. Schon der antike Philosoph Platon befürchtete, dass die Erfindung der Schrift aus seinen Zeitgenossen geistlose Wesen ohne jegliches Erinnerungsvermögen machen würde. Schließlich könnten sie die nötigen Informationen ja künftig jederzeit nachlesen. Um Himmels willen.
Fast genauso alt ist die Angst, dass ein Zuviel an Informationen für uns schädlich sein könnte. Und doch ist die Furcht vor einem „information overload“, also einer nicht mehr zu bewältigenden Informationsflut, in den vergangenen Jahren noch einmal deutlich lauter geworden. Wissenschaftlich ist diese Frage noch nicht eindeutig geklärt. Studien legen allerdings nahe, dass es für viele Menschen zunehmend zur Last wird, aus den unzähligen und niemals versiegenden Informationsquellen des Internets schöpfen zu dürfen.
Die Begeisterung über die Allverfügbarkeit von Wissen weicht dann dem Frust darüber, dass man nicht mehr hinterherkommt. Ständig droht man irgendetwas im Netz zu verpassen, unablässig lockt eine neue Überschrift mit der Aussicht auf Breaking News. Die Genugtuung, dank der Tageszeitung oder den Acht-Uhr-Nachrichten das Wichtigste des Tages erfahren zu haben, gibt es in einer Welt ständiger Aktualisierungen nicht mehr.
„Wenn Menschen das Gefühl haben, Informationen nicht mehr ausreichend verarbeiten zu können, kann das Stress, Verwirrung und Ängste hervorrufen“, schreiben Morten Skovsgaard (Universität Odense) und Kim Andersen (Universität Göteborg) in einer Überblicksarbeit.
„Unsere Steinzeitgehirne haben sich an unsere digitale Umwelt einfach noch nicht angepasst“, sagt auch die Neurowissenschaftlerin und Autorin Maren Urner. Urzeitliche Reflexe führten beispielsweise dazu, dass wir negative Dinge emotionaler und intensiver verarbeiten als positive – gerade im täglichen Nachrichtenstrom sei das fatal. „Solche Impulse können wir unserem Gehirn nicht abgewöhnen. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht lernen könnten, besser mit der täglichen Informationsflut umzugehen.“ Nur: Wie soll das gehen?