Burn-out, Polykrise, Transformation: Was macht Menschen zu Supersurvivors?
Sie überstehen Krisen nicht nur, sie gehen sogar gestärkt daraus hervor, blühen danach geradezu auf: Supersurvivors. Nun steckt wohl nicht in jedem Menschen ein Supersurvivor. Doch können diese fünf Schritte jedem Orientierung geben. Sie gelten für den Umgang mit Erkrankungen wie einem Burn-out, den ich selbst erlebt habe, ebenso wie für andere Krisen ...
„Kai ist ein Burn-out-Survivor“, so stellte mich vor wenigen Wochen der HR Director eines Unternehmens den Teilnehmern meines Trainings für resilienzorientierte Führung vor. Obwohl er damit recht hatte, war ich überrascht – so hatte ich mich selbst nie bezeichnet. „Survivor“, das sind doch Menschen, die eine schwere Krebserkrankung überstanden haben oder andere potenziell traumatische Erfahrungen … doch genau das ist ja der Burn-out für mich gewesen: ein schwerer, schmerzhafter und weit über ein Jahr andauernder Einschnitt in mein Leben, nach dem heute kaum etwas ist, wie es vorher war. Mein persönliches 9/11. Und um ehrlich zu sein: Ja, ich erlebte diesen Burn-out als traumatisch. So wie rund „90 Prozent aller Menschen in ihrem Leben mindestens ein traumatisierendes Ereignis erleben“. (Southwick und Charney, 2012, verweisen auf Norris und Sloane, 2007)
Supersurvivors blühen auf
Gelingt es, aus Krisen gestärkt hervorzugehen, spricht man heute sogar von Supersurvivers. Nach einer tiefen Krise bauen sie ihr Leben nicht nur wieder auf. Sie wachsen, blühen geradezu auf. Die Sicht soll die Krise aber nicht romantisieren.
Supersurvivors finden Bedeutung
Supersurvivor verlassen die Opferrolle – ein zentraler Resilienzfaktor, also eine Haltung, die innere Stärke vermittelt. Es gelingt diesen Menschen, in ihrer Krise oder ihrem Trauma eine persönliche Bedeutung zu finden. Genau dies kann sie davor schützen, sich von den aktuellen Herausforderungen überwältigt zu fühlen. (Southwick & Charney, 2012 in Bezug auf Campbell et al., 2008). Wenn also in der Krise eine Bedeutung – in Resilienz-Sprech „Sinnhaftigkeit“ – gefunden wird, kann dies wie ein Puffer gegen die Belastungen und Folgen der Krise wirken. Sinnhaftigkeit ist ein weiterer Resilienzfaktor.
Reise an einen besseren Ort
Und tatsächlich: Eine Krise ist ja oft nicht punktuell, sondern sie kann – wie bei meinem Burn-out – lange andauern. Während dieses Prozesses kann sich quasi Licht am Horizont abzeichnen: Man weiß oder zumindest ahnt dann, dass die beschwerliche Reise an einen besseren Ort führen kann. Für mich war dieser neue Ort eine berufliche Neuausrichtung, für die ich heute dankbar bin. Meine Analytikerin hatte offenbar recht, als sie in einer Sitzung während meines Burn-outs sagte: „Ich glaube, da kommt noch etwas bei Ihnen.“
Doch wie wird man Supersurvivor? Dieser Frage geht Jerry White in seinem Buch „I Will Not Be Broken“ nach. Als 20-Jähriger trat er bei einem Campingausflug in Israel auf eine Landmine und verlor sein linkes Bein. Für seine Arbeit als Aktivist gegen Landminen wurde er später mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Er nennt fünf Schritte, um mit einer Krise umzugehen wie ein Supersurvivor.
Fünf Schritte zum Supersurvivor
Sieh den Fakten ins Auge: Akzeptiere, was geschehen ist.
Entscheide dich für das Leben: Lebe für die Zukunft und nicht in der Vergangenheit.
Bilde Netzwerke: Knüpfe Verbindungen zu anderen „Survivors“.
Beweg dich: Setze dir Ziele und werde aktiv.
Gib etwas zurück: Anderen zu helfen, stärkt auch den „Überlebenden“; er gewinnt an Bedeutung, statt Opfer zu sein.
Auf einen dieser Punkte möchte ich hier näher eingehen, weil er die Basis für alle weiteren Schritte ist und weil er in Diskussionen mit Teilnehmern meiner Trainings besondere Resonanz hervorruft (dazu unten mehr): Akzeptanz. Gemeint ist natürlich keine Resignation oder gar Kapitulation vor dem Status quo, sondern ein Annehmen dessen, was in diesem Moment Realität ist.
Akzeptanz ist damit der Startpunkt, um im geeigneten Zeitpunkt aktiv zu werden. Nicht umsonst gilt Akzeptanz als ein wesentlicher Resilienzfaktor. Wer die Realität annehmen kann, bleibt psychisch wie physisch gesünder, zeigen zig Studien.
Akzeptanz der eigenen Verwirrung
Akzeptanz bezieht sich auch auf die eigenen, möglicherweise unerwünschten Gefühle in einer Krise – wie Wut, Verwirrung, Traurigkeit, Widerstand. Sich selbst zu akzeptieren, heißt, auch diese Gefühle zunächst einmal da sein zu lassen. „Egal welchen Teil von uns wir nicht zulassen: Es ist eine unnatürliche Zurückweisung von uns selbst“, schreibt der Mediziner Gabor Maté.
Maté selbst erlitt ein Trauma – als Kind überlebte er in Ungarn den Holocaust. Akzeptanz sei, so Maté, vitalisierend. Sie ist die Voraussetzung, um Verantwortung für uns selbst zu übernehmen und unsere nächsten Schritte bewusst und selbstständig zu wählen statt in Leugnen, Widerstand oder Fantasien über eine gewünschte Realität zu verharren.
Das Unternehmen als Supersurvivor
Die oben genannten fünf Schritte können – entsprechend angepasst – auch für Unternehmen eine gute Guideline für aktiv eingeleitete positive Veränderungen sein. Insbesondere mit Blick auf tiefgreifende Transformationen – ausgelöst durch die heutige Polykrise (Stichworte: BANI-Welt, KI) – die Unternehmen vor enorme Herausforderungen stellt. Unternehmen können Supersurvivor werden, wenn es auch ihre Mitarbeiter und Führungskräfte sind. Ein guter Start ist, wenn in der – zunächst lästigen und bedrohlichen – Herausforderung Bedeutung und Sinnhaftigkeit gefunden und so die Opferrolle verlassen werden kann.
Ach ja, ob ich ein Supersurvivor bin? Gemessen an den fünf Schritten nach Jerry White vielleicht. Obwohl ich selbst über zehn Jahre nach dem Burn-out noch Blessuren spüre. Was mich besonders berührt, ist der fünfte Schritt: Mit meinen Trainings und Coachings hoffe ich tatsächlich, etwas zurückgeben zu können.
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Quellen:
“Resilience – The Science of Mastering Life’s Greatest Challenges”, Steven M. Southwick & Dennis S. Charney
“The Myth of Normal”, Gabor Maté und Daniel Maté