CES 2023: BMW macht Windschutzscheibe zum Riesendisplay
Der Autobauer mischt die Technikmesse CES auf. BMW präsentiert ein Konzeptfahrzeug, das auf Knopfdruck die Farbe wechselt. Außerdem sollen mehr Informationen ins Sichtfeld des Fahrers projiziert werden.
München, Las Vegas. Oliver Zipse ist sichtlich stolz. Schließlich steht neben ihm auf der Bühne im Pearl Theatre in Las Vegas kein Geringerer als Arnold Schwarzenegger. Der „Terminator“-Darsteller und Ex-Gouverneur von Kalifornien klopft Zipse auf die Brust, ruft: „Der Mann ist fit“, und lobt BMWs Visionen. Der zuvor noch etwas steif referierende BMW-Chef strahlt.
Sein Konzern hat viel aufgefahren am Mittwochabend (Ortszeit), um seine Keynote zum Auftakt der Technologiemesse CES denkwürdig zu gestalten: Neben Schwarzenegger spielen Ex-„Knight Rider“-Star David Hasselhoff, sein Kultauto K.I.T. und der menschelnde Käfer Herbie aus der gleichnamigen Filmreihe eine Rolle; dazu gibt es einen bemüht ironischen Kurzfilm über die Freiheit der 80er-Jahre und den Klimaschutz von heute. Das Publikum im voll besetzten Saal schwankt zwischen Erheiterung und ehrlichem Erstaunen.
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Letzteres gilt vor allem dem vorgestellten Konzeptauto „BMW iVision Dee“. Das spricht mit dem Publikum, vor allem aber wechselt es auf Knopfdruck seine Farbe. Das Exterieur hat BMW dabei in 240 Foliensegmente unterteilt, die separat angesteuert werden können. Das soll eine schier unendliche Vielfalt an Farbmustern ermöglichen. Auf der Bühne zeigte das Konzeptauto etwa Rallyefarben, um kurz darauf ein Karomuster anzunehmen.
Das Halten einer Farbe soll dabei keinerlei Strom verbrauchen, wie die zuständige Managerin Stella Clarke betont. An dieser Herausforderung war etwa der Tech-Konzern Apple vor Jahren noch gescheitert.
Hinzu kommen eine wechselnde Frontoptik, die entfernt an den klassischen BMW-Kühlergrill der 1980er-Jahre erinnert, und ein neues Innenraumdesign, das nahezu gänzlich ohne sichtbare Knöpfe, Bedienfelder und Displays auskommt. Alle wichtigen Informationen für den Fahrer werden im „BMW i Vision Dee“ auf die Windschutzscheibe projiziert. Sie fungiert als riesiger Screen für Geschwindigkeitsanzeige, Navigation, Musikauswahl und Textnachrichten. In parkender Position grüßt ein Avatar von der Seitenscheibe.
Auf der CES dürfe das Fahrzeug zum Blickfang avancieren, sieht es doch deutlich futuristischer aus als etwa das neue Elektroauto „Afeela“, das Sony und Honda ebenfalls am Mittwoch präsentiert haben. BMW will damit zeigen, wie eine durchdigitalisierte Limousine der Mittelklasse in Zukunft aussehen könnte. Und längst nicht alles an dem Modell ist Science-Fiction.
Das erweiterte Head-up-Display über die gesamte Breite der Windschutzscheibe soll ab 2025 in den Serienfahrzeugen der nächsten Generation zum Einsatz kommen. BMW will mit dieser sogenannten „Neuen Klasse“ den Branchentrend zu immer größeren Bildschirmen im Armaturenbrett umkehren, der aus Sicht des Konzerns tendenziell ein Sicherheitsrisiko darstellt.
CES 2023: BMW nutzt für neues Head-up-Display spezielle Beschichtung
„Die Hauptursache für Unfälle sind abgelenkte Fahrer“, sagt BMW-Chef Oliver Zipse. Am Steuer mit dem Smartphone zu spielen sei daher verboten – aber es sei erlaubt, seine Augen vom Verkehrsgeschehen wegzudrehen, um auf einen Touchscreen hinunterzuschauen. „Ist das die Zukunft des Autofahrens?“, fragt Zipse rhetorisch und antwortet selbst: „Wir glauben nicht.“
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Hände ans Lenkrad, Augen auf die Straße, das bleibe die Maxime bei BMW, versichert der Manager. Ein verbessertes Head-up-Display stehe diesem Grundsatz anders als übergroße Monitore nicht im Weg, da man durch die Projektionen hindurchsehen oder sie abschalten könne. Sie würden den Fahrer im Idealfall beim Fahren unterstützen.
Adrian van Hooydonk, Chefdesigner von BMW, erklärt: „Wir stellen uns vor, dass die Windschutzscheibe das neue und einzige Display sein wird, das man braucht.“ Bei Ladestopps mit dem Elektroauto könnte es demnach künftig möglich werden, auf der abgedunkelten Frontscheibe seine Lieblingsserie zu streamen oder den Laptop zum Arbeiten zu verbinden.
Bei der Produktvorstellung am Mittwochabend zeigt BMW denn auch fünf denkbare Einstellstufen des Displays. Auf der ersten ähnelt es heutigen Anzeigen, auf der fünften einem Kinoschirm im Auto.
Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management, sagt: „Je autonomer ein Fahrzeug fährt, desto mehr Chancen bieten solche Anwendungen für die Industrie.“ Zugleich warnt der Branchenexperte vor einer Reizüberflutung. „Es muss clever austariert werden, was man den Nutzern in welcher Situation wirklich anbietet.“
BMW nutzt bei seinem erweiterten Head-up-Display eine spezielle Beschichtung auf der Windschutzscheibe und eine verbesserte Projektionstechnik. Die Bayern waren vor etwa 20 Jahren der erste europäische Autobauer, der das ursprünglich für Piloten ersonnene Konzept eines Displays auf Kopfhöhe für Großserienfahrzeuge adaptierte. Nun will BMW wieder als Vorreiter glänzen – auch mit einer weiteren Technik.
BMW zeigt auf CES 2023 E-Ink-Technologie für Karosseriefolierung
Vergangenes Jahr stellten die Münchener in Las Vegas erstmals eine elektrisch aufgeladene Karosseriefolierung vor, mit der die Außenhaut auf Knopfdruck von Schwarz auf Weiß umgestellt werden kann. Nun erweitert BMW diese „E-Ink-Technologie“ auf mehr als 30 unterschiedliche Farbwechsel.
Von einem baldigen Einsatz in der Praxis kann hier aber keine Rede sein. Ein Datum für den Einsatz des Farbwechsel-Features gibt es nicht, erklärt ein Sprecher auf Nachfrage. Dafür sei es zu früh. Zu sehen sei vielmehr eine Erkundung dessen, was eines Tages möglich sei.
Zipse will mit dem Konzeptfahrzeug vor allem zeigen, dass BMW sich nicht von Apple und Co abhängen lassen will. Es sei nichts weiter als ein Klischee, dass die Tech-Riesen aus den USA die Autowelt ohne Weiteres erobern würden. „Sie haben noch nicht einmal ein Auto angekündigt“, betont Zipse in Anspielung auf das wiederholt verschobene „Apple Car“. Der Grund: Fahrzeugbau sei kein einfaches Geschäft. „Es ist ein Irrglaube, dass ein Auto ein iPhone auf Rädern ist – es ist viel komplexer, aufwendiger“, sagt Zipse.
Nur wer die Integration von Digitaltechnik und mechanischer Ingenieurkunst beherrsche, könne im Autogeschäft erfolgreich sein. „Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass man die Entwicklung von Software und Hardware nicht voneinander trennen kann, wenn man ein nahtloses digitales Erlebnis schaffen will“, erklärt Zipse.
Bei BMW gebe es nicht ein separates Team für die Entwicklung der Fahrzeuge und eines für die Software. „Wir entwickeln digitalisierte Fahrzeuge vom ersten Funken einer Idee bis hin zum Endprodukt gemeinsam“, erklärt der Manager.
CES 2023: BMW will keine Kundendaten an Google übergeben
Der Wertschöpfungsanteil zwischen Hersteller und Zulieferern, der historisch bei etwa 20 zu 80 Prozent liegt, werde sich zwar tendenziell in Richtung Autobauer verschieben. Zipse will aber künftig keineswegs alles selbst programmieren. Es gebe in vielen Bereichen hochspezialisierte Firmen, deren Angebote man integrieren werde. Bei Amazon würden allein 5000 Experten an Sprachassistenten tüfteln. BMW könne es nicht besser, also nutze man Alexa.
Amazon sei aber kein Systemintegrator wie BMW. „Es gibt eine falsche Vorstellung davon, wie gefährlich ein Tech-Player ist“, sagt Zipse und nennt explizit auch Google. BMW integriert zwar das Android-System des Suchmaschinenkonzerns über eine Smartphone-Spiegelung in sein Infotainmentsystem und nutzt teils auch offenen Quellcode von Google. BMW werde aber niemals Fahrzeug- und Kundendaten an Google übergeben, so Zipse.
Die Nutzung von Google Automotive Services (GAS) – einem komplett eigenständigen Multimediasystem für Autos – lehnt der Manager kategorisch ab. „Wir nutzen GAS nicht.“ Es gebe auch sonst keinen Tech-Konzern, dem BMW einfach Daten übergeben würde, damit dieser daraus ein Geschäft entwickeln könne. „Das Betriebssystem wird bereits von BMW hergestellt und wird immer von BMW hergestellt werden“, bekundet Zipse.
Auffällig ist, was bei der Vorstellung des Konzeptfahrzeugs am Mittwochabend keine Rolle spielte: das Thema autonomes Fahren. Diese Technologie, an deren Meisterung Tesla und andere Spieler seit Jahren scheitern, wollte BMW beim „iVision Dee“ offenbar nicht nach vorne stellen.
Im Publikum wurde das nicht vermisst, zumindest dem Applaus nach zu urteilen. Anwesend war neben Hollywood- auch deutsche Politikprominenz. „Amazing. Sehr beeindruckend“, lobte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) im Foyer die Keynote. „BMW zeigt, was die deutsche Autoindustrie kann, wenn sie will.“
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