Navigation überspringen
article cover
Für Aufsichtsräte gibt es meist keinen klaren Karrierepfad. - Foto: Getty Images/Westend61 [M]
Premium

Chancen und Gehalt: Wie der Weg in den Aufsichtsrat gelingt

Aus dem Handelsblatt-Archiv: Kontrollgremien stehen unter Veränderungsdruck. Doch wie offen ist der Zugang für Bewerber? Wie der Weg in den Aufsichtsrat gelingt – und wie viel Dax-Kontrolleure verdienen.

Düsseldorf. Zu alt, zu männlich, zu weiß, zu wenig Expertise in Finanzfragen und in Zukunftsfeldern wie Künstlicher Intelligenz (KI) sowie mangende Unabhängigkeit: Die Kritik an der Zusammensetzung von Aufsichtsräten wird seit Jahren lauter.

Doch wie groß ist die Veränderungsbereitschaft wirklich? Wie offen ist der Zugang zu Aufsichtsräten? Werden etwa Kandidaten, die eigentlich über gefragte Expertise und Kompetenzen verfügen, überhaupt gesehen, zum Vorstellungsgespräch geladen und dann sogar verpflichtet?

Die Wirtschaftswissenschaftler Werner Gleißner und Thomas Berger, beide promoviert und habilitiert, wollten es genau wissen: Sie bewarben sich in den vergangenen Jahren wiederholt initiativ bei Aufsichtsratsvorsitzenden als neue Mitglieder. Das Handelsblatt zeigt, was dabei herauskam. Experten und erfahrene Kontrolleurinnen erklären zudem, worauf es ankommt, um Aufsichtsrat zu werden, und was die aktuellen Verdienstperspektiven sind.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Aufsichtsrat: Forscher bewarben sich als Experiment auf 111 Posten

Gleißner und Berger kommen in ihrem Experiment zu einem ernüchternden Ergebnis. Aufsichtsrat zu werden sei ohne persönliche Beziehungen, sprich ein hochkarätiges Netzwerk, schwer bis unmöglich. „Man bekommt oft gar keine Antwort, es werden Begründungen genannt, die nicht stichhaltig sind, oder es werden bekannte Netzwerke zur Besetzung genutzt“, erklärt Berger.

Insgesamt 111 Bewerbungen an die Aufsichtsratsvorsitzenden von Konzernen aus MDax, TecDax oder SDax verfassten Berger und Gleißner in den Jahren 2015 bis 2020. Dabei verwendeten sie eine in den Sozialwissenschaften geläufige Methodik, bei denen Bewerbungen mit verschiedenen Namen oder Adressen geschrieben werden, um zu sehen, wie sich die Rücklaufquote verändert. So kann etwa auf diskriminierendes Verhalten geschlossen werden.

Gleißner und Berger haben diese Methodik nun erstmals bei Aufsichtsratsposten eingesetzt, um zu ermitteln, wie offen der Zugang ist. Um noch weitere Rückschlüsse ziehen und die Erfahrungen einordnen zu können, analysierten sie parallel die Besetzung der Gremien. Zudem befragten sie die Vorsitzenden schriftlich, wie sie Posten besetzen, ob Initiativbewerbungen vorkommen und ob zum Beispiel eine Kompetenzmatrix verwendet wird.

Bergers Fazit des Experiments: „Der Zugang ist stark eingeschränkt oder ganz geschlossen.“ Es entstehe der Eindruck, dass völlig unabhängige Personen, die insbesondere nicht in das Beziehungsnetzwerk von Aufsichtsrat, Vorstand und deren Beratern eng eingebunden sind, in den Gremien nicht gewünscht seien.

Dem Eindruck widersprechen allerdings führende Personalberater wie Hanns Goeldel von Egon Zehnder: „Die Besetzung und die Arbeit von Aufsichtsräten hat sich in den vergangenen Jahren professionalisiert. Es gibt kein Reinstolpern und Absitzen mehr.“

Eine systematische Suche und Besetzung sei heute die Regel, sagt Goeldel. Einige Gremien betrieben sogar Mehrjahresplanungen, um bestimmte Kompetenzen wie Geopolitik und Digitalisierung sowie mehr Geschlechterdiversität abbilden zu können.

Welche Profile als Aufsichtsrat gefragt sind

Eine Initiativbewerbung ist seines Erachtens nicht der erfolgversprechende Weg, um ein Mandat zu erringen. „Die Aufsichtsratsvorsitzenden lassen sich bei ihrer Auswahl professionell unterstützen und beraten.“ Von daher sei es sinnvoll, sich als Interessent ein Kompetenzprofil und ein Netzwerk aufzubauen und auch den Kontakt zu Personalberatern zu suchen. Essenziell für jeden angehenden oder aktiven Aufsichtsrat seien Fachexpertise, Führungsfähigkeiten und Gremienerfahrung.

Den Vorwurf, dass in den vergangenen Jahren vor allem Frauen gefragt und besetzt wurden, lässt Goeldel nicht gelten: „Es geht auch um mehr Diversität, ja, die ist aber nicht nur an das Geschlecht gebunden.“ Als deutscher Mann mit Fachexpertise, Führungserfahrung und Gremienerfahrung sei man durchaus gefragt, vor allem auch im Ausland. „Sie müssen für eine Kompetenz oder ein Thema stehen und damit auffallen“, sagt Goeldel. Das könne etwa mit Fachvorträgen auf Kongressen oder auch in den Social Media gelingen.

Als Aufsichtsrätin hat sich Gabriele Sons bereits etabliert. Die Juristin hat sich nach einer operativen Karriere – zuletzt war sie Personalvorständin bei der Aufzugsparte von Thyssen-Krupp – zur professionellen Multiaufsichtsrätin entwickelt. Inzwischen kontrolliert sie unter anderem die Autozulieferer Elring-Klinger und Grammer. Zudem ist sie im erweiterten Vorstand von AdAR engagiert, dem Arbeitskreis deutscher Aufsichtsrat. Sie berichtet: „Es ist gar nicht so einfach, Aufsichtsrat zu werden.“

Gabriele Sons hat sich zur professionellen Multikontrolleurin entwickelt. - Foto: Thyssen Krupp
Gabriele Sons hat sich zur professionellen Multikontrolleurin entwickelt. - Foto: Thyssen Krupp

Es gebe weder einen vorgezeichneten Karrierepfad, noch seien Initiativbewerbungen erfolgversprechend. Es gebe auch keine Headhunter, die eine sichere Bank für Mandate seien, sagt die 62-Jährige. Erst kürzlich habe ihr ein Personalberater erzählt, dass er eine vierstellige Zahl an Interessenten für Aufsichtsratsposten habe, aber nur sehr wenige Mandate zu besetzen seien. Zudem sei die Fluktuation bei Kontrolleuren eher gering, weil Amtsdauern von zehn oder mehr Jahren üblich seien.

Sons, die von 2010 bis 2012 auch Hauptgeschäftsführerin beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall war, erklärt weiter: „Richtig gute Chance haben zurzeit Finanzexperten, denn neuerdings braucht jeder Aufsichtsrat in einem börsennotierten Unternehmen zwei davon.“ Außerdem seien nach wie vor Spezialisten für Digitalisierung sowie für Nachhaltigkeit oder ESG-Kriterien gesucht. Einige Aufsichtsräte hätten außerdem Nachholbedarf bei ihrer Frauenquote.

Um Mitglied in einem Aufsichtsrat zu werden, gibt es nicht den einen Weg oder die eine bestimmte Ausbildung, die erforderlich ist. Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Besetzung und Gremienarbeit gilt inzwischen aber eine entsprechende Fortbildung. Die von zahlreichen Institutionen angebotenen Seminare sind entsprechend nachgefragt.

Selbst Sophie Piëch, Spross der Autodynastie Porsche/Piëch und seit Juni neues Aufsichtsratsmitglied beim Dax-Konzern Porsche SE, hat an einem „zertifizierten Lehrgang zur Vorbereitung von Young Professionals für Aufsichtsratstätigkeiten“ in Österreich teilgenommen, wie es in ihrem Lebenslauf heißt.

Gabriele Sons sagt: „Ich würde mich in jedem Fall auf ein Mandat vorbereiten, denn das Haftungsrisiko von Aufsichtsräten ist nicht unerheblich und Wirecard hat gezeigt, dass es auch schnell zur Realität werden kann.“ Sie selbst habe „ein halbes Jahr lang nebenberuflich an einer Uni gebüffelt“.

Zudem müsse jedem klar sein: Ein Aufsichtsrat dürfe nie aufhören, sich fortzubilden. Selbst auf Erfahrungen als ehemaliger Vorstand könne man nicht ewig bauen, um aktuelle Themen wie KI, Blockchain oder Nachhaltigkeit einschätzen zu können.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Aufsichtsrat: Zahlreiche Seminare für die Qualifikation

Wer ein entsprechendes Seminar sucht, hat die Qual der Wahl. Sie werden durchgeführt vom Verband AdAR, aber auch von kleineren Beratungen wie dem Centrum für Strategie und Höhere Führung von Klaus Schweinsberg. Zudem gibt es spezialisierte Angebote wie die Beiratswerkstatt von Intes für Familienunternehmen oder die der Initiative Fidar, die sich seit einigen Jahren für mehr Frauen und damit auch mehr Diversität in den Aufsichtsräten einsetzt.

Die Deutsche Börse hat zudem einige Anbieter und ihre Angebote zertifiziert und führt eigenen Angaben zufolge regelmäßig Audits der Veranstaltungen durch. Jeder Lehrgang schließt mit der Prüfung „Qualifizierter Aufsichtsrat“ vor der Deutschen Börse ab.

Eine Pflicht zu so einer Fortbildung besteht nicht. Sie wird lediglich vom Deutschen Corporate Governance Kodex seit 2012 empfohlen. Neben inhaltlichen Aspekten lassen sich in solchen Lehrgängen häufig auch erste Beziehungen zu aktiven Aufsichtsräten und Personalberatern knüpfen.

Die Kontrolleurstätigkeit hat sich in den vergangenen Jahren professionalisiert. „Es ist längst keine interessante Nebentätigkeit mehr wie früher. Ein Aufsichtsratsmandat ist heute eine verantwortungsvolle Aufgabe, bei der Selbsterlerntes und Erfahrenes zurückgegeben wird – im Sinne aller Anteilseigner eines Unternehmens“, sagt Experte Goeldel.

Nicht nur der Marktführer in Europa für Toppositionen, Egon Zehnder, hat die Besetzung von Aufsichtsratsposten deshalb in den vergangenen Jahren als Geschäftsfeld entwickelt. Auch die anderen international führenden Headhunter wie Spencer Stuart, Russell Reynolds, Heidrick & Struggles und Boyden International sowie die deutsche Traditionsberatung Kienbaum oder kleinere Anbieter wie Heads sind inzwischen aktiv in der Vermittlung.

Riege neuer Multiaufsichtsräte entsteht

Die Personalberater engagieren sich dabei nicht in erster Linie, weil es in dem Segment so viel Geld zu verdienen gäbe. Schließlich orientiert sich ihr Honorar traditionell am Bruttojahreseinkommen einer Position. Das ist bei einem Kontrolleur grundsätzlich geringer als bei aktiven Vorständen oder Geschäftsführern.

Mit der Vermittlung von Aufsichtsräten investieren Egon Zehnder und Co. eher in den Ausbau ihres Netzwerks. Denn die Kontrolleure entscheiden über die Vergabe lukrativer Vorstandsposten. So hat sich eine neue Riege einflussreicher Multiaufsichtsräte etabliert. Dazu gehört etwa Marianne Heiß. Die 50-Jährige ist eine der Aufsteigerinnen im Ranking der Dax-Aufsichtsräte des Handelsblatts und der Uni Göttingen. Sie kontrolliert die Porsche SE und Volkswagen, zudem sitzt sie in den Gremien von Audi und Flix Mobility.

Für ihre zweite Karriere als Aufseherin hat die langjährige Finanzvorständin und spätere Vorstandschefin der Werbegruppe BBDO ihre operative Karriere beendet, zumindest bis auf Weiteres. Und das kann sie sich auch leisten. Denn die Verdienstmöglichkeiten für Aufsichtsräte sind in den vergangenen Jahren gestiegen, wie eine aktuelle Erhebung der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapieranleger (DSW) zeigt.

Demnach erhielten die Aufsichtsräte der 40 Dax-Konzerne 2022 durchschnittlich 17,4 Prozent mehr Vergütung als im Jahr zuvor. Und sie soll weiter steigen – vor allem für Aufsichtsratsmitglieder ohne Leitungsfunktion, die seltener im Rampenlicht stehen, sowie Kontrolleure in Indizes wie MDax und SDax.

Für Marc Tüngler DSW-Hauptgeschäftsführer, ist die gestiegene Vergütung der Aufsichtsräte „richtig und wichtig“. Im Gespräch mit dem Handelsblatt sagt er: „Die Zunahme ist eine Konsequenz aus der nach Finanzskandalen und Fällen wie der Pleite des Wirecard-Konzerns gestiegenen gesetzlichen Regulatorik und höheren Anforderungen an Aufsichtsräte durch Investoren.“ Ein Aufsichtsratsmandat sei heute mit harter Arbeit und hohen Haftungsrisiken verbunden.

Aufsichtsräte erwartet hohes Gehalt in Deutschland

Der DSW-Studie zufolge war BMW-Chefkontrolleur Norbert Reithofer 2022 Spitzenreiter bei den Dax-Konzernen mit 610.000 Euro Vergütung. Auf Rang zwei folgt Jim Hagemann Snabe von Siemens mit 602.000 Euro. Die geringste Vergütung unter den Aufsichtsratsvorsitzenden im deutschen Leitindex erhielt Wolfgang Büchele von Merck mit 112.000 Euro.

Einer aktuellen Analyse der Personalberatung Kienbaum zufolge, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt, verdiente ein Dax-Chefaufseher im Jahr 2022 durchschnittlich rund 380.000 Euro.

Im Mittelwerteindex MDax fielen die Gehälter demnach mit rund 222.000 Euro für den Aufsichtsratsvorsitzenden deutlich geringer aus. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Nebenwerteindex SDax: Hier verdiente ein Chefkontrolleur rund 137.000 Euro.

Die Zuwachsraten bewegen sich im einstelligen Prozentpunktebereich – noch. „Wir erwarten keine sprunghafte, aber eine sehr kontinuierliche weitere Steigerung der Aufsichtsratsvergütung“, sagt Sebastian Pacher, Vergütungsexperte und Partner der Personalberatung Kienbaum. Das sei ein notwendiger Schritt, um die gestiegenen Anforderungen abzubilden und auch, um die Attraktivität der Tätigkeit zu erhöhen.

Es sei nötig, so Pacher, dem ein entsprechendes Signal zu geben: „Kleinere Unternehmen tun sich schon heute schwer damit, geeignete Kandidaten zu finden.“

Die Vergütung von Aufsichtsräten sei dabei meist unabhängig von der Branche, variiere aber stark nach Unternehmensgröße. Für Pacher ergibt das Sinn. Im Gegensatz zum Vorstand brauche es im Aufsichtsrat in der Breite keine so starke Industrieexpertise. Die Vergütungen müssten daher branchenunabhängig marktfähig sein.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Chancen und Gehalt: Wie der Weg in den Aufsichtsrat gelingt

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

Handelsblatt schreibt über Substanz entscheidet

Das Handelsblatt ist das führende Wirtschaftsmedium in Deutschland. Rund 200 Redakteure und Korrespondenten sorgen rund um den Globus für eine aktuelle, umfassende und fundierte Berichterstattung. Über Print, Online und Digital kommunizieren wir täglich mit rund einer Million Leserinnen und Lesern. NEU: Diese Seite bietet Premium-Mitgliedern eine Auswahl der besten Artikel vom Handelsblatt direkt hier.

Artikelsammlung ansehen