Der Stand von Great Wall Motor (GWM) auf der diesjährigen Automesse in Shanghai. Foto: REUTERS
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Chinas E-Auto-Absatz erreicht globalen Rekord, doch Überangebot und Preiskampf stürzen Hersteller in Existenzkrise

Trotz boomender Verkäufe in China stehen viele E-Autohersteller des Landes vor gravierenden Problemen. Für manche Marken bleibt nur die Hoffnung auf Übernahme.

nIn China werden mehr Elektroautos verkauft als im gesamten Rest der Welt zusammen. Allein im Mai wurden in der Volksrepublik über eine Million E- oder Plug-in-Hybridfahrzeuge neu zugelassen, während weltweit insgesamt rund 1,6 Millionen Fahrzeuge verkauft wurden, wie das Analysehaus Rho Motion ermittelt hat. Angesichts solcher eindrucksvoller Zahlen scheint es kaum vorstellbar, dass viele chinesische Autohersteller in der Krise stecken sollen. Doch genau das ist der Fall. Denn noch schneller als die Zahl der abgesetzten Fahrzeuge ist die Zahl der Hersteller gewachsen, die um den Markt wetteifern. Zugleich sinken die Preise rasanter, als jegliche Skaleneffekte das rechtfertigen könnten.

Schon vor über einem Jahrzehnt wurde der chinesische E-Automarkt massiv durch staatliche Subventionen angeschoben. Die großzügigen Fördertöpfe lockten viele neue Anbieter in den Markt. Die lieferten sich einen intensiven Wettlauf, bei dem sie sich gegenseitig sowohl mit technologischen Innovationen als auch mit immer niedrigeren Preisen übertrafen. Ein wichtiges Ziel wurde damit erreicht: Praktisch aus dem Nichts wurde China zum Maßstab bei Elektroautos.

BYD senkt Preise um ein Drittel

Doch immer deutlicher stößt dieses Modell an seine Grenzen. Viele der ambitioniert gestarteten Unternehmen kämpfen heute ums Überleben. Wie angespannt die Lage ist, zeigt die jüngste Runde im seit Jahren andauernden Preiskampf besonders deutlich. Branchenprimus BYD, eines der wenigen Unternehmen der Branche, das mittlerweile Gewinne erzielt, kündigte vor einigen Wochen an, die Preise für 22 Modelle nochmals um bis zu 34 Prozent zu senken. Kurz nach der Ankündigung stürzten die Aktien von BYD ab, und auch die Börsenwerte anderer Konkurrenten gerieten stark unter Druck. Investoren sendeten damit ein klares Signal: Schluss mit dem Preiswahnsinn.

Auch innerhalb der Branche fand man deutliche Worte. Wei Jianjun, Chef des chinesischen Autokonzerns Great Wall Motor, verglich die Situation öffentlich mit der Krise des Immobilienkonzerns Evergrande und warnte vor einem möglichen Crash der Autobranche. Sogar die Regierung in Peking schaltete sich ein. Das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie hielt gemeinsam mit weiteren staatlichen Stellen eine Krisensitzung ab. Am Schluss stand die Mahnung an die Hersteller, dem Preisverfall Einhalt zu gebieten. Staatsnahe Medien warnten zudem vor einem gefährlichen Preisdumping, das langfristig Qualität, Sicherheit und Innovationskraft der Branche untergraben könnte.

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Industrie in Gefahr

Auch fragwürdige Praktiken einiger Hersteller wurden öffentlich thematisiert: So forderten die Behörden die Autobauer auf, ihre Zulieferer künftig innerhalb von maximal 60 Tagen zu bezahlen. Laut Beobachtern gebe es in der Branche oft „extrem hohe offene Verpflichtungen“. Viele Zulieferbetriebe klagen schon länger darüber. Sollten Lieferanten so in die Insolvenz getrieben werden, wäre die Grundlage der Industrie gefährdet.

Ganz unschuldig an der aktuellen Situation ist Peking jedoch nicht. Die jahrelange Industriepolitik hat überhaupt erst dazu geführt, dass sich so viele Hersteller auf dem subventionierten Markt tummeln. Derzeit gibt es zudem eine umfassende Abwrackprämie, die den Fahrzeugabsatz weiter ankurbelte. Hersteller, die bei diesem staatlich geförderten Boom nicht leer ausgehen wollten, mussten zwangsläufig mit Rabatten gegen die Konkurrenz bestehen.

Die Entwicklungen der vergangenen Wochen lassen für viele Experten nur einen Schluss zu: Die lange erwartete Konsolidierung dürfte nun Fahrt aufnehmen.

Langsam wird klar, welche Hersteller überhaupt noch mittelfristig eine realistische Chance am Markt haben. Vor allem kleinere Hersteller dürfte die Auslese bald treffen. „Mit jährlichen Absätzen von nicht einmal 200.000 Fahrzeugen werden sich die meisten Anbieter schwertun“, sagt Autoexpertin Beatrix Keim vom Center Automotive Research (CAR). Investoren – darunter auch der chinesische Staat über Bankkredite – würden zunehmend nervös und zögen sich mehr und mehr zurück. „Dadurch fehlen vielen kleineren Unternehmen schlichtweg die Mittel für dringend notwendige technologische Weiterentwicklungen. Die Folge ist, dass diese Anbieter nach und nach verschwinden.“

Auch bekannte Marken in Gefahr

Konkret könnte es laut Keim auch Marken treffen, die selbst in Deutschland bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben. „Für relativ etablierte, aber unprofitable Unternehmen wie etwa Nio wird die Luft dünn“, sagt Keim. Nio, zu dem auch die Marken Onvo und Firefly gehören, werde jedoch nicht vollständig vom Markt verschwinden. „Ich erwarte, dass sie von größeren Herstellern übernommen werden.“

Besonders bedeutsam sei laut Keim, dass sich nun auch die Regierung direkt eingeschaltet hat. Dies sei ein „deutlicher Warnschuss.“ Der „zunehmend chaotische Markt“ müsse sich nun ordnen. Geschehen werde dies „vor allem in Form von Insolvenzen, aber auch durch Fusionen und Übernahmen.“

In diesem Zusammenhang hält Keim auch konkrete Übernahmeszenarien für realistisch. Denkbar sei etwa, dass westliche Konzerne wie Stellantis oder Volkswagen Mehrheiten an chinesischen Herstellern wie Leapmotor oder Xpeng übernehmen. „Natürlich müsste man für fundierte Prognosen die tatsächliche Finanzlage der Unternehmen kennen, aber grundsätzlich erscheint ein solches Szenario durchaus plausibel“, so Keim.

Deutsche Hersteller in China könnten von der unübersichtlichen Lage profitieren. Viele von ihnen wurden durch die technologische Offensive der chinesischen Wettbewerber zunächst überrascht, haben inzwischen aber mit neuen Modellreihen aufgeholt. In einem turbulenten Umfeld könnten sich chinesische Käufer wieder auf bekannte Marken verlassen, weil sie dort nicht befürchten müssen, ein Fahrzeug von einem bald insolventen Hersteller zu erwerben.

„Meiner Meinung nach ist das umsichtige Wirtschaften gerade der etablierten Hersteller hier das Geheimrezept. Immer auf Profitabilität zu achten, Rückstellungen zu bilden und konsequent in die Zukunft zu investieren – genau das wird sich jetzt als Vorteil erweisen“, sagt Keim. Für die deutschen Hersteller in China sei zwar noch nicht wieder alles im grünen Bereich, doch zumindest hätten sie nun eine klare Chance.

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