Corona-Test in Schanghai - Experten warnen, das Risiko einer neuen Coronawelle nicht zu unterschätzen. - (Foto: Reuters)
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Chinas Wirtschaft stagniert fast – und der Ausblick ist ebenfalls getrübt

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt kommt nicht aus dem Krisenmodus. Die Corona-Lockdowns haben China geschadet – Experten sehen erhebliche Risiken im zweiten Halbjahr.

**Peking.**Die Corona-Lockdowns im April und Mai haben der chinesischen Wirtschaft massiv geschadet. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist im zweiten Quartal lediglich um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen. Das ist deutlich weniger als von Experten erwartet und der niedrigste Wert seit dem heftigen Einbruch Anfang 2020 nach dem ersten Ausbruch der Coronapandemie. Im Vergleich zum Vorquartal schrumpfte die Wirtschaft um 2,6 Prozent.

Die Daten, die am Freitag vom Nationalen Statistikamt veröffentlicht wurden, legen zwar auch nahe, dass sich die Wirtschaft im Juni erholt hat. Doch die Behörde räumt ein, dass die Grundlage für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung „nicht stabil“ sei. Der Abwärtsdruck auf die Wirtschaft habe im zweiten Quartal deutlich zugenommen. Und es drohten weitere Belastungen durch steigende Stagflationsrisiken in der Weltwirtschaft, die Straffung der Geldpolitik in den wichtigsten Volkswirtschaften und die Auswirkungen der inländischen Virusausbrüche.

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Neben den Wachstumszahlen veröffentlichte das Statistikamt auch Juni-Daten unter anderem zu Arbeitslosigkeit, Einzelhandel, Industrieproduktion, Investitionen und Häuserpreisen. Der Einzelhandel hat sich im Juni nach dem starken Einbruch im Mai und April leicht erholt und wuchs um 3,1 Prozent. Die Industrieproduktion stieg um 3,9 Prozent. Experten gehen allerdings davon aus, dass es sich hierbei größtenteils um Nachholeffekte handelt.

Die Arbeitslosenquote fiel auf 5,5 Prozent von 5,9 Prozent im Mai. Allerdings stieg die Rate der arbeitslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis 24 Jahren auf einen Rekordwert von 19,3 Prozent. Letzteres bereitet der Staatsführung zunehmend Sorgen. Ebenfalls keine Entspannung gibt es auf dem Immobilienmarkt. Die Wohnungspreise fielen im Vergleich zum Vormonat um 0,1 Prozent, was auf eine weiterhin schwache Nachfrage hindeutet.

Angesichts dieser Risiken dürften die Forderungen nach einem größeren Konjunkturprogramm noch lauter werden. Mitte Mai hatte der Staatsrat unter Leitung von Chinas Premier Li Keqiang ein Paket von 33 Konjunkturmaßnahmen verabschiedet, um die Wirtschaft zu stützen. Sie umfassen unter anderem Infrastrukturinvestitionen, Erleichterungen bei der Kreditvergabe, Steuersenkungen sowie Konsumanreize etwa für den Kauf von Autos und Haushaltsgeräten.

Premier Li sieht „viele Unsicherheiten“

Noch am Mittwoch würdigte Li auf einem Wirtschaftssymposium die „raschen und entschlossenen Maßnahmen, ohne dabei auf einen massiven Stimulus zu setzen“. Allerdings sei die Erholung noch nicht vollständig abgeschlossen und es blieben „viele Unsicherheiten“.

Insbesondere das Risiko einer neuen Coronawelle „sollte nicht unterschätzt werden“, warnt Lu Ting, China-Chefökonom der japanischen Investmentbank Nomura. Erneute Lockdowns und andere restriktive Maßnahmen könnten Produktion und Logistik behindern. Er sieht nach wie vor „erhebliche Wachstumsrisiken“ im zweiten Halbjahr.

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Derzeit breitet sich die neue, hochansteckende BA.5-Variante in China aus und sorgt für erneute Coronabeschränkungen in Wirtschaftszentren wie Schanghai, Guangzhou und Xi’an. Trotz der negativen wirtschaftlichen Nebenwirkungen hält Chinas Staatsführung unbeirrt an ihrer strikten Null-Covid-Politik fest. Das heißt, dass selbst bei einzelnen Coronafällen ganze Gebäude oder gar Stadtviertel hermetisch abgeriegelt werden. Staatschef Xi Jinping hat zuletzt bekräftigt, er sei bereit, ein gewisses kurzfristiges Wachstum zu opfern, um die Pandemie im Land einzudämmen.

Bewohnerin von isoliertem Viertel in Schanghai - (Foto: Bloomberg)
Bewohnerin von isoliertem Viertel in Schanghai - (Foto: Bloomberg)

Anders als nach dem ersten pandemiebedingten Wirtschaftseinbruch Anfang 2020 dürften die Exporte Chinas Wirtschaft diesmal nicht zu einer schnellen Erholung verhelfen, glauben Experten. Der Nachfragerückgang in den großen Volkswirtschaften dürfte in den kommenden Quartalen ein „starker Gegenwind“ für Chinas Exportwirtschaft sein, so Lu.

Experten zweifeln dran, dass die bislang angekündigten Maßnahmen ausreichen, um die Wirtschaft zu stabilisieren, geschweige denn das avisierte Ziel von 5,5 Prozent Wachstum zu erreichen. Medienberichten zufolge plant die Staatsführung, die Infrastrukturinvestitionen massiv aufzustocken. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge könnten staatliche Fonds dafür 1,1 Billionen Dollar an Unterstützung zur Verfügung stellen.

IWF fordert Abkehr von strikter Null-Covid-Strategie

Der Internationale Währungsfonds forderte China am Mittwoch auf, die fiskalische Unterstützung etwa in Form von Geldtransfers auszuweiten und seine drakonische Null-Covid-Strategie zu ändern, um einer Verlangsamung des Wachstums in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt entgegenzuwirken. Der IWF ermutigt China zudem, die stockende Impfkampagne zu beschleunigen und dabei insbesondere die untergeimpfte ältere Bevölkerung anzusprechen.

Bislang hatte die Staatsführung es vermieden, ein riesiges Konjunkturpaket wie etwa nach der Finanzkrise 2008 zu verabschieden. Damals bekämpfte sie den Exporteinbruch mit dem bis dahin größten Stimulus der Welt von 587 Milliarden Dollar. China erholte sich daraufhin zwar schnell von der Krise, leidet allerdings bis heute an den Nebenwirkungen: Das Wirtschaftswachstum hängt stark von staatlichen Investitionen ab.

Eigentlich wollte die Staatsführung um Xi Jinping von diesem „fiktionalen Wachstum“ abkommen und den Binnenkonsum zur Konjunkturstütze entwickeln. Doch die prekäre Lage der chinesischen Wirtschaft infolge der wiederholten Lockdowns ohne absehbares Ende sowie der Abkühlung der Weltwirtschaft hat diesen Plan zumindest vorerst zunichtegemacht.

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