CO2-Zertifikate: Hoffnungsträger oder grüne Tarnung?
„Nachhaltige Küchen. 100 % Klimaneutral“ heißt es auf der Website eines deutschen Küchenherstellers, der den Ankauf von Klimaschutzertifikaten sogar als „Auszeichnung“ bezeichnet. Damit wird unter anderem ein Waldaufforstungsprojekt in Uruguay unterstützt.
Leider wird das Thema CO2-Kompensation von vielen Unternehmen häufig als einziges Mittel verwendet, um damit „Klimaneutralität“ zu erreichen. Dies ist allerdings mehrfach öffentlich gerügt worden („Klimabetrug“, „schädliche Verbrauchertäuschung“, „Ablasshandel“), weil es ohne interne Reduktionsmaßnahmen irreführend ist. Wenn die Geschäftsprozesse nicht ganzheitlich nachhaltig ausgerichtet sind, können es auch die Produkte nicht sein.
Die Geschichte eines globalen Skandals war kürzlich in der „Zeit“ nachzulesen: Offenbar haben sich Unternehmen über Jahre mit Zertifikaten freigekauft, „die viel weniger CO2 einsparen als versprochen.“ Wie Recherchen von „Zeit“, „Guardian“ und der Investigativplattform „Source Material“ belegen, haben viele Zertifikate gar keinen echten Wert oder wurden überschätzt. Grund ist, dass der Markt der „klimaneutral“-Label boomt – es herrscht Goldgräberstimmung.
Das größte Problem stellen Projekte dar, bei denen Waldfläche geschützt werden soll: „In 90 Prozent der Fälle der untersuchten Projekte wurde eine verhinderte Abholzung errechnet, die letztlich 89 Millionen Tonnen CO2 ausgleichen sollte. Allerdings sollen die Zertifikate wertlos gewesen sein, da bei den Gebieten oft nicht klar ist, ob sie nicht in Zukunft doch noch abgeholzt werden. Somit wäre die verkaufte Kompensation völlig hinfällig.“ Es braucht deshalb eine starke Regulierung des Marktes, da sonst in etwas investiert wird, dessen wahrer Wert nicht bekannt ist.
Damit sich grüne Lügen gar nicht erst ausbreiten können, sollten Produktaussagen durch standardisierte und anerkannte Prüfmethoden untermauert werden, um Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit zu ermöglichen. Die Glaubwürdigkeit der Produktaussagen sollten zudem durch relevante Informationen, die zu den entsprechenden Aussagen geführt haben, von sämtlichen Stakeholdern eingesehen werden können.
Als Teil des europäischen Green Deals nimmt auch die EU-Kommission Greenwashing kritisch unter die Lupe. Botschaften wie „klimaneutral“ müssen künftig konkret und mit einer standardisierten Methodologie belegbar sein – sonst drohen Strafen.
Tin Fischer und Hannah Knuth: Grün getarnt. In: DIE ZEIT (19.1.2023), S. 19-21.
„Das Label ist im Grunde tot“. Interview von Astrid Geisler und Hannah Knuth mit Raoul Roßmann. In: DIE ZEIT (26.1.2023), S. 22.
Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.