Die 49 Jahre alte Österreicherin ist seit Anfang des Jahres Personalvorständin bei der Commerzbank. - Foto: dpa
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Commerzbank braucht fast 20.000 neue Mitarbeiter

15 Jahre lang hat Deutschlands zweitgrößtes Geldhaus meist nur Stellen gestrichen. Jetzt verspricht Personalchefin Sabine Mlnarsky bis zu 3000 Euro Prämie für neu vermittelte Kräfte.

Frankfurt. Die Commerzbank muss wegen des demografischen Wandels und der steigenden Fluktuation in den kommenden zehn Jahren mehr als die Hälfte ihrer Belegschaft austauschen. Bis 2034 brauche das Institut „etwas weniger als 20.000 neue Mitarbeiter“, sagte Sabine Mlnarsky in ihrem ersten Interview als Personalvorständin der Commerzbank.

In den nächsten zehn Jahren gingen bei Deutschlands zweitgrößter Privatbank viele Babyboomer in den Ruhestand. Zudem werde die natürliche Fluktuation steigen. „Um nicht zu schrumpfen, müssen wir pro Jahr rund 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neu einstellen – davon etwa die Hälfte in Deutschland und die andere Hälfte an Auslandsstandorten wie Lodz, Prag, Sofia und Kuala Lumpur“, sagte Mlnarsky. Nur so könne die Bank die Zahl an Vollzeitstellen bei etwa 36.000 konstant halten.

Für die Commerzbank ist der große Personalbedarf eine besondere Herausforderung, da sie in den vergangenen 15 Jahren immer nur Stellen gestrichen hat. „Wir haben die Personalabteilung in den zurückliegenden Monaten auf den Kopf gestellt“, berichtet Mlnarksy. Dennoch werde „es im aktuellen Arbeitsmarkt sehr sportlich, genug Personal zu finden“.

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Lesen Sie hier das ganze Interview:

Frau Mlnarsky, der demografische Wandel stellt viele Unternehmen vor Herausforderungen. Wie groß sind sie bei der Commerzbank?

In den nächsten zehn Jahren werden viele Babyboomer bei der Commerzbank in Ruhestand gehen. Hinzu kommt die natürliche Fluktuation, die tendenziell steigen wird. Um nicht zu schrumpfen, müssen wir pro Jahr rund 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neu einstellen – davon etwa die Hälfte in Deutschland und die andere Hälfte an Auslandsstandorten wie Lodz, Prag, Sofia und Kuala Lumpur. Nur so können wir die Zahl an Vollzeitstellen wie anvisiert bei etwa 36.000 im Konzern konstant halten.

Sie brauchen bis 2034 also 20.000 neue Beschäftigte?

Wahrscheinlich brauchen wir etwas weniger als 20.000 neue Mitarbeiter. Wir werden den Höhepunkt bei den Pensionierungen 2028 erreichen. Danach gehen die Zahlen leicht runter. Nichtsdestotrotz wird es im aktuellen Arbeitsmarkt sehr sportlich, genug Personal zu finden. Die Gruppe der Nachwuchskräfte ist deutlich kleiner als die der Babyboomer. Und die Migration war in den vergangenen Jahren eher zu niedrig, um das auszugleichen.

Was bedeutet das für die Personalabteilung der Commerzbank?

Wir haben die Personalabteilung in den zurückliegenden Monaten auf den Kopf gestellt. Die vergangenen 15 Jahre waren geprägt von Abbauprogrammen. Seit der Übernahme der Dresdner Bank 2008 folgte eine Restrukturierung der anderen. Jetzt drehen wir in eine ganz andere Richtung. Wir müssen sehr viele Menschen am Arbeitsmarkt ansprechen und Mitarbeiter weiterentwickeln – und das in hohem Tempo.

Die Commerzbank hat massenhaft Arbeitsplätze abgebaut, allein in den vergangenen drei Jahren fast 10.000 Vollzeitstellen. Kann die Personalabteilung überhaupt noch Personal aufbauen?

Aber klar. Es macht auch mehr Spaß, eine Arbeitgeberkampagne zu entwickeln, als Sozialpläne zu verhandeln. Zudem stellen wir junge Leute ein, die neue Fähigkeiten mitbringen. Im Januar werden wir eine große Social-Media-Kampagne ausrollen. Der Slogan lautet: Zeit, Dich zu bewerben.

Was unternehmen Sie außer der Kampagne, um im Wettbewerb um gutes Personal zu bestehen?

„Mitarbeiter werben Mitarbeiter“-Programme sind die Zukunft. In Sofia, Lodz und Prag rekrutieren wir damit schon heute bis zu 50 Prozent unserer Beschäftigten – und deren Qualität ist hoch. Mitarbeiterinnen tendieren dazu, wesentlich kritischer zu sein als Recruiter. Sie empfehlen jemanden nur dann, wenn sie wirklich überzeugt sind, dass er oder sie zum Unternehmen passt. Gerade in der IT-Branche ist Mundpropaganda wichtig, weil sich da viele Leute kennen.

Wie bringen Sie Ihre Beschäftigten dazu, neue Mitarbeiter anwerben?

In Osteuropa zahlen wir Prämien zwischen 1000 und 3000 Euro, in Deutschland für jeden angeworbenen Kollegen 1500 Euro. Für das Anwerben einer Nachwuchskraft haben unsere Beschäftigten in Deutschland in diesem Jahr ein neues iPhone bekommen. Das ist deutlich effizienter als der Einsatz von Recruitern.

Inwiefern?

Wenn ein Recruiter für eine Position sucht, muss er in sozialen Medien wie LinkedIn 300 bis 400 Menschen kontaktieren, damit er dann mit zehn davon ein Vorstellungsgespräch führen kann. Das ist beinhart. Die Zeiten, in denen man ein Jobinserat schaltet und dann wartet und hofft, dass sich jemand bewirbt, sind lange vorbei. Zudem gibt es eine wachsende Gruppe, die wir „Bumerangs“ nennen.

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Was verstehen Sie darunter?

Das sind Menschen, die uns verlassen, weil sie bei einem anderen Unternehmen ein interessantes Projekt oder den nächsten Karriereschritt machen können. Früher haben wir Panik gekriegt, wenn jemand zur Konkurrenz gewechselt ist. Heute finden wir es gut, wenn er oder sie in unserer Branche bleibt. Denn häufig sammeln die Menschen ein paar Jahre in anderen Banken Erfahrungen – und kehren dann zu uns zurück, gerade im IT-Bereich. Vor diesem Hintergrund ist es immer wichtiger, Mitarbeiter nicht nur gut aufzunehmen, sondern sie auch gut zu verabschieden.

Stellen Sie sich in der Folge auf eine höhere Fluktuation ein?

Ja, diesen Trend gibt es in allen Branchen – und er wird die Commerzbank verändern. Aktuell haben wir eine durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren. Die Leute sind durch und durch „gelb“. In diesem Jahr beträgt die Fluktuation in Deutschland lediglich zwei Prozent, an unseren Standorten in Osteuropa unter zehn Prozent. Beides liegt deutlich unter dem jeweiligen Branchendurchschnitt in den Ländern.

Werben Sie auch Quereinsteiger aus anderen Branchen an?

Quereinsteiger spielen im Vertrieb eine immer wichtigere Rolle – sowohl in den Filialen als auch in unserem Beratungscenter. Wir haben dieses Jahr knapp 100 Serviceberater eingestellt – sie hatten weitgehend einen bankfremden Werdegang und kamen unter anderem aus der Gastronomie, der Hotellerie, der Logistik und von den Flughäfen in Frankfurt und Berlin. Diese Leute kommen gerne zu uns. Sie werden hier besser bezahlt und haben wesentlich angenehmere Arbeitszeiten.

Wir hören, dass die Mitarbeiter in manchen Filialen kaum noch zum Arbeiten kommen, weil sie sich um so viele Quereinsteiger, Azubis und Trainees kümmern müssen. Stimmt das?

Wir fühlen uns mit etwa 500 Auszubildenden und dualen Studenten sowie 250 Trainees pro Jahr wohl, auch wenn deren Ausbildung natürlich aufwendig ist. Es ist cool, wenn viele junge Menschen bei uns anfangen und hier für frischen Wind sorgen.

Vor der Commerzbank-Zentrale in Frankfurt posierten am Dienstag knapp 500 Nachwuchskräfte. - Foto: Commerzbank
Vor der Commerzbank-Zentrale in Frankfurt posierten am Dienstag knapp 500 Nachwuchskräfte. - Foto: Commerzbank

Nicht hilfreich beim Werben um neues Personal dürfte die jüngste Mitarbeiterumfrage sein. Die Mehrheit gab dabei an, kein Vertrauen in den Vorstand zu haben und nicht an die neue Strategie zu glauben. Worauf führen Sie das zurück?

Wenn man verstehen will, warum Mitarbeiter in Umfragen ein gewisses Feedback geben, muss man die Kommentare anschauen. Ich habe mir die über 1000 Kommentare aus der letzten Umfrage alle durchgelesen und darüber hinaus mit Hunderten Mitarbeitern gesprochen. Mein Fazit: Der Hauptgrund für die Unzufriedenheit ist die hohe Arbeitsbelastung. Um diese zu reduzieren, müssen wir mehr Prozesse digitalisieren und offene Stellen schneller besetzen.

Machen Sie es sich mit der Analyse nicht zu einfach? Dass immer weniger Mitarbeiter in der Umfrage angegeben haben, ihren Freunden zu empfehlen, Kunde der Commerzbank zu werden, liegt sicher auch an IT-Problemen und Filialschließungen?

Natürlich haben wir noch Filial-Fans, die den radikalen Umbau unseres Vertriebsmodells nicht immer als positiv erachtet haben. Wir haben uns innerhalb kurzer Zeit von einer Filialbank zu einer digitalen Beratungsbank mit deutlich weniger Filialen gewandelt. Es dauert, bis sich alle Beteiligten an diese Veränderung gewöhnt haben. Wir als Vorstandsteam sind deshalb sehr präsent vor Ort in den Teams und führen viele Gespräche. Ich allein war in diesem Jahr auf 160 Mitarbeiterveranstaltungen.

Glauben Sie, dass die nächste Mitarbeiterumfrage deshalb besser ausfallen wird?

Nur, weil wir so viele Veranstaltungen machen, können wir nicht erwarten, dass alle Mitarbeiter bei der nächsten Umfrage etwas Positives ankreuzen. So geht Kulturveränderung nicht. Wir müssen die Mitarbeiter 2024 spürbar entlasten und als Vorstandsteam kontinuierlich Vertrauen aufbauen.

Zufrieden sind die Mitarbeiter mit Ihren großzügigen Homeoffice-Regeln. Künftig will die Bank feste Quoten ganz abschaffen und den Teams die Entscheidung über das Arbeiten von zu Hause überlassen. Warum?

Wir als Vorstand sind überzeugt, dass es gut ist, wenn Mitarbeiter mindestens zwei bis drei Tage die Woche ins Büro kommen, um zusammen zu diskutieren und zu arbeiten. Es gibt jedoch auch Teams, die sich anders organisieren, und es wäre naiv zu glauben, dass wir für alle die richtige Antwort haben. Dieser Realität tragen wir nun Rechnung und sagen allen Teams: „Ihr wisst am besten, was für euch gut ist“.

Andere Unternehmen versuchen, ihre Mitarbeiter zu animieren, wieder mehr ins Büro zu kommen. Warum gehen Sie anders vor?

Unsere Homeoffice-Regeln sind kein Freifahrtschein. Wir geben den Mitarbeitern Vertrauen und Flexibilität, fordern dann aber auch von ihnen Flexibilität ein: Beschäftigte müssen zum Beispiel ins Büro kommen, wenn in ihrer Abteilung Nachwuchskräfte oder neue Mitarbeiter eingearbeitet werden. Zudem gibt es in der Bank auch Bereiche, in denen kaum oder überhaupt kein Homeoffice möglich ist, zum Beispiel in den Filialen.

Wie sollen die Teams das Arbeiten im Homeoffice organisieren?

Es soll in den Teams keine starren Regelungen geben. Man kann nicht auf Jahre im Voraus festlegen, dass man sich zum Beispiel immer donnerstags im Büro trifft. Entscheidend ist immer der Umstand, der die Präsenz im Büro notwendig macht. Es wird Phasen geben, in denen mehr Zusammenarbeit im Büro wichtig ist, und Phasen, in denen mehr mobil gearbeitet werden kann. Die Teams sollen mindestens alle drei Monate überprüfen, ob ihre Regelungen noch zu den aktuellen Anforderungen passen.

Frau Mlnarsky, vielen Dank für das Interview.

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