Continental Standort Babenhausen Foto: PRESSEFOTO
Premium

Continental schließt Werk in Babenhausen früher: Digitale Displays verdrängen analoge Technik

Continental schließt seine Produktion im hessischen Babenhausen zwei Jahre früher als geplant. Wie es dazu kam.

Im Continental-Werk Babenhausen sitzt eine blonde Frau an einer Maschine. Sie legt eine Tachonadel in eine Mulde. Die Maschine dreht sich – und irgendwo weiter hinten druckt sie leuchtend rote Farbe auf die Nadel. Wieder und wieder. Mal riecht es in den Produktionshallen nach Lack, mal dröhnen und surren die Maschinen. Da werden Rückwände aus Kunststoff in tonnenschweren Stahlwerkzeugen in Form gepresst. Da werden Zifferblätter für die Tachos im Reinraum so lange bedruckt, bis sie tiefschwarz sind. Und selbst für den kleinen Schrittmotor, der die Tachonadel antreibt, produzieren sie dort jedes Teil selber – von der Spule über die Zahnräder bis zum Gehäuse. Alle 1,6 Sekunden spuckt eine Maschine einen fertigen Minimotor aus.

Das war im Jahr 2019. Bis heute wird in Babenhausen teilweise so gearbeitet, bald aber werden die reichlich antiquiert wirkenden Produktionsmethoden enden: Schon Ende 2026 schließt Continental die Fertigung am Standort – zwei Jahre früher als bislang geplant.

Man habe den im Jahr 2019 beschlossenen, schrittweisen Rückzug aus der Produktion von Anzeige- und Bedientechnologien „aufgrund des dynamischen Marktumfelds auf das vierte Quartal 2026 vorgezogen“, bestätigt ein Unternehmenssprecher Informationen der WirtschaftsWoche.

Ende der Produktion mancher Autos vorgezogen

Die Produktion sollte eigentlich erst Ende 2028 schließen. Dann aber zogen sich Kunden schneller als gedacht aus den im Werk produzierten analogen Kombiinstrumente mit Tacho und Drehzahlmesser zurück. Viele Autobauer stellten auf digitale Displays um. Und nun kommen die schwierigen Bedingungen auf dem Absatzmarkt für Neuwagen dazu. Einem Insider zufolge würden Kunden laufende Serienprodukte schneller beenden als geplant, das Ende der Produktion mancher Autos werde vorgezogen.

Laut Continental umfasst die Einigung mit den Arbeitnehmern ein Freiwilligenprogramm mit Ausgleichsprämie, sowie eine Kompensation der Betriebsrente. Continental, sagt Anne Nothing, Betriebsratsvorsitzende am Standort Babenhausen, muss nun „zwischen 10.000 und 35.000 Euro mehr pro Mitarbeiter bezahlen als ursprünglich geplant“. Die Konditionen hingen dabei von der Betriebszugehörigkeit, dem Alter sowie dem Gehalt ab. „Die zusätzlichen Abfindungsleistungen liegen teils außerhalb des Deckels von 200.000 Euro“, sagt Nothing.

👉 Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen

Conti wollte sich zu Konditionen nicht äußern, sagt aber man verzeichne „eine gute Annahme des Angebots“. Am Standort gibt es auch Entwickler: In diesem Bereich wirkten sich die Maßnahmen laut Continental auf rund 230 Beschäftigte aus. Rund 50 Mitarbeiter hätten zudem ein Angebot zum Wechsel an den Standort Frankfurt angenommen.

Plötzlich war alles nur noch digital

Die WirtschaftsWoche hat das Werk in den Jahren 2019 und 2024 besucht. 2019 erklärte der damalige Conti-Manager Frank Rabe die Disruption: Er leitete bei Continental damals den Bereich, der Informationen für Autofahrer in Displays optimal aufbereiten sollte. In seinem Büro schnappte sich Rabe damals ein analoges Bauteil. Links war der Tacho, rechts der Drehzahlmesser. Schick designt sah das Teil aus, etwas verspielt und mit einer silbergrauen Chromleiste verziert. So hat es der Kunde Mercedes einst für seine C-Klasse bestellt. „Damit kann ich noch Geld verdienen“, sagte Rabe damals. Schließlich haben die Entwickler von Continental es entworfen und in Absprache mit dem Kunden designt. Man trug das Teil zum Kunden und präsentierte es. Man sprach über Formen und Emotionen. Man arbeitete mehr Chrom ein oder weniger, je nachdem, was der Kunde wollte. Vor allem aber: Continental stellte eine große Zahl der Teile für die analoge Anzeige selbst her.

Doch dann boten die Autobauer den Autofahrern plötzlich vermehrt digitale Anzeigen an. Tachonadel, Tankanzeige, Drehzahlmesser, Ziffernblatt und Co. werden dabei auf dem Display eingespielt. Die Endkunden waren nun bereit, dafür mehr Geld zu bezahlen. Die Folge: Die Autobauer stellten analoge Anzeigen in der laufenden Produktion mehr und mehr auf digitale um.

Der Wandel ging schneller, als Autobauer ihrem Zulieferer Continental ursprünglich mit ihren Aufträgen signalisiert hatten. So wollte Continental 2019 noch mehr als eine Million analoge Kombiinstrumente herstellen. „Doch schon im kommenden Jahr ist es nicht einmal mehr die Hälfte. Da ist ein erdrutschartiger Verfall, der Markt für analoge Kombiinstrumente kollabiert gerade“, sagte Rabe 2019.

Aus dem Jahr 2015: Tachos der Firma Continental in der Prüfanlage in Babenhausen. Foto: imago images

„Dann sind wir raus, einfach raus“

Digitale Bauteile, meinte Rabe schon damals, könne er „nicht mehr profitabel fertigen“. Denn die Displays im Auto wurden immer größer, heute füllen sie oft die gesamte Breite der Autofront aus, zeigen Navigation, Geschwindigkeit, streamen Videos. „Damit explodiert der Aufwand in der Softwareentwicklung“, wusste Rabe schon damals. Statt 20 Softwareentwicklern brauchte Continental plötzlich rund 200 für ein Projekt. „Wenn mein Wettbewerber das gleiche Produkt mit 200 Leuten in Indien entwickelt, sind wir raus, einfach raus“, sagte Rabe. Hinzu kommt: Das teuerste Teil, das Display, musste Conti plötzlich zukaufen. Selber bauen lohnte sich nicht.

2024 war die WirtschaftsWoche erneut in Babenhausen. Da waren bereits Teile der Maschinen nach Osteuropa verlagert worden. Beim Rundgang zeigte auch die lokale Betriebsratschefin Nothing immer wieder auf leere Felder, die sich neben noch laufenden Maschinen auftaten. 2024 deuteten bereits ungenutzte Bodenanker und rostfarbene Abdrücke von Maschinen auf dem grauen Werksboden darauf hin, dass dort einst mehr Leben in den Hallen war.

Die Spritzgussmaschinen für Spiegel etwa hatte man bereits nach Rumänien verschickt. Die letzte Tranche trat vor Weihnachten ihre Reise zum Standort in Timisoara an. Diesen vergrößerte Continental seit Eröffnung des Werks im Jahr 2006 mehrfach.

Der Schwund in Babenhausen war mittlerweile allgegenwärtig: Auf dem Werksparkplatz vor der Tür musste man nicht mehr nach einer freien Lücke suchen. Und auch der tägliche Kampf um die Spinde oder die Kittel war passé. In der Endmontage der Halle B9 etwa war schon ab 14 Uhr das Licht aus. Dort arbeitete nur noch die Frühschicht.

2019 arbeiteten 3500 Menschen in Babenhausen

Ungefähr 1000 Leute waren seit dem Jahr 2020 schon weg. Sie gingen in Rente oder in die Altersteilzeit, wechselten in die Transfergesellschaft 10K, nahmen freiwillig eine Abfindung, konnten innerhalb des Konzerns wechseln. Dutzende schulte Conti im hauseigenen Institut für Technologie und Transformation (CITT) um.

Die Zeigerfertigung, wo die Tachonadeln bedruckt werden, gibt es aber auch heute noch. Leider jedoch, sagt Nothing heute, „sehen die Produktionshallen inzwischen sehr leer aus. Viele Anlagen wurden schon abgebaut und verlagert, verkauft oder verschrottet. Nach und nach schließen die Abteilungen.“

2019 arbeiteten mal 3500 Menschen in Babenhausen, davon 1800 in der Produktion. Heute sind es noch rund 1650 Beschäftigte. Davon arbeiten laut Conti rund 700 im Werk und 670 in der Entwicklung. Die restlichen rund 280 Beschäftigten sind in Verwaltungs- und Geschäftsbereichen wie Vertrieb oder Personalwesen tätig.

In Babenhausen verbleiben wird vor allem ein Teil der Entwicklung. Für Ende 2026 beziffert Conti die Zahl der Mitarbeiter in Babenhausen auf dann noch etwa 700.

👉 Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen

👉 Exklusiv bei XING: 6 Wochen die WirtschaftsWoche kostenlos lesen

Continental schließt Werk in Babenhausen früher: Digitale Displays verdrängen analoge Technik

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

WirtschaftsWoche - das Beste der Woche

Deutschlands führendes Wirtschaftsmagazin – verstehen zahlt sich aus.

Artikelsammlung ansehen