Cultural Fit? Träumt weiter!!
Aus so manchen Unternehmen und HR-Abteilungen hört man heutzutage, dass der „Cultural Fit“ an Bedeutung gewinnt. „Hire for attitude“ macht die Runde. Hard Skills, Fachwissen scheint in einer Welt immer schnelleren Wandels an Bedeutung zu verlieren. „Das Soziale“, das Miteinander und mit Menschen zu arbeiten, deren Werte und Ziele man teilt, gewinnt als Erfolgsfaktor (wieder) an Bedeutung.
Hintergrund von all diesem „Kulturgedöns“ ist die Renaissance von „Zusammenarbeit“. Es geht um nichts weniger als die Idee und – so sie Wirklichkeit werden soll - die immense Aufgabe, die Art (und Kunst) von Zusammenarbeit, die wir in Jahrzehnten unbedingter Zahlengläubigkeit auf dem Altar des Shareholder Values und unbedingtem Profitwachstum geopfert haben, wieder zu dem zu machen, was sie jahrtausendelang sehr erfolgreich war: Die Chance, GEMEINSAM einfach besser zu sein, mehr zu bewirken, neue Erfolge zu gestalten.
Eine Unternehmenskultur galt bis vor wenigen Jahren dann als gut und richtig, wenn man "die Klappe hielt" und seinen Job machte, wenn Weisung und Kontrolle gut funktionierte, wenn „oben“ „unten“ immer ganz sicher ausstechen konnte. Inzwischen hat sich der Wunschinhalt der Wundertüte „Kultur“ verändert. Im neuen Mix des Überraschungspaketes wird heute offiziell als positiv empfunden, wenn Mitarbeiter den Mund aufmachen, ihre Ideen einbringen, mitgestalten und mitentscheiden. Inoffiziell, hinter den Kulissen, allerdings ist weiter Schweigen die "hohe Kunst der Kommunikation" - und ruinös fürs Unternehmen.
Liebe Mitarbeiter: ab heute bitte „Kultur 5.0“!
Die Welt dreht sich (wieder) weiter. In rasanter Geschwindigkeit hat sie ihren angestammten Platz verlassen und scheint in einem neuen Orbit gelandet zu sein. In einem Orbit, in dem der Mensch plötzlich nicht mehr Maschinenbediener und Maschinenfutter (oder -fütterer?!) ist, sondern wichtiges, nein, erfolgskritisches Element einer neu verstandenen, breiteren Ideen- und Wertschöpfung. Menschen werden endlich als erkannt, was sie ganz natürlich in sich tragen, als lebendige USPs, laufende Wettbewerbsvorteile und (endlich) – im positiven Wortsinn –HumanKAPITAL!
Der Wandel hat sich in den Köpfen der Vordenker und Vorreiter einer zeitgemäßen, an die technologischen Entwicklungszyklen angepassten, Organisationsgestaltung und Unternehmensführung schnell vollzogen. Sie propagieren auch hier immer wieder einen Fortschritt, bei dem die wenigsten Unternehmen hinterherkommen. Schlimmer noch, die gelebten Kulturen sind in den Köpfen, in den Körpern und in den Herzen der Menschen noch so verankert, werden jeder neuen Generation im Rahmen ihrer Sozialisierung so tief eingeimpft, dass die, die Kultur beeinflussenden Ergebnisse, vor allem „Cultural Crashs“ sind. Kulturen liegen immer wieder am Boden, weil die Bandbreite der Anforderungen zu groß und das gegenseitige Verständnis zu klein sind. Und wo eine Kultur immer weiter am Boden liegt, wo zudem viele unterschiedliche Kulturen unter einem Dach versammelt sind, da ist „Cultural Fit“ zwar vielleicht einfach, weil jeder irgendwo hineinpasst, der „Fit“ ist damit aber zugleich diametral entgegengesetzt von dem, was es sein könnte und sein sollte.
Was bedeutet Cultural Fit in einem sich wandelnden Unternehmen?
„Cultural Fit“ meint „die Übereinstimmung zwischen Bewerbern und Arbeitgebern (Unternehmen) in Bezug auf Handlungsweisen und Wertevorstellungen.“
Wichtigste Voraussetzung, um eine solche Übereinstimmung zu erzielen ist, zu erkennen und zu wissen, wie die eigenen „Kultur“ aussieht, welche Werte man als Unternehmen und als potenzieller Mitarbeiter besitzt, was man will und was man nicht will. Den meisten, egal ob Organisation oder Individuen, fällt es schwer, sich so gut zu kennen, sich zu reflektieren, sich dessen wirklich bewusst zu werden. Es fällt noch schwerer, sich in den selbst positiv oder insbesondere auch negativ wahrgenommenen Aspekten ehrlich und aufrichtig zu beschreiben. Wer glaubt schon, dass eine echte, ehrliche Darstellung von sich selbst so attraktiv ist, dass sie andere anzieht?
Aber das ist nur der erste Teil der ersten Seite der Medaille!
Ist Kultur zu schwierig?
Selbst wenn es einem Unternehmen gelingt, sich selbst so weit zu verstehen und zu beschreiben, selbst wenn es Bewerber gibt, die ihre Werte in den Ring werfen, um den „Fit“ zu evaluieren: Wer – und das ist eine ganz entscheidende Frage – ist dann derjenige, der den Grad der Übereinstimmung bewerten kann, soll und darf?
Sind es global agierende HR-Abteilungen und Recruiter, sind es regional aktive Führungskräfte, sind es die lokalen Teams? Egal wer entscheidet, die Entscheidung ist immer falsch, denn der Fit bezieht sich zwangsläufig nur auf die, aus der jeweiligen Perspektive sicht- und WAHR-nehmbare Kultur. Nur wenige Organisationen besitzen eine Kultur, die durchgängig gleich-WERT-ig ist. Wenige lassen sich so einfach über einen Kamm scheren.
Und noch etwas macht „den“ „Cultural Fit“ so unnahbar: Neben dem Wandel, den jede Kultur durch die Zu- und Abflüsse von Erfahrungen, von Ideen, Haltungen und Impulsen erfährt, brauchen immer mehr Unternehmen mindestens zwei aktiv gelebte Kulturen parallel.
Die meisten „etablierteren“ Unternehmen besitzen mindestens einen Unternehmensteil, der mit schlanken Prozessen und optimalen Strukturen das Geld verdient und leisten sich einen weiteren Bereich, der verschwenderisch Neues entdecken darf, soll und oft auch „muss“. Es ist wie in einer Familie, in der die Kids im Überschwang der Pubertät immer und überall über die Stränge schlagen, während Mama und Papa versuchen, das bisschen Geld zusammenzuhalten. Wie würden Sie die Kultur in einer solchen Familie beschreiben? Den meisten fällt dazu wohl bestenfalls „schwierig“ ein.
Breite Brust zeigen
Hier, wie in den Familien, ist die Art, wie das Zusammenleben gemeinsam gestaltet wird, (mit) ausschlaggebend dafür, wie gut das Zusammenwirken am Ende vielleicht doch harmoniert und wie erfolgreich es ist. Es ist der bewusste Mix der Managementmodelle, die Kunst das Zusammenspiel von Bewahren und Kreieren zu gestalten, der die Kultur formt. Der Mix zwischen effizienzgetriebener Steuerung und effektivitätsfokussierter Wirkung, zwischen perfektem Management von Qualität und Output und dem weit geöffnetem Raum, um sich selbst und Neues, neue Ideen für Produkte, Services und Angebote, auszuprobieren. Dieser Mix allerdings ist schwierig, denn er verlangt zwei Seelen in der Brust des Top-Managements.
Es ist diese breite Brust mit ihren zwei Seelen, die wohl am ein- und ausdrücklichsten Kultur prägt. Eine Öffnung für Neues, die viele Unternehmen mit der Digitalisierung verwechseln, die aber deutlich mehr beinhaltet, bereitet den Weg vom „Klappe halten“ zur Einladung zum Dialog, zum mitgestalten können und wollen. Wo Unternehmen bewusst diese Wende im Umgang mit den kognitiven und sozialen Fähigkeiten Ihrer Angestellten gelingt, da entsteht auch eine neue Kultur. Eine neue, umfassende Kultur, die manchmal Ambidextrie, Beidhändigkeit erfordert, manchmal aber auch mit dem kulturellen Altbestand zu einer gemeinsamen Weltsicht verschmilzt.
Kulturkleber
Diese Sicht auf die Welt und die mit dieser Perspektive entstehenden Geschichten und mentalen Modelle sind die Elemente, die die Kultur formen. Sie fußt auch heute noch, wie zu Urzeiten, auf den Erzählungen, den Anekdoten und dem wahrhaft Bemerkenswerten, das geschieht. Geschichten sind der Dünger – und manchmal der Brandbeschleuniger – wenn es darum geht, eine Kultur zu verankern. Doch Vorsicht, wer mit Blick auf die außen sichtbare Kultur und den beabsichtigen kulturellen „Pull“, die Hochglanzbroschüre und die Website mit Bildern und Memen füllt, die mehr PR als Wahrheit sind, wer hohle Phrasen statt gelebter Kultur vorstellt, der riskiert entlarvt zu werden und tief zu fallen, statt Menschen anzuziehen, die tatsächlich zur Kultur passen.
Wer „alte“ Kulturen betrachtet, erkennt in ihrem Kern oft Stringenz und Linearität. Lückenlose, zielgerichtete Lebensläufe zählen mehr als manche bittere Lernerfahrung. Längsdenken ist wichtiger als Querdenken. Welche Kultur erträgt schon Querdenker? Welche Führungskultur ist so offen, dass sie Querköpfe, Meinungssager und -macher erträgt, ohne sie abzustoßen? Kann es einen Fit für quer eigentlich geben? Nur enorm starke Kulturen schaffen es, ein so starkes Bindemittel zu sein, dass das Längs- und Quertreiben darin das Unternehmen tatsächlich stärkt. Dass sie die längs und quer liegenden Fasern zu einer strapazierfähigen und stabilen Basis für den gemeinsamen Erfolg macht. Doch genau die Kulturen, denen dies gelingt, sind auch diejenigen, die Dualität, Diversität und Ambiguität problemlos aushalten, nein, sie sogar fordern, um selbst stetig noch stärker zu werden.
Solche starken Kulturen sind zugleich immer auch ein „moving target“. Sie verändern sich noch schneller und stärker als andere Kulturen, weil Sie die Scherkräfte neuer Impulse besser aushalten und die zur weiteren Stärkung in sich aufnehmen können. Sie bieten zugleich eine große Vielfalt an Anknüpfungspunkten für neue Mitarbeiter und sind Attraktoren, die persönliches wie gemeinsames Wachstum und Erfolg versprechen. Die ihnen innewohnende kulturelle Identität färbt ab und lässt das Unternehmen zugleich immer bunter, kreativer und damit zukunftsfähiger werden.
Solche Quertreiber, die auf den ersten Blick mehr zerstören als gestalten, sind von enormem Wert, denn die gelebte Vielfalt kann das gesamte Habitat einer Organisation verändern. Beeindruckende Beispiele hierfür liefert die Tierwelt, die manchen Unternehmen näher liegt, als sie es wünschen. So hat ein kleines Rudel Wölfe es durch ihr ganz normales Verhalten quer zum bestehenden Wildbestand geschafft, ganzen Flussläufen eine neue Gestalt zu geben und so einen unvorhersehbar großen Beitrag zum Erhalt des gesamten Lebensraumes zu leisten.
Cultural Fit beruht auf Konsequenz
In Organisationen leistet eine solche starke, sich selbst bewusste und zugleich vielfältige Kultur einen immens wichtigen Beitrag. Sie schafft Raum für multiple kulturelle Übereinstimmungen, welche die zukünftig immer wichtigeren Experten und Talente, die Wissenträgern, die sich zunehmend freier entscheiden können wo, für wen, für wie lange und wie sie sich engagieren wollen anzieht und ihnen Gelegenheit bietet, sich voll und ganz einzubringen. Sie birgt wettbewerbsentscheidende Vorteile.
Eine so starke Kultur aufzubauen, erfordert konsequent zu sein. Wo „hire for attitude (and culture)“ konsequent gelebt werden soll, muss auch „fire for misbehave“ möglich sein. Wer das nicht tut, verwässert die Essenz, die das Unternehmen stark macht.
Bei allen Herausforderungen: „Cultural Fit“ ist für alle wichtig, denen ihre Zukunft am Herzen liegt, seien es Unternehmen oder Bewerber. Denn wo die Werte, die Ziele, die Hoffnungen, die Herzenswünsche, die Leidenschaft aller im gleichen Rhythmus pulsieren, kann perfekte Zusammenarbeit und maximale Leistungsfähigkeit entstehen. Darum ist der Traum vom „Cultural Fit“ so wichtig!
Träumt den Traum des Cultural Fit weiter, bis ihn die Masse aller Unternehmen lebt! Dann erst haben wir den Rahmen und Raum geschaffen, in dem Lebens-WERTE Arbeit der Alltag und nicht die Ausnahme ist. Dann arbeiten wir in Unternehmen, die zugleich Freude, Zuversicht, Stabilität und Sicherheit geben und uns allen auch eine gesellschaftliche Zukunft sichern.
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Vor 15 Jahren gab es weder soziale Medien noch Smartphones, agiles Arbeiten war hierzulande unbekannt. Unvorstellbar, was in den kommenden 15 Jahre alles Neues entstehen und wie sich unsere Arbeitswelt entwickeln wird! In welchen Berufen werden wir künftig überhaupt arbeiten – und wie? Wie verändert die künstliche Intelligenz den Recruiting-Prozess? Wird die Arbeitswelt von morgen gerechter sein – oder tiefer gespalten?
Zusammen mit dem Zukunftsforscher und Gründer des Trendbüros, Professor Peter Wippermann, hat XING 15 Trends untersucht, die Arbeitnehmer und Unternehmen betreffen und die Gesellschaft verändern werden. Unsere Prognosen basieren auf der wissenschaftlichen Expertise des Trendbüros, einer repräsentativen Umfrage unter den XING Mitgliedern und E-Recruiting-Kunden sowie aus unserer Erfahrung als Vorreiter beim Thema New Work.
Die 15 Trends lassen wir ab dem 5. November täglich auf XING diskutieren – auf XING Klartext, von unseren XING Insidern und im XING Talk. Alle Beiträge finden Sie gesammelt auf einer News-Seite.
• In der Woche ab dem 5. November dreht sich alles darum, was sich für den einzelnen Arbeitnehmer ändert.
• Ab dem 12. November diskutieren wir eine Woche lang die Folgen des Wandels für Unternehmen.
• Eine Woche später, ab dem 19. November, thematisieren wir, wie sich unsere Gesellschaft verändern wird.
Bei Fragen, Feedback und Ideen erreichen Sie die Redaktion von XING News unter klartext@xing.com. Wir freuen uns auf spannende und hitzige Diskussionen!