Das „Anti-OpenAI“: So will Salesforce Unternehmen Lust auf KI machen
Salesforce präsentiert seine neue „AI Cloud“. Herzstück ist das Versprechen, sensible Firmendaten besser zu schützen als andere – und trotzdem mit OpenAI zusammenzuarbeiten.
New York. New York statt San Francisco: Weit weg von der Salesforce-Zentrale in Kalifornien hat der SAP-Rivale am Montag seinen ersten „KI-Tag“ abgehalten. Salesforce-Chef Marc Benioff versprach die beste aller Welten: Firmen sollten von der „KI-Revolution“ profitieren – aber ohne die Kontrolle über sensible Daten abzugeben.
„KI verändert unsere Welt und transformiert die Wirtschaft in einer Weise, die wir uns nie vorstellen konnten“, sagte Benioff. Jedes Unternehmen müsse „AI first“ werden, sich also intensiv mit den Möglichkeiten künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Dabei wolle Salesforce helfen.
Kern ist die neue „AI Cloud“ von Salesforce, die ab 360.000 Dollar jährlich erhältlich ist. Diese Plattform umfasst viele bisherigen Software-Programme des Konzerns, die nun durch KI verbessert werden soll.
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So soll etwa Sales GPT automatisch personalisierte Vertriebs-E-Mails erstellen. Service GPT soll Arbeitsaufträge auf Basis einer Kundenbeziehung erstellen. Marketing GPT und Commerce GPT sollen eine gezielte Werbeansprache möglich machen. Und Slack GPT soll Angestellten-Chats und -Meetings zusammenfassen.
Starten sollen die neuen, verbesserten Produkte nach und nach in den kommenden Monaten. „Wir rufen den Sommer der KI aus. Und er wird besser als der Sommer der Liebe“, scherzte Salesforce-KI-Chefin Clara Shih.
Zentral für die neuen Funktionen sind große Sprachmodelle, also neuartige KI-Algorithmen, die in allen Anwendungen zum Einsatz kommen sollen. Diese sind seit der Vorstellung des Programms ChatGPT des Microsoft-Partners OpenAI in aller Munde. Manche der neuen Modelle hat Salesforce selbst entwickelt, etwa eines, das Codes schreiben kann. Die meisten bietet der Konzern in Zusammenarbeit mit OpenAI an.
Dabei gehe man jedoch einen besonderen Weg, erklärte CEO Benioff im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Wir sind Partner von OpenAI. Aber wir ziehen eine Vertrauensebene ein, die die Kunden vom verwendeten großen Sprachmodell abtrennt.“ Das gelte unabhängig davon, welches Modell zum Einsatz komme.
„Wir werden nicht zulassen, dass irgendwelche Daten unserer Kunden von einem großen Sprachmodell aufgesaugt werden“, sagte Benioff. „Wir tun alles, was wir können, um unsere Kunden zu schützen.“ Dafür setze man auf eine „technisch und vertraglich abgesicherte“ Softwareschranke, die Missbrauch verhindern solle.
Gegenentwurf zum ChatGPT-Ansatz
Benioffs Plan lässt sich als Gegenentwurf zum ChatGPT-Ansatz lesen – und als Reaktion auf die Sorgen seiner Kunden. Salesforce ist mit seiner Software zur Unternehmenssteuerung, Lieferketten- und Finanzverwaltung längst im Herz vieler Unternehmen angekommen. Viele Unternehmenslenker wiederum sind zwar fasziniert von den neuen KI-Anwendungen – trauen OpenAI aber nicht ganz über den Weg.
Ein Grund: ChatGPT durchforstet das komplette Internet – und nutzt in der Standardeinstellung alle eingegebenen Daten zur Weiterentwicklung seines Codes. Geschäftsgeheimnisse und Kundendaten könnten so publik werden. In den USA haben immer mehr Unternehmen, darunter der Onlinehändler Amazon, die Großbank Goldman Sachs und der Telefonanbieter Verizon ihren Angestellten den Einsatz von ChatGPT untersagt. Auch in Deutschland raten viele Firmen vom Einsatz ab.
Das Problem: Auch die Chancen von KI können so nicht genutzt werden. Die Lösung: kommt von Salesforce, so behauptet es der Konzern. Kern des neuen KI-Sicherheitsversprechens ist das „Einstein GPT Trust Layer“, die eingezogene neue „Vertrauensebene“, die auf der seit 2014 entwickelten eigenen KI-Plattform Einstein aufbaut. Sie besteht aus drei Bausteinen, erklärte Salesforce-Technologievorstand Parker Harris dem Handelsblatt:
Zunächst einmal geschehe nichts ohne Zustimmung der Kunden. Unternehmen müssten zustimmen, KI-Modelle zu verwenden – und könnten genau auswählen, welche zum Einsatz kämen, oder ihr eigenes mitbringen.
Entschieden sie sich dann dafür, OpenAIs Fähigkeiten in Anspruch zu nehmen, würden die Kundendaten von Salesforce nur anonymisiert weitergeleitet.
Zu guter Letzt, habe sich OpenAI dazu verpflichtet, keinerlei Daten zu speichern. Nach Verwendung würden diese gelöscht – und nicht etwa zur Weiterentwicklung des ChatGPT-Algorithmus eingesetzt.
„Wir sind sehr begeistert von unserer Lösung“, so Harris. Man habe einen bindenden Vertrag mit OpenAI abgeschlossen und man überwache per elektronischen Prüfprotokollen, dass sich der Partner auch an die Verabredung halte.
Lautes Lob, leise Skepsis
Bei der Präsentation im noblen Mandarin Oriental Hotel mit Central-Park-Blick hat Salesforce eine Reihe an Beispielkunden eingeladen, die die neuen KI-Anwendungen des Konzerns in den höchsten Tönen loben, darunter Weltkonzerne wie die Prüffirma Deloitte und der Luxuskonzern Gucci, aber auch Mittelständler wie die französische Ski-Marke Rossignol.
Manche Skeptiker wird Salesforce noch überzeugen müssen. Die Vertrauensebene sei eine gute Idee, sagt ein anwesender Top-Manager eines großen US-Konzerns. Nur: „Nun muss ich das Vertrauen eben Salesforce entgegenbringen.“ Auch ChatGPT von OpenAI habe bereits eine Einstellmöglichkeit, dass die eigenen Daten nicht zum Training des Algorithmus genutzt würden.
Die Salesforce-Aktie, die 2023 auch aufgrund des KI-Hypes um knapp 60 Prozent gestiegen war, gab am Montag leicht nach.
Analysten lobten den Vorstoß des Konzerns. „Salesforce hat die einmalige Chance, seinen Kundenstamm in der KI-Revolution auszuweiten“, schrieb Dan Ives vom Finanzhaus Wedbush. Die vorgestellten Produkte und die Plattformstrategie dahinter seien ein „kluger Schachzug“. Die neuen Angebote in der Verwaltung von Kundenbeziehungen könnten den Jahresumsatz bis 2025 um zehn Prozent steigern.
Kampfansage an SAP
Eine Umsatzprognose wollte Benioff nicht abgeben. Das Wachstum seines Konzerns hatte sich zuletzt deutlich verlangsamt, was die Kritik aktivistischer Investoren angeheizt und zum Abschied mehrerer Top-Manager geführt hatte. Im Januar kündigte Benioff den Abbau von 7.000 Jobs an. Die Turbulenzen kommentierte er am Montag nicht – dafür nutzte er die Vorstellung der KI-Strategie für eine Kampfansage an den Rivalen SAP aus Walldorf.
Immer mehr deutsche Unternehmen wechselten „Gott sei Dank“ zu Salesforce, sagte Benioff dem Handelsblatt. Das werde sich beschleunigen. „Wir sind SAP im Bereich der künstlichen Intelligenz weit voraus, und das seit Jahren.“ Schon heute würden auf der KI-Plattform Einstein pro Woche eine Billion Anfragen abgewickelt. „Ich glaube, SAP verzeichnet keine einzige KI-Transaktion.“
Geht es nach Kathy Baxter, Chefin ethische KI bei Salesforce, dann soll der eigene Ansatz zum Umgang mit künstlicher Intelligenz stilbildend für die Tech-Branche werden. Der Einsatz generativer KI müsse fünf Grundbedingungen erfüllen: Die Modelle müssten genau arbeiten, sicher sein, ehrlich beim Umgang mit Ursprungsdaten, sie müssten menschliche Kontrolle befähigen und ökologisch nachhaltig sein.
Um Unternehmen bei der Schulung der Mitarbeiter zu unterstützen, bietet Salesforce eine neue Lernplattform namens „Trailblazers“ an. Sie erklärt unerfahrenen Nutzern, was KI ist, und hilft erfahrenen Anwender beim Formulieren der Prompt genannten Befehle zur KI-Steuerung.
„KI muss verantwortungsvoll eingesetzt werden“, mahnt Baxter. „Wir können nicht einfach Unmengen von Daten aus dem Internet kratzen, zumal, wenn diese nicht repräsentativ sind, sondern toxisch. Wir müssen uns nicht nur die Frage stellen, ob wir etwas mit KI tun können, sondern auch, ob wir es tun sollten.“
Ein KI-Angebot, das bei OpenAI längst Standard ist, fehlt im Salesforce-Angebot: ein Tool zur Bildgenerierung. Die urheberrechtlichen Probleme seien schlicht zu groß, heißt es. Aber man arbeite daran.
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