Das bringt der Wechsel zwischen Mittelstand und Großkonzern
Manager und Unternehmen können von Wechseln zwischen Börsenkonzernen und dem Mittelstand profitieren – doch hartnäckig halten sich Vorurteile. Experten geben Führungskräften diese Tipps.
Düsseldorf. Manager aus deutschen Börsenunternehmen finden, Entscheidern aus Familienunternehmen „fehlt es an professionellen Prozesskenntnissen“. Mittelstandschefs hingegen bemängeln, „dass Führungskräfte von börsennotierten Konzernen nicht schnell genug entscheiden“.
Dass Manager von Deutschlands beiden verbreitetsten Unternehmensformen mit Vorurteilen auf die jeweils andere Firmenwelt schauen, belegt eine Befragung der Personalberatung Heidrick & Struggles.
Die Studie zeigt auch, dass sich die Skepsis auf die Querwechselchancen von Führungskräften zwischen den Unternehmensformen auswirkt und deutsche Firmen Chancen verpassen. Denn das Potenzial ist enorm – für Unternehmen und Führungskräfte.
Wechsel zwischen Mittelstand und Konzern könnte Unternehmen „wertvolle Impulse“ geben
Knapp 700 Managerinnen und Manager aus dem Kontaktpool der renommierten Personalberatung äußerten sich in der Befragung zum Image des jeweiligen Führungspersonals.
Der Deutschlandchef von Heidrick & Struggles, Nicolas von Rosty, sagt: Auf dem hiesigen Arbeitsmarkt „behindern noch immer Vorurteile und Mythen einen stärkeren Austausch im Topmanagement, der dem neuen Arbeitgeber wertvolle Impulse geben könnte“.
Und er ergänzt: „Die Durchlässigkeit zwischen börsennotierten Konzernen und Familienunternehmen müsste längst deutlich besser sein.“ Von Rosty blickt dabei auf den internationalen Stellenmarkt, auf dem Vielfalt oft als entscheidender Faktor bei der Wahl des Spitzenpersonals gilt.
Durch Transformation und Stellenabbau kämen „hochqualifizierte Manager und Managerinnen unverschuldet auf den Markt und orientieren sich beruflich neu“. Daher sei es an der Zeit umzudenken.
Chronischer Mangel an Vielfalt
Bislang ist die Zahl der Querwechsler, die in Deutschlands Vorständen und Geschäftsleitungen arbeiten, überschaubar. Das zeigt die zusätzliche Auswertung der Lebensläufe der Dax-40-Vorstände und der Chefs der 30 größten Familienunternehmen durch Heidrick & Struggles – soweit diese öffentlich zugänglich sind.
Unberücksichtigt blieben aufgrund ihrer Zwitterstellung die beiden familienkontrollierten Dax-Konzerne BMW und Henkel.
Demzufolge leiteten Ende 2024 gerade einmal acht Manager Deutschlands größte Familienunternehmen, die zuvor eine Station in einem börsennotierten Unternehmen absolviert haben.
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Abgesehen von zwei Firmenerben, einem eingeheirateten Manager sowie einem Chef, der zuvor in einem Unternehmen tätig war, das je zur Hälfte einem Börsenkonzern beziehungsweise einem Familienunternehmen gehörte, sind das:
Alexander Birken: Nach seinem Betriebswirtschaftsstudium an einer Wirtschaftsakademie stieg er beim Medizinhersteller Philips Medical Systems ein, bevor er 1991 zum Hamburger Versandhändler Otto wechselte, wo er sich vom Controlling-Mitarbeiter zum Chef hocharbeitete.
Burkhard Eling: Vor seinem Wechsel zum Logistikdienstleister Dachser war der Wirtschaftsingenieur in der Baubranche beschäftigt, unter anderem beim börsennotierten Baukonzern Bilfinger. Nach 13 Jahren im Bereich Finanzen und Controlling stieg er als Chief Financial Officer (CFO) ins Familienunternehmen ein, bevor er 2021 dort zum Chef (CEO) avancierte.
Erwin Mayr: Der promovierte Physiker begann seine Karriere als Unternehmensberater. 2002 wechselte er in die Aluminiumindustrie. Dort war er in verschiedenen Führungspositionen tätig. Vor seinem Wechsel zur Wieland-Gruppe, Europas größtem Kupferverarbeiter, war er als President Europe für das börsennotierte US-Unternehmen Novelis verantwortlich.
Mohsen Sohi: Der amerikanische Chef des Technologieanbieters Freudenberg war vor seinem Wechsel ins Familienunternehmen mehr als eineinhalb Jahrzehnte in Führungspositionen von börsennotierten US-Konzernen in der Luftfahrt-, Automobil- und Elektronikbranche tätig. Dort arbeitete sich der promovierte Maschinenbauer vom leitenden Ingenieur zum President empor.
Unter den Dax-40-Chefs wiederum finden sich nur drei, die zuvor in einem Familienunternehmen Erfahrungen gesammelt haben:
Rolf Buch: Der Chef von Deutschlands größtem Immobilienkonzern Vonovia hat eine langjährige Karriere bei Bertelsmann absolviert. Der Ingenieur begann 1991 im Druck- und Industriebereich als Assistent der Geschäftsleitung und arbeitete sich im Familienunternehmen als Chef der Servicesparte Arvato bis zum Vorstandsmitglied des Medienkonzerns hoch. 2013 erfolgte der Branchenwechsel zur Deutschen Annington, heute Vonovia.
Björn Gulden: Vor seinem Wechsel an die Adidas-Spitze war der norwegische Wirtschaftswissenschaftler ab dem Jahr 2000 in Leitungsfunktionen für das Schuhunternehmen Deichmann tätig, sammelte im Familienunternehmen Marketing- und Vertriebserfahrung im Filialgeschäft, bevor er dann jeweils als Vorstandsvorsitzender erst zum Schmuckhersteller Pandora, später zum Sportartikelhersteller Puma wechselte.
Christian Kohlpaintner: Der Brenntag-Vorstandsvorsitzende arbeitete sechs Jahre für die Chemische Fabrik Budenheim, eine Tochter der Oetker-Gruppe. Zuletzt war er dort CEO. Danach trug es den promovierten Chemiker als Vorstand zu Clariant, einem weltweit tätigen Schweizer Konzern der Spezialchemie. 2020 wechselte er auf den Chefsessel des weltgrößten Chemiehändlers.
Mittelständler hegen kulturelle Vorbehalte
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Headhunter von Rosty verwundert dieser geringe Anteil von Querwechslern nicht. Auch nach 20 Jahren in der Personalberatung hört er beim ersten Briefing von Mittelständlern immer wieder – selbst im sehr großen Mittelstand mit mehr als zwei Milliarden Euro Jahresumsatz –, keine Konzernmanager zu vermitteln. „Sie passen kulturell nicht zu uns“, heißt es dann oft.
„Vor allem die fehlende Bodenständigkeit beziehungsweise eine übergroße Anspruchshaltung, von der persönlichen Assistenz bis zum teuren Firmenwagen, wird für Konzernmanager zum K.-o.-Kriterium“, bestätigt auch René Bohn, Arbeitsmarktexperte vom Familienunternehmer-Verband.
Und auch im umgekehrten Fall sei die Skepsis groß. In Konzernen werde davon ausgegangen, dass es an Vertrautheit mit internationalen Gepflogenheiten und Einblick in unterschiedliche Geschäftsbereiche hapere, sagt von Rosty. „Gleich und Gleich gesellt sich gern.“ Er könne es kaum fassen, „dass deutsche Unternehmen noch immer mehr vom gleichen Kandidatenmuster wollen“, so der Personalberater.
Nicht nur selbes Geschlecht, ähnliches Alter und Nationalität, nein, auch noch vergleichbare berufliche Erfahrungen – „das ist keine optimale Vorstandsbesetzung“, sagt von Rosty. Nicht nur in herausfordernden Zeiten der Transformation brauche es vielfältigere Perspektiven.
Die Gelegenheit dazu ergebe sich jetzt. „Da durch die Restrukturierungen etwa bei VW, Bayer, SAP oder Bosch mitunter ganze Divisionen zusammengestrichen werden, gibt es einen größeren Pool an qualifizierten Kandidaten unterschiedlichster fachlicher Expertise, allesamt aber mit enormer internationaler Erfahrung, die gerade für Familienunternehmen attraktiv sein könnten.“
Headhunter von Rosty nennt vier Beispiele, welches Wissen auf der Chefetage gerade gefragt sei:
„Punkten lässt sich nicht nur in wirtschaftlich angespannten Zeiten in vielen Unternehmen mit umfassender Finanzexpertise“, sagt er. Vor allem Know-how zu Finanzierungsinstrumenten und Kontakte zu Geldgebern, ob Banken oder privaten Finanzinvestoren, seien stark gefragt. Und damit so mancher CFO gut gerüstet, um als Geschäftsführer in Zeiten der Transformation und Restrukturierung zu reüssieren.
Die nationale und internationale ESG-Gesetzgebung zwingt Unternehmen dazu, sich nachhaltig aufzustellen. ESG steht übersetzt für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Interessant für ein Unternehmen könnten laut von Rosty zum Beispiel entsprechende Händlerkontakte, Kenntnisse nachhaltiger Beschaffungsmethoden sowie das Know-how eines neuen Chefs zum Schutz der Lieferkette im Ausland sein.
Künstliche Intelligenz (KI) mit ihrer disruptiven Kraft, die sich auf Jobprofile ebenso wie auf Geschäftsmodelle auswirke, müsse adaptiert werden. „Da sucht das ein oder andere Unternehmen dringend Verstärkung, um sich in Sachen IT zukunftsfähig aufzustellen“, sagt von Rosty.
Seit Jahrzehnten bestehe im Automobilbau, speziell bei den Zulieferern, ein gigantischer Kostendruck bei hohen Qualitätsanforderungen. Wer es gewohnt sei, Werke schlank zu betreiben und kostenoptimiert zu gestalten, „kann für andere verarbeitende Industrien attraktiv sein“, sagt der Personalberater.
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Wichtig sei, als Konzernmanager in Vorstellungsgesprächen mit dem Trugschluss aufzuräumen, wer aus einem Konzern komme, arbeite immer in großen Geschäftsbereichen – und komme nicht ohne die Zuarbeit seiner Mitarbeiterstäbe aus.
Vielmehr sei häufig das Gegenteil der Fall. Berater von Rosty: „Oft sind Tochtergesellschaften dezentral aufgestellt und agieren wie selbstständige Unternehmen. Wer also Geschäftsführer etwa einer Auslandseinheit war oder ein selbstständiges Werk mit eigenem Einkauf und eigenem Vertrieb und mit voller Gewinn- und Verlustverantwortung geleitet hat, „hat das Zeug dazu, in einem Familienunternehmen als Geschäftsführer zu reüssieren“.
Keine Starallüren, sondern sich als Problemlöser präsentieren
Arbeitsmarktexperte René Bohn sagt, die Wechselchance in den Mittelstand hänge von der Persönlichkeit der Kandidatin oder des Kandidaten ab: „Schafft er es, dem potenziellen Arbeitgeber gegenüber seine Dienste wertschätzend zu offerieren?“, sei eine Frage. Und auch: „Vermittelt er oder sie glaubwürdig, sich einlassen zu wollen auf eine andere Art der Arbeit, die eher langfristige Prozesse und Erfolgskennzahlen betont?“ Die Kandidaten müssten auch zeigen, dass sie bereit sind, Ansprüche zurückzufahren, etwa beim Gehalt.
Und andersherum? „Hat man dagegen bislang in Familienunternehmen schnelle Entscheidungswege erlebt und voll integriert mitgearbeitet, wäre man als Business-Unit-Leiter eines Konzerns geeignet“, sagt Experte von Rosty. Pluspunkt eines solchen Kandidaten: „Er oder sie ist es gewohnt, unternehmerischer zu denken und über Wohl und Wehe zu entscheiden. Diese Mentalität ist in großen Konzernen als Business-Unit-Manager willkommen.“
Ob nun ein Familienunternehmen oder ein Konzern die nächste Station sein soll, von Rostys abschließender Rat für alle an einem Querwechsel interessierte Kandidaten lautet: „Arbeiten Sie unbedingt Ihre ausgezeichnete persönliche Passung heraus.“
Dazu gelte es, konkrete Beispiele aus der eigenen Vita auszuwählen, die dem Gegenüber im Vorstellungsgespräch zeigen, dass der Kandidat zum Wunschunternehmen und seiner Kultur passt.
Von Rosty: „Schildern Sie dazu, welche messbaren Erfolge Sie mit Ihren Methoden und Kenntnissen erzielt haben, wie Sie anspruchsvolle Führungsaufgaben gelöst haben und wie Sie wichtige Entscheider konkret von Ihrer Strategie überzeugen konnten.“
