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Das Duz-Dogma: Warum die Worte von deutschen Konzernchefs nicht immer überzeugen

Häufig bleibt nach dem Lesen von Statements und Interviews deutscher Konzernchefs zum Thema Kulturwandel und Digitalisierung ein gespaltenes Gefühl zurück: Ist das, was sie sagen und wollen, eine Anbiederung des Managements an den Zeitgeist oder ein positiver Ausdruck für eine moderne Unternehmenskultur? Berichtet wird seit Jahren von Dienstreisen oberer Führungskräfte ins Silicon Valley oder von Labs in deutschen Unternehmen mit Stoffpapageien und Plastikblumen. Einige CEOs tragen zu den Hauptversammlungen inzwischen Sneakers, und im Unternehmensalltag zeigen sie sich auch gern mal in Jeans und ohne Schlips. Auch das kollektive Business-Du wird gilt als Bestandteil einer neuen Unternehmenskultur. Vor einigen Jahren hat der ehemalige Chef der Hamburger Otto Group, Hans-Otto Schrader, den Mitarbeitern das Du und das „Hos“ angeboten, denn das würde frischer klingen als "Lieber Hans-Otto". Er glaubte, „über das Du leichter zum Wir zu kommen“, was für ihn viel mit flachen Hierarchien und der Bereitschaft zu tun hat, Verantwortung zu übernehmen. Das „Du“ sei ein „verbaler Startschuss“ für das Unternehmensprojekt Kulturwandel 4.0.

Die Inhalte des Interviews, das er damals der WirtschaftsWoche gab, fand sich fast wörtlich im Montagsinterview der Süddeutschen Zeitung, in dem Schrader ebenfalls auf den umfassenden Kulturwandel Bezug nahm. Ein Artikel über die Duz-Kultur ragte zwischen allen Beiträgen zu diesem Thema positiv heraus: Tillmann Prüfer bezog sich in seinem ZEIT magazin-Artikel „Duzer in Nadelstreifen“ zwar auch auf Schrader und die neuen Kulturblüten des Konzerns - die folgende Zusammenfassung seines Beitrags zeigt jedoch, dass sich das Thema auf eine Gesamtentwicklung übertragen lässt, die durchaus kritisch hinterfragt werden sollte:

• Führungskräfte und Manager, die den Angestellten das Du anbieten, tun häufig so, als hätten sie ihnen etwas geschenkt - in Wirklichkeit haben sie ihnen aber etwas weggenommen: die höfliche Distanz (das „Sie) und die Wahl zum selbstbestimmten Abstand. (Schrader sagte der WirtschaftsWoche übrigens auch, dass ihn Michael Otto noch siezt: „Ich kann das auch sehr gut nachvollziehen. Als Inhaber ist er in einer anderen Rolle als ein angestellter Manager. Eine gewisse Distanz ist da für alle Seiten durchaus hilfreich.“)

• Freundschaftliche Nähe lässt sich weder kaufen noch verordnen.

• Die Einführung des Du ist die „billigste Form der Innovation“: Man(n) will „angelsächsische Unternehmenskultur zum Nulltarif“.

Die „Eroberer“ des Digitalisierungszeitalters

Statt höflicher zueinander zu werden, will man in Deutschland heute unhöflicher werden, so das Fazit von Prüfer, der dies wiederum als sehr deutsch empfindet. Auch wenn die alte Befehlskultur im Zuge der Unternehmensdemokratisierung, der Digitalisierung und Individualisierung heute ausgedient hat und allerorten ein Wechsel der Führungskultur stattfindet, so ist es mit dem neuen „Du“ nicht getan.

Im SZ-Interview kritisiert Schrader zu Recht das Silodenken und die Wissen-ist-Macht-Haltungen in einem großen Unternehmenskonstrukt. Positiv hervorzuheben ist auch, dass er für ein aufmerksameres Zuhören plädierte. Wie dies allerdings konkret umgesetzt werden kann, sagte er nicht. Es ging in diesem Interview lediglich um Feststellungen und das, was man will: „Wir müssen uns neu erfinden.“ Mit glaubwürdiger Innensteuerung haben solche Sätze wenig zu tun. Wenn das Sein stärker ist als der Schein (das gilt für Menschen genauso wie für Unternehmen), dann verlangt Wagemut Konzentration auf Ziele und eine sachliche und klare Herangehensweise. Ein starkes Sein muss sich nicht neu erfinden - es „findet“ und erneuert sich ständig selbst. Und noch solch ein Interview-Satz: „Wir wollen die Zukunft erobern und nach vorn denken.“

In seinem Globalisierunghsbuch „Im Weltinnenraum des Kapitals“ schreibt der Philosoph Peter Sloterdijk: „Erobern lässt sich nur, was sich erfolgreich um eine Dimension verkürzen lässt.“ Columbus eroberte den ozeanischen Raum und beseitigte die Ferne. Er und die Seinen machten ihr Glück, weil sie im verschworenen Team zu segeln verstanden (heute sind es Corporate-Identity-Techniken). Gleichgerichtet widmeten sie sich dem Unmöglichen. Auch Schrader sagt im SZ-Interview: „Nichts scheint unmöglich zu sein.“ Die Kapitäne und Expeditionsführer von damals schwörten ihre Mannschaften auf das reine Vorwärts ein. Von einer Vision war im Interview mit dem ehemaligen Otto-Chef allerdings nicht die Rede, lediglich von der „Eroberung“ der Zukunft im Digitalisierungzeitalter. Doch sie lässt sich nicht erobern. Was wir lediglich „haben“ können, ist eine Erwartung an sie. Damit sie schon in der Gegenwart aufscheinen kann, brauchen wir Licht und Klarheit, um den Weg dorthin zu finden und ins Handeln zu kommen.

Weiterführende Informationen:

Alexandra Hildebrandt: Manieren 21.0: Warum gutes Benehmen heute wieder salonfähig ist. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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