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Das Geschäft mit der Kälte

Die Kältebranche profitiert von immer wärmeren und längeren Sommern. Mittelfristig könnten die Anlagen sogar zunehmend zum Heizen genutzt werden.

Es war der heißeste März in der Geschichte der europäischen Wetteraufzeichnung, sagten Meteorologen im Nachhinein. Mitte des Monats, an einem der Jahreszeit angemessen frischen Nachmittag auf der Heizungsmesse ISH in Frankfurt, ahnt man davon noch nichts. Außen scheint die Sonne, in den Messehallen ist es kühl.

Martin Krutz, seit einem Jahr Geschäftsführer von Daikin Deutschland, lehnt sich zurück und bestellt sich einen doppelten Espresso „schön fest, sodass der Löffel drinsteckt“ und danach noch eine Cola. Gerade hat er auf der Pressekonferenz seines Unternehmens von einem „durchwachsenen Jahr“ für Daikin gesprochen. Der Absatz mit Wärmepumpen ging nach einem Rekordjahr wieder zurück, auf dem Heizungsmarkt herrscht Chaos. Doch der Manager gibt sich trotzdem in optimistisch. Die Delle werde man überstehen, so viel sei sicher.

Martin Krutz ist ein Daikin-Urgestein – seit über 30 Jahren arbeitet der Österreicher für den japanischen Hersteller von Klimaanlagen, Wärmepumpen und Anbieter von Klimatechnik. Mit 28 Milliarden Euro Umsatz im Jahr ist Daikin Weltmarktführer für Klimaanlagen. In Güglingen bei Heilbronn produziert das Unternehmen unter anderem Wärmepumpen und Solarkollektoren. Er habe es „noch keinen einzigen Tag bereut, dabei zu sein“, sagt Krutz. Über ihm hängt, in mattschwarzer Optik: Eine Daikin-Klimaanlage.

Krutz' Optimismus lässt sich durchaus begründen. Denn anders als die Wärmepumpen-Konkurrenz ist Daikin nicht allein vom Heizverhalten seiner Kunden abhängig. „Der Klimaanlagenmarkt in Deutschland wird definitiv wachsen“, sagt er. Im Gewerbe und in öffentlichen Gebäuden erwarte er einen Anstieg der Nachfrage von 25 Prozent in den nächsten fünf Jahren. Auch im privaten Bereich rechnet er mit einem weiter steigenden Absatz an Klimaanlagen. „Wenn die Atmosphäre sich immer stärker erwärmt, dann gehört Kühlung im Alltag immer mehr dazu“, sagt auch Lena Schnabel, Abteilungsleiterin Wärme- und Kältetechnik am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme.

Das Geschäft mit Kälte boomt

Ein großer Teil des Wachstums stammt zudem aus einem weiteren Bereich: „Der Kühlbedarf für Rechenzentren wird massiv steigen in Europa.“ Schon jetzt kühlt die Technik von Daikin zum Beispiel das größte Rechenzentrum in Norwegen. Verschiedene Studien prognostizieren einen massiven Boom von Rechenzentren für Künstliche Intelligenz.

Zugegeben, noch haben die wenigsten Privathaushalte in Deutschland eine Klimaanlage. Doch seit 2018 ist der Umsatz mit Ausnahme des Corona-Jahrs 2020 stetig gestiegen. Marktforscher gehen von einem weiter wachsenden Markt aus, getrieben durch den Klimawandel. In Büros, Supermärkten, Hotels oder Veranstaltungsräumen gehört die Technik auch hierzulande längst zum Alltag. Laut einer Analyse von Statista Market Insight wird der Umsatz mit Klimageräten in Europa von 8,35 Milliarden Euro im Jahr 2024 auf 11,43 Milliarden im Jahr 2029 steigen.

In Deutschland rechnet Statista mit einem jährlichen Umsatzwachstum von 8 Prozent und einem Absatzwachstum von 6,8 Prozent bis 2029. Mit zunehmenden Temperaturen wird Kühlen für Menschen immer mehr zu einem Stück Lebensqualität. Doch für den weltweiten Strombedarf wird der Boom zum Problem.

* Anmerkung: Zahlen ab 2017 sind Prognosen, Quelle: IEA, Our World in DataGrafik: Gerd Weber

Hersteller kaufen zu bei Kältetechnik

Die Unternehmen im Bereich Heizung, Lüftung und Klimatisierung verstärken daher zunehmend ihr Portfolio im Kühlbereich. Auf dem europäischen Markt dominieren die japanischen Hersteller Daikin und Mitsubishi , der amerikanische Klimaanlagenhersteller Carrier (welcher vergangenes Jahr den deutschen Heizungsbauer Viessmann erwarb), und das Joint Venture Johnson Controls-Hitachi Air Conditioning, das vergangenes Jahr in einem strategischen Schachzug von Bosch übernommen wurde. „Der globale Wachstumstrend liegt vor allem im Bereich der Kältetechnik“, sagte Jan Brockmann, Chef der Home- Comfort-Sparte von Bosch, dazu im Gespräch mit der WirtschaftsWoche.

Auch Daikin hat in der Vergangenheit mehrere Firmen aufgekauft, darunter den italienischen Kältespezialisten Zanotti (2016), das britische Kältetechnikunternehmen Hubbard (2017) und den spanischen Anbieter Tewis (2018). 2019 übernahm Daikin dann den Kühltechnikspezialisten AHT Cooling Systems GmbH aus Österreich. 2024 meldete die Gruppe ihr bisher bestes Konzernergebnis.

Daikin ist Weltmarktführer für Klimaanlagen

Seit den 1930er-Jahren baut Daikin Klimaanlagen, zunächst nur in Japan. „Nachdem Daikin in Japan und Asien großen Erfolg hatte, wollten wir wissen, ob auch Europa Potenzial für Klimaanlagen bietet“, sagt Krutz. „In den 1970er-Jahren haben wir deshalb eine Studie in Auftrag gegeben – und das Ergebnis war eindeutig: großes Wachstumspotenzial. Also haben wir kurzerhand begonnen, in Belgien, in Ostende, unsere erste kleine Fabrik zu bauen.“

Die belgische Regierung hatte damals die Ansiedelung von Industriebetrieben sehr unterstützt und Ostende überzeugte mit dem Charme einer kleinen Hafenstadt und der Nähe zum wichtigen Hafen in Rotterdam.

Der Österreicher Martin Krutz ist seit Anfang 2024 Deutschland-Chef des japanischen Klimatechnikspezialisten Daikin. Foto: PR

Die meisten Geräte verkauft Daikin in Italien, Spanien, Frankreich, den Benelux-Staaten, Deutschland und dem Vereinigten Königreich. „In Italien haben wir in Europa wahrscheinlich den größten Bekanntheitsgrad – dort geht der Kunde zum Fachhandwerk und fragt explizit nach Daikin“, sagt Krutz. „Das möchte ich so auch gerne in Deutschland haben.“

Wie viele Klimaanlagen der Hersteller genau verkauft, will Krutz nicht sagen. In Europa handle es sich jedoch jährlich um eine „siebenstellige Zahl“ an Luft-Luft-Wärmepumpen – darunter fallen nämlich Klimaanlagen technisch gesehen.

Klimaanlagen – raus aus der Schmuddelecke?

In Deutschland haben die Geräte bei manchen noch ein umweltschädliches Image, das die Branche versucht abzuschütteln. Da wäre einmal der Stromverbrauch der Anlagen. Laut der Internationalen Energie-Agentur (IEA) sind weltweit bereits 2 Milliarden Klimaanlagen im Betrieb. Bis 2050 wird sich ihre Zahl fast verdreifachen, auf 5,5 Milliarden.

Bereits heute schätzt die IEA, dass allein der Stromverbrauch für die Kühlung von Räumen sieben Prozent des gesamten weltweiten Strombedarfs ausmacht und insgesamt eine Milliarde Tonnen CO₂ verursacht. Das entspricht mehr als dem 1,6-fachen des gesamten deutschen CO₂‑Ausstoßes. Gerade in Ländern in ohnehin heißen Klimazonen, wie beispielsweise Indien, wird der Bedarf massiv ansteigen und damit auch der Hunger nach Strom.

Ein zweiter kritischer Punkt sind die synthetischen Kältemittel in Klimaanlagen und Wärmepumpen, deren Klimawirkung die von CO₂ teilweise um mehr als das Zweitausendfache übersteigt. Verbleiben diese in der Anlage und werden sie schließlich fachgerecht entsorgt, werden diese Chemikalien zwar nie klimawirksam. Und doch: Ein geringes Maß an Leckage lässt sich oft nicht verhindern. „Noch sind viele Geräte mit synthetischen Kältemitteln auf dem Markt“, sagt Kältetechnik-Expertin Lena Schnabel. Dank einer EU-Regulierung ändert sich das gerade, immer mehr Hersteller bieten Klimaanlagen mit dem natürlichen Kältemittel Propan an.

Am Fraunhofer-Institut forschen Schnabel und Kollegen schon seit 20 Jahren am Einsatz natürlicher Kältemittel. Fazit: Sie sind den synthetischen klar überlegen in puncto Klimafreundlichkeit und Umweltverträglichkeit. Allerdings sind die leichter entzündlich, daher braucht es andere Sicherheitsstandards. Eine technologische Revolution aber ist all das nicht: In Indien oder China setzen Hersteller ohnehin schon auf natürliche Kältemittel wie Propan, weil sie günstiger sind.

Das Kältemittel-Problem ist damit langfristig gelöst – entscheidend für den Strombedarf wird in Zukunft sein, ob genügend Grünstrom gewonnen werden kann. Martin Krutz will das Image der Klimaanlage abschütteln. „Als Luft-Luft-Wärmepumpe in Kombination mit Fotovoltaik liefert sie im Sommer sogar nahezu kostenlos Kühlung“, sagt er.

Kühlen mit Wärmepumpe als Trend

Gerade in Gebäuden mit zentralem Lüftungssystem werden Luft-Luft-Wärmepumpen teils auch bereits zum Heizen eingesetzt, auch in gut isolierten Neubauten kann das ein effizienter Weg sein. „Viele große Einzelhandelsketten haben schon vor Jahren erkannt, dass es sich überhaupt nicht mehr lohnt, in konventionelle Heizung zu investieren“, sagt Daikin-Deutschlandchef Martin Krutz. „Stattdessen investieren sie in Klimaanlagen, die in beide Richtungen arbeiten können, kühlen und heizen.“

* Für den Zeitraum 27.02.2024 bis 31.07.2024 Quelle: KfW / BMWK Grafik: Patrick Zeh

Auch Fraunhofer-Forscherin Schnabel rechnet mit einem starken Zuwachs der Anlagen bei gewerblich genutzten Flächen und Büros, genauso wie in öffentlichen Veranstaltungsräumen oder Universitäten. Schnabel vermutet, dass zukünftig mehr Haushalte mit Luft-Luft-Wärmepumpe das Gerät auch zum Kühlen im Sommer verwenden dürften. Die Verbraucherzentralen raten sogar dazu, bei einem Heizungstausch gleich eine Luft-Luft-Wärmepumpe zu installieren, wenn man sowieso ein Split-Gerät zur Kühlung anschaffen wolle. Die kann man sich nämlich, solange sie den Anforderungen entspricht, genauso wie andere Wärmepumpen sogar fördern lassen.

Zur privaten Nutzung merkt Schnabel allerdings an: „Es gibt im Neubau intelligentere Lösungen als die Installation einer Klimaanlage, um die Raumtemperaturen zu senken.“ Mit der richtigen Innenarchitektur können Temperaturen auch ohne Gerät gesenkt werden. Als günstige und stromsparende Alternative zur Klimaanlage empfehlen Verbraucherzentralen Ventilatoren. Die bewegen zwar nur die Luft, anstatt sie zu kühlen, erzeugen damit aber einen gefühlten Kühlungseffekt.

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